morgana81 - gothic transgender

Wow … ich glaube, ich hatte gerade einen Orgasmus!

[25.12.23 / 03:16] Wow … ich glaube, ich hatte gerade einen Orgasmus! Nach all den Jahren! 2018 die Operation, das vorsichtige Herantasten, die Schmerzen, die falsche Technik, das Wissen, dass die Operation nicht wirklich gelungen war. Es sah zwar alles hübsch aus, aber eine richtige Vagina war da nicht. Immer wenn ich mit den Fingern tiefer hineintauchte, schlug mein Gefühl sofort um in Verzweiflung, Enttäuschung und Sehnsucht.
Es hat Jahre gedauert, das dort unten zu akzeptieren. Die Korrrekturoperation – der Verlust einer halben Schamlippe als Spender für das Hauttransplantat. Die vielen Männer – die ganzen Nieten: „Wie, du bist da unten nicht tief?“ Meine einzige Hoffnung, wenigstens alleine für mich etwas Gefühl zu erzeugen.
Hatte ich erst die Antidepressiva im Verdacht, mir die Fähigkeit zu nehmen, einen Orgasmus zu erreichen, mich vollkommen fallen zu lassen – war ich doch enttäuscht, als es nicht gleich wieder klappte, als ich sie 2021 absetzte. Ach, das wird schon wieder, das kommt ganz sicher zurück!
Meine Exkurse in die Internet-Erotik, die Live-Sex-Chats mit meinen Liebhabern während der Pandemie … alles bei mir zu Hause, in meiner vertrauten Umgebung. Nur ich habe die volle Kontrolle, was passiert. Meine eigenen Shows – eigentlich nur die Eine und ein Video. Mich zieht es wieder in das Internet, mein Suchfilter auf der Porno-Seite hat sich nie verändert: Spanisch sprechende Schönheit, für sich alleine vor der Kamera, keine störenden Männer, kein Druck von außen, nur sie alleine in ihrer vollkommenen Freiheit. Ich fand es gut, dass sie in ihren Texten niemals auf männliche Genitalien einging, eher zum Mitmachen animierte: „Lass uns gemeinsam da unten anfassen.“
Ich war nah dran, so wie die letzten Jahre … könnte ich nur diesen einen Gipfelpunkt halten, nicht gleich wieder verlieren. Ich brauche mindestens zwanzig Minuten Vorspiel und Phantasie, um eine gewisse Feuchte zu erreichen – das Einzige, was bei mir wirklich sicher funktioniert. Ich mag es, ihr dabei zuzusehen, sie hat so ein bezauberndes Lächeln.
Ein Wochenende später, weit nach Mitternacht, dieses Mal nicht der kleine Laptop an meinem Bett, der große Fernseher mit dem Internetanschluss. Das Sofa, meine geliebte Leopardendecke, wohlig eingehüllt in einer weiteren schwarzen Decke. Sie sieht hübsch aus, ich betrachte sie … mir gefallen die weißen Stiefel.
Ich lasse meine Phantasie schweifen, male mir aus, was ich ihr erzählen könnte. Meine Erlebnisse als Webcam-Erotik-Model – das Gefühl, mit dem Zuschauer zusammen etwas zu kreieren, eine Geschichte, eine eigene Phantasie, etwas, was vorher nicht da war, eine entspannte Atmosphäre, nur in unserer Vorstellungskraft, mit knisternder Erotik!
Ich lasse meine Finger nach unten wandern, wie schon viele Male zuvor. Kein Druck, nicht ewig daran herumrubbeln, bis es schmerzt, nichts erzwingen, nichts nachjagen, nicht wieder voller Enttäuschung, dass es wieder nicht geklappt hat, davon ablassen. Dieses Mal nicht. Zwei Finger an meiner Klitoris … und ihr einfach zuzusehen – ihr winziger, weißer Slip zeigt mehr, als er verbirgt. Ihre beiden Schamlippen zeichnen sich schon wirklich deutlich ab.
Und auf einmal passiert es! Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist – ich bin nicht nur feucht, ich bin klitschnass! Mit einmal! Geradezu explosionsartig. Gut, die schwarze Unterhose kann ich jetzt waschen, die Oberschenkel kann ich mit etwas Klopapier abtupfen. Es zieht wie immer glitzernde Fäden zwischen meinen Fingern. Ich mag den Geruch. Viel wichtiger ist der Moment, wie ich das Plateau erreiche. Bleibe ich hier oben, voller Glücksgefühle? Und wenn ja, wie lange wird es andauern? Auch wenn es nur ein kurzer Moment ist, auch wenn es nur ein Orgasmus ist, es ist wieder so, wie ich es viele Jahre vermisst habe.
Vor vielen Jahren, die Nächte in den Hotelzimmern, der Analsex bis zur Besinnungslosigkeit. Das unoperierte Genital, gebändigt voller weiblicher Hormone, noch viel empfindsamer, als jemals zuvor. Das Trauma der Operation, das Kennenlernen meines neuen Körpers, die Zurückweisungen der Männer, nicht mehr gut genug für Sex zu sein. Der Gedanke, niemals wieder etwas wie dieses Gefühl empfinden zu können. Und doch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, auch wenn es Jahre dauert – irgendwann wird es ganz sicher wieder passieren! Und dann schreibe ich darüber!

Danke dir, du wunderschönes Camgirl.

[21.08.23 / 00:52] Mein Plan: Ich mache das so, wie in Leipzig vor ein paar Wochen, dieselbe Temperatur, derselbe Ablauf. Das Fest mit der Bühne und den Ständen lasse ich sein, nach der Demoroute zurück ins Hotel, eine Dusche nehmen und wieder ausgehfertig für die Nacht zur großen Abschlussparty machen. Nur dass ich hier kein Hotel brauche, ich nehme einfach den nächsten Regionalzug den Nachmittag zurück in meine Provinz-Kleinstadt und Wohnung. Mehrere Runden noch in der Hitze durch die aufgebauten Stände … der Stand mit den Flaggen hat leider keine Progress-Regenbogenflagge mehr, ich will auch so eine an meinem Fenster draußen zur Straßenseite aufhängen (gesehen das letzte Wochenende in Leipzig, im Wind wackelnd von dem Tisch von der Bar aus, mit meinem „Date“). Es ist noch Zeit am Hauptbahnhof, für ein Stück Kuchen und eine weitere Flasche Wasser (ganz wichtig). Essen war ich schon vorher, Falafel Döner.
Mein Badezimmer oben auf dem Dachboden, die Ventilatoren so aufgedreht, dass die Hitze etwas erträglicher wird. Ich bin das gewohnt, ich lebe schon Jahrzehnte auf Dachböden. 21 Uhr nochwas den Sonnabend Abend, Beine rasieren – diese tatsächlich eine (kühlere) Etage tiefer, in das, was einmal mein neues Badezimmer werden soll – eine Dusche nehmen, vor meinem großen Spiegel das Make-up auftragen. Ein feiner Kajalstrich, dezentes, schwarzes Mascara und dann die Kajal-Lidschatten-Melange in der äußeren Hälfte des Augenlids noch oben hin weg verblenden. Lippenstift brauche ich nicht, weiteres Make-up würde ohnehin sofort zerfließen, ein Sprühstoß des zum Duschbad passenden Parfüms auf meinen Nacken und ich kann mich meiner Kleiderwahl für die Nacht widmen: der schwarz-weiße Rock und das kurze, schwarze Top mit den etwas längeren Ärmeln, zusammen mit dem Silberschmuck (Armreif, Armband, Ring und Kette mit indischen Anhänger) und die schwarzen Plateaupumps aus Wildleder. Für die Fahrt zur Disko wechsele ich auf auf ein Paar Ballerinas – ich nehme das Auto. 22 Uhr nochwas und ich bin raus und bereit für die Nacht.
Mit meinem Roadster im Dunkeln durch die ländlichen Straßen, unzählige Male bin ich diese Strecke schon gefahren, als ich noch frisch den Führerschein hatte und ich dieses Kaff endlich verlassen konnte, zur Disko nach Magdeburg … damals vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gab es da noch was mit Gothic. Jetzt bin ich auf dem Weg zur CSD-Abschlussparty in einer vielversprechenden Venue im alten, freigelegten Festungsring rund um den (plattgebombten) Innenstadtkern von Magdeburg … da wollte ich schon immer mal hin. Drei bis vier Tanzflächen, von Techno, Rave, bis Achtziger/Neunziger. In meinem Autoradio läuft ein tanzbares Album eines Retro-Minimal-Wave Künstlers. Viele Autos fahren die nächtliche Straße entlang … sie wollen alle von hier nach dort zur nächsten Disko.
Als ich den Veranstaltungsort erreiche, bin ich viel zu früh da, der Club macht erst in einer halben Stunde auf – und das ist mit 23 Uhr schon ziemlich früh, wenn es woanders erst um „23:59“ losgeht. Vielleicht haben sie an die älteren CSD-Gäste gedacht, die das nicht mehr so können. Mein (weiterer) Plan: Früh kommen, früh gehen, früh – also noch vor Sonnenaufgang – wieder ins Bett fallen. Ich biege auf den kleinen Parkplatz mit der Bretterbude für den Eingang und der noch verschlossenen Tür ein. „Boing!“ Mein tiefergelegter Sportflitzer kratzt über so eine, wirklich ungünstig gelegene Bordsteinkante. Die wenigen Besucher, die da schon am Eingang stehen, werden nach und nach mehr und es entwickelt sich zu einer kleinen Attraktion, die einfahrenden Autos und die fiese Bordsteinkante zu beobachten (es werden vielleicht schon Wetten abgeschlossen). Bis sich jemand erbarmt und eine Tonne als Markierung auf diese ungünstigen Stelle zieht. Zu spät für mich, ich kontrolliere nach dem Aussteigen und dem Wechseln meiner Schuhe, mit meinem Kameralicht den Seitenschweller, genau diesen habe ich schon einmal in einem Parkhaus verloren.
Draußen am Eingang, warten, in der Hitze des Abends. Grillen zirpen. Ich werde von zwei jungen NBs angesprochen – sie benutzen das Wort „Sie“ – ob ich einen „Muttizettel“ unterschreiben könnte, sie bräuchten noch eine Aufsichtsperson, um in die Disko reinzukommen. „Ja, OK.“ Ich habe eigentlich gar nicht so richtig die Ahnung, was das für mich bedeutet und was das für Konsequenzen für mich hätte, wenn da irgend etwas hinterher schief läuft, aber ich lasse mich überreden. Warum nicht, ich habe mich auch mit fünfzehn in die Disko geschmuggelt und da ist nichts passiert. Die beiden haben schon einen Ausweis, sind nur noch nicht volljährig. „Ich nehme meinen alten, männlichen Namen. Da kommen die nie drauf!“, ich bin wahrscheinlich die schlimmste Wahl, um verantwortungsbewusste, erziehungsberechtigte Person zu werden. „Ich bin jetzt er-zieh-ungs-be-rech-tigt.“ Die Kasse öffnet sich, ich zeige mein Ticket aus dem Vorverkauf auf meinem Telefon, die beiden da gehören zu mir. Gleich hinter dem Eingang sind sie frei und können machen, was auch immer sie machen wollen. Der Club ist ein Safe Space. Immer, wenn ich die Nacht die Tanzflächen wechsele, werde ich mal nach den beiden Ausschau halten, ob ich sie irgendwo noch sehe, oder ob sie Probleme haben (vielleicht zu viel getrunken). Aber ich werde hier nicht die „Anstandsdame“ (und tatsächlich sehe ich sie danach auch nicht mehr).
Ich erforsche diesen Club, diese alte Festungsanlage mit den Gewölben. Langgezogen, mit vielen kleinen Ecken und Nischen. Dunkel, spärlich beleuchtet, drei kleine Tanzflächen und Bars drinnen, eine große Tanzfläche draußen auf einem Holzparkett und einer stark frequentierten Bar daneben. Der Club füllt sich schnell. Diese wunderbar laue Sommernacht ist einfach zu verlockend, draußen zu feiern. Ich bestelle mein erstes, alkoholfreies Mate-Getränk.
Die Tanzfläche unter dem wolkenverhangenen Sternenhimmel, jedes Mal, wenn etwas Bekanntes aus den Achtzigern oder Neunziger-Eurodance gespielt wird, bin ich oben auf dem Parkett und schlurfe in meinen Plateaus. Eurodance … da hätte ich als Goth nie zu getanzt. Drinnen in den Gewölben, die eine Tanzfläche mit den wechselnden DJs und DJanes, mal Afro-Beat, mal Acid-Rave. Unter dem Stroboskop-Gewitter lasse ich mich rhythmisch fallen. Hämmer mir diese Scheiße aus dem Kopf! Ich habe ständig noch diese Bilder von der Reichsbürger-Veranstaltung den Nachmittag zuvor in mir. Wie die da mit ihren Flaggen und Trommeln marschiert sind, wie bedrohlich das Ganze wirkt – und was das für eine Gefahr für die ganze queere Community und das freie Leben werden wird … werden könnte. Bin ich zu dystopisch? Auf jeden Fall wirkt der Rave in den kühlen Gewölbegängen: ich schließe beim Tanzen meine Augen und es erscheinen die inneren Bilder von den unzähligen Partys auf denen ich war, mit den vielen interessanten, queeren, alternativen und schönen Menschen.
Nach und nach, ein zweites Mate-Getränk, ein Glas Wasser, eine experimentierfreudige Matcha-Brause. Die schmutzigsten und überlaufendsten Damenklos, in der der Boden immer nass ist und permanent das Klopapier fehlt und dafür die Mülleimer überquellen. Draußen alles beobachten, an einem Tisch stehen, drinnen durch die Gänge laufen, den Bauch einziehen, mich durchschieben. Schade, dass ich nicht wirklich angesprochen werde. Eine etwas ältere Frau hat mal auf dem Tresen ein paar Münzen für mein Mate-Getränk liegen gelassen – ich habe das nicht verstanden und mein Getränk selbst bezahlt. Einmal wurde ich gefragt, ob der Platz auf der Bank neben mir noch frei ist – aber ich erwarte auf schwulen Partys nicht, angesprochen zu werden. Ich bin als trans Frau uninteressant. Trans Frauen haben keine Freunde. Wenn ich eine trans Frau in der Menge erkenne, stöckelt sie immer alleine irgendwo herum. Stunden zuvor auf dem CSD habe ich wieder die Eine gesehen – sie ist mit ihren ein Meter neunzig aber auch ziemlich auffällig – nur sie anzusprechen, das habe ich mich nicht getraut, bin nur an ihr vorbeigetanzt. Vielleicht kommt sie die Nacht hier auch vorbei, in diesen Club? Dann könnte ich vielleicht den Mut aufbringen … sie wird nicht kommen, sie wäre mir ganz sicher wieder aufgefallen.
3:30 Uhr, mein Wollponcho, den ich noch im Auto, für alle Fälle, auf dem Beifahrersitz liegend, mitgenommen habe, habe ich doch nicht gebraucht. Mein schwarzes Top ohne Unterhemd reicht auch jetzt noch aus. Meine Füße, meine Zehen schmerzen – wie Profi-Ballerinas habe ich die Schuhspitzen meiner Plateaus mit Taschentüchern ausgestopft, um einen besseren Halt darin beim Tanzen zu haben. Draußen auf dem Parkplatz, als ich den Club dann doch für den Heimweg verlassen habe, ziehe ich sie mir vorsichtig vor meinem Kofferraum wieder aus, lege sie einen nach dem anderen hinein und wechsele einbeinig hüpfend in meine flachen Ballerinas zum Auto fahren. Klappe zu, noch einmal den Seitenschweller auf der Beifahrerseite abklopfen – alles hält – und ich steige ein. So viele Menschen stehen noch auf dem kleinen Parkplatz herum, ein Kommen und Gehen – ich bin mir sicher, die Party geht noch bis Sonnenaufgang.
Die Straße durch die Nacht und den tiefdunklen Morgen wieder zurück, der vorausgesagte, morgendliche Nebeldunst ist noch nicht eingetroffen. Ich fahre allein, niemand ist sonst unterwegs. Zu Hause biege ich mit meiner lauten Musik im Autoradio auf die kleine Stellfläche mit der Garage ein. Die Funkfernbedienung für das Rolltor. Ein Fade-out am Drehknopf für die Lautstärke. Das Album werde ich die nächsten Tage, wenn ich wieder morgens zur Arbeit fahre, weiterhören. Oben im Badezimmer im Dachgeschoss, das mit dem großen Spiegel … die Packung mit den feuchten Tüchern zum Entfernen des Augen-Make-up ist jetzt leer, es war das letzte Tuch. Fünf Uhr nochwas, eine Etage tiefer, ich kann mich endlich ins Bett fallen lassen. Den heißen Sonntag in ein paar Stunden mache ich einfach gar nichts mehr, ich bin zu erschöpft. (Ende Teil 2/2)

