morgana81 - gothic transgender

Der Demozug erreicht seinen Endpunkt, der Platz an der Kreuzung vor dem Rathaus in Lichtenberg, glaube ich zumindest, es steht auf einem Schild, Ortskenntnis habe ich in diesem Teil von Berlin nicht mehr.

[31.08.25 / 21:06] Der Demozug erreicht seinen Endpunkt, der Platz an der Kreuzung vor dem Rathaus in Lichtenberg, glaube ich zumindest, es steht auf einem Schild, Ortskenntnis habe ich in diesem Teil von Berlin nicht mehr. Es sind wieder weniger Demoteilnehmer geworden, in Berlin ist noch das andere, genauso queere Fetischtreffen und eine weit größere Techno-Demo mit LKWs, DJs und laut wummernden Bässen, davon weiß ich aber nichts, das hatte ich erst für den nächsten Tag gedacht. Einige Demoteilnehmer verabschieden sich schon, einige Teilnehmer bleiben. Die charmante Moderatorin plant etwas: Wie wäre es, wenn sich alle einmal um sich herum blicken und die anderen Demoteilnehmer fragen, warum sie hier sind, was sie dazu bewegt hat, hierher zu kommen? Gespräche beginnen, lautes Murmeln, ich stehe inmitten des ganzen und wickele das Abreißplasteband von dem Deckel meiner kleinen Wasserflasche zu einer Spirale, bis meine Finger schon rot und wund sind. Wo ist mein Awareness-Team? Die beiden in ihren lilafarbenen Westen sind auch in Gespräche mit anderen Demoteilnehmern vertieft. Nur ich stehe einzeln und isoliert in der Mitte des ganzen auf diesem kleinen Platz. Mit mir spricht keiner. Ich bin autistisch. Das schlimmste, was mir passieren kann. Ich fühle mich unwohl und schäme mich für meine Andersartigkeit, die ich nicht ändern kann. Ich suche die Sicherheit der Entfernung und laufe aus dem Zentrum hinaus, noch hinter die Reihen der bewachenden Polizisten. Erst als die weiteren Tanz- und Sprech-Performances losgehen, traue ich mich wieder in die Menschengruppe hinein.

So viel länger dauert es nicht, ich sehe die große Uhr der Kreuzung vor mir. Die drei Drag-Performances sind schön, die bunten Kostüme, das aufwendige Make-up. Nur das Ambiente dieser Straßenkreuzung mit den Wohnblöcken vor mir … letztes Jahr im Park, hier irgendwo in Treptow, hätte das besser gepasst … oder wieder zurück in Mitte von Berlin.

Der Pride geht zu Ende und wird abmoderiert. Es besteht die Möglichkeit, im Schutz der Polizisten die paar hundert Meter bis zum Bahnhof der Frankfurter Allee eskortiert zu werden. So lange warte ich nicht, ich kann auch alleine gehen, ich glaube, dass ich das Passing dazu habe, um nicht von transphoben Gewalttätern erkannt zu werden. Noch ist die Sonne hier in Berlin nicht untergegangen, noch hat der Sonnabend Abend noch nicht angefangen.

Am S-Bahnhof irre ich herum, die S-Bahn fährt hier im Kreis, ich kenne nur die Namen der größeren Bahnhöfe mit Anschluss zum Regionalverkehr. Die S-Bahn, in der ich sitze, fährt nur zwei Stationen und dreht dann wieder um, baustellenbedingt, soviel zu dem Ring. Dann eben wieder in die andere Richtung und über den Bahnhof Ostkreuz.

So verwirrend, wie der Bahnhof am Ostkreuz ist, ich war hier schon einmal … letztes Jahr? Dieselbe Kette, vielleicht dieselbe Filiale, ein kleiner Pappbecher süßer Haferbrei wird mein spätes Mittagessen für heute, außer einem Fast-Food-Imbiss habe ich hier nichts gefunden. Ein belegtes Brötchen bei dem teuren Bahnhofsbäcker gleich daneben, bis ich bis kurz vor zwanzig Uhr über mehrere Treppen auf und ab endlich den Gleis mit dem einfahrenden Regionalexpress gefunden habe. Vorteil, dass ich hier am Ostkreuz schon in den Zug Richtung Magdeburg zusteige, die ganzen weiteren Passagiere, bis der Zug voll ist, steigen erst ab Mitte ein. Noch habe ich freie Sitzplatzwahl … dass ich nach zwei Flaschen Wasser eigentlich eine Zugtoilette suchen sollte, unterdrücke ich vorerst.

Solitär auf meinem Smartphone, Musikhören auf meinem Smartphone – ich hätte die Kopfhörer vorher aufladen sollen, es reicht nur für einen Titel und ein paar Minuten abgeschirmter Stille. Ich esse mein belegtes Brötchen aus der Papiertüte. Spätestens ab Genthin und Burg steigen nicht mehr so viele mit dazu und ich kann mit meinem ganzen Gepäck, Handtasche und Umhängebeutel, die Zugtoilette suchen. Ekelhaft, jemand hat die kleine Fläche für die zweite Klopapierrolle als Müllfach genutzt und ich denke, das ist sauberes Papier … viel, viel Seife.

Zurück am Platz, die Ansage des Zugbegleiters vorhin: „Es gibt kein Recht auf einen reservierten Sitzplatz, ist der weg, wenn du auf das Klo musst, dann ist der weg.“ Glück für mich, ich habe so lange ausgehalten, das Pärchen, das hinter mir zusteigt, findet mich nur wieder sitzend in dem vollen Wagon vor. Weiter den dunklen Abend hinein, nach Magdeburg.

Endstation Magdeburger Hauptbahnhof irgendwann kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Der MITROPA-Wagen auf dem Nachbargleis fällt mir ins Auge, ein schönes, spontanes Fotomotiv. Weiter hinaus zu der großen Anzeigetafel in der Empfangshalle, wie erwartet, mein Zug in das Heimatkaff zurück fährt erst in anderthalb Stunden … ab später Stunde ist der Takt nur zweistündig. Ich mache das, was ich immer mache in dieser Situation und gehe erst einmal rüber zu der Bar, ein paar Schritte abseits des Bahnhofsvorplatzes, noch hinter dem angrenzenden und dunkel verschlossenen Einkaufszentrum, die andere Straße da, gleich neben dem großen Hotel.

Mein Platz auf der terrassenförmig angeordneten Außenfläche, ein lauer Spätsommerabend, mein Strickjäckchen über meine schwarze, orientalische Tunika reicht. „Habt ihr noch diesen Ipanema?“ Die Mocktails auf der Getränkekarte haben sich nicht verändert. Ich muss nicht auf die Zeit achten, ich trinke das Glas mit den Eiswürfeln ziemlich schnell herunter. Mein Blick auf die Straße neben mir, die vereinzelt fahrenden Autos, die Innenstadtarchitektur ist ähnlich, postsozialistische Stalinbauten und große Alleen gibt es hier auch, aber der Verkehr, vereinzelte, einsame Auto-Poser? Magdeburg ist keine Großstadt. Tiefste Provinz.

Wieder zurück am Hauptbahnhof, selbst die Lichter an dem angrenzenden Kinopalast sind ausgegangen. Ich habe das Gefühl, ich habe den Tag noch nicht so viel gegessen und hole mir an dem jetzt vierundzwanzig Stunden offenen Bahnhofsbäcker das zweite belegte Brötchen, nach Salat und Mozzarella, jetzt eines mit Auberginen. Auf den Zug wartend und mein Brötchen aus der Papiertüte mampfend, draußen vor dem großen Bahnhofseingang.

„Hey du, bist du aus Deutschland?“

Ich drehe mich um.

„Ich meine, wegen deinen Augen“, er deutet mit seinen Fingern auf seine.

Meine stark geschminkten Augen sind ihm wahrscheinlich aufgefallen, so eine mit so viel Kajal sieht man hier nicht so oft. Ich komme den beiden näher, sie sind zu zweit, er steht mit seinem Kumpel vor dem Eingang mit der Glastür, den Rücken hin zur hell erleuchteten Bahnhofshalle mit der Anzeigetafel.

„Scheiß Araber“, ein paar andere Gestalten passieren wortlos die Glastür und gehen einfach vorbei.

Ich mustere die beiden: „Und wo kommt ihr her?“

„Indien.“

Ich ziehe meinen kleinen Ganesha-Anhänger an meiner Silberkette unter der Tunika hervor, bestimmt haben sie zuerst meinen Anhänger und nicht meine Augen gemeint: „Ich kenne da ein paar indische Studenten auf der Arbeit, denen ist der auch gleich aufgefallen.“

„Tatsächlich …“, er scheint überrascht, „Und du, bist du … straight? Ich meine nur, wegen meinen Freund hier, er würde gerne mit dir gehen.“

Ich erfasse die Situation und wo sie mich hinführt.

„Vielleicht … können wir etwas trinken gehen, oder zu uns nach Hause, nur sechs Minuten von hier?“

„Nein, ich warte auf meinen Zug, den da an der Tafel, in dreißig Minuten.“

„Darf ich?“, er kommt mir näher.

Ich bleibe still, ich kenne die Situation schon, er greift mit seiner Hand unter meine Tunika und mir in meinen Schritt: „Da ist nichts“, erwidere ich, nicht das erste Mal für mich, das passiert oft … als trans Frau.

„Ich hatte gehofft, da wäre noch etwas“, auch ein zweiter Versuch von ihm ertastet nichts.

„Hier sind überall Kameras“, ich deute auf die eine gleich neben uns, oberhalb dem Eingang mit der Glastür.

„Wir müssen jetzt los“, bevor die beiden in Richtung der Bahngleise verschwinden, umarmt mich der eine stille noch und versucht einen Knutschfleck auf meinem Hals, der andere, der das Gespräch versucht hat, umarmt mich auch … vorher der ertastende Griff an meine linke Brust.

Ich bin wieder allein und betrete auch die hell erleuchtete Bahnhofsvorhalle, den Mülleimer suchend für meine Papiertüte von meinem aufgegessenen Brötchen. Ich werfe das Papierknäuel hinein und gehe auch in Richtung meines Bahngleises. Wenig später, die Treppen oben, fährt auch mein Regionalzug in Richtung meines Heimatkaffs ein. Ich analysiere in Gedanken die Situation von eben …

Ich werfe meinen Körper nicht mehr weg. Noch vor ein paar Jahren, ich wäre mit den beiden mitgegangen, wohlwissend, dass die einfach nur den schnellen Fick mit mir gesucht haben, die beiden, aus Indien … ich bin eine: „Hijara.“

Die sind nichts wert. Die beiden Männer, ich habe es gespürt, ich bin nicht die wunderschöne Frau, die angebetet wird, ich bin etwas anderes, vielleicht noch nicht einmal menschlich … ein Ding, eine Sache, Besitz. Wie wäre es ausgegangen, ich hätte mit beiden den schnellen Sex gehabt, wäre irgendwo in einem mit der S-Bahn sechs Minuten entfernten Vorort den Morgen aus einer Wohnung geworfen worden, zwei Punkte auf meiner Bodycount-Liste mehr, im kalten Morgengrauen den Weg zum Bahnhof zurück suchend. Ich hätte die beiden nie wieder gesehen … ich werde sie auch so nie wieder sehen. Ich will nicht mehr benutzt und weggeworfen werden. Mein Körper und meine Psyche sind mir jetzt wichtig. Zurück auf dem Weg zu meinem Gleis in dem Bahnhofstunnel, ich erkenne auf den zweiten Blick einen mir entgegenkommenden Arbeitskollegen – auch ein Ausländer – eine vollkommen andere Situation, ein Handwinken mit viel Respekt, ich bin eine weibliche Softwareingenieurin, keine Prostituierte (auch wenn in Sexarbeit viel Arbeit steckt – die Männer erkennen den Wert dieser Frauen nicht).

Die Dunkelheit der Mitternacht rauscht an meinem Fenster vorbei, vor mir auf dem aufgeklappten, kleinen Tischtableau das Knäuel Make-up-Entfernungstücher, Sonnencreme und schwarzen Kajal aus meinem Gesicht wischen. Mein Heimatkaff erreiche ich gegen Mitternacht. Die paar hundert Meter zurück zu meinem Wohnhaus. Fenster in meiner oberen Etage öffnen … es dauert noch eine halbe Stunde, bis ich mich schlafenlegen kann. Ich gehe die Situation vor meinem hell erleuchteten Badezimmerspiegel noch einmal durch, greife mir selbst in den Schritt … Was hast du da ertasten können? Nichts. Die Nähte meiner Leggings.

Ich ziehe mich vor dem Spiegel weiter aus, angezogen bin ich unscheinbar, mit Brille sogar gar nicht so hübsch und weiblich. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fällt, die Tunika, das Spaghettiträgertop, der schwarze BH, die Leggings, mein schwarzer Baumwollslip. Nackt und ohne Brille, mit vollem, blonden Haar – meine kleinen Brüste, meine Vulva, mein gar nicht so untypisch, zierlicher und weiblicher Körper – nackt bin ich eine überaus hübsche Frau! Nichts deutet auf irgendetwas anderes hin! Mein versteckender Kleidungsstil, mein unsicheres und ängstliches Auftreten … meine leise Stimme, ist es das, was mein „Passing“ mindert? Ich will so bleiben, ich will daran nichts ändern, ich will … dass man mich erst respektvoll ausziehen muss, bevor ich meine wahre und innere, weibliche Schönheit zeige! Andere Menschen brauchen Kleider, um selbstbewusster zu werden? Ich werde erst selbstbewusst, wenn ich nackt bin. (Ende Teil 2/2)

[31.08.25 / 21:05] Der INTA-Pride Berlin 2025 – ich stelle den Wecker Sonnabend Vormittag auf 7:30 Uhr … eine halbe Stunde habe ich noch abgerungen, von meinen ursprünglich geplanten 7:00 Uhr. Beginn der Demo in Berlin, am Bahnhof Alexanderplatz unterhalb des Fernsehturms, ist auf 14:00 Uhr gesetzt, ich nehme den Regionalzug von 10:03 Uhr von meinem Heimatkaff in der tiefsten ostdeutschen Provinz (mit einer Stunde Puffer, falls der Zug ausfällt). Letztes Wochenende habe ich über drei Stunden gebraucht, bis ich es vom Aufstehen bis zur fertigen Abreise ins Auto geschafft habe. Werde ich es dieses Mal pünktlicher schaffen?

Alles vorbereiten, alles griffbereit. Den Freitag Abend nach der Arbeit, ewig langes Herumsuchen und Ausprobieren vor meinem Kleiderschrank … nehme ich das grüne Kleid? Oder doch lieber das schwarze, orientalisch angehauchte? Wie alle Demos jetzt, ist auch der Pride politisch polarisiert und teilweise eine Pro-Palästina-Demo. Alles ist Pro-Palästina, Pro-Links, Pro-Irgendwas-mit-Minderheiten. Stört mich nicht so sehr, ich will mein fertiges Outfit unbedingt mit meinem orientalischen Silberschmuck kombinieren – ein Schlauchschal zum Vermummen muss unbedingt auch noch mit in die kleine Handtasche.

Mein geplantes Gepäck vergrößert sich um einen schwarzen Umhängebeutel. Vorhergesagtes Wetter: Regen, Sonnenschein, Nebel den Morgen, Gewitter den Nachmittag, strahlend blauer Himmel dazwischen, Temperaturen gegen dreiundzwanzig Grad, plus minus fünf. Packe ich die Regenjacke mit ein? Mein schwarzes Strickjäckchen sowieso … passt die Regenjacke in Camouflage überhaupt zu meinen eleganten Kleidern? Und welche Stiefel? Kampfstiefel? Schnürstiefel? Mehr Fetisch, weil das internationale Fetischtreffen ist das Wochenende auch in Berlin? Ich nehme das orientalische Kleid und die Hi-Top-Sneakers, sommerlich schick. Das Fetischtreffen lasse ich sein, das passt zeitlich nicht – nur die Demo, vielleicht später Einkaufen.

Im Bad stapelt sich alles, was ich mitnehmen will, alles, was ich den Sonnabend kurz nach dem Frühstück brauche: Parfüm, Kajal, Pinsel, Augenbrauenbürste – für den Morgen: orientalisches Duschbad, französische Haarwäsche – zum Gebrauch und Mitnehmen: Zahnbürste, Zahnpasta zum potentiellen Übernachten – für später, den Zug zurück: Abschminktücher. Noch etwas vergessen? Zwei Pack kleine Taschentücher, das kleine Portmonee, ein Haargummi, ein Stift für die Bahnkarte und die kleinen Kopfhörer zum Musikhören im Zug. Mein Strohhut, einen Schirm habe ich nicht mehr, den kaufe ich neu vor Ort.

Den Abend vor Mitternacht, Beine rasieren, Augenbrauen trimmen, fein Nachschneiden, noch einen Film in der Mediathek schauen, vor 1:30 Uhr bin ich im Bett und schlafe präzise sechs Stunden bis ich noch vor dem Wecker auf dem Smartphone wach werde.

Aufstehen in der geplanten Uhrzeit, alles ist durchgetaktet. Entspannt frühstücken auf der Terrasse im Garten … dunkle Wolken, wenn das so bleibt, könnte es angenehm werden. Die letzten Meter zum Bahnhof zu meiner geplanten Abfahrtszeit werde ich gefahren. Der Zug ist voll, mein „Quer durchs Land“ Ticket am Automaten.

Umsteigen in Magdeburg in den Regionalexpress nach Berlin … verwirrende Anzeigetafeln, innerhalb weniger Sekunden wechseln sich die beiden benachbarten Gleise und die Fahrtrichtungen, ich laufe den ganzen Bahnsteig von vorne nach hinten, durch die dichtesten Menschenmassen, nur um danach festzustellen, ich hätte einfach nur stehenbleiben können, wo ich vorher stand. Ich will möglichst weit entfernt sitzen, vor den ganzen Menschen.

Der Doppelstockzug wird spätestens ab Potsdam immer voller. Es geht hinein nach Berlin. Der Himmel ist blau aufgeklart, die Sonnenblende an meinem Sitzplatz oben schirmt nicht die Wärme ab. Immer mehr vorbeirauschende Hochhäuser … alles ab drei Stockwerke ist für mich hoch.

Die Berliner Bahnhöfe, ich kenne die Reihenfolge, die Museumsinsel, der Fernsehturm ganz hinten, gleich bin ich da, am Alex.

Aussteigen, routiniert, als würde ich hier schon immer wohnen, laufe ich im Bahnhof durch die Touristenmassen, auf der Suche nach einer Drogerie oder einen Mini-Markt, zwei Flaschen Wasser und einen Regenschirm kaufen, beides ist kein Problem und landet mit in meiner schwarzen Umhängetasche.

Draußen vor dem Fernsehturm gleich daneben, der kleine, rote Transporter steht schon auf dem Platz. „Ist das der gleiche, rote Transporter, wie letztes Jahr?“ Die Orga-Truppe hat nur diesen einen roten Transporter, ich frage die beiden, ich war letztes Jahr schon da. Sie bauen noch die ganzen Plakate und Regenbogen- und Transgender-Fahnen an. Noch sind noch nicht so viele Demoteilnehmer gekommen, auf diesen überfüllten Platz, ich gehe erst einmal einen Kaffee trinken, in der Kaffeehauskette gleich neben mir und schaue mir von dort aus den weiteren Aufbau an. Unzählige Polizeifahrzeuge, die großen „Wannen“, mehr Berliner Polizisten in ihren blau-schwarzen, martialischen Uniformen, als Demo-Organisatoren. Auflagen werden durchgenommen, im Internet schien das so, als würde das eine ganz radikale und gewaltbereite Pro-Palästina-Demo.

Ein paar trans Frauen gesellen sich mit dazu, unter den Bäumen suchen immer mehr optisch erscheinende, nonbinäre Menschen den Schatten vor der Sonne. Ich bringe meine Kaffeetasse und den Teller zurück zum Tresen und trete auch aus dem Schatten der Kaffeehausfiliale hinaus auf den vollen Platz. Die kleine Gruppe an Demoteilnehmern sondert sich etwas ab, von den vielen Berlin-Besuchern ringsherum. Letztes Jahr waren doch mehr gekommen …

Die Demo beginnt mit ein paar gesprochenen Vorträgen, eine der Organisatoren trägt die Liste mit Auflagen vor und es wirkt bizarr, als wären die paar harmlos erscheinenden, groß gewachsenen trans Frauen und die zierlich erscheinenden Nonbinären, brutale Hamas-Kämpfer und bereit, gleich alles und jeden auf der Stelle zu lynchen, für ihren Kampf gegen Unterdrückung. Die vorgetragenen Texte betonen viel mehr, wie sehr die Gesellschaft Angst vor trans und alles ähnliche hat und genau diese kleine Gruppe, aus Gründen wie auch immer, unterdrückt, unsichtbar macht, verschwinden lässt, oder gleich vernichtet. Macht irgendwie Sinn für mich, wenn wir im gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung Allianzen bilden … nur das mit dem „Trans-Genozid“ habe ich nicht ganz kapiert.

Regenbogen- und Transfähnchen schwenken, wenn hier eine gefährlich ist, dann bin das allerhöchstens ich, mit meiner militärischen Ausbildung und Schnellfeuergewehr-Erfahrung (von vor fünfundzwanzig Jahren).

Die kleine Gruppe von hundert, vielleicht zweihundert, vielleicht später sogar dreihundert Demoteilnehmern setzt sich in Bewegung. Die Route geht vom Alexanderplatz aus Richtung Osten von Berlin. Ich laufe erst vor dem kleinen Transporter, in zweiter Reihe vor dem Front-Transparent: INTA – trans, inter, nonbinär und agender, wir sind nicht unsichtbar.

Der (oder die) DJ in dem Transporter mit den Lautsprecherboxen oben drauf, legt wirklich richtig gute House- und Techno-Musik auf, ich tanze meinen schlendernden Gang … nur immer wieder unterbrochen durch Seek-and-Protect Phasen, wenn der kleine Demozug die vielen Kreuzungen überquert. Berlin ist nicht Magdeburg, so etwas wie dieses „Geisterstadt-Szenario“ können die in Berlin hier nicht absperren, auf den Gegenfahrbahnen ist weiterhin dichter Großstadt-Autoverkehr. Mein suchender Blick geht immer hunderte Meter voraus auf die Gehwege und Passanten, ich achte auf Streamer – neuste Mode der Faschos. Die Lage bleibt ruhig, ich kann nichts entdecken, ich wechsele wieder in meinen entspannten, ich-bin-nur-ein-einfaches-trans-Mädchen Tanz-Modus.

Die Menschen um mich herum, ob die alle aus Berlin kommen, oder von weiter weg? Ein paar trans Frauen, einzigartig und jede für sich, so hübsch wie sie ist. Sind trans Männer dabei, bleiben sie für mich unerkannt. Menschen, deren Pronomen ich nicht nennen kann, und Allies. Die Demo bleibt ab und zu stehen, kurze Vorträge, es bleibt politisch. Den Weg auf halber Strecke wird eine größere Pause eingelegt, die Ansage der überaus hübschen und elegant in einem hellen Hosenanzug gekleideten trans Moderatorin kündigt eine zwanzig minütige, organisatorische Pause an, die Straße bleibt weiterhin blockiert. Zum Glück gibt es Sitzplätze an der Hausfassade neben einem Späti oder ähnliches gleich neben mir. Die Stalinbauten und die beiden markanten Kinos und Eiscafés aus sozialistischen Zeiten, haben wir schon passiert. Mein Blick schweift über die Demoteilnehmer … und da ist sie! Sie ist wieder da, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

In Gedanken gehe ich meine Phantasie durch, was, wenn ich sie ansprechen würde? „Du, ich habe ein Foto von dir, auf meiner Festplatte, schon seit fünfzehn Jahren. Ich konnte es nicht löschen, das Foto von dir, das ist so schön, ich bewundere es immer wieder.“ Nicht so häufig, es ist ja nicht so, dass ich ihr einen Altar gebaut hätte, ich schaue das Foto vielleicht ein oder zweimal im Jahr an. Es ist wirklich ein schönes Foto, wie sie da im Abendschein an der Reling des Queerboots verträumt in die Ferne schaut. Ich weiß nicht, ob es dasselbe Jahr war, in dem ich auch Passagierin auf dem Berliner Queerboot auf der Spree war. Irgendwie musste ich im Internet nach Fotos gesucht haben und bin auf dieses mit ihr gestoßen. Sie hat sich fast gar nicht verändert, sie ist nur fünfzehn Jahre älter geworden … und letztes Jahr war sie hier auch mit dabei. Aber vielleicht täusche ich mich nur und sie sind doch nicht dieselben Personen … aber dieser verträumte Blick und wie sie einzeln für sich durch die Menge schreitet, schwarz gekleidet, schwarze Haare. Neben dem Transporter werden weiter ein paar Vorträge gehalten, vielleicht auch eine Tanz- oder Kunstperformance. Die Ansage, dass es gleich weitergeht, holt mich aus meiner phantasievollen Gedankenwelt zurück. Es geht weiter. (Ende Teil 1/2)

[27.08.25 / 21:38] Laserbehandlung #2 (Haarentfernung #33) – Meine täglich aufgetragene Vampir-Creme, die mit dem milden Lichtschutzfaktor von 25, hilft hier nicht, mein Gesicht ist vom letzten Wochenende zu stark gebräunt. Die drei Stunden auf dem CSD den Sonnabend Nachmittag waren zu viel, ich hätte es wissen müssen … ich hatte auch die stärkere Sonnencreme mit in der Tasche.

Tage später den Mittwoch, die Behandlerin dreht die Einstellung am Gerät auf die leichteste Stufe und fegt routiniert mit dem Laser über Kinn, Wangen und die Oberlippe. „Ist es auszuhalten?“ Ich zucke nicht einmal vor Schmerz zusammen. Kleine Stiche, der Geruch von verbrannten Haaren, hoffentlich wirkt es doch auf meiner für die Behandlung grenzwertig leicht rötlich-braun schimmernden Gesichtshaut.

[24.08.25 / 23:06] Das komplette Leder-Outfit, das wollte ich schon immer mal machen! Der CSD in Magdeburg 2025, die Tage vorher verfolge ich die Wetterberichte … nach den heißen Tagen könnte es eine Abkühlung geben. Die letzten Jahre auf den verschiedenen CSDs (also nur Leipzig oder Magdeburg) war es immer wieder zu sommerlich warm für einen Auftritt ganz komplett in schwarzem Leder, dieses Mal wird es funktionieren!

Der Sonnabend das vorletzte Wochenende im August, der Termin steht schon länger fest in meinem Kalender, für mein geplantes Outfit brauche ich absatzlose Schnürstiefel … vielleicht die Docs, mit weißen Schnürsenkeln? Zu kurz, zu aggressiv – draußen beim Frühstück auf der überdachten Holzterrasse fühlt es sich schon wie Herbst an – ich nehme die hohen 22-Loch-Schnürstiefel ohne Absatz (die Nacht vorher eingefettet), zusammen mit dem schwarzen Ledermini, der schwarzen Baumwollleggings und meiner schwarzen Lederjacke, eine ausgezeichnete Wahl. Noch sehe ich aus wie immer, auf jeder Grufti-Party – ich brauche noch meine schwarzen Lederhandschuhe! Dieses Accessoire lässt mein Erscheinungsbild final in das Abstrakte kippen, so wie ich, läuft hier niemand herum.

Der Sonnabend Vormittag, ausschlafen, aufstehen, wann ich will, die Demo in Magdeburg fängt frühestens dreizehn Uhr an und ich nehme das Auto. Stiefel glänzend polieren, Beine vom Vorabend nachrasieren, duschen, draußen frühstücken, zurück ins Bad, Parfüm, schwarze Unterwäsche und Make-up. Dezenter, schwarzer Kajal-Strich, sieht sowieso keiner – zu meinem schwarzen Leder-Outfit kombiniere ich die dunkle Sonnenbrille, halb Achtziger-Jahre-Pilot, halb Cat-Eye. Ich bin zu spät, als ich mich ins Auto setze, ist es schon 11:40 Uhr, das „Politische Gespräch“ vor der Demo habe ich auch diese Jahr verpasst. Ich starte den Motor und öffne über die Fernbedienung das Garagentor.

Den Weg hinein in die Magdeburger Innenstadt, ich parke mein Auto in dem Parkhaus, wo ich immer parke, das unter dem Einkaufszentrum in der Innenstadt nahe dem Alten Markt. Noch in der Tiefgarage ziehe ich die Schnürsenkel meiner Stiefel nach. Den Weg nach oben über den Fahrstuhl betrete ich schon in meiner kompletten Lederkluft: die schwarzen Stiefel, der schwarze Lederrock, die bis oben geschlossene, schwarze Lederjacke, die getönte Sonnenbrille, meine Finger in meinen schwarzen Lederhandschuhen ertasten vorsichtig den Knopf in die obere Etage, zum nächsten Ausgang des Einkaufscenters auf die Straße. Jeden Muskel in meinem Gesicht bewusst entspannen, keine Mimik, keine Freude, nur diese Art von unnahbarer Eleganz … K. L.

Oben, über die mehrspurige Straße und den Gleisen, rüber zum Alten Markt, wie wird die Polizei ihr angekündigtes Sicherheitskonzept umgesetzt haben? Auch dieses Jahr hat sich wieder eine rechte Gegendemo angekündigt. Der Marktplatz vor dem Rathaus ist überraschend offen gestaltet, ich kann einfach so hinüberschlendern. Viele Demo-Teilnehmer sind schon gekommen, aber weniger als die letzten Jahre. Auf der Bühne die üblichen Drag-Queens, die durch das Programm leiten. Ich schaue mir die Stände an, laufe meine Runde, beobachte die anderen Teilnehmer. Ich entdecke sie auch dieses Jahr: die drei Leder-Schwulen, die mir als Inspiration dienten. Rüber zu dem Stand der Puppys, ich orientiere mich an der schwarz-blau-weiß-roten Leather-Pride-Flagge.

„Letztes Jahr waren hier aber mehr Stände“, ich vermisse das Bälle-Bad.

„Ja, kann schon sein …“

„Möchtest du einen Aufkleber?“

Ich bekomme einen grünen Pfoten-Sticker auf meine Lederjacke von einer zweiten Person von diesem Stand. „Mal sehen, wie lange das bei diesem Wetter auf meinem Leder hält“, der Himmel verdunkelt sich, jeden Moment könnte aus diesen grau-blauen Wolken wieder ein Schauer entstehen. Schwieriges Wetter, Sonnenbrille, Sonnencreme und Regenschirm.

Weiter zu der Aufstellfläche von den Demo-Trucks, nicht alle Parteien, eigentlich nur eine. Ein, zwei größere Firmen, gleich zwei größere CSD-Trucks und ein kleiner Laster mit obligatorischen Antifa-Flaggen – irgendwo hier sollte dieses Jahr doch auch ein queerfeministischer Block mitlaufen? Ist es dieses Fahrzeug? Meine erste Wahl. „Women Pride“ steht auch ganz hinten drauf.

Nach dreizehn Uhr, der Zug setzt sich in Bewegung, gefühlt zweitausend Menschen verteilen sich hinter die verschiedenen Fahrzeuge – es sind weniger Menschen, als das letzte Jahr. Die beiden großen CSD-Trucks nehmen die Wagenkolonne in die Mitte, es wirkt fast wie eine Wagenburg. Ungewöhnlich, mein linksradikal angehauchter Block ist dieses Mal das „vorletzte“ Fahrzeug.

Ein paar ganz vereinzelte Antifa-Flaggen – es dominiert die Regenbogenfahne. Der Block in dem ich mich befinde – von hinten lärmt der große Truck, von vorne dreht der DJ den Pegel seiner Anlage auf seinem Truck voll auf – der kleine Laster ein paar Meter vor mir hat zwar auch eine Anlage, aber die ist kaum zu hören. Innerhalb dieses Blocks wirkt es wie in einem Schweigemarsch, zu laut, um sich zu unterhalten, zu chaotisch, um zu irgendeiner von dieser Musik zu tanzen. Der Wind und der Regen zerfetzt meinen Schirm, der war aber auch schon vorher kaputt, hält immer nur ein Jahr. Die letzten Meter bis zur ersten Kundgebung auf dem Domplatz spanne ich ihn wieder auf, um mich vor der Sonne zu schützen. Ich kenne das, wenn ich mit meiner anderen Lederkluft, die Lederkombi zum Motorradfahren irgendwo in der Sonne stehe, sollte das angekündigte Wetter nicht einen bestimmten Temperaturbereich überschreiten …

Am Domplatz, für einen Moment die Lederjacke öffnen, die Handschuhe ausziehen und eine Flasche Wasser aus meiner ebenso schwarzen Lederhandtasche ziehen. Auch hier gibt es eine Kundgebung vor dem Landtag, aber davon bekomme ich nichts mit, ich sitze lieber im Schatten auf einer Bank. Letztes Jahr waren hier viel mehr auf dem Platz.

Die Puppys sammeln sich, die sind auch immer weit hinten im Demozug. Ich werde mit einem Handwinken begrüßt, die kleine Gruppe trans Frauen ist auch mit dabei! Ich winke zurück, ohne Worte, der Demozug hat sich schon in Bewegung gesetzt und Musikanlagen schallen wieder über die Straßen und machen eine Gesprächsgelegenheit unmöglich. Von irgendwo drückt mir jemand eine kleine Regenbogenfahne in die Hand, ich freue mich wie ein kleines Kind, jetzt habe ich endlich auch etwas zum Winken. Die nächsten Meter habe ich vor, hinter oder neben mir immer eine trans Frau mit dabei. Vielleicht könnte ich sie später nach der Demo ansprechen, ob eine von denen nächstes Wochenende auch mit nach Berlin fährt.

Der Demozug kreuzt die Route des letzten Jahres, irgendwo hier wurde er mal aufgehalten, ein Trupp Jung-Faschos hatte es bis heran geschafft. Wo sind sie dieses Jahr? Es ist nichts von ihnen zu sehen oder zu spüren, es sollen mehrere hundert von ihnen hier irgendwo sein? Das neue Sicherheitskonzept der Polizei – die Uniformierten sind überall, Polizeifahrzeuge bis zum hintersten Horizont, bis in die hintersten, noch kaum mehr zu erkennenden Straßenkreuzungen. Die müssen das hier wirklich ganz großflächig abgesperrt haben, um die beiden verfeindeten Lager voneinander zu trennen. Ich fange an, die Polizisten als meine Freunde zu betrachten. Es ist nicht mehr so unbeschwert, wie noch vor der großen Pandemie, aber verglichen mit dem Winter-Pride und der Demo letztes Jahr … ich fühle mich sicherer.

„Alerta, alerta, antifascista!“ Ein kleiner Trupp Vermummter schirmt mit ihren Bannern eine kleine Stelle, ziemlich am Ende der Demoroute, von der Straße ab. Ist da was? Sind da doch ein paar von denen? Neugierig verlasse ich die Demo ein paar Schritte seitwärts und stelle mich hinter den Demonstrierenden mit ihren Bannern. Blick nach rechts und links, die tragen alle Sonnenbrille und Hygienemasken – ich vermumme mich auch, ich habe aber nur meine kleine Regenbogenfahne, die ich mir vor mein Gesicht halte. Bloß nicht zu erkennen sein – der Typ, der da hinten von den uniformierten Polizisten eingekreist wird, er könnte eine Kamera an einem Stativ halten. Ich drehe mich wieder weg und laufe der Demo hinterher. Der letzte CSD-Truck hat mich schon passiert, bis zu dem kleinen Laster und meiner trans Gruppe schaffe ich es nicht mehr! Ich bin wieder allein. Den großen Truck erreiche ich noch und die letzten zehn Meter kann ich wenigstens noch endlich tanzen.

Der CSD hat den Alten Markt wieder erreicht, noch eine Runde über den Platz, lange hatte ich nicht vor, zu bleiben. Die auftretenden Bands sind „beschissen“, glaube ich zumindest, ein Programm wurde nicht veröffentlicht. Eine große Regenbogenfahne wird vor der Bühne aufgerollt, ein schönes Fotomotiv, auch ich krame mein Smartphone aus meiner Tasche. Die Demo ist vorbei, mein „Leather Woman“ Auftritt ist beendet, die schwarzen Lederhandschuhe landen in meiner schwarzen Handtasche und meine Lederjacke reiße ich auf – jetzt wieder als obligatorische Punkerkutte, Aufnäher, Buttons und Nieten glänzen am inneren Revers.

Weiter vom Alten Markt runter, zu der Einkaufsstraße zwischen den Warenhäusern, Mittagessen. Bestimmt schon sechzehn Uhr den Sonnabend Nachmittag, ein Burgerladen gleich gegenüber, eine Filiale dieser Kette, die ich auch von Leipzig kenne. Ich setze mich, geschützt vom Wind, in den Innenbereich der Gastronomie. Wie immer: veganer Patty-Burger, Süßkartoffelpommes und ein großes Glas Zitronenlimonade mit Eiswürfeln und Minze.

Weiter in die Drogerie gegenüber dem Einkaufszentrum, ich bin auf der Suche nach dieser exotischen Seife, die in meinem Bad zu Ende gegangen ist. „Marrakesh Promise“ – ich suche im Regal für Handseife und Naturkosmetik. Der Hersteller hat jetzt andere Duft-Nuancen im Programm. Mir fällt ein weiteres Produkt auf, es verspricht den Duft und das Gefühl von Hammam-Seife – das landet in meinem Einkaufskorb!

Wieder draußen, ich habe parallel an zwei Kassen gewartet, die sind da irgendwie nicht klargekommen mit dem Sonnabend-Nachmittag-Ansturm von Einkaufenden – dem Kassenzettel nach, ist es schon kurz vor halb sechs, ich wollte schon längst wieder zurück nach Hause fahren. Da ist noch dieser eine Asia-Laden dort drüben, in der Nähe vom Alten Markt, der ist so groß, die haben alles. Finde ich in den Tiefkühltruhen endlich das Eis, von dem ich in Tokio süchtig wurde? Sie haben viele Eissorten in der Truhe, in dem Laden verbringe ich gefühlt eine halbe Ewigkeit, starrend und staunend über dem großen Glasdeckel. Matcha-Eis mit roter Bohnenpaste, grünes Matcha-Eis ohne Paste, Kartons mit mehreren Stück Eis am Stiel und einem Zettel mit dem freundlichen Hinweis, nicht die Packung zu öffnen und nur ein einzelnes Eis herauszuholen. Mein Waffel-Eis, das ich suche, finde ich hier nicht.

Wieder draußen, die paar Meter zurück zu der Einbiegung zum Alten Markt. Schon wieder ein paar Vermummte und ihre großen Banner. Gibt es hier was? Doch ein paar Faschos? Doch Randale und Ausschreitung? „Laaangweilig.“ Ich stehe erst seitlich der Polizisten, beobachte die Szene. Tippele dann schnell hinter die Banner und schau den Demonstrierenden über die Schulter. Nichts zu sehen … Warum steht ihr hier, da ist doch nichts? Ich schaue noch einmal um die Ecke, neben den Polizisten und drehe mich dann um und laufe an dem ganzen vorbei, wieder zurück Richtung Einkaufszentrum und der Tiefgarage. Nichts los dieses Jahr, keine Faschos, die müssen schon die Polizisten anpöbeln, damit endlich „Action“ ist. Was ich nicht weiß, ich bin einem „Rechten Streamer“ ins Bild gelaufen, der am Rande des CSD, bis hin vor die Bühne, sein Unwesen getrieben hat.

Zurück zu meinem Auto in der Tiefgarage. Drei Läden noch, ein Kleid anprobieren, leider nicht meine Größe, ein anderer Laden, die Jacken mit dem Teddy-Fell abstreifen, ein dritter Laden, nichts, was mir ins Auge springt. Auch dieser Tag ist freundlich für mein Urlaubs-Budget … nach der Anzahlung für die nächste Reise bin ich schon wieder fünf Tage vor der Gehaltszahlung im Dispo. Die nächsten Wochen und Monate könnten schwierig werden, die Firma hat Kurzarbeit angekündigt. Vor mir liegt noch der Trip nach Berlin, ein weiteres Wochenende mit einem Festival in Berlin und meine Urlaubsreise, auf eine der Inseln von Griechenland (und es nicht Mykonos).

Mit dem Auto zurück zu meiner Wohnung in dem Provinzkaff, Kajal aus den Augen wischen, vor dem Computer sitzen, im Internet nach so einer Jacke mit Teddy-Fell gucken (in Tarnfarben) … aber eigentlich habe ich schon meinen französisch schwarz-grauen Kuschelmantel für den Herbst und Winter.

[06.07.25 / 19:57] Fahre ich zum CSD nach Leipzig? Es fühlt sich komisch an, ich weiß, das Wochenende naht und ich bin bis jetzt jedes Jahr zum CSD nach Leipzig gefahren. Nur dieses Jahr nicht. Stealth trans, alles vermeiden und leugnen, was auf meine verborgene Vergangenheit hindeuten könnte. Für das letzte Wochenende im Juni ist ein Nachmittag und ein Treffen mit den Arbeitskolleginnen in einer Strandbar an der Elbe geplant, das Wetter ist schön, angenehmer Sonnenschein, kein Regen, ein schöner Sommertag. Ich weiß genau, was ich anziehen werde – das neue, schwarze Kleid mit dem goldenen, aufgedruckten Paisley-Muster, superkurz, fast eine Tunika und weite, ausladende Ärmel, Bohéme-Chic.

Ich stelle mich schon darauf ein, den Sonnabend ganz entspannt zu beginnen, frühestens um elf Uhr den Vormittag aufstehen … so gegen neun, ich wache auf und prüfe das Smartphone neben meinem Bett. Abgesagt. Alles umplanen, das muss jetzt schnell gehen! Dann fahre ich eben doch nach Leipzig! Ich springe aus meinem Bett, hätte ich geplant, nach Leipzig zu fahren, hätte ich den Zug genommen, da wäre noch eine Party nach der Demo, in Connewitz. Beine rasieren, für mein Kleid, den Zug schaffe ich schon lange nicht mehr, ich nehme das Auto. Ein Frühstück draußen auf der Terrasse im Garten, keinen Kaffee, keine Zeit, die Tasche zusammensuchen – ich nehme die schwarze Stoffhandtasche – nur leichtes Gepäck. Kein Übernachtungs-Kit. Der Parfümstoß schweres, orientalisches Parfüm und ich bin draußen in der Garage in meinem Auto. Wenn ich es bis um elf hierhin schaffe, dann fahre ich los.

Auf der Autobahn, ich wollte es langsam angehen, die Geschwindigkeit auf der linken Überholspur wird immer schneller. 120, 130 … 150, 160? Ein Auto bremst, irgendwo da vorne, kurz vor Halle, kurz bevor die Autobahn dreispurig wird. Ich drücke auf die Bremse, ich stehe schon auf der linken Spur, vor mir die Bremslichter des vorausfahrenden Autos. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können.

In Leipzig, Blinker rechts auf meine Ausfahrt, ich weiß, wo ich parken kann, wenn in der Innenstadt wieder so viel Verkehr ist, wenn da wieder die Polizei alles wegen der Demo absperrt, wenn da wieder irgendwelche Faschos irgendwelche Gegen-Demos anmelden – ich parke weit abseits in der Gegend, wo ich mal gewohnt habe. Ich biege die Straße bei meinem Lieblings-Bäcker ein, bestimmt habe ich hier auch mal vor Jahren schon mein Auto unter den Bäumen und auf diesen Kopfsteinpflaster geparkt.