[21.08.23 / 00:51] Ich habe Dinge gesehen … (2) – Der CSD in Magdeburg 2023. Die Kleiderfrage: Wenn es kühl wird, komplett in Leder, alles, was ich habe, Jacke, Stiefel, Minirock und leichte Handschuhe. Wenn die Rechten dort aufmarschieren, dann komplett in Schwarz, Kampfstiefel, Kapuzenpullover, Sonnenbrille, vielleicht eine Bauchtasche für die nötigsten Utensilien und die Motorradhandschuhe mit dem Knöchelschutz. Es wird laut Wetterbericht, jenseits von dreißig Grad werden, mit schönstem und heißesten Sonnenschein und meinen ganzen Plan wieder umhauen.
Die Nächte davor waren schon ziemlich heiß (und schlaflos), ich habe mir auf den Kleiderbügeln mein finales Outfit zusammengestellt, mein schwarz-weißer Blümchenrock, das kurze, schwarze Mini-Top und das weite, schwarze Tank-Top mit der markanten Aufschrift: Not Afraid of Love – das habe ich schon länger nicht mehr angezogen, alles zusammen mit meinen robusten Keilsandaletten und meiner obligatorischen, dicken, schwarzen Sonnenbrille. Ich habe aus dem letzten CSD in Leipzig gelernt, ich nehme die absatzlosen, leichten Schnürschuhe für die Demo und die Plateaupumps mit Absatz für die Party danach – und zwei Tops – damit ich das durchgeschwitzte dann wechseln kann. Es wird alles spontan werden (welches Top ich zuerst anziehe), wenn ich dann nach der nächsten heißen Nacht den Sonnabend im August aufwache.
Sieben Uhr nochwas … Zeit genug, noch einmal die Beine nachzurasieren, ein legeres Frühstück draußen im Garten auf der überdachten Holzterrasse einzunehmen, alles in meine Stoffhandtasche zusammenzupacken – das weite, schwarze Top mit der Aufschrift anzuziehen – pinkfarbene Schnürsenkel zusammenzubinden und mich die fünf Gehminuten zum Bahnhof fahren zu lassen. Gegen zehn Uhr auf nach Magdeburg.
Es ist wie immer, voller Menschen, die ganz jungen in ihren buntesten Fahnen. Ich gehöre nicht zu dieser Regenbogen-Gruppe, mein Weg trennt sich – ich laufe zielgerichtet zum Domplatz mit der dort angekündigten Gegenveranstaltung der Reichsbürger. Warum? Was will ich da? Ich will sie sehen, ich will wissen, was das für Menschen sind. Geschichtsrevisionisten, Esoteriker oder einfach auch nur Anarchos, wie ich? Im schlimmsten Fall sind es brutale Skinheads mit Nazi-T-Shirts und ich könnte dort umgehend abgestochen werden. Ich will auch wissen, wie die Polizei das dort ordnet, wenn wenige Stunden später den frühen Nachmittag beide Demos, also die rechte Kundgebung und der dort vorbeiziehende und eine Pause einlegende CSD auf dem großen Platz aufeinandertreffen – und ich will bis dahin mich in ein Café setzen und im Schatten, geschützt vor der Sonne, darauf warten – und irgendwo soll noch eine „Gegen-Gegenkundgebung“ der Linken sein.
Ich schaffe es problemlos bis zum Platz, eine Waffel spätes Frühstückseis in der Hand, ich sehe ganz touristisch harmlos aus und sondiere schon einmal die Lage. Lage, Auftrag, Nachbarn, Grenzen … Ich bin der militärische Arm der Trans-Antifa. Der Platz ist groß, die rechten Veranstalter haben eine kleine Fläche für ihre Kundgebung auf der Seite, die vom Dom abgegrenzt wird. Es gibt mehrere Zugänge auf diesen Platz, rundherum sind Gebäude, unter anderem der Landtag von Sachsen-Anhalt (und mir ist aufgefallen, dass die Regenbogenflagge dort abgehängt wurde, wenn sie überhaupt hing). Fluchtwege, bereitstehende Polizeifahrzeuge, nicht ganz so viel Bereitschaftspolizei. Es wirkt friedlich, die Absperrgitter für später sind noch gar nicht aufgebaut. Ich wähle das abgelegenere Café am anderen Ende des Platzes für meinen Spähposten und eine große Tasse italienischen Cappuccino. Das zweite Café dort hinten neben der Kundgebung wird bestimmt mehr von „denen“ besucht. So weit die Theorie.
Die Leute am Nachbartisch fallen mir gleich auf, ältere Männer, adrett gekleidet, die eingerollte schwarz-weiß-rote Reichsflagge neben sich. Die ältere Frau, die sich wenig später zu mir an meinen Tisch setzt, wirkt eigentlich ganz nett … bis ich sie ein oder zwei Stunden später glaube wiederzuerkennen, in der ersten Reihe der Trommler auf ihrem Marsch rund um den Domplatz. Jetzt an diesem Tisch in dem überdachten Außenbereich des Cafés unterhalten sie sich nur ganz locker, über Reichsbürger-Themen, was Reichsbürger so interessiert, so die Zeit mit dem „Norddeutschen Bund“ (1867 – ich habe es im Wiki nachgelesen), ihr Credo: „Da müssen wir wieder hin!“ und natürlich kennen sie auch alle historischen Flaggen der Bundesstaaten auswendig, von Preußen bis Sachsen, die wenig später auf dem großen Platz zur Flaggenparade aufgereiht werden! Ich beobachte währenddessen das Treiben dort hinten am Dom und lausche, mehr oder weniger unfreiwillig, den Gesprächen der Gruppe an meinem und dem Nachbartisch … Großer Gott, ich werde hier noch umgedreht!
Mit Beginn der Aufreihung für die Flaggenparade leert sich das Café schlagartig. Die martialische Trommelgruppe zieht an mir vorbei, sie dürfen den Platz zweimal umrunden, angeführt von einer Polizeiwanne als Eskorte. Die Fahnenträger verschwinden alle nacheinander aus meinem Sichtfeld, hinter das Landtagsgebäude zur Elbe hin … hätten nur noch Fackeln gefehlt, aber dafür ist es die Mittagszeit leider viel zu hell. Erst war ich noch in dem Gedanken, dass das gemäßigte Reichsbürger sein könnten, so mit der Einstellung: Ob du schwul oder trans bist, interessiert mich nicht. Das ist deine Privatsache, was du mit deinesgleichen in deinem Haus oder in deiner Freizeit machst, ob du da ein Röckchen trägst, mit anderen Männern „Liebe machst“, oder was auch immer. Täusch dich nicht, der Hass ist grenzenlos. Die Situation mit dem Aufmarsch wirkt auf mich bedrohlich und weckt innerste Fluchtreflexe … ziehe ich mich auf die Toilette des Cafés zurück? Selbstverständlich die Damentoilette – das ist mein Schutzraum! Haue ich einfach ab? Ich muss meinen Kaffee noch bezahlen. Ich tue mir die ganze Scheiße an und blicke von meinen Sitzplatz aus weiter auf die Szenerie. Zurück aus der Damentoilette, mit ganz viel Sonnencreme auf der Haut, den Kaffee (und den Orangensaft) bezahlt, verlasse ich das Café an dem einen Ende des Domplatzes und laufe rüber zum Dom auf die andere Seite, von irgendwo habe ich die „Alerta Antifascista“ Rufe gehört.
Sie sind da! „Freunde!“ Mein Lächeln in meinem Gesicht, als ich auf die kleine Gegen-Gegenkundgebung der Linken treffe. Eine ganz kleine Gruppe an der Ecke des Doms, aber in unmittelbarer Nähe der rechten Kundgebung, nur getrennt durch eine Straße, ein paar Absperrgitter und ein paar Bereitschaftspolizisten in blau-schwarzer Montur. Die Lautsprecherboxen werden aufgedreht und die Faschos / Nazis / RBs dort drüben beschallt. Ich bin weiterhin in meiner angespannten, emotionalen Lage und beobachte die Flanken, rechts, links, hinter mir. Lage, Auftrag, Nachbarn, Grenzen: Gegenkundgebung und Gegen-Gegenkundgebung, auf die Ankunft des CSD warten, die Stellung halten, Flagge zeigen (Regenbogen und die Rote), Nazis beschallen. Sind Reichsbürger auch Nazis? Ich hätte nicht so lange in dem Café mit der Gehirnwäsche ausharren sollen …
Die Sonne dreht sich, der Schatten wandert, die kleine Gruppe wandert mit. Die große Kundgebung dort drüben auf dem Domplatz muss in der Sonne schwitzen, wir haben es hier an der Ecke des Doms eigentlich ganz angenehm und kühl. Jemand aus der Orga hat Wasser und Eis bereitgestellt. Es gibt nur ein oder zwei Pöbeleien von ein paar angetrunkenen Rechten, so wie ich mir Skinheads aus den Neunzigern vorstelle – jetzt eben mit Ü50, grauhaarig und Bart, aber immer noch irgendwie asi und braune Scheiße im versoffenen Kopf. Die neue Rechte mit akademischen Bildungsgrad ist weitaus gefährlicher und ich bin mir nicht so hundert Prozent sicher, ob ich nicht auch ihren Gedanken erliegen könnte. Sie haben schon eine von uns umgedreht – und das war die hübscheste trans Frau auf ganz YouTube! Ich bin hier unter Freunden. Kommunistische Kampflieder und Anarcho-Punk-Songs werden angespielt.
13 Uhr geht der CSD auf dem alten Markt los, 14 Uhr wird er hier vorbeiziehen. Bässe sind zu hören, Sprechdurchsagen, laute Musik und die Demotrucks des großen CSD beginnen langsam auf den Domplatz einzubiegen. Endlich! Wir haben auf euch gewartet. Die linke Gegen-Gegenkundgebung wird von Polizisten abgeschirmt. Wir winken den lauten Demotrucks mit den bunten Regenbogenfahnen entgegen. Ich hoffe, sie wissen es zu würdigen, dass wir hier die Stellung gehalten haben, als letzte Bastion gegen den ganzen rechts-konservativem Gedankenkram, der eigentlich nichts anderes will, als unsere vollständige Vernichtung und Auslöschung. Keine bunten Fahnen mehr, nur noch grauer Matsch und Düsternis.
Der CSD zieht weiter, auf die andere Seite des Platzes zum Landtag hin. Die Rechten wenden uns den Rücken zu – sie sind mehr fixiert auf den CSD und sehen in den – ja, es sind Kinder, mit bunten Regenbogenfahnen und Glitzer im Gesicht – ihr Feindbild. Jetzt mal ehrlich: Wie krank seit ihr im Kopf? Unsere linke und antifaschistische Demo löst sich langsam auf. Einige schließen sich gleich dem CSD an, andere später. Ich wollte eigentlich auch nur bis hierhin warten und dann mit dem CSD weiterziehen. Ich nutze das Angebot, in einer Gruppe zu laufen – Seitenstraßen mit alkoholisierten Fascho-Gesocks sind unberechenbar. Der Stand wird abgebaut, die letzten Flaschen Wasser und Eis am Stiel werden verteilt (nett, für das Angebot).
Spätestens auf dem großen Hasselbachplatz (so ein Magdeburg-Ding), gehe auch ich mit unter in die große Gemeinschaft des CSD. Hier sind es wieder mehrere tausend Menschen und mehrere Demotrucks. Vielleicht hat sich vorhin der Zug geteilt? Nicht jeder CSD-Teilnehmer und Teilnehmerin sucht die Konfrontation mit den Rechten. Hier auf dem zentralen Straßenplatz mit der letzten, bunten Kundgebung ist wieder alles normal. Der Zug zieht weiter mit lautester Musik in der sengenden Sommerhitze dieses Wochenendes im August. Die absatzlosen Schuhe und der schöne Rock und das bequem sitzende, breit geschnittene Tank-Top waren gut gewählt von mir. Die Trucks vorne und hinten, die unterschiedlichste Musik, die vielen interessanten Menschen, schwul, trans, lesbisch, was auch immer, hier und da 'ne Drag Queen. Ich bin zu Hause und tanze mich zu der Rave-Musik durch die Menge und den breiten Innenstadtstraßen. Wenig später: der Tross des CSD erreicht seinen Anfangs- und Endpunkt, wie jedes Jahr, der alte Markt von Magdeburg mit dem Rathaus (und hier hängen auch wieder die Regenbogenflaggen). (Ende Teil 1/2)

[30.07.23 / 22:51] Dicht an dicht, vor mir die anderen Menschen, neben mir, hinter mir. Der schwarze Block schiebt sich vorwärts, durch die Straßen von Magdeburg. Nur ein kurzes Stück in Richtung der Messehallen rüber auf die andere Seite der Elbe … dort der Bundesparteitag einer nicht näher erwähnten, neofaschistischen Partei. „Alerta, alerta, antifascista!“ Laute Sprechchöre, ununterbrochen. Pyrotechnik wird gezündet, ein Böller, mehrere Rauchbomben. Ich steige mit meinen Füßen darüber, durch den roten Qualm. Vermummung wird vereinzelt angelegt, ich setze meine tiefschwarze Sonnenbrille auf, meine grüne Regenjacke ist schon beim Start am Hauptbahnhof eingerollt in meiner schwarzen Handtasche verschwunden. Jetzt nur noch meine schwarze Lederjacke, meine schwarz-graue Jeans und meine Schnürstiefel. Den schwarzen Kapuzenpullover habe ich zu Hause gelassen, auch wenn es nieselt, die Temperaturen sind an diesem Sonnabend zu heiß.
Der Demozug bleibt auf der langen Elbbrücke stehen, die seitlichen Transparente werden als Sichtschutz hoch gehalten, die begleitenden Polizeieskorten filmen alles. Innerhalb des schwarzen Blocks der Antifa kann jetzt etwas entspannt werden, etwas Raum in diesem sicheren Platz schaffen, bevor es dann nach ein paar Minuten wieder vorwärts geht: „Nach vorne aufrücken!“ Keine Möglichkeit schaffen, den Bullen vereinzelt Personen herauszugreifen. „Siamo tutti antifascisti!“
Stunden später, ich sitze gelangweilt unter einem aufgebauten Zeltdach einer Gewerkschaft im Schatten vor der schwitzenden Sonne, die Lederjacke habe ich schon lange ausgezogen, darunter trage ich nur mein Trans-Lives-Matter T-Shirt. Die Demo hatte beim Start noch ein- oder zweitausend Menschen, jetzt den Nachmittag auf dem Platz mit der Protestkundgebung hat sich alles zerstreut. So viele sind hier nicht mehr. Ein schwarzer Block ist gar nicht mehr so richtig zu erkennen und der Parteitag mit den Nazis ist noch mehrere hundert Meter entfernt. Nett gemeint von den linken Organisatoren, hier eine Gegenveranstaltung abzuhalten, aber das werden die Rechten dahinten nie hören oder mitbekommen. Ich warte auf die andere Zubringerdemo, die hier noch ankommen soll. Ein Rave, zwei Trucks, viel Techno, die ich schon mittags zu Beginn am Bahnhof gesehen habe.
Laute Bässe, es passiert endlich was! Interessiert beobachte ich das Spiel vor mir, wie die Polizei mit mehreren Fahrzeugen die Kreuzung absperrt, bevor die zwei Trucks auftauchen und in Richtung des Versammlungsplatzes einbiegen … mit vielleicht fünfzig, oder hundert, oder zweihundert Leuten dahinter. Es werden auf jeden Fall mehr, als auch ich erkenne, dass die Demotrucks nicht hier anhalten und die Straße weiterziehen, in Richtung der Messehallen! Ich laufe schnell dazu und reihe mich ein.
Der Demozug verlässt die Hauptstraße, biegt ab in Richtung der Messeparkplätze, eine Gasse in Richtung der ersten Messehalle und bleibt stehen. Die Anlage wird aufgedreht, laute Musik. Vor uns, der tanzenden Crowd, das abgesperrte Gelände, hohe Zäune mit Sichtschutz. Davor haufenweise Bereitschaftspolizei in dicker Montur, dahinter die Messehalle und die ganzen blau-weiß-roten Fahnen dieser Partei im Wind. Eine bizarre Atmosphäre. Diese Fahnen erinnern nicht ganz zufällig an die Beflaggung in ganz Deutschland vor achtzig oder neunzig Jahren. Sie versuchen es nicht einmal mehr, es zu leugnen, dass sie Nazis sind!
Die Lage ist ernst, so entspannt und frei kann ich an diesem späten Nachmittag und an diesem Ort nicht mehr tanzen. Immer wieder ist da diese Vorahnung, wenn die wirklich mal an die Macht kommen – und das wird, ich hoffe, niemals passieren – dann haben wir hier auch Zustände wie jetzt in Russland und jetzt in einigen Bundesstaaten in den USA. Alles, was trans ist, wird systematisch ausradiert und kriminalisiert. Namens- und Personenstandänderungen werden rückgängig gemacht (das passiert in Russland!) und nicht mehr anerkannt, jede Möglichkeit, auf eine geschlechtsangleichende Operation oder eine Hormontherapie wird unterbunden oder sogar verboten. Gesellschaftlich wirst du als trans Frau wieder auf einen Mann zurückgestuft, egal, wie weit du schon transitioniert bist – und hast im besten Fall noch Glück, wenn du von einem wütenden, parteifreundlichen Mob nicht gleich auf offener Straße totgeprügelt wirst. Auch das hatten wir hier in Deutschland schon, 1933 – die Erstürmung des Instituts von Magnus Hirschfeld in Berlin und die erschreckende Erkenntnis, dass seine trans Mitarbeiterinnen nach diesem dunklen Tag nie wieder gesehen wurden. Und die da hinten, in der zweiten Messehalle direkt hinter der ersten vor uns, sind mit ihrem Hass nicht weiter weg. In der Geschichte der Menschheit ist das in etwa so nah, wie gestern.
Ich hoffe, sie hören uns, der dumpfe Krach von irgendwo weiter weg, als belustigende Randnotiz dieser alten Herren, voller rassistischer und alles-möglicher-phoben Scheiße in ihren Köpfen. Gewählt werden sie trotzdem. Mir bleibt nichts anderes übrig, als für den Tag, wenn das Undenkbare passiert, einen Plan zur Flucht ins Exil umzusetzen. Es wird immer schwerer, noch ein europäisches Land zu finden, das nicht komplett einer faschistischen Ideologie erliegt.
Die kleine Demo zieht ab, die beiden Trucks setzen zurück. Die bis jetzt noch friedlichen Teilnehmer drehen sich auch um in Richtung der Musik. Ein Tumult entsteht, die Situation scheint zu kippen. Was ist passiert? Ich sehe es nicht genau, ein Demoteilnehmer wurde von der blau-schwarz uniformierten Schutzstaffel festgesetzt und mitgenommen? Eine aufgebrachte Menschentraube bildet sich. Der Veranstalter der Demo versucht über das Megaphone zu eskalieren. Ich drehe mich mehrmals hin und her, ich weiß nicht, was ich machen soll. Setze ich mich jetzt hier einfach hin? Auf das Kopfsteinpflaster? So als gewaltloser Protest? Ich sehe die Menschen vor mir – es hat keinen Sinn, mit den Polizisten zu diskutieren, die sind psychologisch geschult, alles zu blocken! Ich erinnere mich an den Moment, als ich auch mal von denen mitgenommen wurde. „Ach, Scheiße!“ Ich drehe mich beschämt mit gesenkten Kopf um und ziehe auch ab. „No one left behind.“ Ein Versprechen, das ich nicht halten konnte … dafür das Versprechen meiner Eltern den Morgen gegenüber, dass ich mich nicht verhaften lasse.
Die Demo kehrt zurück auf den Kundgebungsplatz mit der kleinen, aufgebauten Bühne und der Tankstelle und den Discounter als einzige Futterquelle gegenüber. Es sind den Abend noch weniger Menschen da, als noch zu dem Höchstpunkt am frühen Nachmittag. „Abmarsch“, ich bleibe auch nicht mehr länger. Zurück über die zwei Elbbrücken in Richtung Innenstadt und den Bahnhof. Den Weg zurück, den ich vor vielen Stunden noch entgegengesetzt gelaufen bin, inmitten der von überall angereisten, antifaschistischen Demoteilnehmer, seitlich flankiert von unzähligen Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Jetzt den Abend ziehen nur noch vereinzelt ein paar Einsatzfahrzeuge an mir vorbei. Eine ziemlich düstere Stimmung, dass die Sonne jetzt scheint, nach diesem sehr wechselhaften Tag, ändert daran nichts. Auch nicht die Pasta bei meinem Italiener den späten Abend im Außentisch vor der Shopping-Mall mit den vielen jungen Leuten, denen dieses (eigentlich ernste) Thema wahrscheinlich am Arsch vorbei geht. Manchmal werde ich noch wegen meines auffälligen T-Shirts mit der hellblau-weiß-rosaroten Flagge angestarrt. „Trans Lives Matter.“

[17.07.23 / 00:51] Der CSD 2023 in Leipzig – Jedes Jahr stelle ich mir wieder die gleiche Frage: Was ziehe ich an? Die schwarze Tunika mit den weiten Ärmeln? Am liebsten, ja – aber mir fehlt ein passender, schwarzer Rock, an den Hüften eng und nach unten hin auslaufend (der Morticia-Addams-Style). Meine Wahl fällt angesichts der heißen Temperaturen auf das schwarz-grüne Leopard-Kleid, dasselbe, das ich schon den Tag zuvor im Kino anhatte, dasselbe, das ich auch danach den Abend in der Strandbar an der Elbe anhatte, zusammen mit meinen italienischen Stiefeletten … Szene fehlt. Das kürzeste Kleid und die höchsten Stilettos in meinem Bestand, genau richtig für den CSD an diesem heißen Wochenende Mitte Juli in Leipzig.
Seit Tagen bereite ich mich darauf vor, seit Wochen sogar mit meinen Barfußschuhen – ich will meine Waden trainieren, damit ich wieder einen ganzen CSD auf ultrahohen Absätzen laufen kann! Im Bedarfsfall habe ich meine absatzlosen Schnürschuhe auch noch im Kofferraum … zusammen mit der Waschtasche und den ganzen anderen Übernachtungskram. Ich nehme das Auto, ich kann fahren, wann ich will, alles mitnehmen, was ich will – und – ich habe eine Klimaanlage. Soweit der Plan: nach dem Frühstück den Sonnabend losfahren, am Parkhaus am Hauptbahnhof parken, rübergehen zur Kundgebung auf dem Augustusplatz und dann die Demo mitmachen.
Was ich nicht bedacht habe, ist der Anfang der Sommerferien und die vielen Baustellen auf der Autobahn, streckenweise zieht sich alles im besten 60-km/h-Mopedtempo. Ist mir egal, ich komme an, wann ich ankomme, von der Kundgebung muss ich nichts mitbekommen. Irgendwann zur Mittagszeit in Leipzig angekommen, schlüpfe ich mit meinem Roadster in meine angestammte Parknische in dem Bahnhofsparkhaus im ersten Oberdeck. Sachen sortieren, Schuhe wechseln, Dinge im Kofferraum lassen (Jacke, Waschtasche), Dinge mitnehmen (eine Flasche Wasser in meinem Gothic-Pogo-Umhängebeutel und meine schwarze Handtasche). Mutig stolziere ich mit meinen Stilettos und meinem Leopard-Dress raus auf die Straße und hinein in das gleißende Sonnenlicht. Sonnenbrille, mein Hut und eine tiefschwarze Leggings verhindern Schlimmeres.
Die Straße entlang zum Platz an der Oper, die vielen Trucks werden beladen und vorbereitet. Interessiert notiere ich mir in meinem Gedächtnis, wer dieses Jahr alles mitfährt: die üblichen, ortsansässigen Firmen, die üblichen Parteien, die Uni und die Wagen der befreundeten CSDs und der von Leipzig selbst. Hier und da noch ein paar andere Fahrzeuge … vielleicht auch etwas für mich? Die Runde durch die aufgebauten Stände am großen Platz spare ich mir, es ist einfach zu heiß und mich zieht es in den nächsten Schatten.
Die Bäckerfiliale um die Ecke zur Fußgängerzone, eine Tasse Kaffee an einem Tisch und der Ledercouch daneben in dem überdachten Innenhof. Die Textnachrichten auf meinem Smartphone lesen … ich habe ihm wieder geschrieben, meinem Freund, Ex-Freund, Liebhaber, was auch immer. Seit Tagen stehe ich wieder in Kontakt mit ihm … er hat bereits ein Hotelzimmer in der naheliegenden Innenstadt auf meinen Namen gebucht? Ich müsste dort nur nach der Demo einchecken. Er hat meinen Wunsch beachtet, dass ich sehr wahrscheinlich eine Dusche benötigen werde, später …
Ich tauche meinen Körper in Sonnencreme, lasse keine Stelle aus, die Schultern, das Gesicht, die Arme. Das mein Silberschmuck damit Kontakt aufnimmt, ich werde sie die nächsten Tage wieder abspülen müssen. Bereit für die Demo, erhebe ich mich von der Couch und stelle mich wenig später draußen, nachdem ich meine leere Kaffeetasse in der Geschirrrückgabe gelassen habe, vor dem Eingang des Bäckers unter den schattenspendenden Arkaden mit Blickrichtung auf die Straße, in der in jedem Moment die startenden Trucks losfahren könnten. Mein Blick schweift auf den angrenzenden Augustusplatz … so viele Menschen! Es müssen mehr als zehntausend sein! Sie sind jung, sie sind bunt, sie sind friedlich und diszipliniert kämpferisch zugleich. Es könnte eine richtig gute Demo werden – trotz der ultraheißen Temperaturen (wie ich später erfahren werde, wurde die Demoroute deswegen sogar verkürzt und hätte eigentlich viel länger ausfallen sollen). Laut wummernde Bässe dröhnen um die Ecke, es geht los!
Ein Fahrzeug nach dem anderen fährt an mir vorbei … schön, dass ihr dort oben mit Wasserpistolen für eine frische Abkühlung sorgt, aber muss das sein? Auf meine frisch mit Sonnenschutz eingecremte Haut? Kontraproduktiv. Es dauert eine ganze Weile, es geht nur sehr langsam vorwärts, die große Menschenmenge, versammelt auf dem Opernplatz, bewegt sich kaum. Nach und nach, ich stehe an der Straßenecke und warte … und dann tauchen sie auf! Kommunisten mit ihren Bannern? Antifa? Der bunt-schwarze Block? Ja! Endlich wieder ein antifaschistischer Block ganz hinten! Die schönen Menschen. Für mich. Das Warten hat sich gelohnt, ich bin da und reihe mich mit meiner kleinen Trans-Pride-Flagge mit ein.
Vorbei durch den Innenstadtring, in kleinen Trippelschritten … ein mehr oder weniger angenehmes Tempo auf meinen hohen Absätzen, die Wasserflasche in meinem Umhängebeutel mit den szenefreundlichen Slogans (Scheiß Faschos) immer griffbereit. Die Sonne drückt unbarmherzig, Kampfrufe erschallen … dieser hintere Teil des Zuges fällt unter der etwas strengeren Obhut der begleitenden Polizeieskorte. Sie ist dezent, es gab in den alten Jahren mit dem queerfemministischen Block schon ganz andere Zwischenfälle. Wird dieser hintere Teil absichtlich während der Pausen in der Sonne gehalten? Verschwörungstheorie. Jeder achtet auf sich und die anderen. Vernunft lässt ausreichend Wasser mitnehmen. Wenn ich anfange, blind zu werden und Doppelbilder zu sehen, sollte ich jeden kleinsten, schattenspendenden Baum oder Laternenmast am Straßenrand mitnehmen. Habe ich mir zu viel vorgenommen? Gestern war da noch der Gedanke, die Stilettos in dem Umhängebeutel zu lassen und für die Route auf dem Asphalt die absatzlosen Schuhe zu tragen … diese liegen jetzt in diesem Moment im Kofferraum meines Autos ganz weit entfernt in einem Parkhaus, im Schatten. Kämpferisch ertrage ich diese Strapazen, in Gedanken an all die gequälten Seelen und Körper der trans Frauen auf der ganzen Welt! Ich mache das für euch, für mich, für alle! So weit dazu.
Die Demo mit der verkürzten Route biegt wieder in das enger bebaute Gebiet der Leipziger Innenstadt ein, mein Fähnchen weit erhoben im Wind, zu der Techno-Musik vom Truck am hintersten Ende der Demo. Ich schaffe auf meinen Absätzen auch das letzte Stück, die letzte Kurve, vorbei an der Straßenbahnhaltestelle am Hauptbahnhof, inmitten dieser wunderbaren Menschen um mich herum. Wieder zurück zum Startpunkt der Demo. Wie lange hat das jetzt gedauert? Ich weiß es nicht. Mein Kleid ist klitschnass, es ist voller Schweiß. Die Wasserflasche ist auf die letzten Meter leer. Die Demo ist zu Ende, die Musik klingt aus, die Menschenmenge zerstreut sich, nicht ohne den Organisatoren des letzten Demotrucks ausgiebig zu danken.
Ein kleiner Park ist neben mir. Ich schaue mich um. Der Park mit dem See hinter dem Operngebäude … Schatten vielleicht? Eine Bank? Meine Schritte werden kürzer, ich bin erschöpft. Einen Sitzplatz finde ich nicht. Ich schleppe mich weiter zu dem großen Platz mit der Bühne, den Ständen und dem Fest nach der Demo. Mit jedem Meter sitzen immer mehr junge Menschen überall herum, auf Wiesen, auf Steinen, Treppen, Geländern, Bänke gibt es hier nicht.
Der Platz mit den Ständen der Vereine und Organisationen, nichts, was ich nicht schon die letzten Jahre gesehen habe und mein weiteres Interesse erwecken könnte. Das Bühnenprogramm, was hier noch kommen könnte? Bin ich schon zu alt dafür? Ich brauche dringend eine erholende Dusche, meine zweite Wasserflasche aus dem Auto, ein schattenspendendes Zimmer, ein Bett zum Daraufliegen und Entspannen! Ich danke dir so sehr, dass du dieses Zimmer für mich organisiert hast. In schmerzhaften, winzigen Schritten schleppe ich mich in der Hitze zu dem Parkhaus am Hauptbahnhof zu meinem geparkten Auto, um meinen ganzen anderen Kram aus dem Kofferraum zu holen und weiter in die Innenstadt zu dem Hotel … nicht unweit, nur eine Seitengasse weiter, von dem Hostel das vergangene Pfingstwochenende. Für diese paar hundert Meter hin und zurück brauche ich gefühlt noch ein bis zwei Stunden. (Ende Teil 1/3)