Nur fünf Straßenbahnstationen zum Hauptbahnhof, keine Kurzstrecke, ich muss das volle Ticket aus dem Automaten ziehen. Mit dabei neben meinem ultrakurzen Kleid / Tunika habe ich noch meinen Strohhut und die Hi-Top-Sneakers gewählt. Kapuzenpullover bleibt im Auto.

Am Hauptbahnhof vorbei, die nächste Station zum Augustusplatz … werden viele gekommen sein? Die Rechten und ihre Gegen-Demos vom letzten Jahr, das schreckt ab, das macht Angst, ich wollte doch auch nicht mehr kommen. Ich steige aus der Straßenbahn aus und laufe rüber zu dem großen Platz vor der Oper. Es sind doch einige gekommen, nicht so viele wie letztes Jahr, vielleicht gefühlt ein Drittel weniger, aber doch eine starke Demo.

Viele Plakate, viele Fahnen, Regenbogen, bunt, unterschiedlichster Art. Ein paar starke Drag Queens, die „Tier-Liebhaber“, jetzt in militanten Tarn-Uniformen. Die Ordner, die fast schon aussehen, wie in den USA mit ihren taktischen Westen und dem halbautomatischen Schnellfeuergewehr – zum Schutz der queeren Demo – entdecke ich nicht. So schlimm ist das hier noch nicht in Deutschland. Es dauert, ehe sich irgendetwas zwischen den bereitstehenden Demo-Trucks bewegt, eigentlich hätte ich mich gar nicht beeilen müssen, eigentlich hätte ich noch eine Stunde Extra-Zeit gehabt. Noch schnell einen Kaffee? Nein, doch nicht, ich nutze die Zeit zwischen den Arkadengang und den Bäumen am Eingang der Fußgängerzone zum Eincremen meines ganzen Körpers, Arme, Beine, Brust und Gesicht, mit Sonnencreme aus meiner schwarzen Umhängetasche.

Es geht so langsam los, es sind noch viel mehr Leute gekommen. Ich glaube, die meisten Menschen sammeln sich am hintersten Ende, den letzten Wagen, der linke und antifaschistische Block. Der Block mit den schönen Menschen. Techno-Musik wird aufgelegt, immer wieder Rufe, die bekannten Sprechchöre, kraftvoll und voller Wut. Wo sind sie, die Rechten? OK … keiner da, nichts zu sehen, die Polizei hat alles im Griff. Früher auf den linksextremistischen Demos, hätten wir die Polizei angegriffen, aber das ist hier der CSD, da sind das unsere „Freunde“, ohne dass wir denen so hundert Prozent vertrauen …

Ich tanze hinter den Trucks, auf den Kreuzungen ändert sich mein Blick und meine Bewegung, ich blicke in die Straßen rechts und links, nicht alle sind mit Polizeifahrzeugen blockiert, hier und da entdecke ich ein Auto von einer Seitengasse auf die Nebenstraße einbiegen … wenn der jetzt Gas geben würde. Ich befürchte schon lange so ein Attentat auf einen CSD hier irgendwo in Deutschland, es ist nur eine Frage der Zeit, bis so ein verrückter (wieder) kommt. Schnell wechsele ich von meinem militärischen Aufklärungsmodus wieder in den entspannten Tanz-Modus. Ich vermisse die Zeiten, wo das alles noch ein Riesen-Spaß war, einfach nur ein bisschen Party machen und richtig schöne, bunte Menschen entdecken. Irgendwann, die letzten Jahre, wurde es zu politisch und das zieht immer Gegner und Hass an.

Die Demo zieht durch die Innenstadt von Leipzig, sie haben mit zehntausenden Menschen gerechnet, um diese Masse zu bewältigen, muss die Demo in einem größeren Kreis um den Innenstadtkern herumgezogen werden. Die Sonne brennt, mein Tunika-Kleid sah erst zu Hause im Garderobenspiegel zu ungewohnt kurz aus, jetzt bin ich glücklich, nicht noch eine Leggings darunter angezogen zu haben. Die erste Flasche Wasser habe ich schon ausgetrunken, ich wechsele auf die zweite Flasche. Ich komme in ein kurzes Gespräch mit dem Nachbarmann neben mir, mein Blick wandert von dem Aufklären der Nebenstraße zu ihm. Ein kurzer Aufschrei von hinten, ich habe meinen Blick schon gesenkt, ein kleines Mädchen sammelt vor mir die bunten Glitzerstreifen der Demo auf. Ich bleibe stehen, ziehe meinen rechten Fuß langsam zurück. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können! Ein zweiter, solcher Moment. Nur wenige Zentimeter, ich hätte ihr auf die kleinen Hände getreten. Ich glaube, ich bin hier auf dieser Demo in einem so hohen Adrenalin-Spiegel, ich bekomme alles mit … und ich bin auch bis oben dicht mit weiblichen Hormonen, mir fällt jedes kleine Kind hier auf und aktiviert meinen Beschützerinstinkt.

Am Marktplatz und Hauptbahnhof vorbei, wieder zurück auf den Augustusplatz zwischen Gewandhaus und der Oper. Nach der Demo ist das Fest mit der Bühne auf dem großen Platz. Ich mache noch eine Runde zwischen den aufgebauten Ständen, bis ich einen entdecke, irgendwo steht immer einer von einer Organisation für trans Menschen. Eine blau-weiß-violette Postkarte, „Trans is beautiful“, ziert von nun an die untere Ecke meines Garderobenspiegels zu Hause im Flur. Lange bleibe ich nicht zwischen den Ständen, die heiße Sonne drückt und ich habe auch nicht so das Interesse an dem Bühnenprogramm. Zurück in die Innenstadt, die Fußgängerzone, den frühen Sonnabend Nachmittag, ein Eis essen.

Weiter zum Marktplatz, weiter zu meiner obligatorischen Runde in dem Kaufhaus. Angenehm klimatisierte Temperaturen, die Summer-Sale-Kleiderständer mit den Augen abstreifen … mein Filter sucht ein schwarzes Polo-Kleid. Für einen kurzen Moment, Anfang des Jahres, sah es so aus, als könnte es wieder modern werden. Leider nicht, es ist kein Trend daraus geworden, ähnliche Safari-Kleider finde ich auch nicht mehr.

Weiter zu Kaffee und Kuchen auf dem kleinen Platz am anderen Ende der Leipziger Fußgängerzone mit der Kirche, die „irgendetwas mit Bach“ zu tun hat. Mein erster Kaffee für diesen Tag. Weiter danach, zurück in die Fußgängerzone hinein, in das italienische Restaurant versteckt in einem schattigen Innenhof, den Menschenmassen entfliehen, eine Pizza bestellen.

Ich wohne nicht mehr in Leipzig, eine Dusche wäre jetzt nett – und dann den Abend zu der Party irgendwo in Connewitz. Von irgendwo höre ich die Kirchenglocken, es muss achtzehn Uhr oder so etwas sein. Die Pizza bezahlen, die Straße wieder rauf zum Hauptbahnhof laufen, die große Uhr an dem imposanten Gebäude zeigt es an, es ist bereits irgendwo zwischen achtzehn und neunzehn Uhr.

Die Bahnhofstoilette, mein zweites Badezimmer – ich verbringe hier immer viel Zeit. Nur ein Euro und ich habe die großen Waschbecken und Spiegel für mich. Mit viel Seife und noch viel mehr Papiertüchern zum Abtupfen, wasche ich mir die ganze Sonnencreme von meinem Körper … Beine, Arme, Brust und Gesicht, nur das Kleid kann ich hier nicht ausziehen, das geht nicht, zumindest trage ich eine etwas längere, schwarze Unterhose, nicht den knappsten und kürzesten Tanga. Es geht ungewöhnlich gut, keinen Stress, ich nehme mir meine Zeit. Wechsel zum Schminkspiegel hinter mir, den schwarzen Kajalstrich an den Augenlidern führen … das hintere Ende geht jetzt mal vom Lidende zurück zum Auge. Ich habe den falschen Pinsel aus meiner Kosmetiktasche gegriffen, der ist eigentlich für den Lidschatten, die rauchig schwarzen Augen wirken jetzt noch viel rauchiger. Mit dem Finger leicht nach unten ziehen, die schwarze Farbe kommt über das untere Augenlid und dem Wimpernkranz. Wieder die Brille aufsetzen und so übel ist das jetzt nicht geworden. Bereit zum Ausgehen nach Connewitz.

Mit der Straßenbahn zurück zum abgestellten Auto und dann mit offenen Verdeck in Richtung Südstadt und weiter zum Kreuz, mein Parkplatz am Werk 2, wo ich wenige Wochen zuvor, Pfingsten schon war. Wo ist der Einlass, die große Halle hinten oder die kleinere Halle vorne? An der Halle hinten stehen Menschen, erst mal mit anstellen, eine Ticket-Kasse – hier ist den Abend eine kontemporäre Tanzvorführung … wäre bestimmt auch interessant gewesen, aber dafür bin ich nicht hier. Zurück zum Eingang der kleineren Halle mit dem Zugang nach unten. Ein aufgestellter Plakatständer weist darauf hin, dass hier heute Abend die queere Party-Nacht läuft. Einlass ist erst zwanzig Uhr.

Die ersten Gäste sammeln sich und warten, dann der Einlass … ich muss Eintritt bezahlen? Im Internet stand, dass das hier heute kostenlos ist – nur das „Speed-Friending“ von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr ist kostenlos, die Party danach nicht, die kostet fünfzehn Euro. Ich bekomme ein Papierbändchen um mein Handgelenk für die Party danach.

Unten im Club-Keller, auf der dunklen Tanzfläche sind einige Stehtische aufgebaut, mit großen Papieren mit Themenvorschlägen für Fragen und Dinge, über die sich die anwesenden Gäste unterhalten könnten. Seitlich sind auch wieder ein paar niedrige Tische mit Sitzgelegenheit und noch viel mehr Themenblätter aufgebaut. Die Organisatorin erklärt das Ganze, setzt euch einfach irgendwo dazu, beginnt ein Gespräch oder hört einfach nur zu. Am Eingang, an dem ersten Bartisch liegen die Aufkleber: deine Pronomen, dein Geschlecht und was du suchst, Flirt, Freundschaft oder einfach nur nichts. Ich kreuze Flirt und Freundschaft an und setze mich in die Hobby-Ecke, über Hobbys erzählen, das kann ich, ich habe interessante Hobbys.

Smalltalk, ungezwungen, den anderen zuhören, Fragen stellen. Meine Hobbys sind Blog-schreiben und Motorradfahren. Und was habt ihr so für Hobbys? Vielleicht ergibt sich ein Flirt, vielleicht lerne ich jemanden kennen, vielleicht entdeckt jemand die kleine dahingekritzelte Zeichnung auf meinem großen, runden Aufkleber auf meiner Handtasche – ich suche eine Dusche (vielleicht auch eine Übernachtungsmöglichkeit). Ich stehe noch an weiteren Ständen, für „Self-Care“ und Smalltalk allgemein … aber es ergibt sich nichts weiteres. Muss es auch nicht. Die zwei Stunden gehen sehr schnell rum. Ich bedanke mich bei der Organisatorin gegen Ende dieser ungewöhnlichen Veranstaltung, ich kann doch auch auf Menschen zugehen und ein Gespräch beginnen … vielleicht habe ich nur nicht so interessante Hobbys.

Wieder draußen, alle müssen raus zum Umbau. Das Absperrgitter wird wieder vor die Eingangstür geräumt, die Wartelinie für den Einlass. Wieder die Menschen mit der Aufschrift „Sicherheit“ auf ihren Westen. Ich habe meinem Freund keine Nachricht geschrieben, er weiß nicht, dass ich in Leipzig bin. Ohne ein Hotelzimmer macht das keinen Sinn, wo sollte ich mit ihm hin? Und hier hat er jetzt Probleme mit der Security. Ein Awareness-Team mit den lila Westen gibt es diesen Abend auch.

Der Einlass öffnet sich wieder, ich gehe mit meinem Papierbändchen durch. Es kommen mehr Leute, aber viele sind es nicht. Die erste DJane legt einen Neunziger-Jahre-Eurodance-Hit nach dem anderen auf. Ich habe da nie zu getanzt. Bei „Barbie Girl“ muss ich dann doch auf die Tanzfläche. Die meiste Zeit sitze ich in der dunkelsten, hintersten Ecke auf einem Barhocker an einen der Stehtische. Der eine Mann, der sich zu mir gesetzt hat, für den ich immer auf seine Tasche aufpasse, wenn er nach draußen eine Zigarette rauchen geht oder an die Bar, ist mindestens auch zwanzig Jahre älter als die anwesenden Gäste, die auf der Tanzfläche herumhüpfen. Er kennt die Songs bestimmt noch von früher, Anfang und Mitte der Neunziger. Ich auch, ich habe mich 1997 mit fünfzehn von der Teenie-Disko in die Erwachsenen-Disko danach geschmuggelt.

Irgendwann nach Mitternacht, die DJane hat gewechselt, die neue legt jetzt 2000 oder 2010er auf, damit kann ich nichts anfangen, da war ich schon tief in der Gothic-Szene. Den einen Mann begegne ich noch am Ausgang, ich bemerke seine grauen Haare, er war tatsächlich wesentlich älter, als die da drinnen. Bleibe ich noch? Wird es besser? Ich bin mit dem Auto hier, ich weiß, dass ich dann nicht so lange bleiben kann, ich will nach drei Uhr den Morgen nicht mehr fahren. Ich sehe, dass sich an der Einlassschlange nicht so viel mehr tut, es kommen zwar noch ein paar, aber voll wird das hier nicht. Zurück zu meinem abgestellten Auto.

Die Nacht die Autobahn zurück nach Hause, ein angemessenes Tempo. Jedes Kilometerschild wird die Zeit zurück geschätzt, noch vierzig Minuten, noch dreißig Minuten … bis nach Magdeburg. Im Autoradio laufen die ganzen Bands vom MP3-Stick, die ich Pfingsten live gesehen habe. Gedanken … das Kleid ist schön, das sollte ich die nächsten Tage noch einmal auf Arbeit tragen. So eine aggressive Gegen-Stimmung war es doch nicht auf dem CSD, verschwindet die queere Bewegung aus dem Fokus? Hier und da Nachrichten aus meiner Blase, die das nicht bestätigen. Weitere Termine in meinem Kalender, noch ein Bikertreffen, noch ein Festival in Leipzig – ich bin die nächsten Wochenenden noch viel mehr unterwegs. Zwei Uhr und nochwas, das Garagentor geht auf, endlich in meiner Wohnung, endlich in mein Bett fallen. Sachen von meiner Couch zusammenräumen, mache ich den Sonntag in ein paar Stunden, nur wieder schnell im Bad den Kajal aus den Augen wischen. Habe ich jemals jemanden kennengelernt, als ich noch stark geschminkt war? Ja, aber da war ich noch viel jünger.

[01.07.25 / 21:35] Laserbehandlung #1 (Haarentfernung #32) – Seit einiger Zeit beobachte ich wieder einige dunkle Schatten am Mundwinkel und der Bereich am unteren Kinn, während ein paar langen Wochenenden dieses Jahr (Ostern, Erster Mai) zeigten sich einzelne, dunkle Haarstoppeln … ich muss wieder einen Termin bei meinem Kosmetikstudio machen! Auf der Internetseite – der Name des Studios hat sich verändert, aber die Adresse und die Inhaberin sind noch gleich, eine Email, ein Telefonanruf … frühestens Anfang Juli ist noch ein erster Beratungstermin wieder frei. Sie haben ihre Ausrüstung modernisiert, zusätzlich zu IPL bieten sie jetzt auch Laser- und Nadelepilation an … ich bin gespannt.

Mein Termin, die Bartstoppeln wachsen lassen, das Wochenende und die ersten Tage der Arbeitswoche – da muss ich jetzt durch. Ich lege mir schon eine Ausrede zurecht: „Jetzt ist es raus, mein Geheimnis, ich bin eine bärtige Drag Queen!“ Aber anscheinend fällt es niemanden auf, ich bekomme sogar Komplimente für mein hübsches Kleid (das vom letzten CSD in Leipzig). Die kratzigen Bartstoppeln sind nur einen Millimeter dick und weitestgehend hellblond.

Die Kosmetikerin schaut sich das alles unter der hellen Lampe an, die zehn oder fünfzehn dunklen Haare kann sie gleich in der ersten Sitzung mitbehandeln, sie schlägt den (kosmetischen) Laser vor, der wirkt punktuell. Die anderen, hellen Haare, vielleicht später bei den nächsten Sitzungen mit der Nadel. Ich liege wieder auf der Liege in dem Behandlungsstudio und bekomme die Laser-Brille auf.

Fast keine Schmerzen. Es fühlt sich an, als würden sie nur ausgezupft. Der Geruch verbrannter Haare. Ist es das? Kein Vergleich zu meinen allerersten Sitzungen von vor über zehn Jahren, als noch großflächig mit viel Druck und brutalen Schmerzen bis auf den Knochen der ganze, verdammte Bart vaporisiert wurde. Am Bezahlterminal wieder draußen, zücke ich meine EC-Karte … so viel Geld für die paar Piekser. Wenn es nicht brutal wehtut, bringt es nichts? Vielleicht sollte ich von meinem Erwartungs-Denken abrücken. Haarentfernung muss nicht schmerzhaft sein.

[31.03.25 / 22:09] „Transgender Day of Visibility“ – und ich habe das Gefühl, ich bin unsichtbarer als jemals zuvor.

Die Regenbogen-Emojis sind weg, die Regenbogenflagge hinten an meinem Auto ist weg. In den Nachrichten wird auch nicht mehr davon berichtet, ich spüre, die ganze Welt nimmt Abstand von dem „Trans-Wahnsinn“. Schön für mich, schön für uns. Aus der Schusslinie verschwinden, nicht auffallen. Ein normales Leben leben … Endlich Rentenversicherungsbriefe bekommen, die mich wieder als „Frau“ adressieren!

[14.03.25 / 21:26] Deep Stealth … es hat nur wenige Sekunden gedauert, ein paar Klicks in dem Profil auf der Porno-Seite und die vier Teile meines vor zwei Jahren hochgeladenen Amateur-Erotik-Filmchens sind komplett verschwunden. Noch ein paar weitere Änderungen in dem Profil, Texte entschärfen, Texte löschen, das Thema trans nicht mehr erwähnen, nur das Geschlecht „transsexuell“, das ich bei der Anmeldung mal angegeben habe, ist fest und nicht veränderbar. Ich werde das Profil nicht mehr lange halten und in nächster Zeit komplett löschen. Bis dahin kann ich da noch zwei Friedhofsbilder von mir als „Gothic Girl“ für Zehn Cent verkaufen.

Das Video von mir, in dem ich mich auf meiner Leopardendecke im dunklen Schein der Nachttischlampe räkele, ich konnte tatsächlich jeden der vier Teile je ein oder zweimal verkaufen, aber die Auszahlgrenze von 50 Euro habe ich nie erreicht. Dafür haben sich einfach viel zu wenige für meine Inhalte interessiert, so alle paar Monate vielleicht einer.

Mein Experiment, ich hatte da so eine Theorie: Wieso werde ich in Bars und Diskotheken, wenn ich die Nacht ausgehe, so selten von Männern angesprochen, bin ich vielleicht zu hübsch und die trauen sich nicht? Oder bin ich einfach wirklich zu unattraktiv und uninteressant? Finde es heraus … Ich stelle ein Porno-Video von mir online ins Internet, auf einer Porno-Seite – jeder Mann kann dort ohne Angst draufklicken, das Hemmnis, mich anzusprechen, ist vollkommen eliminiert!

Niemand klickt die Videos an. Ein vernichtendes Fazit. Ich muss vollkommen unattraktiv und uninteressant sein. Ich bin in etwa so attraktiv, wie eine Badfliese, hübsch anzusehen, aber hat mit Sex überhaupt nichts zu tun. Damit kann ich mir gleich, wie jeden Abend, dieselben bestätigenden Blicke im Badezimmerspiegel zuwerfen. Ich entferne mich immer weiter von den Gedanken, Sex und Beziehungsmomente in meinem Leben einzubauen.

Die letzten beiden Männer haben einfach zu viele Fragen in die Richtung gestellt und einen Verdacht aufkommen lassen. Meine Tarnung gebe ich nicht auf, bevor es kritisch wird, verschwinde ich einfach, antworte nicht mehr auf ihre Textnachrichten, treffe sie nicht mehr. Deep Stealth zermürbt. Deep Stealth ist eine harte Entscheidung. Ein einsames Leben.

[14.03.25 / 21:25] Meine Idee, komplett auf „Deep Stealth“ zu gehen und was ich lange mit mir herumgeschleppt habe: die Sozialversicherungsnummer – die Versicherungsnummer für die Rentenversicherung, das Zahlenkürzel ganz hinten, es stand noch auf „männlich“ kodiert. Meine Bedenken, die mich bis jetzt davon abhielten: wenn ich die Nummer ändern lasse, verschwinden dann alle meine eingezahlten Beiträge und ich fange ich dann wieder bei Null an? Eigentlich unwahrscheinlich, aber die ganzen Jahre, nach 2016, habe ich mich nicht getraut, einen Antrag zu stellen.

Jetzt muss es sein, das Umgebungsfeld wird ungemütlicher, ich lebe mitten im Osten – das ist „A#D-Kernland“. Alles, was irgendwie noch darauf hin deutet, dass ich trans sein könnte, muss verschwinden. Die genannte Nummer, die nie getauschten Diplomurkunden (die nie einer sehen wollte) und alle Regenbogenflaggen und -emojis, die ich überall im Internet in diversen sozialen Profilen und Chatgruppen hinterlassen habe. Ich fange mit der Versicherungsnummer an, damit auf Arbeit, oben in der Etage bei der HR, niemand auch nur auf den Gedanken kommen könnte, irgendetwas zu fragen oder anzudeuten … Gerüchte verbreiten sich auf die Großraumbüros eine Etage tiefer.