[14.05.23 / 01:25] „Vermassel mir das nicht!“, mein Spruch zu meinem Spiegelbild die ersten Tage auf der Damentoilette in der neuen Firma, als ich für einen kurzen Moment meinen Zopf öffne und meine Haare neu richte. Anders wie zuvor, verhalte ich mich nun professionell, optisch zurückhaltend, eher meinem alten Ich gleich – dafür so kommunikativ, wie ich es noch nie zuvor war. Immer Fragen stellen, mit in die Kantine gehen, mit in die Cafeteria gehen, zusammen einen Kaffee trinken – der hier gratis ist, soviel du willst.
Bis jetzt läuft es gut, fange ich erst mal auch an, zu programmieren, lande ich auch im „Tunnel“ und bin nicht mehr ansprechbar – aber das ist hier normal. Ich muss mich nur zusammenreißen – wenn ich irgendwo nicht weiterkomme, ewiges „Reverse-Engineering“ betreibe, endlos lange im Intranet nach nicht existenten Dokumentationen suche, irgendwann frustriert im Leerlauf rotiere … dann bin ich raus. Gefeuert. Genau das ist mir bei der letzten Stelle passiert. Auf die Kollegen zugehen! Reiß dich zusammen! Mach hier nicht wieder so eine Szene! Immer sympathisch bleiben. Manchmal habe ich keine Ahnung von den elementarsten, technischen Dingen und Begriffe, aber das fällt noch nicht auf? Dranbleiben, Einlesen … auch zu Hause später die Nacht. Wie in Japan, es gibt für mich nur die Arbeit.
Dass ich mich dieses Mal mehr mit den anderen Mitarbeitern unterhalte, ist neu. Ein Lerneffekt? Ich will die Stelle noch nicht riskieren, ich brauche das Geld, noch zwei Monatsgehälter bis zur Rückzahlung aller meiner Schulden. In meiner Phantasie entnehme ich meinen neuen Soft Skill der kurzen Phase als Web-Darstellerin, die vor der Kamera, und in den Chats mit den Männern, die ich alle nicht kenne, aber irgendwie einen Smalltalk betreiben muss, als Kunden-Akquise (vielleicht gehe ich tatsächlich irgendwann wieder online und mache das nebenbei weiter). Auf Arbeit weiß davon niemand.
Jetzt steigen die Temperaturen an, mein androgynes Erscheinungsbild mit dem weiten, schwarzen Pullover durch die Großraumbüros schreitend könnte jetzt einen mehr offensichtlicheren, weiblichen Charakter annehmen, wenn ich meine engen, schwarzen Tops trage. Der Exzentriker-Bonus durch meinen schwarz-grauen französischer-Chic-Mantel ist dann dahin. Noch ist mir keine andere Kollegin auf der Damentoilette begegnet. Vielleicht mache ich mir auch nur viel zu viel Gedanken und bemerke gar nicht, dass ich schon ein gewisses Passing erreicht habe.

Die Nächte zwischen den Arbeitstagen auf YouTube – das neue Selbstbestimmungsgesetz macht mir Sorgen. Im Kern ein guter Ansatz, aber durch die unzählig vielen Ausnahmeregelungen im aktuellen Entwurf für die Abstimmung, ein totales Desaster. Klar kannst du dann (und sollst du auch) dein Geschlecht und deinen Vornamen einfach ändern – aber was ist mit denen, die das alles schon durch das alte Transsexuellengesetz hinter sich haben? Die neue Variante mit der dringend benötigten Freiheit für die Betroffenen löst im Internet eine Hetz- und Hasskampagne aus, deren Ausmaß ich mir noch gar nicht vorstellen kann.
Ich habe Angst. Vor fast zwanzig Jahren war ich die Einzige, konnte nachts durch Leipzig laufen, war vollkommen frei und fühlte mich sicher. War froh, diesen Weg gegangen zu sein, konnte mich endlich als Frau fühlen … die, die ich schon immer war! Hassverbrechen? Transphobie? Alles Fremdwörter, kam in mein Vokabular nicht vor. Ich war einfach ich und konnte sogar mit Männern ungezwungen flirten (und so ist mein echter Name „Andrea“ entstanden). Und heute, Jahrzehnte später: „Transfrauen sind Männer.“

Werde ich jetzt wieder angegriffen? Die Damentoilette, die ich nur noch ausschließlich nach meiner Transition, viele Jahre zurück, benutze, ist als fremder „Schutzraum“ für mich ab sofort tabu? Nur weil ich anders geboren war? Nach den Hass-Videos auf „YouTube“, die ich mir masochistisch veranlagt immer wieder antue und den aggressiven Hetzern und den sogenannten Influencern darin, schon.
Wie der neue Gesetzesentwurf interpretiert wird, es zählt nicht mehr, ob du schon jahrelang den Namen und diesen dämlichen Geschlechtseintrag im Reisepass geändert hast, ob du untenherum operiert bist, oder nicht, ob du wahnsinnig weiblich aussiehst, schon ewig als Frau lebst und eine bist … nur vergessen hast, das einzutragen (oder andere Gründe) und jetzt droht ein Krieg? Pech für dich. Im neusten Entwurf dieser Vernichtungsschrift wurde der Passus mit der unbilligen Härte wieder gestrichen und du kannst dich in der nächsten Kaserne melden.
Es widert mich an, wie diese ultrarechten Video-Kommentatoren darüber entweder jubeln, oder sowieso alles vom Staat und das ganze mit dem LGBTQ+ verhöhnen, ablehnen, als nicht lebenswert betrachten. Es tut mir um die trans Frauen leid, die weit entfernt vom jeden Passing in einem Interview vor die Kamera gezerrt werden, noch einmal betonen, wie wichtig dieses neue Gesetzt ist und ihre ganzen negativen Erfahrung mit Hass und Gewalt gegen sie in der Öffentlichkeit aufzählen. Es ruft kein Mitleid bei den Zuschauern hervor. „Ihr habt es ja selbst so gewählt.“

Ich schweife ab … wie viele Prozent der Bevölkerung denken so? Den Bogen zum Anfang wieder zurückfinden … wie viele dieser nicht so netten Kollegen bin ich noch nicht begegnet? Wenn mir der erste dieser Art über den Weg läuft, wenn ich das erste Mal einen Spruch mitbekomme … es besteht die Gefahr, dass ich mich wieder komplett zurückziehe. Mein Geister-Ich steht noch als Schatten hinter mir.

[01.04.23 / 18:23] Die Aktivistengruppe fährt zum Transgender Day of Visibility nach Halle. Warum sind wir hier? Ein Typ radelt vorbei, pöbelt die Leute auf dem Platz an, lässt ein paar nicht nette Bemerkungen ab. Die Polizei rät den Teilnehmenden nach Abschluss der Veranstaltung, nicht über den Marktplatz zurückzugehen, dort befinden sich auch wieder aggressiv gegen uns eingestellte Personen. Darum sind wir hier. Dafür ist unsere (irgendwie schon verzweifelt aussehende) kleine Protestkundgebung auf einem Platz in der Innenstadt von Halle.
Redebeiträge werden gehalten (oder abgespielt), mutige Menschen, es geht um die bedrohliche Situation fernab in Übersee, in den USA, wo erkämpfte trans Rechte wieder beschnitten werden, bis hin zur reaktionären Kriminalisierung der Betroffenen. Eine Welle des Hasses rollt global auf uns zu, wir wurden als vermeintlich wehrlose Minderheit für eine neue Opferrolle auserkoren und instrumentalisiert.
Wer sind wir eigentlich? Weiße trans Frauen, männlich sozialisiert, einige mit militärischer Erfahrung oder in der staatlichen Exekutive tätig, an Waffen ausgebildet. Oder trans Männer aller Art, über die ich nicht sprechen und mich nicht in ihre Rolle hinein versetzen kann, bis oben dicht mit Testosteron (ein Steroid) aufgepumpt, an Nahkampftechniken interessiert – ich würde denen nicht im Dunkeln begegnen wollen (hätte ich ein Problem mit ihnen).
Wir können uns alle wehren … ist ja nicht so, dass wir uns gleich auf einen Krieg vorbereiten (dazu mein anderer Artikel), so einfach lassen wir uns nicht „verschwinden“. Eine Gedenkminute für all die getöteten trans Menschen. Meine Gedanken gehen an die eine trans Frau, die ich nie kennenlernen durfte, die ihren politischen und gesellschaftlichen Kampf nur mit ihrem eigenen Tod zu Ende bringen konnte. Zeit für Rambo-Sprüche: „Fangt keinen Krieg mit uns an, den ihr nicht gewinnen könnt!“

[24.08.22 / 23:38] Der dritte Pride für diesen Sommer, den ich unbedingt noch mitnehmen will: der CSD in Magdeburg. Kurz vor dem Frühstück, Sonnabend Morgen, schnell noch ein neues „9-Euro-Ticket“ für den letzten Aktionsmonat am Computer online gekauft und ausgedruckt – die Wahl des Transportmittels fällt erneut auf den Regionalzug (auch wenn es hier nur wenige Kilometer sind). Vorteil: keine umständliche Parkplatzsuche, keine Unmengen an Münzen an den Parkautomaten verfüttern – und ich kann sofort die Stiefeletten mit den höchsten Absätzen tragen! Die, die ich die beiden letzten Male nach Berlin und Leipzig schon traurig im Schrank zurücklassen musste. Dieses Mal ziehe ich sie an, mein Outfit: die militanten Schnürstiefeletten mit den purpurfarbenen Schnürsenkeln und der groben Sohle, dazu meine Lederjacke und das schwarz-weiße, etwas dickere Kleid aus New York (2013), das ich schon ewig wieder anziehen wollte. Wird es kalt und regnen … oder warm? Ich lasse das optionale, schwarze Spaghettiträgertop darunter weg, das Kleid genügt. Die markante Sonnenbrille auf der Nase, bereit für die Zugfahrt.
Auf dem Provinzbahnhof stehen schon ein paar sehr junge Pride-Anhänger, mein Regenbogenbändchen hängt dezent an meiner Handtasche, sie sind wirklich sehr jung.
Wenig später am Hauptbahnhof in Magdeburg, die Dichte an gefühlt nicht volljährigen Schülern und Regenbogenfahnen tragenden Jugendlichen nimmt „exorbitant“ zu. Laute Musik wird aus kleinen Boxen gespielt, der Bestand an mitgenommenen Alkohol geprüft … ich fühle mich etwas unwohl in dieser Menge. Was wollt ihr alle hier? Kulturelle Aneignung, anderswo auf der Welt werden Menschen wie ich noch auf brutalste Weise ermordet, nur für das was und wie sie sind – trans – und ihr feiert hier eine riesige Party? Ich weiß, ich wiederhole mich … ich verstehe nur den Zusammenhang nicht.
Weiter zu dem CSD-Stadtfest, der aufgebauten Bühne, der bereitstehenden Trucks, nicht die vielen Parteien, nicht die ganzen Firmen, für mich auch keine Redebeiträge, keine sozialen Kämpfe für Gerechtigkeit, keine politischen Forderungen. Vielleicht wurden diese doch noch auf einer Bühne in ein Mikrofon gegeben, für mich und die meisten bleiben sie ungehört. Zu viel Fremdlärm.
Ich bin da, ich stehe dazwischen, eine leere Dose Energy-Drink rollt vor meinen Füßen, ich schaue sie an – verliere ich eine Träne? Ich brauche etwas, was mich aufheitert, mir ein besseres Gefühl gibt. Ich schaue mich um, beobachte die Menschen, hier die Gruppe mit den Hundemasken, dort in der feiernden Menge zwei, drei einsam auffallende Drag Queens und ein oder zwei Leder-Liebhaber. Leder. Ich liebe dieses knarzige Geräusch, wie meine schwarze Lederjacke an meiner genauso schwarzen Lederhandtasche reibt. Hinter mir, nur wenige Meter entfernt, entdecke ich ein Lederwarengeschäft.
„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“
„Nein, ich bin nur rein zufällig hier“, ich laufe etwas durch den kleinen Laden, „die Handtasche da, die Clutch, was kostet die?“
Sie ist mir aufgefallen, diese schwarze und trägerlose Clutch aus Leder würde bestimmt elegant zu meinen Abendkleidern mit Spitze passen. Sie komplettiert damit mein Ensemble aus meiner großen Handtasche (die ich so gut wie immer trage), der kleinen Handtasche mit Tragehenkeln (die für Urlaubsreisen) und ersetzt die alte Clutch aus Satin und Pappe (die schon ewig, seit der Bootstour 2010, im Schrank liegt). Sie ist komplett aus echtem Tierleder und sehr weich und anschmiegsam, ich probiere sie mit der Verkäuferin aus und packe diverse Sachen aus meiner großen Handtasche in den schmalen und mit purpurfarbenen Stoff bezogenen Innenraum (dieselbe Farbe wie meine Schnürsenkel). Ein Kamm passt rein, die kleine Stifterolle mit dem Mascara, Kajal und Augen-Make-up … das Portemonnaie aber leider nicht, dafür gibt es ein kleines Seitenfach mit Reißverschluss. Ich kaufe sie (sie passt in meine große Handtasche). Der Stand auf meinem Girokonto nähert sich schon wieder gefährlich nah dem Dispokredit zum Monatsende.
Zurück nach draußen, den Laden verlassen, meine intime Shoppingwelt mit der der auf den Beginn des CSD-Umzuges wartenden Menschenmassen tauschen. Ich entferne mich weit abseits zum Startpunkt, beobachte wie sich die Trucks in Bewegung setzen, das junge Party-Volk dahinter herzieht. Der letzte Wagen ganz hinten zieht auch mich mit. Mehrere tausend Menschen vor mir bis weit in die nächsten Straßenkreuzungen.
Ich bin nicht in der Stimmung, zu der lauten Musik zu tanzen, es ist nicht wirklich meine Musik. Das einzige, was mir noch bekannt vorkommt, ist 90er-Jahre-Eurodance. Ich laufe etwas weiter vom hintersten Ende zum nächsten Wagen … und treffe hier wieder auf eine kleine Gruppe mir bekannt vorkommender Gesichter, die aus Berlin und Leipzig und Magdeburg letztes Jahr – ich bin doch nicht allein! Auch diese kleine Gruppe, kämpfend für die Rechte von Transpersonen, ist ihr Ungemach zu erkennen. Die fehlende Radikalität und der politische Diskurs auf dieser Riesen-Party. Ich werde von ihnen aus meiner fremdelnden Gefühlslage herausgeholt.
Die temporär existierende Gruppe läuft einige Abschnitte des Demozuges mit, verlässt ab und zu die Route, um wenig später wieder aufzuschließen … wir bräuchten auch einen eigenen Wagen (die hohen Schnürstiefeletten waren vielleicht doch nicht die optimale Wahl).
Der CSD-Straßenumzug endet, wie auch in den letzten Jahren in Magdeburg, auf dem Start- und Endpunkt: dem alten Markt vor dem Rathaus und der aufgebauten Bühne für das Stadtfest. Früher Nachmittag, die kleine Gruppe zerstreut und verabschiedet sich ebenso schnell, wie sie entstanden ist, ein bekanntes Ritual aus dem letzten Jahr. Auch ich habe wieder nicht die Absicht, dem Bühnenprogramm weiter zu folgen … nicht meine Welt, meine Musik, meine Interessen. Auch nicht die, meiner Begleitung für die nächsten Stunden.
Anregende Gespräche, Kennenlernen, Gemeinsamkeiten, Tipps von Transfrauen unter sich. Ein Bistro, ein Café, eine Bar bis in den Abend. Vergessen, wie der Tag anfing, lachen, scherzen. „Du bist jetzt eine Frau, du kannst nicht mehr so breitbeinig dasitzen“, ladyhaft knicke ich meine Beine schräg weg und zupfe am Saum meines Kleids, die schwarze Strumpfhose zieht schon wieder die erste Laufmasche.
Den Zug zurück in mein Provinzkaff fahre ich wieder alleine, aber gut gelaunt und mit einem Lächeln. Vielleicht sehe ich sie wieder? Neue Bekanntschaften, neuer Einkauf, neue Tasche, der Tag war nicht umsonst.

[07.08.22 / 16:01] Resümee (eine Woche später) des Trans Pride in Berlin: Die Regionalzüge waren noch bis in den späten Abend voll, mein schwarz-weißes Patches-Kleid mit dem Blumenmuster ein Traum, die schweren Doc Martens Stiefel für den Zweck angemessen, das schwarze Baumwolltop für das heiße Wetter ein Muss – und die Wegstrecke für die Demo durch Berlin-Kreuzberg mit gerade mal einen Kilometer (?) viel zu kurz. Die vielen Menschen, die ich gesehen habe, die einfach so sind wie ich – trans – und die kleine Gruppe bekannter Gesichter, die mich aus meiner Isolation und meiner „Zwei-Meter-Distanz-Luftblase“ abgeholt haben, ein wunderschöner Glücksfall.
Hier war ich schon einmal … der Kreuzberger CSD vor gefühlt zehn Jahren, die nicht ganz so radikale und Nachmittagsvariante der Revolutionären 1. Mai Demo vor mehr als zwanzig Jahren. Ich glaube, einige Straßenzüge wiederzuerkennen: das Kottbusser Tor, der Mariannenplatz mit der Abschlusskundgebung und irgendwo in der Nähe der Oranienplatz. Den Weg zurück zum Ostbahnhof (hinwärts die U-Bahn vom Alexanderplatz), vorbei an dem einen Club von eines der legendären Underground-Festivals in meiner Erinnerung zehn Jahre zurück. Und irgendwo hier muss ich auch die S-Bahn genommen haben, als ich zurück ins Jahr 2018 die Nacht in einem weiteren Club verbracht habe und am nächsten Morgen für meine Operation „untenherum“ nach Potsdam weitergereist bin. Ich weiß, ein Klischee, aber diese Stadt atmet so viel Geschichte.

Jetzt weiß ich auch, warum Transfrauen in allen erdenklichen Situationen und bei jedem möglichen Wetter auf so schwere Schnürstiefel zurückgreifen … sie sind einfach breit genug und bequem zu tragen für die nicht ganz so schmalen und leider durch ein abgebrochenes Chromosom bedingten „Problemfüße“.

[19.07.22 / 22:31] Mal wieder zum CSD nach Leipzig? Der Termin für den Sonnabend im Juli ist schon seit Wochen in meinem Terminkalender fest eingetragen. Die extra neu gekaufte Schermaschine für den Haarbewuchs ist so scharf, meine Beine sehen aus, als hätte ich eine frische Rasierklinge verwendet … blutig. Den Abend vor dem betreffenden Wochenendtag alles in Gedanken bereit legen, was ziehe ich an? Wird es heiß und regnen? Kühl und Sturm? Und schaffe ich es, rechtzeitig aufzustehen, um den Regionalzug den frühen Sonnabend Vormittag nach Leipzig zu erreichen? Ich bin fest entschlossen, mich auf das Abenteuer „9-Euro-Ticket“ einzulassen.
Sonnabend Morgen, Wetter beobachten … prognostizieren. Ich wähle die schwarze Jeans, die Pikes mit den moderaten Absätzen, das kurze, schwarze Top mit dem großen Ausschnitt (frisch gewaschen) und meine Punker-Lederjacke – wenn es warm wird und die Sonne brutal auf mich niederscheint, kann ich diese in dem extra dafür mitgenommen, schwarzen Umhängebeutel (den mit dem Festival-Logo von Pfingsten) verstauen. Alles weitere in meine obligatorische, schwarze Handtasche und nach dem eilig hineingeschlungenen Frühstück zu Fuß zum nächsten Provinzbahnhof irgendwo im mysteriösen Sachsen-Anhalt (ich starte von meinem Erstwohnsitz).
Die Regionalbahn nach Magdeburg geht noch, gefühlt alles normal. In Magdeburg selbst, ein Kaffee und ein Schoko-Croissant vom Bahnhofsbäcker als zweites Frühstück, weiter zum Gleis für den Regionalexpress nach Leipzig … es wird voll (nicht unerwartet). Glück für mich: der Zug startet in Magdeburg, steht hier schon ganz viele Minuten und endet in Leipzig – kein Problem für mich, einen Sitzplatz zu finden. Alle anderen Fahrgäste, die in den nächsten anderthalb Stunden zusteigen wollen, müssen im Gang stehen. Keiner der Fahrgäste schenkt dem anderen was.
Mittag, Leipzig, so viele Menschen. Kurz an den Bankautomaten am Ausgang, eine der beiden Kaufhallen im Untergeschoss, eine Liter-Flasche Wasser kaufen, wieder hoch zu der Bahnhofstoilette. Beim Anstehen in der Schlange vor den Damen-WCs vergeht die Zeit. Die Kundgebungen auf dem Platz vor der Oper waren um elf Uhr nochwas geplant, ich hatte nie wirklich vor, da pünktlich zu erscheinen.
Weiter zu Fuß über die Ringstraße zum magischen Treffpunkt der vielen jungen Menschen in ihren buntesten Farben für diesen Tag. Mein kleines blau-rosa-weiß gestreiftes Fähnchen hängt in meiner Gesäßtasche, fixiert durch den blitzenden Nietengürtel an meiner Jeans.
Am Platz angekommen, die Trucks stehen schon bereit, wirklich viele Menschen, schnell vorüberziehende, tiefdunkle Wolken und die brennende Mittagssonne. Wo ist mein Wagen? Erst den nächsten Tag (oder den Abend?) erfahre ich, dass sich das linksradikale Bündnis mit dem kleinen Pritschenwagen am hintersten Ende der Demo aufgelöst hat und dieses Jahr (so wie auch letztes Jahr) nicht dabei sein wird. Aber die hatten immer die beste Musik! Und die schönsten Menschen! Ich bin kurz davor, enttäuscht alles abzubrechen und wieder zu gehen, ich schaue mir aber doch noch von einem Seitenplatz an einer Mauer den beginnenden Umzug an. Schnell noch etwas Sonnencreme auf das Gesicht und ich wähle den Wagen der Bären-Community – die haben wenigstens noch etwas angenehmere Musik und ich habe sowieso ein kleines Faible für diese kernigen Kerle und ihren verwegenen Bärten. (Würde ich jetzt einen Blick auf mein Datingprofil werfen und die ein halbes Dutzend gesammelten Onlinebekanntschaften, trifft es genau mein Beuteschema.) Alles was irgendwie noch in Leder oder Latex dabei ist, läuft in sichtbarer Nähe auch mit … vereinzelt versteckt unter den wirklich vielen und immer jünger werdenden Menschen.
Der Demo-Zug drückt sich durch die Straßen, komprimiert, gestaucht, gefühlt Zehntausende. Die Route ist abweichend von der die letzten Jahre, es wirkt, als wurde der Kern der Innenstadt mit der stark frequentierten Fußgängerzone bewusst ausgespart … um die einkaufenden Menschen dort nicht mit diesem lärmenden Zirkus zu belästigen? Der Müll der von den Massen an Menschen in ihrem Zug durch die Straßen hinterlassen wird, wirkt befremdlich auf mich. Laute Bässe, Partymusik, Alkohol und grölende Menschen. Ich gehe hier auf die Straße mit meinen gesammelten Erfahrungen, alles was Traumata und tiefe Selbstzweifel und seelische Narben in mir hinterlassen hat. Für den Kampf für nur eine einfache Akzeptanz … und ihr macht hier Party?
Ein oder zwei Stunden später – ich habe keine Ahnung – irgendwann den Nachmittag, der CSD kehrt zurück an den Startpunkt zum Eingang der Fußgängerzone, meine Flasche Wasser ist leer, meine schwere Lederjacke liegt in dem geschulterten Beutel, die Sonnenbrille trage ich schon seit Verlassen des Bahnhofs – ich sondere mich schnell von der Bewegung ab und starte meine Einkaufstour … wenn ich schon einmal wieder zurück in Leipzig bin. Ein Eis, ein Schuhladen, weiter die Fußgängerzone. Ein Paar bequeme Sneakers, leicht und für den heißen Sommer, steht auf meiner Wunschliste, so ziemlich alle Menschen, die ich sehe, laufen auch nur in Turnschuhen herum. Ich grase all die Orte ab, die ich kenne, ein Kaufhaus, ein Geschäft für Sportartikel, das teure Kaufhaus am Marktplatz – ich verliere meinen Fokus und stehe schon wieder zwischen den bunten Sommerkleidchen im Ausverkauf – und noch ein Schuhladen im eher günstigen Preissegment. Will ich wirklich solche Schuhe, wie sie alle tragen? Sehe ich dann nicht ständig Menschen, die dasselbe Modell tragen? Es muss schon der späte Nachmittag sein, als ich in einem Kaffee am anderen Ende der Fußgängerzone einen freien Sitzplatz finde und ein Stück Kuchen und einen Cappuccino bestelle. Im Schatten der großen Kirche und mein Stück Heidelbeerkuchen essend, überdenke ich mein weiteres Vorgehen.
Ich sollte irgendwann auch wieder zurück zum Bahnhof laufen, so viel unbegrenzte Zeit habe ich hier nicht für den allerletzten Regionalzug, das andere große Shoppingcenter schaffe ich so nicht, wenn ich vor der Abreise auch noch wieder etwas essen will – und wenigstens eine Runde zurück zu dem Veranstaltungsplatz an der Oper mit all den aufgebauten Ständen und der Bühne für den CSD will ich auch noch machen. Die Rechnung bezahlen und wieder zurück durch die vielen jungen Menschen mit all ihren „Regenbogen-und-anderen-Farben-Fahnen“.
Der große Platz ist bei diesem immer schöner werdenden Wetter gut gefüllt, schade nur, dass ich hier so gut wie niemanden kenne. Einzig eine andere Transfrau entgeht nicht unserem gemeinsamen „Radar“ – ein kurzer Erkennungsblick mit Lächeln, mehr nicht. Am Stand für die Rechte der Transcommunity stecke ich noch eine Broschüre mit ein – angeblich um sie anderen Menschen in meinem Bekanntenkreis „vorzulegen“ – ich werde aber selbst noch interessiert darin blättern und neue Argumente für das zur Debatte stehende Selbstbestimmungsgesetz finden.
So schnell wie ich hier war und einmal im Kreis gelaufen bin, so schnell bin ich auch wieder weg. Von dem Bühnenprogramm bekomme ich so gut wie nichts mit, mir missfällt die Ansammlung an politischen Parteien, die Mixtur mit den großen Firmen und die nicht wirklich an all dem interessierte „Party-Crowd“ (oder „Squad“, wenn ich „up-to-date“ sein will).
Wieder zurück in die mir bekannte Seitenstraße mit den Restaurants, dem Hauptbahnhof in Sichtweite am nördlichsten Ende – und den noch kommenden, kleinen Geschäften auf dem Weg dahin … noch ist alles geöffnet, es muss den frühen Sonnabend Abend kurz vor 18 Uhr sein.
Ein Schuhladen, und ein Schuhladen daneben, deren teure Schuhe ich schon das ganze laufende Jahr trage, zum Einkauf wähle ich den zweiten Laden, in dem ich noch nicht Kundin war.
„Wann macht ihr denn so zu? Kann ich hier noch Einkaufen?“
„Achtzehn Uhr dreißig.“
Oh, das geht noch …
Das Paar teure Barfußschuhe in schwarz und in Sneakeroptik trage ich minutenlang Probe, es sitzt bequem und sieht gut aus, ist perforiert für den Sommerurlaub und vom Gewicht her sehr leicht. Auch wenn ich mich mit dem Konzept des Barfußlaufens noch nicht sehr auseinandergesetzt habe, dieses Paar landet wenig später in meinem Einkaufsbeutel – ein Paar modisch elegante, pinke Schnürsenkel gleich mit dazu. So sehr achte ich nicht auf den dreistelligen Preis, ich schiebe einfach nur meine Plastikkarte durch das Gerät an der Kasse … da geht es hin, das Ingenieursgehalt. Der (erfahrene) Verkäufer hat sich die ganze Zeit schon über meine spitzen Stiefeletten mit den Absätzen geäußert, wie ich nur damit laufen könnte. „Die neuen Schuhe, die ich jetzt kaufe, sind gesund und stärken meine Wadenmuskulatur.“ (Die ich wiederum dafür trainiere, um Schuhe mit noch höheren Absätzen zu tragen!)
Eine Stunde, eine Pizza und zurück zum Bahnhof … noch einen Zug später und ich hätte irgendwo auf der Strecke in oder vor einem weiteren Bahnhof übernachten müssen. Auch dieser Regionalzug den Abend kurz vor Sonnenuntergang ist voll. Rentner und junge Fahrgäste drängeln sich an den Einstiegstüren des wartenden Zuges am Gleis. Das Spiel wiederholt sich, ich habe einen Sitzplatz, alle anderen, die nach dem Verlassen des Hauptbahnhofes noch irgendwo dazwischen zusteigen wollen, nicht. Hin wie zurück rauscht Bitterfeld an mir vorbei (das Synonym an verlassenen Ost-Städten).
Angekommen in Magdeburg … wo bin ich hier gelandet? Verglichen mit Leipzig, geradezu einsam und menschenleer. Der weitere Regionalzug in mein Provinzkaff fährt nur alle zwei Stunden – den letzten habe ich gerade verpasst. Die Sonne ist schon vor gefühlt einer Stunde untergegangen, vor dem Bahnhofsgebäude stehen Einsatzfahrzeuge der Polizei – irgendwo den Abend muss ein Fußballspiel stattfinden. Ich laufe ein paar Meter weiter in Richtung des Zentrums der Domstadt und entdecke eine Bar, die ich so noch gar nicht kannte (ich bin auch nicht wirklich oft in dieser Stadt). Mein schon im Regionalexpress zurecht gelegter Plan: sollte ich keinen Anschlusszug mehr haben und hier stranden, gehe ich einfach die Nacht noch irgendwo aus oder in eine Bar und fahre erst den Sonntag Morgen weiter. Der (vor)letzte Zug fährt aber noch kurz vor Mitternacht.
Die Bar neben dem großen, ehemaligen DDR-Hotel bietet alkoholfreie Cocktails an – auch den von mir so geliebten „Ipanema“. Die Deko und die Ausstattung dieser Cocktailbar ist hübsch – fast viel zu gut, um diesen Tag ausklingen zu lassen. Ich bestelle noch eine weitere Cola, bevor ich mich dann wieder rechtzeitig für die weitere Fahrt zurück zum Bahnhof begebe. Ich teile die letzten vierzig Fahrminuten mit den vielen Fußballfans, die so wie ich auch einen ereignisreichen Tag beenden (und sie sind alle friedlich und entsprechen so gar nicht meinen klischeebehafteten Vorurteilen).