Meine erste Anfrage auf Nummernänderung mache ich in einem Kontakt-Formularfeld auf der Internetseite der Rentenversicherung, das erstbeste Eingabefeld, das ich finden konnte … ob die HTML-Posts auf der anderen Seite überhaupt jemand liest? Den Text, den ich da hineingetippt habe, er klingt wie von einer Verrückten geschrieben, irgendetwas mit „Namens- und Geschlechtsänderung“. Ein Mausklick, keine Bestätigung, nichts. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt den richtigen Button zum Absenden gedrückt habe.

Warten … eine Woche später, ich stöbere noch einmal auf der Seite der Rentenversicherung nach anderen Formularfeldern, dieses Mal finde ich etwas, was mir mehr verspricht, eine Unterseite, bei der ich Anfragen ohne Anträge stellen kann. Ich schreibe einen neuen Text, kurz und präzise. In einem Feld muss ich meine alte Nummer eingeben, damit meine Anfrage mir auch zugeordnet werden kann, dafür bekomme ich auch eine automatische Bestätigungs-Mail nach dem Absenden. Mit Erfolg, kurz darauf wird mir in einer weiteren Antwort-Mail mitgeteilt, ich soll meinen alten Beschluss zur Vornamens- und Personenstandänderung noch mit hochladen (den hattet ihr doch 2016 oder 2017 schon), alles weitere wird dann bearbeitet.

Eine weitere Woche später, mein neuer Versicherungsnachweis kommt als Brief bei mir an. Gespannt reiße ich das Kuvert auf und ziehe das Papier heraus: das Zahlenkürzel der Nummer deutet jetzt endlich auf „weiblich“ – und ich habe den ersten Buchstaben von meinem Geburtsnamen ändern lassen, den von der allerersten Geburtsurkunde (ich habe drei) … für meine Legende, warum ich meine Versicherungsnummer habe ändern lassen: „Damit niemand mitbekommt, dass ich adoptiert bin.“ Schön ablenken, von dem eigentlichen Grund (das Zahlenkürzel).

Deep Stealth … was macht das mit mir? Keine Regenbogenfahnen mehr, keine Transgender-Flaggen mehr, von allem Abstand nehmen, was mich kompromittieren könnte. Mittlerweile zehn Jahre an Hormone, mein Stimmtraining jeden Morgen im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Dort werde ich von den weiblichen Kolleginnen schon mit in die Gespräche hineingezogen, wie meine „Periode“ den so war. Ja, die Schmerztabletten nehme ich auch … und die Slipeinlagen liegen auch bei mir im Badschrank herum, falls mal wieder eine süffende Entzündung dort unten in der Harnröhre ist. Selbst der YouTube-Algorithmus will mir Damenprodukte für die Monatsblutung verkaufen und ist überzeugt davon, dass ich durch und durch eine Bio-Cis-Frau bin. Eigentlich ein ganz guter Start … würde es mir nicht so schwer fallen, mich von meiner 2SpiritsLGBTQIA+-Identität zu trennen.

[16.02.25 / 20:19] Eine Woche später, der „Winter-CSD“ in Magdeburg. Eine bundesweite Demo, in über fünfzig Städten in Deutschland verteilt, symbolisch den Sonnabend vor der vorgezogenen Wahl, um „11:55 Uhr“. Die Prognosen lassen nichts Gutes erahnen, konservative Parteien und Faschisten in der Mehrheit. In Österreich ist genau dasselbe passiert, die Koalition scheiterte nur an ihrer eigenen Machtgeilheit. Für Deutschland, das sich mitten im Gefüge des weltweiten Abbaus an Schutz und Rechten für die LGBTQIA+-Gemeinde positioniert, sieht die bevorstehende Zukunft düster aus. Das neue Selbstbestimmungsgesetz – gerade mal ein paar Monate alt und für so viele aus meinem eigenen Umfeld überlebenswichtig – soll wieder abgeschafft werden. Reine Wahlkampfpolemik, ein so rechtmäßig etabliertes Gesetz kann nicht so einfach abgeschafft werden, dafür müsste erst wieder ein neues Gesetz über mehrere Jahre den Weg der ordentlichen Gesetzgebung antreten. Die Wähler springen darauf an, weg damit, „Transen“ mag eh keiner.

Die letzten Jahre, die Angriffe der Rechten auf die CSDs, die letzten Monate und Wochen, die Angriffe und Attacken auf Menschenansammlungen und Demos, werden überhaupt noch Menschen an CSDs teilnehmen und für den Erhalt ihrer Rechte kämpfen? Ich erwarte weniger Menschen, bin aber selbst da.

Kurz vor Mittag am Bahnhof in Magdeburg angekommen, viel ist noch nicht los. Ein paar kleine Stände werden aufgebaut, ich gehe die nächste Viertelstunde noch rüber in das Einkaufszentrum, Schuhe angucken.

Wieder zurück, etwas mehr haben sich versammelt. Die Organisatoren des CSDs eröffnen die Veranstaltung und betonen über die Lautsprecher der kleinen Bühne wie wichtig es ist, das nächste Wochenende wählen zu gehen. Der Schock der Europawahl vom letzten Sommer sitzt noch tief, auch da hat das mit dem Wählen so nicht wirklich funktioniert. Jetzt, ein halbes Jahr später, sieht es noch viel schlimmer aus. Meine Hoffnung ist, dass die etablierten Parteien sich noch einmal zusammenreißen und ein Bollwerk gegen die ganze menschenfeindliche Ideologie der Faschisten errichten.

Die Demo beginnt wenig später um 13 Uhr, viele sind wirklich nicht gekommen, der kleine „Streichelzoo“, in Regenbogenfahnen gehüllten Optimisten, zieht unter massivem Polizeischutz durch die verlassen wirkende Magdeburger Innenstadt. Der letzte Auto-Anschlag auf eine Demo irgendwo anders in Deutschland ist nur wenige Stunden oder Tage her, mein Mindset ist ein anderes. Die vielen Demos früher war ich ausgelassen und fröhlich, tanzend hinter den großen Trucks, diese Demo hier ist anders, stiller, vorsichtig. Als trans Frau habe ich ein natürliches Stress-Level und bewege mich in jeder Situation so, als würde ich gleich angegriffen werden. Die Polizisten links und rechts um die kleine Demo herum, in ihren schwarzen Uniformen, sichern alles ab, blicken überall hin. Jede Kreuzung ist mit mindestens einem Polizeifahrzeug blockiert, um Autos abzuhalten, in die Menge zu fahren. Meine Schritte, meine Bewegung, meine Blicke, rechts und links, sie unterscheiden sich nicht von meiner Zeit als Soldatin, ich bin im Gefechtsmodus … meine Schnürstiefel, mein Mantel, mein schwarzes Barett sind mein Feldanzug. Andere Ordner des CSD sehen noch viel martialischer aus und unterscheiden sich mit ihrer taktischen Kleidung kaum noch von den Polizeikräften. Wären wir in den USA, wären sie auch noch mit halbautomatischen Sturmgewehren bewaffnet. Den Schutz der Drag Queens verpflichtet.

Drag Queens gibt es auf diesem kleinen CSD dann später auch … später den späten Nachmittag, die Sonne geht schon hinter dem Bahnhofsgebäude unter und es wird spürbar kälter auf dem Vorplatz mit der Straßenbahnhaltestelle. Außer mir halten es gefühlt noch fünfzig Personen aus – aber die beiden Drag Queens, sie geben so viel und bedeuten so viel für die queere Gemeinschaft, vielleicht bin ich als trans Frau aber auch stark objektivistisch (weil selbst mit männlichen und weiblichen Anteilen).

17 Uhr nochwas, die Kundgebung ist beendet, zurück die Mittagszeit mit dem großen Gruppenfoto vor dem Landtag, waren wir noch viele, jetzt zerstreut sich alles in die Unsichtbarkeit. Mein Weg führt mich zu der italienischen Restaurantkette in dem anderen Einkaufszentrum, für eine Pizza an der Bartheke (die ich platzsparenderweise falte) und wieder zurück zum Hauptbahnhof kurz vor halb acht den Abend. Bombendrohung – der Regionalzug, in dem ich bereits sitze, sowie der gesamte Bahnhof wird evakuiert. Noch viel mehr Polizeikräfte erscheinen in ihren Polizeibullis auf dem Bahnhofsvorplatz und sperren den Eingang des Gebäudes großräumig mit Flatterband ab. „Endlich Action!“ Ich zücke mein Smartphone (wie nicht wenige) und beobachte interessiert das Treiben. Der Bombenspürhund ist das interessanteste. Noch anderthalb Stunden in der Kälte, das Einkaufszentrum gegenüber macht bereits die Lichter aus, aber ich lasse mir meinen erheiternden Optimismus nicht verderben. Auch wenn alles den Bach runtergeht, die Apokalypse droht, meinen Galgenhumor bekommt ihr nicht weg.

Fluchtpläne nach der Wahl? Ins Exil gehen? Was bleibt noch für ein Land in Europa? Auch wenn es beschissen klingt, Deutschland mit seiner „Ist mir doch egal, was du tust“-Mentalität, ist noch mit die am wenigsten beschissenste Option. Als trans Frau auf „deep stealth“ vorbereiten.

[28.08.24 / 00:26] Auf der zweispurigen Schnellstraße das Ortsausgangsschild von Magdeburg passierend, nur wenige Minuten später den Blinker setzend auf die nächste Ausfahrt Richtung Gewerbegebiet und dem ersten Ort außerhalb. Vom Kreisverkehr nach der Ausfahrt ist das Hotelgebäude schon schnell zu erkennen. Wenige Augenblicke später biege ich auf den Parkplatz ein. Mein Liebhaber und ich, wir nehmen unser Zeugs aus dem Auto und gehen zum Hoteleingang und der Lobby. Der ältere Mann hat noch ein Zimmer frei, die Frau neben ihm tippt am Computer und zeigt auf den Zimmerpreis: 115 Euro. Für zwei Personen. Ich frage nach, wie lange die zweite Person da sein müsste, damit es nur für eine Person gilt und es für ihn etwas günstiger sein könnte – die zweite Person, also ich, müsste sofort wieder verschwinden. Er stimmt dem Preis zu, wir nehmen das Zimmer für zwei, das letzte freie Zimmer. Ohne Frühstück, nur eine Nacht, für ihn. Er bezahlt mit seiner Kreditkarte, ich führe die Gesprächsverhandlungen und den Schriftkram mit der Anmeldung. Wir bekommen die Schlüssel für das Zimmer über den Fahrstuhl in der obersten Etage.

Den langen Gang ablaufen, die Zimmernummer finden. Das Zimmer ist wirklich am hintersten Ende. Ich schließe auf, die dunklen Gardinen nur einen Spalt geöffnet, ein großes, weißes Bett, ein Badezimmer! Er macht es sich bequem und öffnet die Gardinen etwas, ich schließe die Tür und freue mich schon auf eine Dusche.

Meine Sachen packe ich auf den kleinen Drehsessel vor dem Schreibtisch, er entdeckt den Fernseher darüber. Ich verschwinde in der Dusche, komme eingehüllt in einem weißen Handtuch und durchgekämmten Haaren wieder raus. Er liegt auf dem Bett und winkt mich zu sich herüber. Noch nicht, ich muss noch wieder zurück ins Bad, Zähne putzen.

Wieder auf dem Bett, das weiße Handtuch rutscht runter und gibt den Blick auf meine kleinen Brüste frei. Er liegt auf seinen Rücken, angelehnt auf das Kopfkissen, ich spiele mit meinen Händen in seinem Brusthaar. Er drückt mit seinen Fingern in meine Nippel, ich muss kichern. Innerer Reflex.

Das Badhandtuch rutscht weiter runter, ich bin nackt und werfe es beiseite, er ist weiterhin in Unterwäsche bekleidet und spielt mit seinen Fingern in meiner Vulva, meine Schamlippen spreizen sich, ich bin ihm nah und beobachte sein Gesicht. Seine Augen, er verdreht sie … ertastet er etwas in mir, dass ihn stutzig macht? Ich weiß, ich habe keine richtige Vagina, bei mir ist da nach ein paar wenigen Zentimetern Schluss. Er bricht es ab. Irgendetwas stimmt da nicht für ihn. Was bist du? Das ist der kritische Moment, vor dem ich mich immer fürchte.

Ich rutsche von ihm weg, er richtet sich auf. Erklär mir das! Seine Blicke brauchen kein Übersetzungsprogramm. „Ich bin eine trans Frau. Ich bin operiert.“ Was dann davon in arabischen Schriftzeichen für ihn ankommt, ich weiß es nicht. Für ihn ist das neu, er kennt das nicht. Ach du Scheiße! Ich hätte mit dir fast Sex gehabt! Zumindest in seiner Phantasie. Du bist nicht der Erste, ich weiß, das Analsex haram ist. „Du bist ein Mann?“ Der Text auf dem Smartphone, das er vor mir hält, prangert mich an. Ach, komm schon! Du hast mich auf dem CSD in Leipzig kennengelernt, in einer Gay-Bar. Du bist mit mir auf dem CSD in Magdeburg gewesen. Ich habe mehr, als eine Andeutung in diese Richtung gegeben. Du kannst mir jetzt nicht erklären, dass du das nicht gesehen hast! Er wirft mir die weiße Bettdecke zu, ich rutsche bis zum Rande der Bettkante und hülle mich, von Kopf bis Fuß, in das weiße Laken ein. Ich will nicht mehr, dass er mich nackt sieht.

Er schaltet im Fernsehprogramm umher, ich liege am Rand des Bettes, schaue ihn nicht mehr an, schaue zum Fernseher. Er dreht mir den Rücken zu, um ins Bad zu gehen, ich lasse mich mit meinem Bein weiter rücklings von der Bettkante fallen, bis ich nach unten hin komplett aus seinem Sichtbereich verschwunden bin. Er steht auf, ich nutze die Gelegenheit und springe zu dem kleinen Drehsessel, meine schwarze Unterhose greifen. Mit jedem Kleidungsstück, das ich mir anziehe, kommt auch mein Selbstbewusstsein zurück. „Ich bleibe hier nicht über Nacht.“ Ich will gehen, ich kenne diese Situation – so viele Männer – das wird nichts mehr. Das macht keinen Sinn, hier noch weiter zu bleiben.

Auch für ihn ergibt das jetzt keinen Sinn mehr, das Zimmer weiter zu benutzen. Er will wieder mit dem nächsten Zug zurück nach Leipzig fahren. Erzähle mir wenigstens noch, aus welchem Teil der arabischen Welt du kommst? „Kairo, Ägypten.“ Ägypten … das wäre es gewesen! Genau dieses Land fehlt mir noch auf meiner imaginären Weltkarte mit den verflossenen Liebhabern. Ich führe eine Schneise der Verwüstung, vom Senegal, über Marokko, Algerien, (Libyen noch nicht) Tunesien, Ägypten, Israel, dem Libanon, über Syrien und Kurdisch-Irak bis nach Pakistan, Afghanistan und Indien. Der Iran fehlt noch. Und die Türkei.

Ich hätte auch anders reagieren können, hätte ihm sagen können: Verpiss dich und sieh zu, wie du wieder nach Hause, oder zum Bahnhof kommst, wäre einfach abgehauen. Ich bin so nett und fahre ihn auch wieder die paar Kilometer nach Magdeburg rein, zum Hauptbahnhof. In meinem roten Roadster, mit offenen Verdeck, es ist Abend geworden. Den Zimmerschlüssel geben wir wieder unten an der Rezeption ab. „Er hat es sich anders überlegt, er wollte doch nicht hier übernachten.“ Ein teures Zimmer für vielleicht nur zwei Stunden. Am Bahnhof lasse ich ihn raus, kein Abschiedskuss mehr für mich. Ihm tut es leid.

Ich drehe mich weg. Mit meinem Auto wieder zurück in mein Zuhause. Wenn ich um 21 Uhr da bin, habe ich immer noch eine Stunde bis 22 Uhr, eine Stunde, um mich noch ein weiteres Mal zu duschen – jetzt mit meinem Spezial-Parfüm-Duschbad – mich umzuziehen, von meiner Tunika in das kurze, schwarz-weiße Sommerkleidchen, Make-up vor dem Spiegel und dicker Kajal und danach dieselbe Strecke wieder zurück zu fahren, nach Magdeburg rein zu dem Club hinter dem Hauptbahnhof für die offizielle After-Show-Party für den CSD. Meine schwarze Bikerjacke nehme ich noch mit. Meine Flip-Flops für später, sind immer noch im Auto. Die Sneaker wechsele ich zum Fahren in die Keilsandaletten.

Den Club in der alten Festungsanlage erreiche ich gegen halb elf Uhr den Sonnabend Abend. Ich hatte den Einlass für später erwartet, es ist bereits offen und es ist noch eine kleine Lücke auf dem kleinen Parkplatz davor frei. Ich steige aus, wechsele in meine Flip-Flops aus dem Kofferraum und stakse über das Geröllfeld zum Eingang und der Abendkasse. Es ist noch nicht voll, die weiteren Gäste kommen erst später.

Die zwei Tanzflächen im Innenraum sind noch nicht geöffnet, ich bestelle eine Mate-Brause an der Bar an der Tanzfläche draußen. Ich muss immer noch das Geschehene ein paar Stunden zuvor verarbeiten. Werde ich das verkraften? Ich habe das Gefühl, die letzten fünf Jahre, seit 2019, waren nur Nieten dabei. Frauen spreche ich nicht an, da gab es nur die Eine – und die hat so schon für sich alleine in mir ein schweres Trauma hinterlassen. Ich war von 2004 bis 2014 strikt asexuell … zu meinem eigenen Schutz. Wird sich das jetzt wiederholen? Werde ich mich immer weiter davon entfernen, dürfen mich Männer jetzt auch nicht mehr anfassen? Das dort unten ist tabu! Hier war ich schon, als ich noch nicht operiert war. Sollte wenigstens ich mir selbst die Möglichkeit geben, mich dort unten anzufassen? Ich bin mir da auch nicht mehr so sicher … Ich fummele mein silbernes Fußkettchen um den Knöchel.

Der Club rund um die Außentanzfläche, läuft etwas aus den Achtzigern, bin ich auf dem Holzparkett und tanze etwas. Rundherum, auf der Empore, sind ein paar Liegestühle aufgestellt. Interessant, die beiden Liegestühle rechts und links neben mir, bleiben immer frei – oder werden es.

Später die Nacht, eine zweite, dritte Mate-Brause. Mehr Gäste. Die beiden inneren Tanzflächen in dem Gewölbe – während draußen ABBA und Schlager gespielt wird, läuft drinnen dieselbe Musik, nur schneller abgespielt auf Speed? Letztes Jahr gab es hier wenigstens bessere Musik, so eine DJane mit Techno und Break-Beats, in denen ich mich hypnotisch versinken lassen konnte. Dieses Jahr beobachte ich nur die Gäste draußen, Drag-Queens, ein paar offensichtlich Schwule, ein paar Lesben bis zum Butch-Stadium – und sogar ein paar wenige, schamlose Cis-Hetero-Pärchen. Ich wüsste nicht, wo ich noch hin sollte, das ist hier noch mit die beste Option.

Es beginnt, leicht zu regnen, in meiner Wohnung sind die ganzen Fenster offen, damit es kühl durchlüftet. Der DJ auf der Außentanzfläche kündigt seine letzten drei oder vier Titel an bis drei Uhr und dann ist hier Schluss! Ich mache mich bereit, dann zu gehen. Der letzte Titel wird gespielt, der Regen lässt leicht nach, ich sprinte von unter dem Dach der Außenbar zum Ausgang zu meinem Auto auf dem Parkplatz, die Funkfernbedienung griffbereit in meiner Hand. Schuhe wechseln, Flip-Flops wieder in den Kofferraum. Drei Uhr, und ich muss noch warten, ein Minibus blockiert die Ausfahrt, ein paar Drag-Queens müssen noch hinein tippeln. Ich hab' Zeit.

Präzise um 3:22 Uhr öffne ich das Garagentor und fahre mein Auto in das Trockene. Der leichte Regen hat keine Spuren oben in der Wohnung unter den offenen Fenstern hinterlassen. Im Rotlicht meine Handtasche auf der Couch auskippen, über den langen Flur in das Badezimmer verschwinden. Kajal wegwischen, Hände und Gesicht waschen, Mückenschutz auftragen. Das notorische Summen erinnert mich an die Situation in dem Hotel an der Ostsee ein paar Wochen zuvor, auch dort habe ich den Kampf gegen die Mücken und das offene Fenster aufgegeben.

Vier Uhr den Sonntag Morgen, mich in mein Bett fallen lassen. Gedanken den Morgen danach zum Aufwachen: Mich wird nie wieder irgendjemand dort unten anfassen, das lasse ich nicht mehr zu … Auf keinen Fall! (Ende Teil 2/2)

[28.08.24 / 00:25] Der CSD in Magdeburg, mal wieder. Nach dem CSD in Leipzig letztes Wochenende, ist hier auch in Magdeburg eine Gegendemo von Rechts angekündigt – ich erwarte genauso viele, mutige Menschen hier, die für die queere Bewegung einstehen und den Faschos zahlenmäßig weit überlegen sind. Es werden bestimmt Tausende kommen.