Ob ich nächstes Jahr noch einmal zum CSD nach Leipzig fahre? Eine Ära geht zu Ende. Ein weiteres Event steht für mich schon in meinem Terminkalender …

[26.09.21 / 23:38] In eigener Sache (mit Triggerwarnung):

Du planst Dich umzubringen? Es gibt bestimmt tausend gute Gründe, die dafür sprechen, denen ich Dir nicht im Weg stehen will, aber … Die zermürbende Transphobie, derer Du ausgesetzt bist, all die Diskriminierung, und das Mobbing, das Scheitern an der Gesellschaft, die fehlende Akzeptanz, vielleicht sogar der Stillstand Deiner Transition und das sich verloren fühlen im bürokratischen Machtsystem – ist kein guter Grund.

Tue es nicht!

Es zerreißt einen das Herz, auf Mahnwachen und Gedenkveranstaltungen, der Worte ringend, in Trauer zurückgelassen zu werden, zu wissen, das hätte jetzt nicht sein müssen. So viele Transfrauen sind von uns gegangen, zu viele.

An die Mitmenschen, bleibt achtsam, geht auf Sie zu, wenn ihr etwas spürt. Sie wird es verneinen, aber allein Ihr wissen zu lassen, daß wir da sind, ist schon ganz viel wert.

[16.08.21 / 02:08] Der CSD 2021 in Magdeburg - das zweite Jahr unter erschwerten Bedingungen. Die Nacht davor war schlaflos, ich mußte ja auch um Mitternacht noch unbedingt meine Mails lesen, bis zum Sonnenaufgang in einem Gedankensturm festsitzen und um kurz nach 5 Uhr nochwas eine von meinen berüchtigten Mails zurücksenden (es ging um einen hier vollkommen themenfremden und letztendlich von mir abgesagten Bewerbungstermin irgendwo im Nirgendwo, dem ich nicht mehr psychisch gewachsen bin). Dasselbe Spiel, den Wecker ausschalten, alle Planungen für den nächsten Tag verwerfen, unter Tränen einschlafen - und nur etwa vier Stunden später den Sonnabend Vormittag dann doch wieder aufwachen.
Es ist nicht für umsonst! All die Energie, die ich in die Zusammenstellung meines Outfits für diesen CSD gesteckt habe, die Tage vorher schon bereit gelegten und frisch gewaschenen Sachen auf allen Kleiderbügeln in meinem Dachbodenzimmer verteilt. Das grüne Häkeltop, das ich zuletzt in Sri Lanka an hatte, mein langer indischer Rock, den aus Rajasthan, den ich zuletzt letztes Jahr in dem Kurztrip auf die Burg getragen hatte. Mein ausgewählter Silberschmuck, der silberne Armreif und mein Ganesha-Anhänger aus Ibiza. Ein Sprühstoß aus meinem geliebten und so lange vermissten Chanel-Parfüm (das mit Patchouli) vor dem Spiegel im Badezimmer nach dem Duschen und Frühstück und ich bin wieder teilweise lebendig. Die alte Hippie-Tante geht aus.
12 Uhr wäre das CSD-Programm am Alten Markt in der Innenstadt von Magdeburg gestartet, die Demo selbst eine Stunde später, um 13 Uhr. Ich muß nicht da sein, es fängt auch alles ohne mich an. Ich kann mir soviel Zeit lassen, wie ich will, mich in Ruhe weiter vorbereiten und alles langsam angehen. Den Startpunkt der Demo erreiche ich nicht, ich parke meinen roten (und frisch gewaschenen) Roadster wieder in dem Parkhaus in der Nähe im Herzen von Magdeburg, laufe nach draußen an die Oberfläche, höre auf all die Geräusche, das Wummern der Bässe der Veranstaltungstrucks, die Stimmen der jungen Menschen eingehüllt in ihren Regenbogenfahnen und lasse den Demozug, der gerade um die Ecke biegt, ganz langsam auf mich zukommen.
Ich stehe an der zentralen und abgesperrten Kreuzung neben dem Einkaufscenter, beobachte den vorbeiziehenden CSD, die wahrscheinlich wieder tausend (oder mehr) bunten Teilnehmer, die Wagen, die Menschen, die Musik. Warte auf meinen Einsatz - und reihe mich mit ein. Ich bin wieder da. (Ich muß den offiziellen Start nur um Minuten verpaßt haben.)
Die Demoroute ist dieselbe, wie im letzten Jahr, zwei Kundgebungen, einmal am Dom, einmal auf einer großen Kreuzung oder Kreisverkehr ... ist das derselbe Platz auf dem ich drei Wochen zuvor ein Catcalling Erlebnis hatte? Der kleine Trans Pride Block, in dem ich mich mit eingereiht habe, läuft schweigend und demonstrierend in einer geschlossenen Linienformation ("schweigend", weil wir Masken tragen, als Pandemieauflage). Überhaupt bin ich mit meiner Filtermaske, der übergroßen Sonnenbrille und meinem tief ins Gesicht gezogen und Schatten spendenden Strohhut kaum zu erkennen (oder zu identifizieren). Der kleine, eigenständige Block löst sich nach der Demo genauso schnell wieder auf, wie er entstanden ist.
Rückkehr auf dem Alten Markt im Zentrum von Magdeburg, das war erst meine zweite Demo, die ich hier mitgemacht habe, das anschließende Fest auf dem Platz besuche ich schon ein paar Jahre länger. Nur dieses Jahr ist es irgendwie anders ... alles mit Festivalzäunen abgesperrt, rein (auf den Innenbereich vor der Bühne und den Ständen) kommt nur, wer es an der Security vorbei schafft. Genesen, Geimpft, Getestet. Von mir auch scherzhaft als "Impfzoo" bezeichnet ... ich zeige dem netten Ordner am Einlaß den QR-Code mit meinem Impfzertifikat auf meinem Smartphone und tigere wenig später selbst die Gitterstäbe auf der Innenseite des Geheges entlang. Hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
Die Infostände sind dieselben, der Hanfstand gleich neben dem Rekrutierungsstand der örtlichen Polizeibehörde ist immer wieder amüsant. Der quietschsüße Waffelverkaufsstand ist neu (mein Nachtisch nach dem Falafel-Teller auswärts) und ein Cappuccino Punkt 16 Uhr zum Beginn des Nachmittags. Ich drehe mit dem Pappbecher in der Hand meine Runden, es wird irgendwie langweilig ... nicht mal die Drag Queens auf der Bühne können mich aufheitern (was sie sonst schaffen könnten). Ich fühle mich auf einmal so alt, wenn ich weiß, daß die meisten der jungen Menschen hier auch meine Tochter oder Sohn (oder was auch immer) sein könnten. Hätte ich eine Tochter, wäre sie jetzt bestimmt sechzehn ... so Dezember 2004 geboren. Auf der Demo selbst war der Altersdurchschnitt noch etwas höher (und ein paar interessante Blickfänge zum Flirten mit dabei).
18 Uhr, das Glockenspiel am Rathaus spielt "Freude schöner Götterfunken" - ich weiß nicht mehr so genau, wann ich das Stadtfest verlassen habe, eine Faßbrause am angrenzenden Biergarten bestelle und letztendlich den frühen Abend mein Auto aus der Tiefgarage des Einkaufscenter hole, es ist immer noch heiß und sonnig, als ich mit heruntergeklappten Verdeck Magdeburg wieder verlasse. Den Tag über mit Hut, Sonnenbrille und Maske sonnengeschützt im Gesicht - dafür wieder ein tiefer Sonnenbrand im ausgeschnittenen Dekolleté meiner grünen Stricktunika ... der Sport-BH, den ich darunter trage für einen bauchfreien Look, ist zwar ganz praktisch, aber etwas mit "etwas weniger" Ausschnitt wäre vielleicht besser gewesen. Vor zwei oder drei Wochen war ich zwar schon einmal auf der Suche in den Bekleidungsgeschäften dieser Shopping-Mall, habe aber nichts Adäquates für mich gefunden (hier muß ich mein Outfit noch nachbessern).
Als ich den Abend wieder zu Hause bin, bin ich zu kaputt, um noch etwas zu unternehmen. Ich weiß, da wäre noch eine Disco-Veranstaltung gewesen, aber mir fehlt einfach der Schlaf der letzten Nächte (eher Monate). Und so richtig kann ich mir solche "Events" noch gar nicht wieder vorstellen ... was ist, wenn die Leute, die unter die ominöse 3G-Regel fallen und da mitmachen können, genauso langweilig sind, wie ich? Erst so langsam taste ich mich an mein altes Leben wieder heran...

[18.07.21 / 23:42] Ich habe Dinge gesehen... Unterwegs auf dem CSD 2021 in Leipzig. Wie immer, die Nacht davor schlaflos in meinem Bett auf dem Dachboden, vor 4 oder 5 Uhr den Morgen schlafe ich nicht mehr ein. Erst wenn die Sonne aufgeht, erst wenn die Vögel mit Zwitschern anfangen, erst wenn ich eine Weile am Fenster im Badezimmer stehe und die Ruhe, die Einsamkeit und die kühle Luft auf mich wirken lassen kann. Das Smartphone mit der Weckfunktion habe ich unter Tränen und enttäuscht von mir selbst wieder ausgeschaltet ... der Alarm war auf um 8:00 Uhr programmiert, ohne meinen seit Monaten nur noch auf fünf Stunden reduzierten Schlaf - von 5 bis 10 Uhr - fahre ich den Sonnabend Vormittag nicht auf der Autobahn nach Leipzig. Ich habe keine Verpflichtungen getroffen, keine Termine, keine Zusagen, keine zeitlichen Abmachungen. Ich muß nicht da sein, wenn es nicht geht ... kurz nach 9:30 Uhr den späten Morgen wache ich wieder auf.
Dann fahre ich eben eine Stunde später los! Das kann ich schaffen, mein ausgearbeiteter Ablaufplan, alle Sachen den Tag zuvor schon zurecht gelegt, in Windeseile unter die Dusche gesprungen, im Flug die Beine rasiert (elektrisch), kein Make-up, keine Ohrringe mühselig einfriemeln, das Frühstück hastig reindrücken, den Abfahrtszeitpunkt von 10 Uhr auf 11 Uhr gelegt bzw. angepeilt, alles in die große Strandtasche stopfen. Es wird laut Wetterbericht tropisch, den Freitag nur 24 Stunden zuvor sind meine aus den USA bestellten (und in Frankreich hergestellten) Gummistiefeletten mit dem Express-Paketdienst gekommen - für die große Wiese in dem Park, auf der für dieses Jahr die Kundgebung für den CSD in Leipzig stattfinden wird! Ich muß da hinfahren, ich habe mein ganzes Hippie-Outfit mitsamt schwarzen Plisseerock und weißen Häkeltop auf die grün-bunten Gummischuhe darauf ausgerichtet. Gegen 11:15 Uhr werfe ich meine Umhängetasche in den Kofferraum und donnere mit 150 km/h in meinem Roadster die Autobahn Leipzig entgegen, über mir die tiefdunklen und leeren Regenwolken des Gewitters die letzten Nächte.
Wie gewohnt, ich kenne mich in Leipzig aus, das Parkhaus am Hauptbahnhof ansteuern, in eine freie Parklücke quetschen (die mit dem Betonpfeiler, die sonst keiner nimmt), Schuhe wechseln, alles, was ich nicht brauche (mein "Übernachtungs-Kit") im Kofferraum zurücklassen und in Richtung des diesjährigen und wieder stattfindenden CSDs marschieren ... nur eben dieses Jahr auf der "Wiese".
Es nieselt, es ist kalt und irgendwie trotzdem schwül-heiß (war da nicht schon mal was in meinem Tagebuch?), für den Weg dahin und für die Demo nutze ich meine Keilsandaletten - die sind echt bequem. Kurz vor Erreichen der Wiese in der Parkanlage westlich des Leipziger Hauptbahnhofs, stelle ich unter einem Baum meine Umhängetasche kurz ab und schiebe mich mit einem kleinen Schuhanzieher barfuß in meine neuen Gummistiefeletten ... sehen wirklich schick aus mit dem aufgedrucktem Dschungelmotiv, meine Keilsandaletten landen in dem Beutel in meiner Tasche (da sind auch noch ein Wollponcho, der Regenschirm und eine große 1-Liter-Flasche Wasser drin). Von überall her strömen jetzt die jungen Menschen mit ihren Regenbogenfahnen zu der Bühne in der Mitte, am anderen Ende der großen Wiese ... Hunderte, Tausende! Amüsiert stelle ich fest, daß die meisten Teens and Twens nur die üblichen Stoffschuhchen tragen - ihr seid nicht passend angezogen! Ich erwarte ein "Pridestock" Happening! (Der Schlamm bleibt aus.)
Nieselregen - das Display des Smartphones ist unter dem schwarzen Regenschirm benetzt mit voller kleiner Tropfen und flackert, die Kundgebung auf der aufgebauten Bühne geht so zwei Stunden, von 13 Uhr bis 15 Uhr, ich suche unter einer großen Eiche Schutz. Redebeiträge, politische Parteien, Buh-Rufe aus einer kleinen und radikalen Gruppe aus dem auf der Wiese sitzenden Publikum dicht neben mir ... es geht um eine Partei, die dem Druck der Regierungskoalition nicht standhalten konnte und kürzlich gegen eine Vorlage zur Änderung des Transsexuellengesetzes gestimmt hatte, explosives Zeug für einige Transmenschen.
Der Nieselregen läßt nach, die Sonne kommt raus und brennt sofort auf meine "Gothic-Haut" auf der großen Wiese, ich spanne den schwarzen Regenschirm als Schattenspender erneut auf und lasse ihn auch gleichzeitig trocknen. In wenigen Momenten geht es los - der Pride durch die Innenstadt! Das die Organisatoren das genehmigt bekommen haben...
Schirm zusammenrollen und in die Umhängetasche packen, wenigstens das Gesicht großzügig mit Sonnencreme zukleistern, meine neuen und wunderschönen Gummistiefeletten (die Entdeckung für mich!) nach dem Fußmarsch auf der Parkwiese zurück zu der Straße durch meine Keilsandaletten aus dem Plastebeutel tauschen und mich für den Demozug bereitstellen.
Wo ist mein Wagen? Es gibt dieses Jahr wegen der besonderen Lage nur zwei oder drei Demotrucks ... der mit der beschriebenen politischen Partei wird von einer Gruppe Aktivisten mit einem großen Transparent am Losfahren behindert. Es sollte mich mehr betreffen, ich gehöre zu der durch das Gesetz diskriminierten Transgemeinschaft. Ich stehe immer noch am Rand auf dem Fußweg der Straße am Parkeingang und beobachte die beklemmende Szenerie mit dem Gerangel. CSD ist politisch, keine Party für gelangweiltes, junges Publikum mit Tanzen. CSD ist der Kampf um Erhalt der nur vor ein oder zwei Generationen erreichten Grundrechte, der Aufstand, das Begehren nach Chancengleichheit, gegen die Diskriminierung, gegen das Gefühl vom Großteil der Bevölkerung als abartig, krank, kriminell, nicht existent oder schlimmer noch - als nicht lebenswert betrachtet zu werden. Dafür reichen eure kleinen Regenbogenfähnchen als Bekenntnis der Solidarität nicht aus. Ich habe Angst vor Gewalt- und Konfliktsituationen, lasse mir lieber ohne Gegenwehr die Nase brechen - und stehe unfähig zu handeln da.
...mein Wagen fehlt. Der kleine "radikale" Pritschentransporter, der sonst immer ganz hinten an dem Demozug angehängt wird. Der mit der schönen Musik, den eigenen Redebeiträgen versus der großen Veranstaltungstrucks - der mit den schönen Menschen die hinterherziehen! Sie sind da ... zumindest das subkulturelle Publikum aus der queeren Szene. Ich reihe mich ganz hinten mit ein.
Die Demoroute ist kürzer, kompakter - ich habe das Gefühl, die Polizeieskorte staucht das ganze etwas mehr zusammen als sonst. Die grauen Nieselregenwolken sind jetzt wirklich weg und mir fehlt der sonst übliche Platz, von "Schatten zu Schatten" zu springen. Das Tanzen fällt auch weg, einige der Demoteilnehmer haben zwar ihre eigenen "portablen Musikbeschallungsanlagen" dabei, aber so laut sind die jetzt doch nicht. Ich nutze die Gelegenheit, schlängel mich ab und zu ein paar Meter nach vorne durch, bleibe am Rand stehen und beobachte kurz den hintersten Teil des Demozuges mit den bunten Teilnehmern aus meiner Zuschauerperspektive ... nicht ohne die Menschen nach ein paar mir bekannten Gesichtern abzusuchen. Nur die ganz wenigsten tragen einen pandemiebedingten Mundschutz (außer vielleicht die sympathisch wirkende Gruppe mit den Gummi-, Leder- und Fetischmasken).
Das ist das andere Thema... Ich bin seit kurzem doppelt geimpft, zwar noch nicht ganz der volle Schutz (erst in ein paar Tagen), aber immerhin. Von einem Großteil der sehr jungen Demoteilnehmer weiß ich das nicht (und muß ich auch nicht), aber als der Demozug dann zum Finale in die enge Leipziger Innenstadt in Richtung Markt und Augustusplatz einbiegt ... die Gesichter der anderen Menschen! Alte, Normale, die, die da den Sonnabend Einkaufen gehen - überrascht, irritiert, etwas verängstigt? Irgendwo zwischen: "Das hätte ich jetzt nicht erwartet" und "Oh, schön, wie früher" und "Jetzt sind wir verloren, jetzt kommt sie, die nächste Virus-Welle" - der Bürgerschreck. Wir quetschen uns unter lautem Getöse zu Tausenden durch die engen Gassen und begehren auf, für unser Recht zu leben. Corona ist was für alte Menschen, für Politiker, für Fernsehnachrichten und auf Papier gedruckten Zeitungen. Es existiert nicht mehr in der Blase der verloren Jugendgeneration. Nur ich mit meinen 39 Jahren bin das Bindeglied zwischen diesen beiden Welten.
Der CSD 2021 endet auf dem Augustusplatz in der Mitte von Leipzig, anders als sonst die Jahre bis 2019 auf dem Markt im Herzen der Fußgängerzone. 17:30 Uhr? Bis 18 Uhr werden Durchsagen gemacht, die Veranstaltung für beendet erklärt, zum Räumen des Platzes aufgerufen. Nicht nur der große Platz vor der Oper ist voller junger Menschen, auch die Innenstadt mit den Läden, Kaufhäusern und Modegeschäften ist voller Regenbogenfahnen tragender Demoteilnehmer - laufe ich mit ihnen, bin ich jung und proud - laufe ich entgegen des Stroms, bin ich plötzlich uralt: "Wo kommen die denn jetzt auf einmal alle her?"
Ich war seit einem Jahr nicht mehr hier, einige Geschäfte sind neu, andere weg, wer hat die lange Zeit der Schließungen überlebt? Mein gewohnter Rundgang, einmal Kuchen essen ("Eierschecke"), eine Kugel Premium-Eis (neu: "Avocado mit irgend etwas Fruchtigem"), einmal den späten Nachmittag und frühen Abend am Ende der Fußgängerzone mich in den Außenbereich des einen italienischen Restaurants setzen und eine Pizza bestellen. Sollte jetzt plötzlich ein Gewitter kommen und ein kalter Wind, habe ich für den Fall jetzt endlich meinen kuschelwarmen schwarzen Cashmere-Poncho dabei. Es bleibt warm, die chinesischen Gäste an dem Nachbartisch geben dem Ganzen ein internationales, touristisches Flair ... irgendwo zwischen der überfüllten Innenstadt von Florenz und Amsterdam.
Der angrenzende kleine Park neben der Kirche, in dem sonst nur ein paar Punks, Bücher lesende Studenten, Kinderwagen-Moms und eine Rattenfamilie ihre Zeit verbringen und genießen, ist jetzt noch überfüllter als sonst. Wirklich viele feiernde und sehr junge Menschen sitzen da jetzt die warmen Abendstunden auf den Bänken und ausgetretenem Rasen herum - alles voller Müll, Alkoholika, Flaschen, laute Menschen, Party und Musik. Ähnlich der abendlichen Szenen in süditalienischen Altstädten, nur eben nicht so von mir stilisiert, dafür mehr verwahrloster ... so eine Art englische "No-Future-Generation" ohne Perspektive und Geld und dafür eine durch eine Klimakatastrophe ausgelöste Hitzewelle mit täglichen Sommerunwettern mitten in Deutschland. Dystopie pur.
Ich verlasse Leipzig wieder mit meinem Auto, nach fast acht Stunden im Parkhaus, und fahre auf der mehr oder weniger leeren Autobahn den späten Sonnabend Abend zurück ... jetzt mit Tempomat und wesentlich langsamer, so 120 km/h - dem orangen Sonnenuntergang entgegen.

Noch etwa 10 Tage bis zum vollen Impfschutz, dann könnte ich auch wieder die Nächte in einen Club ausgehen? Falls es die noch gibt...

[10.06.21 / 19:12] Ich konnte es doch nicht durchziehen ... die eine Bewerbung, auf die ich mich als "Herr Dipl.-Ing." beworben hatte. Ich war überrascht, daß ich überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde.
Was ziehe ich an? Es wird den Tag sommerlich heiß, das Auto mit der Klimaanlage steht in der Garage, nach Monaten immer noch (oder schon wieder) mit leerer Batterie. Ich muß den frühen Mittwoch Vormittag den Regionalzug nehmen. Männersachen habe ich keine mehr, so etwas wie "Hemd, Krawatte, Sakko" fand ich schon immer abartig und habe ich nie besessen. Den Kleiderschrank voller wunderschöner Sommerkleider. Ich nehme das ungetragene Blümchenkleid vom letzten Jahr und meine neuen Keilsandaletten. Damit es halbwegs seriös aussieht, verhülle ich meine nackten Beine mit einer schwarzen Leggings. Bewerbungsunterlagen habe ich keine, meine Originalzeugnisse - die mit meinem alten, männlichen Namen - trage ich nicht nach draußen. Ich stopfe alles, was ich den Tag brauche, in meine italienische, schwarze Lederhandtasche. Den schwarzen Kapuzenhoodie überziehen und ich laufe kurz nach halb neun den Morgen zum Bahnhof.
Magdeburg ... auch nicht viel los hier, noch mehrere Stunden bis zum Bewerbungsgespräch in der einen Firma am Nachmittag. Die Zeit rumkriegen, einen Arzttermin, vielleicht Einkaufen in den Geschäften und Kaufhäusern (es ist jetzt wieder möglich - mit Maske), den Frühsommertag in der Fußgängerzone etwas Essen. Die Temperatur steigt.
15 Uhr, der Termin, ich bin überpünktlich und warte noch eine Weile, bis ich auf den Klingelknopf drücke. Ein Fahrstuhl fährt mich hoch in die Geschäftsräume. Irritierte Blicke, irritierte Gesprächspartner - ich bin nicht der "Herr", den sie erwartet haben. "Alle meine Zeugnisse sind noch auf meinen alten Namen", entgegne ich in dem Konferenzraum. Wenigstens stehen ein paar Flaschen Wasser für Meetings und Gespräche bereit. Keine Klimaanlage, es ist heiß.
Den späten Vormittag zuvor, ich liege für eine Untersuchung in dem MRT in einer radiologischen Praxis in der Innenstadt. Das große, hochtechnische Gerät wird gekühlt. Meine Leggings, mein Kleid, alles mit Bedacht gewählt und ohne Metallteile - den BH habe ich vorher in der Umkleidekammer ausgezogen. Das Kontrastmittel wird mir auf der Liege in den linken Arm injiziert ... die Vene finden, ich sehe schon wieder aus, wie ein zerstochener Drogenjunkie. "Sagen Sie Bescheid, wenn es brennt", der nicht ganz so beruhigende Satz der jungen Assistentin. Verdammte MS, ich muß das jedes Jahr über mich ergehen lassen.
Das gerade angefangene Bewerbungsgespräch den heißen Nachmittag ein paar Stunden später, daß ich einen Behinderungsgrad habe, verschweige ich. Meinen weiblichen Vornamen haben die beiden akzeptiert. Ich stelle mich sofort entwaffnend als "Frau" vor. Keine so erfreulichen Gesichter ... aus Sicht des Personalverantwortlichen und dem Geschäftsführer dieser kleinen Firma, wäre es besser gewesen, ich hätte mich gleich als weibliche Kandidatin auf diese Stelle beworben ... sie fragen, wie weit ich seelisch mit meiner Transition bin und ob ich diesen eingeschlagenen Weg auch weiter fortführe.
Nach meinen überstandenen MRT-Termin in der Magdeburger Innenstadt streife ich durch die angrenzenden Shopping-Malls und Kaufhäuser - ich bin auf der Suche nach einem weißen Textil- oder Ledergürtel für mein anderes, neues und ungetragenes Jeanskleid. Irgend etwas, was die Taille betont und mich noch weiblicher erscheinen läßt. Etwas frisches für den Sommer ... in meinem offenen Roadster, auf der Landstraße, mit Sonnenbrille und wehenden Haaren. Ich habe meine Stammgeschäfte - hochpreisig, exquisit. Den weißen Kunstledergürtel in dem sehr bekannten, schwedischen Modehaus der unteren Preisklasse, lasse ich in der Auslage hängen, ich entscheide mich für den aus Echtleder, gefunden in dem großen Kaufhaus quer über die Kreuzung, einen im geflochtenen Muster und ohne Lochnieten. Die weißen Militärgürtel im Internet sehen alle zu männlich aus und stehen nur Motorradpolizisten und kernige Kerle ... Fotos aus der Gay-Community?
Ich fahre Motorrad, aber das steht auch mit leerer Batterie verlassen und voller Spinnweben in der Garage. Die Antwort, ob ich einen Führerschein besitze, beantworte ich in dem Bewerbungsgespräch mit "Ja", nur dieses eine Mal mußte ich den Zug nehmen. Die Stelle wäre mit Kundenkontakt ... Bin ich vorzeigbar? Wie so oft, ich kann es den beiden Männern in dem Raum nicht glauben, wenn sie nicht erkennen wollen, daß ich keine geborene Frau bin - ich gehe immer davon aus, daß es jeder sofort sieht und hört. Wäre es besser gewesen, meine transsexuelle Vergangenheit auch zu verschweigen? Und hätten die mich dann überhaupt als Frau eingeladen? Ich könnte ja urplötzlich schwanger werden und für Monate ausfallen.
Diese Probleme habe ich nicht in dem Restaurant den Mittag zuvor in der Innenstadt. Meinen kurzen Einkauf habe ich beendet, der neue Gürtel liegt in einem Beutel in meiner Handtasche. Das italienische Restaurant mit bis zum letzten Tisch besetzten Außenbereich, macht den Tag ein gutes Geschäft. Ich gebe nach meinen bestellten und aufgegessenen Gnocchi etwas mehr Trinkgeld, setze nach dem Bezahlen meine Maske auf und frage nach der Toilette in dem Innenbereich der Gastronomie. Ich habe keine Probleme damit, die Frauentoilette zu benutzen - ich bin eine Frau. Ich sehe so aus, ich bewege mich so - und sprechen muß ich da auch nicht. Ich mache mich an dem kleinen Spiegel neben den zwei Kabinen etwas frisch und bereite mich auf das bevorstehende Bewerbungsgespräch vor, das in einer Stunde, ein paar Straßenbahnstationen entfernt.
Dieses Bewerbungsgespräch, in dem ich wieder die mir bekannten und ablehnenden Gesten der Teilnehmer erkennen werde, wenn sie mir die Frage stellen, warum ich so lange arbeitslos bin. Was ich die letzten zwei Jahre überhaupt gemacht habe (isoliert zu Hause?), warum es für mich nahezu unmöglich ist, eine Arbeitsstelle zu finden. Die fehlenden Qualifikationen kann ich erarbeiten, Neues lernen ... ich bin zu unsicher und weiche zum Ende des dreißig Minuten dauernden Gesprächs allen Fragen aus, die auch nur ansatzweise etwas mit meiner persönlichen und traumatischen Vergangenheit an meiner alten Arbeitsstelle zu tun haben und zu meiner Entlassung führten. Und dabei habe ich noch nicht einmal erwähnt, daß ich fast schon selbstzerstörerisch in der Psychiatrie gelandet bin - wegen dieser Arbeit (und das ist der Punkt). Der Fahrstuhl fährt mich wieder runter und ich weiß, es ist wieder nichts geworden.