Die Nacht davor wird schlaflos. Liegt es an dem Essen, den Abend zuvor, oder an den schwül-warmen Temperaturen (offenes Fenster, Oropax und Mückenschutz), oder an der Ankündigung meiner neuen Eroberung (oder ich die seine), mich in Magdeburg begleiten zu wollen. Die Tage zuvor – er bombardiert mich mit Nachrichten und Liebesschwüren. Das vergangene Wochenende bin ich den Morgen vor ihm geflüchtet, mir wurde das zu viel … und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er weiß, was ich bin … Gegen fünf Uhr morgens den Sonnabend schaffe ich es doch, noch drei Stunden bis zum Frühstück – und Beine rasieren und Körper vorbereiten, etwas zu schlafen.

Ich nehme das Auto, das mit der Kundgebung und den Regionalzug nach Magdeburg um elf Uhr, schaffe ich so nicht mehr. Meine neue Regenbogenfahne lasse ich zu Hause, sie hängt groß an der Küchentür. Outfit für die Demo an diesem heißen Tag: meine indisch-orientalische, dunkle Tunika. Mit anthrazit-grauer Skinny-Jeans … sah zu komisch aus, nur mit nackten Beinen. Schuhe: die bequemen Hi-Top-Sneakers. Meine Flip-Flops nehme ich mit, die möchte ich unbedingt später tragen, zusammen mit dem neuen, silbernen Fußkettchen. Schmuck für den Tag: Ringe, Armreif, Silberkette mit Ganesha und meinen schweren, antik-silbernen, marokkanischen Armreif.

Das Auto parke ich in dem Parkhaus unter der Shopping-Mall im Herzen von Magdeburg. Meinen Strohhut und meine große, schwarze Sonnenbrille habe ich noch dabei, als ich das Einkaufszentrum nach oben hin, in Richtung des alten Marktes von Magdeburg verlasse. Vollkommen anderes Bild, wo sind die Zwanzig- bis Dreißig- und Vierzigjährigen? Schon wieder nur Jugendliche … und davon noch nicht mal viele? Von den achttausend erwarteten Teilnehmern ist die Zahl weit entfernt. Polizeikolonnen rauschen vorbei … einige, nicht wenige, haben sich einschüchtern lassen? Wahrscheinlich ist es den Tag einfach nur viel zu heiß.

Eine große Flasche Wasser mit dabei, im Schatten des Rathauses creme ich mich mit dem Sonnenschutz ein. Das Smartphone aus meiner Tasche ziehen, vielleicht hat sich jemand von meinen Kontakten angekündigt. Er ist es, mein neuer Liebhaber vom letzten Wochenende. Ich hatte ihm um 4:30 Uhr morgens geschrieben, dass ich nicht einschlafen konnte und sehr wahrscheinlich nicht nach Magdeburg fahre. Es hat ihn nicht abgeschreckt, er ist trotzdem aus Leipzig gekommen und sucht mich jetzt hier.

Ich gebe jedem eine Chance? Ich freue mich, dieses Mal nicht den CSD alleine abzulatschen. Wenig später treffen wir uns auf dem alten Marktplatz, inmitten der vielen bunten Menschen mit den bunten Fahnen. Er freut sich auch, dass ich es geschafft habe. Lass uns einen schattigen Platz suchen, bevor die Demo losgeht.

Die Trucks setzen sich in Bewegung. Laute Musik. Wir lassen ein paar von denen vorbeiziehen, hören uns die Musik an, was gefällt, was von den DJs auf den Trucks gespielt wird. So viele Demo-Fahrzeuge sind es nicht, die knapp dreitausend, vorwiegend jungen Menschen, reihen sich ein. Wir sind irgendwo im hinteren Feld und ziehen mit.

Der CSD führt in Richtung Domplatz und Landtagsgebäude. Er ist vorbereitet, Schirmmütze, Wasserflaschen, Essensproviant und bietet mir immer wieder etwas an. Nach wie vor kommunizieren wir immer noch nur über Handgesten und dem Übersetzungsprogramm auf seinem Smartphone. Am Domplatz mit dem Zwischenstopp der Demo, suchen wir uns ein Café – die dritte Tasse Kaffee für mich diesen Morgen, ich muss mich wachhalten.

Er ist weiterhin an mir interessiert, nimmt meine Hand und küsst sie. Ich muss mich damenhaft immer verlegen wegdrehen. Die Demo geht weiter, er zahlt die zwei Tassen Cappuccino und wir reihen uns wieder ein.

Der CSD führt jetzt nah an der Elbe vorbei, Sightseeing-Tour. Wieder oben in der Stadt kürzen wir – wie viele andere Teilnehmer – über eine Seitenstraße ab und befinden uns jetzt im vorderen Teil der Demo mit dem lauten CSD-Truck der Veranstalter. Die Demo stoppt, es geht nicht weiter, von irgendwo erschallen Rufe: Nazis raus! Die Polizeieskorte dicht neben uns bezieht Stellung und reiht sich auf. Kommando Handschuhe. Der Helm wird übergezogen, die Handschuhe übergestreift. Ich mache meiner Begleitung mit einer Geste, meine beiden Fäuste prallen aufeinander, darauf aufmerksam und gebe ihm zu verstehen, dass es hier gleich Action geben wird. Ein paar besonders mutige Demoteilnehmer strömen in die Seitengasse, die Polizisten voreilend hinterher, um die beiden Lager zu trennen. Die Faschos sehe ich nicht. Verunsicherte, zurückbleibende CSD-Demoteilnehmer? Das Bild, wie ich ihm zugewandt, als verängstigte Frau in seinen Armen liege, ist ein ikonisches Filmmotiv. Der vordere Demo-Truck fährt die Musikanlage wieder hoch und der CSD startet wieder, die letzten paar hundert Meter wieder zurück von der Gegend rund um den Magdeburger Hauptbahnhof hin zu dem alten Markt und Stadtkern.

Das Ende der Demo erreichen wir nicht, wir gehen beide ein Eis essen. Zielgerichtet leite ich ihn zu dem italienischen Eiscafé, in dem ich nach meinen Shopping-Touren immer ein Eis esse. Stracciatella in der Waffel für mich, eine Kugel Vanille für ihn. Während wir im Schatten eines Schirms das Eis schlecken, laufen ein paar Polizisten in Krawall-Montur an uns vorbei … die Rechten, die sie verfolgen, oder absichernd begleiten, entpuppen sich als … marodierende Jugendbanden. Ein Haufen halbstarker, pubertärer Jungs auf einem Event-Trip, mal was erleben, mal rebellisch sein, mal den anderen, nicht weniger jüngeren „Schwuchteln“ Angst machen. Wo sind die militanten Neo-Nazis von früher abgeblieben?

Die Demo ist für uns beide beendet, er möchte gerne ein Hotelzimmer für uns buchen … lasse ich mich darauf ein? Er hat mich bereits so weit. Nur glaube ich nicht, dass es hier in Magdeburg genug Hotels gibt und dass diese überhaupt ein Zimmer frei haben. Seine Vorschläge auf der Suche auf seinem Smartphone, sind entweder weit außerhalb oder richtige, „spartanisch“ eingerichtete Monteursbuden. Ich kenne hier im Zentrum zwei Hotels, aber die sind bestimmt weit über seiner Preisklasse. Lass uns zu dem Hotel gehen, das hier gleich um die Ecke ist … wir können ja mal fragen.

Das stadtbekannte, Vier-Sterne-Hotel – ich betrete zum ersten Mal die Lobby und mein Blick schweift nach oben in diesem bestimmt zehnstöckigen Glaspalast. Die Damen an der Rezeption tippen ein paar Daten in ihren Computer ein. „Tut mir leid, wir sind ausgebucht.“ Die zwei Gestalten vor ihr, die eine, offensichtlich transsexuelle Prostituierte und ihr arabischer Klient, wirken auch nicht so, wie das betuchte Klientel, das hier sonst verkehrt. Beim zweiten Versuch, in einem anderen Hotel gleich um die Ecke am Hauptbahnhof, stecke ich wenigstens noch das Regenbogenbändchen von meiner Lederhandtasche weg und drehe meinen schwarzen Tragebeutel mit dem Punkermotiv um. Auch hier ist kein Zimmer mehr frei. Was nun? Er sucht auf seinem Smartphone ein Hotel außerhalb von Magdeburg, ich habe noch mein Auto in dem Parkhaus stehen. Das eine Hotel, das er findet – das kenne ich. Nicht von innen, aber ich weiß, wo das ist. Das eine Hotel in dem nächsten Ort, nicht unweit des Gewerbegebietes mit den Firmen und Fabrikanlagen – da arbeite ich (und fahre immer an dem Hotel vorbei). Er hat immer noch keine Ahnung, was ich bin, was ich beruflich mache, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Für ihn bin ich nach wie vor … eine Prostituierte? Zumindest ein leichtes Mädchen.

Wir essen noch etwas in dem arabischen Bistro in der Fußgängerzone, er hat mich gefragt, ob ich ein arabisches Restaurant kenne, ich weiß, wo eines ist, ich habe hier in der Gegend um die Universität mal drei Monate gewohnt. Das Bistro gibt es immer noch, aber es hat sich ganz schön verkleinert. Er füttert mich den späten Nachmittag an dem einen Tisch im Außenbereich, was arabische Männer so machen mit ihren Frauen. Irgendwann muss ich das ablehnen, ich habe noch meinen eigenen Teller mit Manakish und Falafel. Der Mann am Verkaufstresen / Dönerstand kennt auch ein Hotel, aber das ist dasselbe, in dem wir schon zuerst waren. Wieder zurück zu dem Einkaufscenter und dem Parkhaus darunter. In dem Einkaufscenter kaufe ich in einer Drogerie noch schnell eine Zahnbürste und eine kleine Reisepackung Zahnpasta für mich. Es könnte sein, dass ich die Nacht noch in einem Hotel verbringe. Ich hoffe auf eine Dusche – der Sommertag ist einfach zu heiß. (Ende Teil 1/2)

[20.08.24 / 21:47] Ich bin ihm aufgefallen? Er spricht nur Arabisch, steht vor dem Außenbereich … weiß er, was für eine Bar das hier ist? Er lädt mich zu einer weiteren Cola ein, ein Tisch ist gerade erst frei geworden (mein Tisch), wir setzen uns. Er erzählt etwas von sich, was er macht, „Import-Export“, ich versuche an seinem Akzent zu erkennen, aus welchem Bereich in der arabischen Welt er kommt, ich schätze auf Irak – aber ich könnte mich auch vollkommen irren. Die Unterhaltung erfolgt über sein Smartphone: ich spreche etwas hinein, es übersetzt ins Arabische, er spricht etwas hinein, ich lese den deutschen Text. Ab und zu kann ich selber meinen Text lesen und winke furchtbar mit den Händen, das habe ich so nicht gesagt! Es geht trotzdem irgendwie, ich gefalle ihm … und ich erhoffe mir schon wieder eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich erzähle ihm, dass ich ab Mitternacht noch in einen anderen Club will.

Gegen ein Uhr, wir holen mein Auto in dem Parkhaus ab, es hat ewig gedauert, den Nachteingang zu finden – der ist neben den Gleisen, angrenzend auf dem obersten Deck, wo die Autos schon unter der Bahnhofskuppel stehen. Mit dem Fahrstuhl ein Stück tiefer, mein Parkticket einlösen. Wenig später im Auto, die Schranke öffnet sich und wir sind raus. Durch die Nacht durch Leipzig, ich wähle im Radio von meinem USB-Stick die orientalische Musik, ihm gefällt es.

Mit dem Navi zum Club in Plagwitz, ich kenne den Club, ich war hier schon so oft … Unmengen Menschen stehen vor dem Einlass? Mindestens hundert? Ich parke mein Auto, wir laufen zu Fuß an das Ende der Schlange. Ich weiß, dass der Club (mit der FLINTA-Party heute) zwei Tanzflächen hat, eine im Keller und eine in dem anderen Gebäude quer über den Innenhof … und wenn die Menschenschlange schon länger als das Haus ist? Ihr passt hier alle gar nicht rein! Vielleicht ist schon Einlassstopp, vielleicht ist die junge Frau vorne am Einlass auch schon vollkommen überlastet – es tut sich in der Schlange nichts, kein Stück, keinen Meter, ich bin nicht die Einzige, die sich schon einen Plan B zurecht legt, und sich ein Zeitlimit setzt, wie lange sie hier noch warten will. Meine Deadline ist zwei Uhr – spätestens da wollte ich, nach einer durchtanzten Nacht, schon wieder im Auto sitzen und zurückfahren. Meine neue Bekanntschaft und ich, wir schauen uns schon ratlos an, was jetzt, wohin noch? Der andere Club unweit, ist zwar viel größer, hat aber wahrscheinlich keine Abendkasse, nur Tickets im Vorverkauf – was auch der Grund sein könnte, warum hier so eine große Schlange ist. Abbruch. Wir verlassen die Schlange und gehen wieder zurück zu meinem Auto. Zurück zum Bahnhof, zurück in die Leipziger Innenstadt, er kennt da noch ein paar Clubs.

Mein Navi lotst mich wieder in das Zentrum, mein Geheimtipp, mit den kostenlosen Parkplätzen in einer Seitenstraße neben der Polizeiwache, ist gar nicht so geheim, alles belegt. Ich parke mein Auto in dem einzig nachts offenen Parkhaus unter dem Augustusplatz. Ohne die CSD-Demo und dem Fest, ist der Zugang wieder offen. Ein teures Ticket, die Treppe wieder hoch nach oben, mein Auto wartet die nächsten Stunden unten.

Er führt mich zu dem Club am anderen Ende der Fußgängerzone, quer über die Straße. Eine große Disko, eher Mainstream – ich war hier schon einmal, auch mein syrischer Langzeit-Liebhaber hat mich hierhin bei unserer ersten Begegnung entführt. Meine neue Bekanntschaft bittet mich, mit den Türstehern am Eingang zu reden. Für mich ist das kein Problem, ich bin eine weiße, blonde, Deutsch sprechende Frau, ich komme überall rein (außer ich habe Stahlkappenstiefel an) – er dagegen … sie wollen neben seinem Aufenthaltstitel auch seinen Reisepass sehen. Den hat er nicht dabei. Diskutieren? Der Gedanke existiert nicht einmal eine Sekunde, sie werden ihre Gründe haben, warum sie so eine Einlasspolitik haben. Weiter auf der Suche nach dem nächsten Club.

Die Bar nicht weit entfernt, meine Lieblingsbar, hat auch eine Tanzfläche unten – die ist aber, anders als die Bar oben, richtig furchtbar. Er lehnt sie ab. Weiter ein paar Schritte zur nächsten Disko … er kennt da noch einen Club, da hinten.

Wir laufen weiter ein paar Schritte durch die Leipziger Innenstadt, da hinten soll irgendwo noch ein Club sein? Ich wüsste, dass da einer ist – aber den wird er doch nicht meinen? Er führt mich zu dem einzigen, bekannten Gothic-Club hier in der Straße, das … „Dunkelblume“. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich mir doch etwas Schwarzes angezogen! Mein kurzes Gespräch mit dem Türsteher, heute kein Dresscode, Ärger mit meinem ausländischen Freund gibt es auch keinen, kommt einfach herein, heute „Piraten-Party“.

War ich in dem Club schon einmal? Vor ganz langer Zeit? War das wirklich dieser, oder war der da noch in einer Nachbarstraße? Und hatte dieser Kellerclub nicht irgendwie mal zwei Tanzflächen? Die steile Treppe nach unten, ein Haufen Piraten-Gothics tanzt zu lustiger Popeye-Musik, auch ein sehr interessantes Bild. Wir nehmen auf der Empore, auf den dunklen Sofas Platz, er hat mir an der Bar schon ein Wasser bestellt … ich sehe ihn nicht trinken. Er trinkt keinen Alkohol, er raucht keine Zigaretten.

Er ist an mir interessiert, im Laufe der nächsten ein oder zwei Stunden tastet er sich immer näher heran. Meine Hände hatte er schon Stunden zuvor in der Bar, jetzt sind es Küsse, und meine Brüste unter meinem Kleid – ich trage das BH-Top nicht mehr. Ich kann seine Finger an meinen Nippeln ganz deutlich spüren. Meine Beine überkreuze ich, verschränke sie sogar doppelt, weiß er, was ich bin? Erwartet er, dass ich nicht operiert bin? Ich spiele zuerst mit ihm, bin die Unnahbare … fast schon eine Piratenbraut. Mein Körper reagiert auf seine Berührungen, nichts, was ich bewusst kontrollieren kann, es passiert einfach. Irgendwann hat er seinen Moment, an dem ich auch nicht mehr meine Beine zusammenpresse, ich öffne mich ihm ein Stück … er kann jetzt durch das Kleid ertasten, dass ich keinen Penis habe. Es scheint ihn nicht abzuschrecken, er wirkt sogar erleichtert, mir macht es die Situation schwieriger …

Alles, was ich mir für die Nacht vorgenommen habe: in den Club in Plagwitz ausgehen, die Nacht tanzen, meinen Ex-Freund / Langzeit-Liebhaber wieder zu treffen, mit ihm Sex zu haben – ich sehne mich so sehr nach ihm – das ist alles nicht eingetroffen. Stattdessen bin ich hier mit einem Kerl, den ich erst vor wenigen Stunden kennengelernt habe, der zwar sich für mich interessiert (passiert nicht oft), der aber optisch gar nicht so mein Typ ist? Ihm fehlt das Bad-Boy-Image, das Verwegene, der Charme. Er kann meinen Körper berühren und mein Körper reagiert, aber das Seelische? Wenn es das Biologische gibt, durch seine Berührungen und seine Nähe nehme ich auch seinen Körpergeruch auf – und es bewirkt bei mir nichts. Bei meinem Freund (der vom Anfang des Absatzes, der auf meinem Smartphone nur noch kurze Nachrichten hinterlässt) ist das anders, ich vergrabe mich in seiner Schulter und er kann alles mit mir machen. Ihm hier fehlt das.

Wir wollen irgendwann gehen, der Club leert sich, der DJ spielt das letzte Stück, die Lichter gehen an. Er schlägt vor und fragt, über das Textfeld seines Smartphones, ob ich zu ihm mit nach Hause kommen will, ich könnte dort für ein paar Stunden schlafen. Vorher fahren wir noch bei einem Bäcker einkaufen, etwas für das Frühstück. Es ist halb fünf den Sonntag Morgen, die große Uhr des Rathauses vor uns vor dem Marktplatz schlägt zweimal. Ich stimme seinem Angebot zu … bin mir aber schon nicht mehr so sicher.

Zurück zu dem großen Parkhaus unter dem Augustusplatz an der Oper, weiter mit dem Auto zu dem kleinen Parkplatz vor dem Bahnhof. Was jetzt? Der Bäcker unten in der Passage hat noch nicht auf, noch eine halbe Stunde warten? Ich treffe meine schwere Entscheidung, ich möchte doch lieber alleine wieder zurückfahren in mein zu Hause, in mein Bett. Klar, er ist jetzt irgendwie enttäuscht und ich muss ihn aus meinem Auto rauswerfen. Er ist so nett und macht auch keine Szene. Für mich ist es eine Erleichterung – hätte ich etwas verpasst, wäre ich mit ihm mitgegangen? Was wäre, wenn wir bei ihm wirklich Sex gehabt hätten? Und das nur, weil ich irgendwo übernachten wollte? Egal bei wem, wer mir gerade über den Weg läuft? Hätte ich dafür einfach meinen Körper hingegeben? Meine Seele schreit, hör auf mit dem Scheiß! Ich will mich nicht mehr wegwerfen. Ich springe nicht (mehr) mit jedem ins Bett. Er winkt noch paar mal draußen vor dem Fenster, ich brauche noch eine Weile, bis ich den Startknopf des Motors drücke. Der Motor brummt auf, ich lege den Rückwärtsgang ein und verlasse den kleinen Parkplatz. Draußen vor der Ampel steht er noch ein letztes Mal mit Hundeblick an meiner Scheibe. Mache es mir nicht so schwer.

Ich fahre endlich weg, auch er hat meine Nummer bekommen. Weit draußen, auf der Bundesstraße am Ortsausgang von Leipzig, setze ich noch einmal den Blinker und fahre auf die Tankstelle. Bei laufenden Motor krame ich mein Smartphone aus der Handtasche den Sitz neben mir, ich will wissen, ob mein Langzeit-Liebhaber mir eine Nachricht geschrieben hat … verrät er mir endlich die Adresse, wo er auf mich wartet und ich könnte wieder umdrehen und schnurstracks zu ihm fahren? Keine weiteren Nachrichten von ihm seit ein paar Stunden. Weiter auf der Autobahn die hundertfünfzig Kilometer nach Hause zu meinem Bett.

Magdeburg passiere ich gegen sechs Uhr morgens – ich sollte um diese Zeit wirklich nicht mehr fahren – der Morgen hat angefangen und hüllt alles in ein bläulich nebeliges Licht. Ich kämpfe mit der Müdigkeit, bin vielleicht schon für Sekundenbruchteile weg. Seit ich losgefahren bin, muss ich eigentlich schon auf Toilette – und jetzt noch viel dringender … mein „Trick“, wach zu bleiben? Ich sollte wirklich nicht mehr so übermüdet fahren.

Meine Garage, mein zu Hause und mein Bett erreiche ich um halb sieben Uhr den Sonntag Morgen. Jetzt nur noch alles auf die Couch werfen, den schwarzen Kajal im Spiegel im Bad wegwischen, das Schlafzimmer unter Vogelgezwitscher für einige Minuten kühl durchlüften und danach ins Bett fallen. Ich schlafe sofort ein. Ich wache erst acht Stunden später, um 15 Uhr, wieder auf. (Ende Teil 2/2)

[20.08.24 / 21:46] Der CSD in Leipzig mal wieder … wegen der Fußball-EM um einen Monat in den August verschoben. Ich habe im Internet etwas recherchiert, ein letzter CSD in der sächsischen Provinz, nur kurz zuvor, wurde massiv von den Faschos angegriffen, fast in gleicher Mann-Stärke (das Provinz-Städtchen hatte nicht so viele, mutige LGBTQIA). Auch für den CSD in Leipzig wurde im Vorfeld wieder ein militanter Gegenprotest von den Rechten angekündigt. Fahre ich da noch hin? Tue ich mir das an? Muss das sein? Ja!