"Hartz IV" könnte noch bis zum Ende des Jahres, pandemiebedingt, verlängert werden ... erst dann fällt die finanzielle Stütze für mich weg und ich müßte mir doch mehr Gedanken machen. Bin ich schon zu alt, um auf den Strich zu gehen?

[15.04.21 / 19:37] Der Anfang vom Ende. Seit einiger Zeit spiele ich mit dem Gedanken, für Bewerbungen auf Stellenangebote im IT-Bereich wieder meinen alten, männlichen Namen einzusetzen ... der "Herr Diplom-Ingenieur" von vor zehn Jahren. Alle meine Zeugnisse sind noch auf den Namen, meine Diplomurkunde, die verschiedenen Lehrgänge und das sehr viel bessere Arbeitszeugnis von meinem abschließenden Diplom- und Praxissemester. Der junge "Herr" macht seine Arbeit viel besser als die zickige "Frau" mit den Diva-Allüren und der totalen Arbeitsverweigerung Jahre später. Mal abgesehen davon, daß ich ein und dieselbe Person bin, mit ein und derselben Arbeitseinstellung, -motivation und -qualität, liegen zwischen diesen beiden Menschen für den von außen betrachtenden (und voreingenommenen) Arbeitgeber Welten.
Als Mann habe ich vor etwa zehn Jahren auch mehrere hundert Bewerbungen geschrieben, als Frau - speziell als Transfrau - kommen jetzt die ganzen Blicke der HR dazu. Die Hand mit dem Finger gegen die Stirn, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen: "Großer Gott, wen haben wir hier zum Bewerbungsgespräch nur eingeladen?"
Ich verändere meinen Lebenslauf, meine Bewerbungsunterlagen werden sowieso ständig neu angepaßt, das Foto verschwindet, der Vorname erhält wieder seinen männlichen Endbuchstaben zurück. Ich richte sogar eine Alias-Mailadresse ein - nach mehr als fünf Jahren bin ich im Internet wieder unter meiner alten Identität erreichbar. Sind die ersten zwei Bewerbungen noch experimentell, sieht die dritte Bewerbung schon richtig professionell aus, diesen "Herrn Dipl.-Ing. (FH)" würde ich wirklich einstellen wollen! Alles paßt, der Lebensweg, das Studium, der Wehrdienst. Das beschissene, letzte Arbeitszeugnis lasse ich weg, es gehört nicht zu ihm, es gehört zu ihr. Klick, Bewerbung gesendet.

Und jetzt? Ein Irrglaube, irgend jemand würde ihn nur wegen dieses klangvollen Titels einstellen wollen, oder mir eine Chance geben, an mein altes Leben und meinem Ingenieursabschluß anzuknüpfen (um überhaupt erst weitergehende Fachkenntnisse zu bekommen). Ich mache das ... weil es sich jetzt gut anfühlt, weil ich jetzt dieses Selbstvertrauen habe. Würde ich eine Absage als Frau bekommen, wäre ich zutiefst niedergeschlagen und würde an mir zweifeln ... bekomme ich eine Absage für den Mann, den ich gerade konstruiert und wiedererweckt habe, bin ich - mir fehlt das Wort dafür - ergriffen von dem Gefühl: "Ihr seid selbst schuld, wenn ihr so einen Top-Bewerber und IT-Professional ablehnt. Verreckt an eurem eigenen Stolz!"

Du spielst ein gefährliches Spiel ... jetzt als operierte Transfrau mir eine neue, alte männliche Persönlichkeit zu geben, könnte mir mehr schaden als nutzen. Langfristig gesehen, würde dieses Zerwürfnis zu einer unkontrollierbaren, emotionalen Instabilität führen. Es ist OK, wenn ich alle meine Persönlichkeitsaspekte im Gleichgewicht halte ... aber zurück zu dem Mann, der ich nie war? Ich werde niemals meine weiblichen Hormone absetzen, meine Operation bereuen oder alle meine feminin geschnittenen Kleider aus dem Schrank werfen! Ich bin und bleibe eine Frau. (Das sieht erst merkwürdig aus, wenn der "Herr" dann wirklich zum Gespräch eingeladen wird, aber so weit kommt es nicht...)

Noch ein Knacks mehr im Spiegel.

[10.02.21 / 20:56] Ich muß meine aktuelle Funkstille aus der "Rehab Clinic"* doch unterbrechen ... die Praxis in München hat sich per Telefon bei mir gemeldet, sie gehen die Kontaktdaten bzw. Telefonnummern für die Warteliste auf die geschlechtsangleichende Operation durch und fragen nach dem aktuellen Status. Mein Termin im September 2021 - den ich bis jetzt emotional nicht geschafft habe, abzusagen - wäre dann, nach über vier Jahren Wartezeit, dran gewesen. Ich bin schon operiert. Auch wenn ich nach wie vor immer noch den Gedanken mit mir herumtrage, eine dritte und aufwendige Korrekturoperation zu wagen - und den letzten Funken Hoffnung, vielleicht doch noch irgendwann ganz normal als Frau Sex zu haben, nicht aufgeben kann - so wird dennoch meine Position auf der Warteliste gestrichen. Es bleibt die Option, mit dieser oder einer anderen Praxis einen neuen Termin auszumachen, um überhaupt herauszufinden, ob das bei mir da unten noch chirurgisch möglich ist.

(*) Interessanterweise bedeutet rehab clinic im Englischen etwas leicht anderes, als im Deutschen erwartet ... aber ich mag die Version, wie meine Rockstars in einer "Entzugsklinik" zu sitzen, um "clean" zu werden. Meinen mitgebrachten Tablettenvorrat habe ich mittlerweile aufgebraucht: die erste Woche hätte ich fast sieben Nächte ohne durchgehalten, die zweite Woche mußte ich die allerletzte Dosis rationieren, die dritte Woche ist die (schlaflose) Hölle und die vierte Woche steht mir noch bevor...

[27.10.20 / 23:13] Ein paar Wochen nach der letzten IPL-Behandlung, das Telefonat den Tag. Ich mache für die nächste Zeit keine weiteren Termine mehr, auf der linken Wange habe ich nur ein einziges, dunkles Haar entdeckt ... und außerdem werde ich für die nächsten Wochen (oder Monate?) wohl nicht mehr aus dem Haus gehen wollen (die Viruspandemie). In spätestens fünf Jahren werden sich wieder genug neue, dunkle Haare "zusammengerottet" haben (die Heilkräfte des eigenen Körpers nicht unterschätzen) und dann kann ich eine weitere, kosmetische Haarentfernung starten.

[01.10.20 / 13:03] IPL-Nachbehandlung #14 (#31) - Es wird schwer, ein dunkles Haar zu finden. Die hellen Haare unter der Unterlippe sind gerade in einer optimalen Wachstumsphase und werden mitbehandelt, die hellen Haare am Kinn und die störenden am Mundwinkel sowieso. Noch spüre ich die Schmerzen, noch riecht es nach jedem Blitz nach verbrannten Haaren - aber für die nächste Behandlung habe ich noch keinen Termin. Die nächsten Wochen kann ich entscheiden, ob ich noch zwei oder drei weitere Behandlungen will (und ob ich die mir überhaupt noch leisten kann), dafür muß ich die nächsten 14 Tage mein Gesicht beobachten ... nach der letzten Behandlung waren da noch eine Vielzahl an kurzen und feinen, weißen Haaren - und fünf bis zehn dicke und lange helle Haare an der Wange und auf dem Kinn (die zum Entfernen).

[17.09.20 / 20:07] "Die Vulva - eine kunsthistorische Betrachtung." Benutzte Werkzeuge und Techniken: Photoshop Version 6.0 aus dem Jahr 2000 mit dem Kunstfilter "Fresko" (Pinselgröße: 2 / Details: 8 / Struktur: 1) und der Bildeinstellung "Farbton/Sättigung" (Bearbeitungsmodus: Standard / Farbton: +15 von +180 / Sättigung: -50 von -100 / Lab-Helligkeit: -5 von -100). Schön zu sehen in der Bildkomposition ist die Anomalie. Der operativ verbliebene Rest des Schwellkörpers drückt bei sexueller Erregung das untere Ende der inneren Schamlippen zwischen dem Vorhof mit dem im dunklen gelegenen Harnröhrenausgang und dem in der darunterliegenden Falte verborgenen Eingang zur Neovagina, erhaben nach außen. Entstehungszeitraum des Bildes, etwa Spätsommer 2020. Das Modell filmt sich selbst während einer nächtlichen Erforschung der inneren Lüste.

Ich weiß immer noch nicht so recht, was ich mit dem Video von vor zwei Wochen machen möchte, vielleicht eine kleine Sequenz, Schwarz-Weiß und mit Rotoskopie - auf jeden Fall verfremdet. Die Idee mit dem Bildausschnitt und dem Blickwinkel auf meine Intimzone, im Stile des französischen Malers Courbet aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, habe ich schon länger ... ich stand auch schon vor dem Originalgemälde im Musée d'Orsay in Paris (und war da genauso fasziniert, wie jetzt).

Ich habe es getan ... ich habe ein Bild von ihr veröffentlicht!

(Hier hätte ein Bild sein sollen)

[14.09.20 / 23:06] Habe ich eine non-binary Komponente? Auch wenn ich meinem Alter Ego den ganzen Mist, den ich erlebe, in meinen Tagebüchern abgeben kann, so sind dennoch Morgana und Andrea ein und dieselbe Person. Aber was ist mit meinen anderen Eigenarten? Die, die so gar nicht in das feminine Bild einer Transfrau passen wollen. Wenige Stunden den späten Sonntag Vormittag zuvor, waren meine Hände noch total beschmiert von dem dunklen Kettenfett, welches ich mühsam von den Speichenfelgen am Hinterrad mit der Zahnbürste (halbwegs) bereinigt habe. Ich müßte auch mal an meinem Motorrad die Zündkerzen wechseln, oder zumindest ausbauen und die Kontaktstellen abbürsten - wie das geht, steht alles in meinem Wartungshandbuch ... auf Englisch, für das amerikanische Modell.
Meine Gedanken gehen noch weiter ... seit einiger Zeit, irgendwann das letzte oder vorletzte Jahr, stelle ich mir folgende Situation vor (nur ein Gedankenexperiment): Was wäre, wenn ich meine Brüste abbinden würde - die so klein sind, daß es sehr einfach wäre - und meine alte Lederjacke anziehen würde - die aus meiner männlichen Vorzeit, die Jacke, die ich als einzige noch behalten habe, die ich nicht weggeben konnte oder wollte (zu viele Erinnerungen an 2004) - und wie ich dann so die Nacht, mit diesem männlichen Erscheinungsbild, einfach in einen Club ausgehe? Flirtend mit anderen Frauen (habe ich noch nie gemacht) und mit dem Wissen, ich bin eine postoperative Transfrau? Ich sehe da unten jetzt nicht so aus, wie du dir das vielleicht vorstellst...
Viele Gedanken dieser Art gehen mir durch den Kopf, als ich den Sonntag Abend mit meinem Motorrad durch die anbrechende Nacht und den Lichtern der Großstadt, und weiter auf der dunklen Landstraße, zurück nach Hause fahre.

Wer bin ich?

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg
Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,
vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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