Mein Outfit für den Sonnabend das dritte August-Wochenende: die kurze Hose in Tarnfarben und das schwarze „Trans Lives Matter“ T-Shirt, Flagge zeigen. Die Beine und den Oberkörper rasiere ich mir den Sonnabend Morgen, ich weiß noch nicht den Freitag, wann ich aufwache und ob ich das alles schaffe – die Kundgebung ist schon um 11:30 Uhr – ich nehme das Auto, fahre spontan wie ich aufwache.

Es wird spät, ich vertrödel den ganzen Sonnabend Vormittag, ich muss nicht da sein, viel Zeit zum Frühstücken. Es ist elf Uhr, als ich mich ins Auto setze und die Autobahn Richtung Leipzig fahre … die Kundgebung habe ich für mich schon gestrichen, das ganze Politische interessiert mich nicht, ich will da nur tanzen und Männer kennenlernen. Meinem Langzeit-Liebhaber habe ich eine Nachricht geschrieben, ich hoffe auf eine Möglichkeit, da die Nacht und den Sonntag Morgen irgendwie noch zu übernachten – ich will nach Mitternacht noch in einen Club ausgehen (so FLINTA-Zeug) und mich nach der Demo noch etwas in einem Bad mit Duschmöglichkeit frischmachen. Und meine durchgeschwitzten Sachen wechseln: mein neuer „Kaftan“, gekauft vor ein paar Tagen in einem Outlet … eigentlich wollte ich nur in die Drogerie daneben, neues Oropax kaufen (schlaflose Nächte bei offenen Fenster).

Gegen Mittag in Leipzig angekommen … totales Chaos. Ich kreise mehrmals um den Hauptbahnhof – die Faschos sind wahrscheinlich da noch dort. Alles ist von der Polizei abgesperrt, auch die Straßen in Richtung des Zugangs zu dem Parkhaus. Zeit vergeht, viele Polizeifahrzeuge stehen überall rum, ich nehme eine andere Straße, eine andere Richtung und komme auch so in das Parkhaus unterhalb des Hauptbahnhofs. Alle Parkplätze belegt, ich muss vor der Schranke warten. Als sie öffnet, fahre ich gezielt in die obere Etage, wo ich immer parke und finde auch gleich einen freien Parkplatz … wahrscheinlich der einzige, als die anderen Autos nur herumkreiseln und entnervt unten über die Schranke das Parkhaus schon wieder verlassen.

Mein Zeug umpacken: ein schwarzer Beutel mit dem Übernachtungszeugs, ein schwarzer Beutel mit den Sachen zum Wechseln, später den Abend, und dem Make-up-Kram, meine schwarze Handtasche für den Kram, den ich jetzt brauche – und den Rest in den Kofferraum. Als Schuhe wähle ich die Sneakers, elegante Flip-Flops für die Nacht lasse ich noch im Auto. Mein Strohhut kommt in die schwarze Umhängetasche. Zu Fuß aus dem Hauptbahnhof hinaus, Richtung Opernplatz. Viele Polizisten.

Die Demo geht 13 Uhr los, die Trucks stehen schon bereit – so viele Menschen waren hier noch nie. Es ist wirklich voll, an der Ecke der Fußgängerzone reibe ich mich noch mit der Sonnencreme ein. Bis die Trucks sich in Bewegung setzen und die ganzen Menschen hinterherziehen, vergeht bestimmt noch gefühlt eine halbe Stunde. Meine Fußgruppe ist die ganz hinten, traditionell der antifaschistische Block (mit viel Polizeibegleitung rechts und links).

Zum Tanzen komme ich dieses Jahr nicht? Der schwarz-bunte Block hält die Seitentransparente hoch, driftet immer etwas ab, von den Party-Blöcken und den Demo-Trucks mit der Techno-, Schlager- oder ähnlicher Musik, die irgendwie als „schwul“ gilt. In diesem Block gibt es keine Musik, nur Sprechchöre. Einer ist mir sogar neu, die anderen … ich bin vereinzelt schon nicht mehr textsicher: „Siamo tutti antifascisti!“ (Der Rhythmus war es.)

Weiter den heißen Nachmittag durch die Straßen von Leipzig, ein aufgedrehter Wasserhydrant plätschert auf die Straße – die Möglichkeit, die schon leergetrunkenen Wasserflaschen aufzufüllen. Von den Faschos und Gegenprotesten ist nichts zu sehen. Schon am Bahnhof habe ich nur Polizisten gesehen, nicht aber diese.

Durch die Innenstadt von Leipzig wieder zurück auf den Opernplatz, erst jetzt fällt die Menge erst richtig auf. Der schwarz-bunte Block demonstriert einfach noch weiter mittendurch, stoppt erst in der Nähe des Springbrunnens vor dem Gewandhaus. Erst jetzt ist die Demo für mich beendet. Bestimmt schon 17 Uhr nachmittags … Zeit für einen Imbiss, Süßkartoffel-Pommes und veganer Burger (oder doch vegetarisch). Ich hätte jetzt gerne eine Dusche gehabt … oder ein Hotelzimmer, wird er sich melden? Sieht sehr vage aus, ich plane mein weiteres Vorgehen wieder für die Bahnhofstoilette. In einer Drogerie kaufe ich mir im Anschluss noch ein paar Feuchttücher zum Wegwischen der ganzen Sonnencreme.

Ich bleibe noch etwas auf dem Anschlussfest, die große Bühne ist wieder aufgebaut, der italienische Eisstand nicht weit entfernt. Teure Getränkestände, und die Stände der verschiedenen Organisationen. Ich kaufe mir endlich eine Pride-Flagge für zu Hause – die „progressive“. Auf der Bühne bekomme ich noch die beiden letzten Bands, und bei der Ankunft noch eine Drag-Performance, mit. Speziell der/die/das letzte Künstler-Wesen gefällt mir besonders, ich mag die Musik und lasse mich mitreißen … stehe immer weiter ganz vorne.

Auch diese Bühnenshow ist irgendwann beendet, die Stage-Crew räumt die Bühne ab, da kommt nichts mehr. Die Drag-Queen(s) für die Moderation haben sich schon längst verabschiedet – ich gehe so langsam zum Bahnhof. Nicht alleine gehen. Bleibt in Gruppen, es ist gefährlich geworden. Es sind so viele Menschen hier, ich erkenne die Bedrohungslage nicht. Vor vielen Jahren hätte das keinen interessiert, die CSDs waren einfach nur ein nettes Extra.

Im Bahnhof angekommen, die Drogerie unten, die Tiefgarage daneben. Alles umpacken, ich nehme für meinen Weg in das Bahnhofsklo den Umhängebeutel mit dem weiß-dunkelbraungrün gemusterten, langen Kaftan für die Nacht in dem Club und der kleinen Waschtasche mit dem Duschbad mit dem Parfüm, sowie meine Handtasche mit der Rolle für Make-up, Deo und weiteres. Meinen Körper habe ich in dem Parkhaus neben meiner offenen Autotür schon überall mit den gekauften, feuchten Tüchern abgerieben. Auf der Toilette, vor den Spiegeln, vor den Waschbecken setze ich mein Waschgang weiter fort. Ich muss zwischendurch etwas warten, bis die Kinder neben mir weg sind und ich mein T-Shirt und meinen BH ausziehen kann. Es geht irgendwie, ich wasche meinen Oberkörper mit meinem Duschbad. Eine Frau (PoC) kommt hinzu und fragt schon, mit einem bemitleidenswerten Blick, ob ich „obdachlos“ bin. Nein, ich wohne nur hundertfünfzig Kilometer entfernt und habe gerade kein Badezimmer für mich zur Verfügung. Weiter wieder zurück in eine der Toilettenkabinen, meine Sachen wechseln, das lange und langärmelige Kleid im Kastenschnitt überwerfen und mein durchgeschwitztes T-Shirt, die kurze Hose und das BH-Top in den Wäschebeutel wieder mit in die Umhängetasche geben, die kommt später zurück in den Kofferraum.

Der Make-up-Spiegel auf der geräumigen Bahnhofstoilette im Leipziger Hautbahnhof, ich habe die Zeit vergessen, gefühlt bin ich hier schon seit einer Stunde drin. So viel Zeit brauche ich auch zu Hause (oder in einem Hotel), wenn ich mich für die Nacht ausgehbereit mache. Die Schuhe konnte ich doch nicht wechseln, ich behalte in meinem neuen Dress die Sneaker weiter an. Vor dem Spiegel breite ich meine beiden Taschen aus, der Make-up-Kram aus der Rolle aus der Handtasche, die anderen Sachen im Umhängebeutel. Meine Haare habe ich mir vorher schon nass durchgekämmt, den Sprühstoß des Parfüms auf der Toilette gesetzt. Jetzt folgt der schwarze Kajal rund um das Auge, fein säuberlich verblendet mit meinem kleinen Pinsel … routinierter, als das letzte Mal. Ich stütze den Ellenbogen vor dem Spiegel ab, kann sogar in aller Ruhe mit offenen Augen den Lidstrich ziehen. Es ist draußen schon dunkel geworden, als ich dann nach meiner Vorbereitung für die Nacht, den Hauptbahnhof und die Toiletten wieder verlasse.

Draußen ist es weiter warm, mein langärmeliges Kleid habe ich bis zu den Ellenbogen hochgekremmpelt. Bevor der Club, weit abseits in Plagwitz, erst gegen Mitternacht aufmacht, möchte ich in der Gay-Bar in der Leipziger Innenstadt noch eine Cola trinken.

Die Bar hat offen, laute Musik, ein DJ, viele Gäste … sogar ein freier Platz für mich? Getränke gibt es draußen am Stand zum Abholen, einen Tisch im Außenbereich okkupiere ich gleich für mich. Ich trinke meine Cola langsam, spiele mit meinem Smartphone und der Kamera. Er hat mir eine Nachricht geschrieben, fragt immer wieder nach, wann ich fertig bin mit Ausgehen und Tanzen. Ich antworte ihm, ich weiß es nicht – der Club macht erst Mitternacht auf. Er deutet an, eine Möglichkeit für mich, den Morgen zu schlafen, organisieren zu können, ich müsste ihn dann kontaktieren? Ich weiß, das funktioniert doch nicht, ab einem gewissen Zeitpunkt wird er mir nicht mehr antworten können – und dann stehe ich da, den Sonntag Morgen. Ich vertraue ihm nicht mehr so viel. Als ich kurz vor Mitternacht meinen leeren Becher für den Pfand zurückgeben will und kurz davor bin, zu gehen, werde ich von einem anderen Mann angesprochen … (Ende Teil 1/2)

[15.08.24 / 21:49] Nur eine Nacht Schlaf, nur eine Nacht Pause – den nächsten Vormittag sitze ich den Sonnabend schon im Zug Richtung Berlin. Der Trans Pride (oder auch TIN Pride) steht schon seit einigen Wochen in meinem Kalender. Ich ziehe die Cargohose und das Bauchnabelfreie, schwarze Top vom Tag zuvor an. Es wird wieder heiß, mit in meiner Handtasche habe ich die neue Packung Sonnencreme (gekauft in einem Touri-Laden auf der Insel Poel), im Umhängebeutel meinen Strohhut und meine schwarze Bikerjacke, für alle Fälle, könnte ja den Abend noch kalt werden.

Wen werde ich in Berlin treffen … ein paar bekannte Gesichter vom letzten Pride vor zwei Jahren? Dieses Jahr ist der Demo-Umzug wohl eher klein gehalten und weit abseits irgendwo in Treptow. Wird überhaupt irgendjemand kommen? Ich bin da, ich fahre dahin.

Gegen Mittag komme ich mit dem Regionalexpress am Ostkreuz an, bis zu der „Bucht“, See und Kanal, ist es nur noch eine Station mit der S-Bahn. Angekommen sehe ich schon das kleine Demo-Fahrzeug, ein VW-Transporter mit einer Anlage. Ich bin nicht die erste, es sind schon ein paar Leute da. Bis es losgeht, vergeht bestimmt noch eine oder anderthalb Stunden. Die Polizeikräfte sind auch sehr entspannt und sonnen sich an dem Geländer zu dem großen See.

Auf was für Leute werde ich hier treffen? Letztes Mal war ich nicht die einzige trans Frau, auch dieses Jahr erkennt mein Radar so einiges. Die schlaksigen trans Frauen, so wie ich, mit hübschen Rock oder Kleid, die super aufgepumpten transsexuellen Frauen – in ihren Gesprächen sich über den Preis ihres Körpers und der ganzen Operationen unterhaltend – ich stehe zwar daneben, aber ich kann gar nicht mithalten, als Mauerblümchen (höchstens meine Operation, die passt locker mit 32.000 Euro). Dann die anderen, es kommen immer mehr dazu, die Nonbinären, die Drag Queens, die … ganz klassischen Transvestiten? Warum nicht … Berlin war einmal so weit, vor fast hundert oder neunzig Jahren – und dann hat sich das Machtgefüge verändert und es wurde alles nur noch furchtbar düster. Dafür sind wir hier, um dagegen zu demonstrieren, wir sind die Ersten, die dann draufgehen.

Ich habe auch überlegt, ob ich wirklich heute hierher fahre, oder ob ich nicht lieber sicherheitshalber zu Hause bleibe. Mich verstecke. In meiner Eigenansicht: ich lebe stealth. Ich bin ungeoutet auf Arbeit, niemand weiß von meiner Vergangenheit. Einigen Männern erzähle ich es, andere werden es nie erfahren. Meine Legende ist zurecht gelegt: „Ich hatte wirklich mal eine Operation, da wurde mir ein Teil meiner Schamlippe entfernt und nach innen eingenäht, das war 2019. Aber ich war ganz bestimmt niemals ein Mann. Ich bin eine Frau … so richtig bio-cis-hetero.“

Früher Nachmittag, die Sonne brennt heiß auf meine eingecremte Haut, es geht los. Der kleine Demo-Transporter mit der Techno-Musik und bestimmt fünfhundert, oder sogar mehr, Leuten dahinter. Ein paar Straßen werden abgesperrt, eine Brücke wird überquert – hübsches Berliner Fotomotiv im „vorbeiraven“, ich stehe, bzw. laufe in erster Linie und tanze das ganze Stück. Vor mir sind nur noch die Leute mit dem Transparent und natürlich das Demo-Fahrzeug.

Die Demo selbst endet irgendwo im Treptower-Park. Ein, zwei Zelte, jetzt beginnt das Programm. Die vielen Teilnehmer der Demo verteilen sich auf der Wiese. Ich war schon gleich mit den ersten da und sichere mir ein schattiges Plätzchen unter den Bäumen. Redebeiträge und Drag-Performances. Erst als ein paar trans Frauen ihre mühsam trainierte, echte Gesangsstimme präsentieren, bin ich ergriffen. Das ist wirklich harte Arbeit, die Stimme so zu trainieren, dass sie auch im kräftigen Gesang weiblich klingt. Meine Stimme trainiere ich jeden Morgen im Auto auf den tiefen Klang.

Die Sonne bewegt sich um die Bäume, der Schatten wandert, es wird später Nachmittag. Ich muss auf die Uhr schauen, will ich mit dem vorletzten Zug spätestens Mitternacht wieder zu Hause sein. Irgendwo gibt es bestimmt noch eine Party, es ist Sonnabend und überall in Berlin haben die Techno-Clubs gefühlt schon seit gestern durchgehend offen. Mein Körper macht nicht mehr so richtig mit, die anstrengende Fahrt den Tag zuvor, ohne Pause, die vielen hundert Kilometer auf Tour, die Wärme, ich spüre meine Grenzen. Gleichgewichtsattacken, Doppelbilder, wandernde, taube Stellen auf meinem Körper? So ziemlich alles, was die MS die letzten dreiundzwanzig Jahre hervorgebracht hat. Die politische Veranstaltung endet den frühen Abend in diesem Park. Bis zur nächsten S-Bahn-Station sind es nur ein paar Meter.

Den Regionalexpress am Ostbahnhof sehe ich noch auf dem Gleis stehen, Treppe runter, Treppe wieder hoch – der ist weg. Eine Stunde mehr Aufenthalt auf diesem Ostbahnhof. Viel hat sich verändert, einiges nicht, wann war ich das letzte Mal hier? 2010, 2011, 2012 oder so, ein kleines Underground-Festival – und natürlich 2018. Da irgendwo habe ich dann gegessen, bevor ich mit dem nächsten Zug nach Potsdam gefahren bin … ja, ich war wirklich vor meiner großen Operation die Nacht noch in der Disko. Auch jetzt die eine Stunde Wartezeit esse ich hier irgendwo in einer Imbissbude, eine Portion Pommes.

Weiter den Abend zurück im Regionalexpress Richtung Magdeburg, die Frau, die sich in die Reihe vor mir setzt, ist mir schon durch das Fenster aufgefallen, ganz in Schwarz, ein kurzer Ledermantel, Gothic oder Metal, dezentes, schwarzes Augen-Make-up, lange, blonde Haare, leicht gräulich eingefärbt. Sie ist mindestens zwanzig Jahre jünger als ich und alleine unterwegs. Ihre Art, ihr Verhalten, umsichtig schauend, nicht zu viel Kontakt mit den Menschen um sich herum, erinnert mich stark an meine Touren damals mit dem Zug zu den unterschiedlichsten Konzerten und Festivals. Ich habe mich wahrscheinlich auf ihren favorisierten Platz gesetzt – die Sitzreihe ganz hinten im Wagon, am Fenster, wo bestimmt niemals jemand dahinter sitzt, wegen der Wand, optimal, um von allen Menschen den größtmöglichen Abstand zu halten. Und jetzt sitze ich dahinter. Spreche ich sie an? Auf keinen Fall. Meine Blicke treffen ihre Blicke, als sie sich umschaut, sie will das hier nur irgendwie durchstehen, so bald wie möglich ankommen und den Zug verlassen. Ich rolle mich auf meiner Sitzbank ein und versuche, etwas zu schlafen. Es ist kalt geworden, meine Bikerjacke ist viel zu kurz, genauso kurz wie mein Bauchnabelfreies, schwarzes Girlie-Top.

Sie steigt in Magdeburg aus, ich steige hier nur um. Haufenweise Party-People auf den Gleisen, es ist noch nicht mal Mitternacht und die wollen alle noch irgendwo hin. Mein Provinzkaff, gegen Mitternacht angekommen, ist totenstill, selbst die nervige Fabrikanlage und die stark von LKWs frequentierte Bundesstraße direkt vor meinem Haus, liegt friedlich da. Schlüssel umdrehen, Haus und meine Wohnung oben betreten. Wie immer, meinen ganzen Kram auf der Couch ablegen und ins Badezimmer verschwinden. Make-up hatte ich zwar dabei, aber ich habe es nicht verwendet … wollte nur ganz normal als unscheinbare Frau auftreten. Wenig später, Fenster zum kühlen Durchlüften wieder verschließen und ins Bett fallen. Ob sie sich vor mir gegruselt hat? Ich wirke sonst immer merkwürdig auf andere Menschen?

[10.06.24 / 23:03] Ich fahre zum CSD nach Wernigerode? Dieser kleine CSD im Harz wurde im letzten Jahr bei seiner ersten Ausführung von ein paar ewig gestrigen Idioten massiv angegriffen und braucht dieses Jahr dringend Unterstützung. Während ich mein Outfit überlege – militante Schutzeskorte oder doch lieber die grüne Tunika / Kleid, welches ich schon die ganze Woche anhabe, recherchiere ich im Internet, wo ich das Wochenende parken kann. Ich nehme das Auto und will bei der Hochschule parken. Dabei bekomme ich mit, dass zeitgleich zum CSD auch das alljährliche Campus-Fest stattfindet – und sogar ein kleiner, zweiter CSD, der von der Hochschule aus startet und sich mit dem anderen CSD dann verbindet? Einen Parkplatz werde ich da vielleicht nicht so mehr finden, aber dafür ist das jetzt die Gelegenheit, meine alte Hochschule wieder zu besuchen!

Die Tunika als grünes Minikleid mit einer Leggings, meine Sneaker und mein schwarzer Woll-Cardigan in Strick, das Wetter sieht gut aus, sonnig und angenehm kühl. Mit dem Auto den Sonnabend Vormittag die vertraute Strecke in das Harzvorland hinein. Das Motorrad konnte ich nicht nehmen, das steht weiter ölend in der Garage.

Mittags angekommen, durch den „Tag der offenen Tür“ sind alle Parkplätze auf dem Hochschulgelände belegt. Ich versuche es erst bei meinem alten Parkplatz vor meinem alten Studentenwohnheim, keine Chance. Weiter zu dem anderen Gelände auf der anderen Straßenseite mit der Bibliothek und dem großen Vorlesungssaal. Hier habe ich Glück und es wird gerade ein Parkplatz frei. Rein in die Lücke und meinen alten Studentenausweis klemm ich an die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite, diese kleine Karte mit meinem Foto drauf ist vielleicht schon zwanzig Jahre abgelaufen, aber das kontrolliert hier heute keiner. Schnell mein Kram zusammensammeln, in die schwarze Stoffhandtasche, die ich damals hier in Wernigerode gekauft habe, und wieder rüber auf die andere Straßenseite, zu dem parkähnlichen Hochschulgelände. Würdest du hier studieren, wärst du schon im Urlaub.

Freudig laufe ich meine alten Wege ab, mein Studentenwohnheim, die Mensa, der Automat, wo ich mir immer Geld auf die Karte geladen habe, die grüne Wiese, der Teich, wieder zum Wohnheim, mal durch die Tür reingehen – die Tür zum Treppenhaus ist verschlossen. Unzählige Getränkekisten habe ich hier bis in die mittlere Etage geschleppt. Briefkasten ansehen, meine Ebay-Bestellungen von damals, das hübsche, schwarze Polokleid, das ich mir dann woanders abholen musste, nicht mal ich kann mich noch an die Briefkastennummer erinnern. Raus vor das Wohnheim, hinein in den Verbinder, zum Hörsaal. Super praktisch, wenn es regnete, musste ich nicht mal das Gebäude verlassen, vom Bett in meinem Zimmer bis runter in den Hörsaal, gegen späten Vormittag. Ich kann es mir nicht nehmen und schaue mir auch die Vitrinen mit den ganzen A4-Ausdrucken und Informationen im Aushang an. Hier musste ich gucken und bangen: Habe ich bestanden? Im ersten, zweiten oder dritten Versuch?

Wieder raus auf den Vorplatz, den mit der „Tasse“, die Studentenorganisationen haben ihre Stände hier aufgebaut, ich spreche mit ein paar und frage, wann es mit dem CSD losgeht. In wenigen Minuten, noch Zeit für einen kleinen Kaffee. Blick zum Wohnheim gegenüber, da oben habe ich mal gewohnt, dort ist die Magie passiert, der Kleiderschrank, der sich nach und nach mit den ganzen Anziehsachen für Frauen gefüllt hat. Die vielen Fotos, die die vielen Wochenenden dort oben entstanden sind. Mein Entschluss, 2005, komplett als Frau leben zu wollen und die erste Woche, die ich als Frau zu den Vorlesungen gegangen bin. Der Baum vor dem Fenster von meinem Zimmer ist mächtig groß geworden. Den anderen, großen Hörsaal besuche ich nicht. Das Gefühl verfolgt mich weiterhin: feminin gekleidet, mein langer schwarzer Mantel, die offenen Haare, das leichte Make-up – den Saal von unten vorne zu betreten, die vielen auf mich gerichteten Blicke und vor mir sind vielleicht hundert männliche Informatikstudenten, die Frauen vielleicht nur aus Star-Trek-Episoden kennen … ein Klischee, aber ich spreche auch von mir selbst.

Die Flaggenhissung, vor einem Gebäude / Anbau – das ist neu, das kenne ich noch nicht – „Wie lange steht das hier schon?“ – „Ein Jahr“, wird an einem von drei Masten die Regenbogenfahne aufgezogen. Emotionaler Moment. Hätte es das zu meiner Zeit schon gegeben … eine kurze Rede und dann die Verteilung. Die kleine Gruppe, die sich hier zusammengefunden hat, passt komplett auf dem, etwas weiter entfernt, um die Ecke geparkten Demo-Truck. Ich muss nicht bis runter in die Altstadt laufen, ich kann mitfahren. Noch zögerlich betrete ich die Ladefläche mit dem Stromgenerator, den Lautsprecherboxen und dem DJ-Pult, und suche mir die Stelle ganz vorne kurz vor dem Fahrerhaus, an der ich mich gut festhalten kann. Optimal, ich kann die ganze Zeit entspannt stehen und ich muss keine Sonnencreme auftragen, die Ladefläche hinten ist mit einer Plane schattig überdacht. Meinen Hut und meine Sonnenbrille trage ich trotzdem.

Der Demo-Truck setzt sich mit lauter Musik und den Studenten darauf in Bewegung, gefolgt und begleitet von mehreren Polizeifahrzeugen. Unten, am Eingang zu dem alten Innenstadtkern trifft er auf den eigentlichen CSD, der vom Marktplatz kommt. Weiter geht es, mit den etwa tausend Besuchern, durch die Straßen von Wernigerode … begleitet von noch viel mehr Polizeifahrzeugen. Polizeikräfte in Uniform, Polizeikräfte in zivil (mit Funkgerät) – dieser CSD steht unter massiven Polizeischutz! Waren die Drohungen und Anfeindungen im Vorfeld so schlimm? Wer sind die Menschen, die uns hassen und warum? Dabei ist die Atmosphäre so friedlich und entspannt. Freundliche Menschen winken aus ihren Vorgärten, aus ihren Fenstern, vor und hinter ihren Gardinen uns entgegen, wir winken zurück. Das ist unser Tag, wir haben nur diesen einen Tag, an dem wir friedlich auf die Straße gehen können, mutig uns so zu zeigen, wie wir sind. Für das Lebensgefühl, dass die Menschheit nicht einheitlich grau und stumpf ist – sondern vielfältig, bunt und jeder für sich einzigartig und als Mensch wertvoll.

Etwa eine Stunde später, der Demozug kehrt geschlossen zum Marktplatz zurück, diese Stadt ist nicht wirklich groß. Auf dem Marktplatz sind ein paar Stände aufgebaut, eine Handvoll anderer, queerer Vereinigungen, zwei politische Stände. Ich gehe erst mal einen Kuchen und einen Kaffee bestellen an dem einen Café am Wernigeröder Marktplatz, an dem kein Tourist oder Besucher vorbeikommt, mit Blick auf das kleine, bunte Rathaus. Auf der Bühne davor spielt eine Band, eine Drag Queen performt, ein, zwei andere Drag Queens, oder Künstler, oder Menschen, denen ich ihr Geschlecht nicht zuweise, nicht ohne vorher nach ihrem Pronomen gefragt zu haben, führen durch das Programm. Den nächsten Tag, den Sonntag ist die Europawahl und sie betonen, wie wirklich wichtig unsere Stimme ist! Was sie noch nicht wissen, wie die Wahl ausgehen wird und wie die östliche Hälfte Deutschlands mit großer Mehrheit eine zutiefst queerfeindliche und faschistische Partei wählen wird … der Schock sitzt tief.

Meinen Kuchen und meinen Kaffee habe ich schon längst ausgetrunken, bzw. gegessen, die Bühnenperformance verfolge ich bis 18 Uhr, dann ist die Demo offiziell beendet und es steht eigentlich nur noch ein kleiner Haufen auf dem Marktplatz herum. Abmarsch. Die Straße und den gefühlten Kilometer wieder zum Hochschulgelände zu dem Sommerfest und dem Abend von der Hochschule. (Ende Teil 1/2)

[25.12.23 / 03:16] Wow … ich glaube, ich hatte gerade einen Orgasmus! Nach all den Jahren! 2018 die Operation, das vorsichtige Herantasten, die Schmerzen, die falsche Technik, das Wissen, dass die Operation nicht wirklich gelungen war. Es sah zwar alles hübsch aus, aber eine richtige Vagina war da nicht. Immer wenn ich mit den Fingern tiefer hineintauchte, schlug mein Gefühl sofort um in Verzweiflung, Enttäuschung und Sehnsucht.

Es hat Jahre gedauert, das dort unten zu akzeptieren. Die Korrrekturoperation – der Verlust einer halben Schamlippe als Spender für das Hauttransplantat. Die vielen Männer – die ganzen Nieten: „Wie, du bist da unten nicht tief?“ Meine einzige Hoffnung, wenigstens alleine für mich etwas Gefühl zu erzeugen.

Hatte ich erst die Antidepressiva im Verdacht, mir die Fähigkeit zu nehmen, einen Orgasmus zu erreichen, mich vollkommen fallen zu lassen – war ich doch enttäuscht, als es nicht gleich wieder klappte, als ich sie 2021 absetzte. Ach, das wird schon wieder, das kommt ganz sicher zurück!

Meine Exkurse in die Internet-Erotik, die Live-Sex-Chats mit meinen Liebhabern während der Pandemie … alles bei mir zu Hause, in meiner vertrauten Umgebung. Nur ich habe die volle Kontrolle, was passiert. Meine eigenen Shows – eigentlich nur die Eine und ein Video. Mich zieht es wieder in das Internet, mein Suchfilter auf der Porno-Seite hat sich nie verändert: Spanisch sprechende Schönheit, für sich alleine vor der Kamera, keine störenden Männer, kein Druck von außen, nur sie alleine in ihrer vollkommenen Freiheit. Ich fand es gut, dass sie in ihren Texten niemals auf männliche Genitalien einging, eher zum Mitmachen animierte: „Lass uns gemeinsam da unten anfassen.“

Ich war nah dran, so wie die letzten Jahre … könnte ich nur diesen einen Gipfelpunkt halten, nicht gleich wieder verlieren. Ich brauche mindestens zwanzig Minuten Vorspiel und Phantasie, um eine gewisse Feuchte zu erreichen – das Einzige, was bei mir wirklich sicher funktioniert. Ich mag es, ihr dabei zuzusehen, sie hat so ein bezauberndes Lächeln.

Ein Wochenende später, weit nach Mitternacht, dieses Mal nicht der kleine Laptop an meinem Bett, der große Fernseher mit dem Internetanschluss. Das Sofa, meine geliebte Leopardendecke, wohlig eingehüllt in einer weiteren schwarzen Decke. Sie sieht hübsch aus, ich betrachte sie … mir gefallen die weißen Stiefel.

Ich lasse meine Phantasie schweifen, male mir aus, was ich ihr erzählen könnte. Meine Erlebnisse als Webcam-Erotik-Model – das Gefühl, mit dem Zuschauer zusammen etwas zu kreieren, eine Geschichte, eine eigene Phantasie, etwas, was vorher nicht da war, eine entspannte Atmosphäre, nur in unserer Vorstellungskraft, mit knisternder Erotik!

Ich lasse meine Finger nach unten wandern, wie schon viele Male zuvor. Kein Druck, nicht ewig daran herumrubbeln, bis es schmerzt, nichts erzwingen, nichts nachjagen, nicht wieder voller Enttäuschung, dass es wieder nicht geklappt hat, davon ablassen. Dieses Mal nicht. Zwei Finger an meiner Klitoris … und ihr einfach zuzusehen – ihr winziger, weißer Slip zeigt mehr, als er verbirgt. Ihre beiden Schamlippen zeichnen sich schon wirklich deutlich ab.

Und auf einmal passiert es! Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist – ich bin nicht nur feucht, ich bin klitschnass! Mit einmal! Geradezu explosionsartig. Gut, die schwarze Unterhose kann ich jetzt waschen, die Oberschenkel kann ich mit etwas Klopapier abtupfen. Es zieht wie immer glitzernde Fäden zwischen meinen Fingern. Ich mag den Geruch. Viel wichtiger ist der Moment, wie ich das Plateau erreiche. Bleibe ich hier oben, voller Glücksgefühle? Und wenn ja, wie lange wird es andauern? Auch wenn es nur ein kurzer Moment ist, auch wenn es nur ein Orgasmus ist, es ist wieder so, wie ich es viele Jahre vermisst habe.

Vor vielen Jahren, die Nächte in den Hotelzimmern, der Analsex bis zur Besinnungslosigkeit. Das unoperierte Genital, gebändigt voller weiblicher Hormone, noch viel empfindsamer, als jemals zuvor. Das Trauma der Operation, das Kennenlernen meines neuen Körpers, die Zurückweisungen der Männer, nicht mehr gut genug für Sex zu sein. Der Gedanke, niemals wieder etwas wie dieses Gefühl empfinden zu können. Und doch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, auch wenn es Jahre dauert – irgendwann wird es ganz sicher wieder passieren! Und dann schreibe ich darüber!

Danke dir, du wunderschönes Camgirl.

[21.08.23 / 00:52] Mein Plan: Ich mache das so, wie in Leipzig vor ein paar Wochen, dieselbe Temperatur, derselbe Ablauf. Das Fest mit der Bühne und den Ständen lasse ich sein, nach der Demoroute zurück ins Hotel, eine Dusche nehmen und wieder ausgehfertig für die Nacht zur großen Abschlussparty machen. Nur dass ich hier kein Hotel brauche, ich nehme einfach den nächsten Regionalzug den Nachmittag zurück in meine Provinz-Kleinstadt und Wohnung. Mehrere Runden noch in der Hitze durch die aufgebauten Stände … der Stand mit den Flaggen hat leider keine Progress-Regenbogenflagge mehr, ich will auch so eine an meinem Fenster draußen zur Straßenseite aufhängen (gesehen das letzte Wochenende in Leipzig, im Wind wackelnd von dem Tisch von der Bar aus, mit meinem „Date“). Es ist noch Zeit am Hauptbahnhof, für ein Stück Kuchen und eine weitere Flasche Wasser (ganz wichtig). Essen war ich schon vorher, Falafel Döner.

Mein Badezimmer oben auf dem Dachboden, die Ventilatoren so aufgedreht, dass die Hitze etwas erträglicher wird. Ich bin das gewohnt, ich lebe schon Jahrzehnte auf Dachböden. 21 Uhr nochwas den Sonnabend Abend, Beine rasieren – diese tatsächlich eine (kühlere) Etage tiefer, in das, was einmal mein neues Badezimmer werden soll – eine Dusche nehmen, vor meinem großen Spiegel das Make-up auftragen. Ein feiner Kajalstrich, dezentes, schwarzes Mascara und dann die Kajal-Lidschatten-Melange in der äußeren Hälfte des Augenlids noch oben hin weg verblenden. Lippenstift brauche ich nicht, weiteres Make-up würde ohnehin sofort zerfließen, ein Sprühstoß des zum Duschbad passenden Parfüms auf meinen Nacken und ich kann mich meiner Kleiderwahl für die Nacht widmen: der schwarz-weiße Rock und das kurze, schwarze Top mit den etwas längeren Ärmeln, zusammen mit dem Silberschmuck (Armreif, Armband, Ring und Kette mit indischen Anhänger) und die schwarzen Plateaupumps aus Wildleder. Für die Fahrt zur Disko wechsele ich auf auf ein Paar Ballerinas – ich nehme das Auto. 22 Uhr nochwas und ich bin raus und bereit für die Nacht.

Mit meinem Roadster im Dunkeln durch die ländlichen Straßen, unzählige Male bin ich diese Strecke schon gefahren, als ich noch frisch den Führerschein hatte und ich dieses Kaff endlich verlassen konnte, zur Disko nach Magdeburg … damals vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gab es da noch was mit Gothic. Jetzt bin ich auf dem Weg zur CSD-Abschlussparty in einer vielversprechenden Venue im alten, freigelegten Festungsring rund um den (plattgebombten) Innenstadtkern von Magdeburg … da wollte ich schon immer mal hin. Drei bis vier Tanzflächen, von Techno, Rave, bis Achtziger/Neunziger. In meinem Autoradio läuft ein tanzbares Album eines Retro-Minimal-Wave Künstlers. Viele Autos fahren die nächtliche Straße entlang … sie wollen alle von hier nach dort zur nächsten Disko.

Als ich den Veranstaltungsort erreiche, bin ich viel zu früh da, der Club macht erst in einer halben Stunde auf – und das ist mit 23 Uhr schon ziemlich früh, wenn es woanders erst um „23:59“ losgeht. Vielleicht haben sie an die älteren CSD-Gäste gedacht, die das nicht mehr so können. Mein (weiterer) Plan: Früh kommen, früh gehen, früh – also noch vor Sonnenaufgang – wieder ins Bett fallen. Ich biege auf den kleinen Parkplatz mit der Bretterbude für den Eingang und der noch verschlossenen Tür ein. „Boing!“ Mein tiefergelegter Sportflitzer kratzt über so eine, wirklich ungünstig gelegene Bordsteinkante. Die wenigen Besucher, die da schon am Eingang stehen, werden nach und nach mehr und es entwickelt sich zu einer kleinen Attraktion, die einfahrenden Autos und die fiese Bordsteinkante zu beobachten (es werden vielleicht schon Wetten abgeschlossen). Bis sich jemand erbarmt und eine Tonne als Markierung auf diese ungünstigen Stelle zieht. Zu spät für mich, ich kontrolliere nach dem Aussteigen und dem Wechseln meiner Schuhe, mit meinem Kameralicht den Seitenschweller, genau diesen habe ich schon einmal in einem Parkhaus verloren.

Draußen am Eingang, warten, in der Hitze des Abends. Grillen zirpen. Ich werde von zwei jungen NBs angesprochen – sie benutzen das Wort „Sie“ – ob ich einen „Muttizettel“ unterschreiben könnte, sie bräuchten noch eine Aufsichtsperson, um in die Disko reinzukommen. „Ja, OK.“ Ich habe eigentlich gar nicht so richtig die Ahnung, was das für mich bedeutet und was das für Konsequenzen für mich hätte, wenn da irgend etwas hinterher schief läuft, aber ich lasse mich überreden. Warum nicht, ich habe mich auch mit fünfzehn in die Disko geschmuggelt und da ist nichts passiert. Die beiden haben schon einen Ausweis, sind nur noch nicht volljährig. „Ich nehme meinen alten, männlichen Namen. Da kommen die nie drauf!“, ich bin wahrscheinlich die schlimmste Wahl, um verantwortungsbewusste, erziehungsberechtigte Person zu werden. „Ich bin jetzt er-zieh-ungs-be-rech-tigt.“ Die Kasse öffnet sich, ich zeige mein Ticket aus dem Vorverkauf auf meinem Telefon, die beiden da gehören zu mir. Gleich hinter dem Eingang sind sie frei und können machen, was auch immer sie machen wollen. Der Club ist ein Safe Space. Immer, wenn ich die Nacht die Tanzflächen wechsele, werde ich mal nach den beiden Ausschau halten, ob ich sie irgendwo noch sehe, oder ob sie Probleme haben (vielleicht zu viel getrunken). Aber ich werde hier nicht die „Anstandsdame“ (und tatsächlich sehe ich sie danach auch nicht mehr).

Ich erforsche diesen Club, diese alte Festungsanlage mit den Gewölben. Langgezogen, mit vielen kleinen Ecken und Nischen. Dunkel, spärlich beleuchtet, drei kleine Tanzflächen und Bars drinnen, eine große Tanzfläche draußen auf einem Holzparkett und einer stark frequentierten Bar daneben. Der Club füllt sich schnell. Diese wunderbar laue Sommernacht ist einfach zu verlockend, draußen zu feiern. Ich bestelle mein erstes, alkoholfreies Mate-Getränk.

Die Tanzfläche unter dem wolkenverhangenen Sternenhimmel, jedes Mal, wenn etwas Bekanntes aus den Achtzigern oder Neunziger-Eurodance gespielt wird, bin ich oben auf dem Parkett und schlurfe in meinen Plateaus. Eurodance … da hätte ich als Goth nie zu getanzt. Drinnen in den Gewölben, die eine Tanzfläche mit den wechselnden DJs und DJanes, mal Afro-Beat, mal Acid-Rave. Unter dem Stroboskop-Gewitter lasse ich mich rhythmisch fallen. Hämmer mir diese Scheiße aus dem Kopf! Ich habe ständig noch diese Bilder von der Reichsbürger-Veranstaltung den Nachmittag zuvor in mir. Wie die da mit ihren Flaggen und Trommeln marschiert sind, wie bedrohlich das Ganze wirkt – und was das für eine Gefahr für die ganze queere Community und das freie Leben werden wird … werden könnte. Bin ich zu dystopisch? Auf jeden Fall wirkt der Rave in den kühlen Gewölbegängen: ich schließe beim Tanzen meine Augen und es erscheinen die inneren Bilder von den unzähligen Partys auf denen ich war, mit den vielen interessanten, queeren, alternativen und schönen Menschen.

Nach und nach, ein zweites Mate-Getränk, ein Glas Wasser, eine experimentierfreudige Matcha-Brause. Die schmutzigsten und überlaufendsten Damenklos, in der der Boden immer nass ist und permanent das Klopapier fehlt und dafür die Mülleimer überquellen. Draußen alles beobachten, an einem Tisch stehen, drinnen durch die Gänge laufen, den Bauch einziehen, mich durchschieben. Schade, dass ich nicht wirklich angesprochen werde. Eine etwas ältere Frau hat mal auf dem Tresen ein paar Münzen für mein Mate-Getränk liegen gelassen – ich habe das nicht verstanden und mein Getränk selbst bezahlt. Einmal wurde ich gefragt, ob der Platz auf der Bank neben mir noch frei ist – aber ich erwarte auf schwulen Partys nicht, angesprochen zu werden. Ich bin als trans Frau uninteressant. Trans Frauen haben keine Freunde. Wenn ich eine trans Frau in der Menge erkenne, stöckelt sie immer alleine irgendwo herum. Stunden zuvor auf dem CSD habe ich wieder die Eine gesehen – sie ist mit ihren ein Meter neunzig aber auch ziemlich auffällig – nur sie anzusprechen, das habe ich mich nicht getraut, bin nur an ihr vorbeigetanzt. Vielleicht kommt sie die Nacht hier auch vorbei, in diesen Club? Dann könnte ich vielleicht den Mut aufbringen … sie wird nicht kommen, sie wäre mir ganz sicher wieder aufgefallen.

3:30 Uhr, mein Wollponcho, den ich noch im Auto, für alle Fälle, auf dem Beifahrersitz liegend, mitgenommen habe, habe ich doch nicht gebraucht. Mein schwarzes Top ohne Unterhemd reicht auch jetzt noch aus. Meine Füße, meine Zehen schmerzen – wie Profi-Ballerinas habe ich die Schuhspitzen meiner Plateaus mit Taschentüchern ausgestopft, um einen besseren Halt darin beim Tanzen zu haben. Draußen auf dem Parkplatz, als ich den Club dann doch für den Heimweg verlassen habe, ziehe ich sie mir vorsichtig vor meinem Kofferraum wieder aus, lege sie einen nach dem anderen hinein und wechsele einbeinig hüpfend in meine flachen Ballerinas zum Auto fahren. Klappe zu, noch einmal den Seitenschweller auf der Beifahrerseite abklopfen – alles hält – und ich steige ein. So viele Menschen stehen noch auf dem kleinen Parkplatz herum, ein Kommen und Gehen – ich bin mir sicher, die Party geht noch bis Sonnenaufgang.

Die Straße durch die Nacht und den tiefdunklen Morgen wieder zurück, der vorausgesagte, morgendliche Nebeldunst ist noch nicht eingetroffen. Ich fahre allein, niemand ist sonst unterwegs. Zu Hause biege ich mit meiner lauten Musik im Autoradio auf die kleine Stellfläche mit der Garage ein. Die Funkfernbedienung für das Rolltor. Ein Fade-out am Drehknopf für die Lautstärke. Das Album werde ich die nächsten Tage, wenn ich wieder morgens zur Arbeit fahre, weiterhören. Oben im Badezimmer im Dachgeschoss, das mit dem großen Spiegel … die Packung mit den feuchten Tüchern zum Entfernen des Augen-Make-up ist jetzt leer, es war das letzte Tuch. Fünf Uhr nochwas, eine Etage tiefer, ich kann mich endlich ins Bett fallen lassen. Den heißen Sonntag in ein paar Stunden mache ich einfach gar nichts mehr, ich bin zu erschöpft. (Ende Teil 2/2)

[21.08.23 / 00:51] Ich habe Dinge gesehen … (2) – Der CSD in Magdeburg 2023. Die Kleiderfrage: Wenn es kühl wird, komplett in Leder, alles, was ich habe, Jacke, Stiefel, Minirock und leichte Handschuhe. Wenn die Rechten dort aufmarschieren, dann komplett in Schwarz, Kampfstiefel, Kapuzenpullover, Sonnenbrille, vielleicht eine Bauchtasche für die nötigsten Utensilien und die Motorradhandschuhe mit dem Knöchelschutz. Es wird laut Wetterbericht, jenseits von dreißig Grad werden, mit schönstem und heißesten Sonnenschein und meinen ganzen Plan wieder umhauen.

Die Nächte davor waren schon ziemlich heiß (und schlaflos), ich habe mir auf den Kleiderbügeln mein finales Outfit zusammengestellt, mein schwarz-weißer Blümchenrock, das kurze, schwarze Mini-Top und das weite, schwarze Tank-Top mit der markanten Aufschrift: Not Afraid of Love – das habe ich schon länger nicht mehr angezogen, alles zusammen mit meinen robusten Keilsandaletten und meiner obligatorischen, dicken, schwarzen Sonnenbrille. Ich habe aus dem letzten CSD in Leipzig gelernt, ich nehme die absatzlosen, leichten Schnürschuhe für die Demo und die Plateaupumps mit Absatz für die Party danach – und zwei Tops – damit ich das durchgeschwitzte dann wechseln kann. Es wird alles spontan werden (welches Top ich zuerst anziehe), wenn ich dann nach der nächsten heißen Nacht den Sonnabend im August aufwache.

Sieben Uhr nochwas … Zeit genug, noch einmal die Beine nachzurasieren, ein legeres Frühstück draußen im Garten auf der überdachten Holzterrasse einzunehmen, alles in meine Stoffhandtasche zusammenzupacken – das weite, schwarze Top mit der Aufschrift anzuziehen – pinkfarbene Schnürsenkel zusammenzubinden und mich die fünf Gehminuten zum Bahnhof fahren zu lassen. Gegen zehn Uhr auf nach Magdeburg.

Es ist wie immer, voller Menschen, die ganz jungen in ihren buntesten Fahnen. Ich gehöre nicht zu dieser Regenbogen-Gruppe, mein Weg trennt sich – ich laufe zielgerichtet zum Domplatz mit der dort angekündigten Gegenveranstaltung der Reichsbürger. Warum? Was will ich da? Ich will sie sehen, ich will wissen, was das für Menschen sind. Geschichtsrevisionisten, Esoteriker oder einfach auch nur Anarchos, wie ich? Im schlimmsten Fall sind es brutale Skinheads mit Nazi-T-Shirts und ich könnte dort umgehend abgestochen werden. Ich will auch wissen, wie die Polizei das dort ordnet, wenn wenige Stunden später den frühen Nachmittag beide Demos, also die rechte Kundgebung und der dort vorbeiziehende und eine Pause einlegende CSD auf dem großen Platz aufeinandertreffen – und ich will bis dahin mich in ein Café setzen und im Schatten, geschützt vor der Sonne, darauf warten – und irgendwo soll noch eine „Gegen-Gegenkundgebung“ der Linken sein.

Ich schaffe es problemlos bis zum Platz, eine Waffel spätes Frühstückseis in der Hand, ich sehe ganz touristisch harmlos aus und sondiere schon einmal die Lage. Lage, Auftrag, Nachbarn, Grenzen … Ich bin der militärische Arm der Trans-Antifa. Der Platz ist groß, die rechten Veranstalter haben eine kleine Fläche für ihre Kundgebung auf der Seite, die vom Dom abgegrenzt wird. Es gibt mehrere Zugänge auf diesen Platz, rundherum sind Gebäude, unter anderem der Landtag von Sachsen-Anhalt (und mir ist aufgefallen, dass die Regenbogenflagge dort abgehängt wurde, wenn sie überhaupt hing). Fluchtwege, bereitstehende Polizeifahrzeuge, nicht ganz so viel Bereitschaftspolizei. Es wirkt friedlich, die Absperrgitter für später sind noch gar nicht aufgebaut. Ich wähle das abgelegenere Café am anderen Ende des Platzes für meinen Spähposten und eine große Tasse italienischen Cappuccino. Das zweite Café dort hinten neben der Kundgebung wird bestimmt mehr von „denen“ besucht. So weit die Theorie.

Die Leute am Nachbartisch fallen mir gleich auf, ältere Männer, adrett gekleidet, die eingerollte schwarz-weiß-rote Reichsflagge neben sich. Die ältere Frau, die sich wenig später zu mir an meinen Tisch setzt, wirkt eigentlich ganz nett … bis ich sie ein oder zwei Stunden später glaube wiederzuerkennen, in der ersten Reihe der Trommler auf ihrem Marsch rund um den Domplatz. Jetzt an diesem Tisch in dem überdachten Außenbereich des Cafés unterhalten sie sich nur ganz locker, über Reichsbürger-Themen, was Reichsbürger so interessiert, so die Zeit mit dem „Norddeutschen Bund“ (1867 – ich habe es im Wiki nachgelesen), ihr Credo: „Da müssen wir wieder hin!“ und natürlich kennen sie auch alle historischen Flaggen der Bundesstaaten auswendig, von Preußen bis Sachsen, die wenig später auf dem großen Platz zur Flaggenparade aufgereiht werden! Ich beobachte währenddessen das Treiben dort hinten am Dom und lausche, mehr oder weniger unfreiwillig, den Gesprächen der Gruppe an meinem und dem Nachbartisch … Großer Gott, ich werde hier noch umgedreht!

Mit Beginn der Aufreihung für die Flaggenparade leert sich das Café schlagartig. Die martialische Trommelgruppe zieht an mir vorbei, sie dürfen den Platz zweimal umrunden, angeführt von einer Polizeiwanne als Eskorte. Die Fahnenträger verschwinden alle nacheinander aus meinem Sichtfeld, hinter das Landtagsgebäude zur Elbe hin … hätten nur noch Fackeln gefehlt, aber dafür ist es die Mittagszeit leider viel zu hell. Erst war ich noch in dem Gedanken, dass das gemäßigte Reichsbürger sein könnten, so mit der Einstellung: Ob du schwul oder trans bist, interessiert mich nicht. Das ist deine Privatsache, was du mit deinesgleichen in deinem Haus oder in deiner Freizeit machst, ob du da ein Röckchen trägst, mit anderen Männern „Liebe machst“, oder was auch immer. Täusch dich nicht, der Hass ist grenzenlos. Die Situation mit dem Aufmarsch wirkt auf mich bedrohlich und weckt innerste Fluchtreflexe … ziehe ich mich auf die Toilette des Cafés zurück? Selbstverständlich die Damentoilette – das ist mein Schutzraum! Haue ich einfach ab? Ich muss meinen Kaffee noch bezahlen. Ich tue mir die ganze Scheiße an und blicke von meinen Sitzplatz aus weiter auf die Szenerie. Zurück aus der Damentoilette, mit ganz viel Sonnencreme auf der Haut, den Kaffee (und den Orangensaft) bezahlt, verlasse ich das Café an dem einen Ende des Domplatzes und laufe rüber zum Dom auf die andere Seite, von irgendwo habe ich die „Alerta Antifascista“ Rufe gehört.

Sie sind da! „Freunde!“ Mein Lächeln in meinem Gesicht, als ich auf die kleine Gegen-Gegenkundgebung der Linken treffe. Eine ganz kleine Gruppe an der Ecke des Doms, aber in unmittelbarer Nähe der rechten Kundgebung, nur getrennt durch eine Straße, ein paar Absperrgitter und ein paar Bereitschaftspolizisten in blau-schwarzer Montur. Die Lautsprecherboxen werden aufgedreht und die Faschos / Nazis / RBs dort drüben beschallt. Ich bin weiterhin in meiner angespannten, emotionalen Lage und beobachte die Flanken, rechts, links, hinter mir. Lage, Auftrag, Nachbarn, Grenzen: Gegenkundgebung und Gegen-Gegenkundgebung, auf die Ankunft des CSD warten, die Stellung halten, Flagge zeigen (Regenbogen und die Rote), Nazis beschallen. Sind Reichsbürger auch Nazis? Ich hätte nicht so lange in dem Café mit der Gehirnwäsche ausharren sollen …

Die Sonne dreht sich, der Schatten wandert, die kleine Gruppe wandert mit. Die große Kundgebung dort drüben auf dem Domplatz muss in der Sonne schwitzen, wir haben es hier an der Ecke des Doms eigentlich ganz angenehm und kühl. Jemand aus der Orga hat Wasser und Eis bereitgestellt. Es gibt nur ein oder zwei Pöbeleien von ein paar angetrunkenen Rechten, so wie ich mir Skinheads aus den Neunzigern vorstelle – jetzt eben mit Ü50, grauhaarig und Bart, aber immer noch irgendwie asi und braune Scheiße im versoffenen Kopf. Die neue Rechte mit akademischen Bildungsgrad ist weitaus gefährlicher und ich bin mir nicht so hundert Prozent sicher, ob ich nicht auch ihren Gedanken erliegen könnte. Sie haben schon eine von uns umgedreht – und das war die hübscheste trans Frau auf ganz YouTube! Ich bin hier unter Freunden. Kommunistische Kampflieder und Anarcho-Punk-Songs werden angespielt.

13 Uhr geht der CSD auf dem alten Markt los, 14 Uhr wird er hier vorbeiziehen. Bässe sind zu hören, Sprechdurchsagen, laute Musik und die Demotrucks des großen CSD beginnen langsam auf den Domplatz einzubiegen. Endlich! Wir haben auf euch gewartet. Die linke Gegen-Gegenkundgebung wird von Polizisten abgeschirmt. Wir winken den lauten Demotrucks mit den bunten Regenbogenfahnen entgegen. Ich hoffe, sie wissen es zu würdigen, dass wir hier die Stellung gehalten haben, als letzte Bastion gegen den ganzen rechts-konservativem Gedankenkram, der eigentlich nichts anderes will, als unsere vollständige Vernichtung und Auslöschung. Keine bunten Fahnen mehr, nur noch grauer Matsch und Düsternis.

Der CSD zieht weiter, auf die andere Seite des Platzes zum Landtag hin. Die Rechten wenden uns den Rücken zu – sie sind mehr fixiert auf den CSD und sehen in den – ja, es sind Kinder, mit bunten Regenbogenfahnen und Glitzer im Gesicht – ihr Feindbild. Jetzt mal ehrlich: Wie krank seit ihr im Kopf? Unsere linke und antifaschistische Demo löst sich langsam auf. Einige schließen sich gleich dem CSD an, andere später. Ich wollte eigentlich auch nur bis hierhin warten und dann mit dem CSD weiterziehen. Ich nutze das Angebot, in einer Gruppe zu laufen – Seitenstraßen mit alkoholisierten Fascho-Gesocks sind unberechenbar. Der Stand wird abgebaut, die letzten Flaschen Wasser und Eis am Stiel werden verteilt (nett, für das Angebot).

Spätestens auf dem großen Hasselbachplatz (so ein Magdeburg-Ding), gehe auch ich mit unter in die große Gemeinschaft des CSD. Hier sind es wieder mehrere tausend Menschen und mehrere Demotrucks. Vielleicht hat sich vorhin der Zug geteilt? Nicht jeder CSD-Teilnehmer und Teilnehmerin sucht die Konfrontation mit den Rechten. Hier auf dem zentralen Straßenplatz mit der letzten, bunten Kundgebung ist wieder alles normal. Der Zug zieht weiter mit lautester Musik in der sengenden Sommerhitze dieses Wochenendes im August. Die absatzlosen Schuhe und der schöne Rock und das bequem sitzende, breit geschnittene Tank-Top waren gut gewählt von mir. Die Trucks vorne und hinten, die unterschiedlichste Musik, die vielen interessanten Menschen, schwul, trans, lesbisch, was auch immer, hier und da 'ne Drag Queen. Ich bin zu Hause und tanze mich zu der Rave-Musik durch die Menge und den breiten Innenstadtstraßen. Wenig später: der Tross des CSD erreicht seinen Anfangs- und Endpunkt, wie jedes Jahr, der alte Markt von Magdeburg mit dem Rathaus (und hier hängen auch wieder die Regenbogenflaggen). (Ende Teil 1/2)

[30.07.23 / 22:51] Dicht an dicht, vor mir die anderen Menschen, neben mir, hinter mir. Der schwarze Block schiebt sich vorwärts, durch die Straßen von Magdeburg. Nur ein kurzes Stück in Richtung der Messehallen rüber auf die andere Seite der Elbe … dort der Bundesparteitag einer nicht näher erwähnten, neofaschistischen Partei. „Alerta, alerta, antifascista!“ Laute Sprechchöre, ununterbrochen. Pyrotechnik wird gezündet, ein Böller, mehrere Rauchbomben. Ich steige mit meinen Füßen darüber, durch den roten Qualm. Vermummung wird vereinzelt angelegt, ich setze meine tiefschwarze Sonnenbrille auf, meine grüne Regenjacke ist schon beim Start am Hauptbahnhof eingerollt in meiner schwarzen Handtasche verschwunden. Jetzt nur noch meine schwarze Lederjacke, meine schwarz-graue Jeans und meine Schnürstiefel. Den schwarzen Kapuzenpullover habe ich zu Hause gelassen, auch wenn es nieselt, die Temperaturen sind an diesem Sonnabend zu heiß.

Der Demozug bleibt auf der langen Elbbrücke stehen, die seitlichen Transparente werden als Sichtschutz hoch gehalten, die begleitenden Polizeieskorten filmen alles. Innerhalb des schwarzen Blocks der Antifa kann jetzt etwas entspannt werden, etwas Raum in diesem sicheren Platz schaffen, bevor es dann nach ein paar Minuten wieder vorwärts geht: „Nach vorne aufrücken!“ Keine Möglichkeit schaffen, den Bullen vereinzelt Personen herauszugreifen. „Siamo tutti antifascisti!“

Stunden später, ich sitze gelangweilt unter einem aufgebauten Zeltdach einer Gewerkschaft im Schatten vor der schwitzenden Sonne, die Lederjacke habe ich schon lange ausgezogen, darunter trage ich nur mein Trans-Lives-Matter T-Shirt. Die Demo hatte beim Start noch ein- oder zweitausend Menschen, jetzt den Nachmittag auf dem Platz mit der Protestkundgebung hat sich alles zerstreut. So viele sind hier nicht mehr. Ein schwarzer Block ist gar nicht mehr so richtig zu erkennen und der Parteitag mit den Nazis ist noch mehrere hundert Meter entfernt. Nett gemeint von den linken Organisatoren, hier eine Gegenveranstaltung abzuhalten, aber das werden die Rechten dahinten nie hören oder mitbekommen. Ich warte auf die andere Zubringerdemo, die hier noch ankommen soll. Ein Rave, zwei Trucks, viel Techno, die ich schon mittags zu Beginn am Bahnhof gesehen habe.

Laute Bässe, es passiert endlich was! Interessiert beobachte ich das Spiel vor mir, wie die Polizei mit mehreren Fahrzeugen die Kreuzung absperrt, bevor die zwei Trucks auftauchen und in Richtung des Versammlungsplatzes einbiegen … mit vielleicht fünfzig, oder hundert, oder zweihundert Leuten dahinter. Es werden auf jeden Fall mehr, als auch ich erkenne, dass die Demotrucks nicht hier anhalten und die Straße weiterziehen, in Richtung der Messehallen! Ich laufe schnell dazu und reihe mich ein.

Der Demozug verlässt die Hauptstraße, biegt ab in Richtung der Messeparkplätze, eine Gasse in Richtung der ersten Messehalle und bleibt stehen. Die Anlage wird aufgedreht, laute Musik. Vor uns, der tanzenden Crowd, das abgesperrte Gelände, hohe Zäune mit Sichtschutz. Davor haufenweise Bereitschaftspolizei in dicker Montur, dahinter die Messehalle und die ganzen blau-weiß-roten Fahnen dieser Partei im Wind. Eine bizarre Atmosphäre. Diese Fahnen erinnern nicht ganz zufällig an die Beflaggung in ganz Deutschland vor achtzig oder neunzig Jahren. Sie versuchen es nicht einmal mehr, es zu leugnen, dass sie Nazis sind!

Die Lage ist ernst, so entspannt und frei kann ich an diesem späten Nachmittag und an diesem Ort nicht mehr tanzen. Immer wieder ist da diese Vorahnung, wenn die wirklich mal an die Macht kommen – und das wird, ich hoffe, niemals passieren – dann haben wir hier auch Zustände wie jetzt in Russland und jetzt in einigen Bundesstaaten in den USA. Alles, was trans ist, wird systematisch ausradiert und kriminalisiert. Namens- und Personenstandänderungen werden rückgängig gemacht (das passiert in Russland!) und nicht mehr anerkannt, jede Möglichkeit, auf eine geschlechtsangleichende Operation oder eine Hormontherapie wird unterbunden oder sogar verboten. Gesellschaftlich wirst du als trans Frau wieder auf einen Mann zurückgestuft, egal, wie weit du schon transitioniert bist – und hast im besten Fall noch Glück, wenn du von einem wütenden, parteifreundlichen Mob nicht gleich auf offener Straße totgeprügelt wirst. Auch das hatten wir hier in Deutschland schon, 1933 – die Erstürmung des Instituts von Magnus Hirschfeld in Berlin und die erschreckende Erkenntnis, dass seine trans Mitarbeiterinnen nach diesem dunklen Tag nie wieder gesehen wurden. Und die da hinten, in der zweiten Messehalle direkt hinter der ersten vor uns, sind mit ihrem Hass nicht weiter weg. In der Geschichte der Menschheit ist das in etwa so nah, wie gestern.

Ich hoffe, sie hören uns, der dumpfe Krach von irgendwo weiter weg, als belustigende Randnotiz dieser alten Herren, voller rassistischer und alles-möglicher-phoben Scheiße in ihren Köpfen. Gewählt werden sie trotzdem. Mir bleibt nichts anderes übrig, als für den Tag, wenn das Undenkbare passiert, einen Plan zur Flucht ins Exil umzusetzen. Es wird immer schwerer, noch ein europäisches Land zu finden, das nicht komplett einer faschistischen Ideologie erliegt.

Die kleine Demo zieht ab, die beiden Trucks setzen zurück. Die bis jetzt noch friedlichen Teilnehmer drehen sich auch um in Richtung der Musik. Ein Tumult entsteht, die Situation scheint zu kippen. Was ist passiert? Ich sehe es nicht genau, ein Demoteilnehmer wurde von der blau-schwarz uniformierten Schutzstaffel festgesetzt und mitgenommen? Eine aufgebrachte Menschentraube bildet sich. Der Veranstalter der Demo versucht über das Megaphone zu eskalieren. Ich drehe mich mehrmals hin und her, ich weiß nicht, was ich machen soll. Setze ich mich jetzt hier einfach hin? Auf das Kopfsteinpflaster? So als gewaltloser Protest? Ich sehe die Menschen vor mir – es hat keinen Sinn, mit den Polizisten zu diskutieren, die sind psychologisch geschult, alles zu blocken! Ich erinnere mich an den Moment, als ich auch mal von denen mitgenommen wurde. „Ach, Scheiße!“ Ich drehe mich beschämt mit gesenkten Kopf um und ziehe auch ab. „No one left behind.“ Ein Versprechen, das ich nicht halten konnte … dafür das Versprechen meiner Eltern den Morgen gegenüber, dass ich mich nicht verhaften lasse.

Die Demo kehrt zurück auf den Kundgebungsplatz mit der kleinen, aufgebauten Bühne und der Tankstelle und den Discounter als einzige Futterquelle gegenüber. Es sind den Abend noch weniger Menschen da, als noch zu dem Höchstpunkt am frühen Nachmittag. „Abmarsch“, ich bleibe auch nicht mehr länger. Zurück über die zwei Elbbrücken in Richtung Innenstadt und den Bahnhof. Den Weg zurück, den ich vor vielen Stunden noch entgegengesetzt gelaufen bin, inmitten der von überall angereisten, antifaschistischen Demoteilnehmer, seitlich flankiert von unzähligen Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Jetzt den Abend ziehen nur noch vereinzelt ein paar Einsatzfahrzeuge an mir vorbei. Eine ziemlich düstere Stimmung, dass die Sonne jetzt scheint, nach diesem sehr wechselhaften Tag, ändert daran nichts. Auch nicht die Pasta bei meinem Italiener den späten Abend im Außentisch vor der Shopping-Mall mit den vielen jungen Leuten, denen dieses (eigentlich ernste) Thema wahrscheinlich am Arsch vorbei geht. Manchmal werde ich noch wegen meines auffälligen T-Shirts mit der hellblau-weiß-rosaroten Flagge angestarrt. „Trans Lives Matter.“

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg

Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,

vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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