morgana81 - gothic transgender
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Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren.

[16.09.25 / 13:23] Beine rasieren, Duschen, Make-up auftragen, die Zwei-Farben-Lidschatten-Palette, schwarzer Mascara und Kajal, das orientalische Parfüm hinten auf den Nacken und die zwei Flecken Patchouli hinter den Ohren. Die Netzstrumpfhose mit dem Blumenrankenmuster, das schwarze One-Shoulder-Kleid, die Perlenkette, der marokkanische Armreif, der andere silberne Armreif und der Ring mit dem grünen Stein. Die absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefel und die Punker-Lederkutte. Meine kleine, schwarze Handtasche – auf dem Weg zu den S- und U-Bahn-Stationen den beginnenden Abend in Berlin sehe ich viele junge Frauen, die genau so herum laufen. Wieder meine zwei Stationen auf die Südseite vom Spreekanal, zu dem Club für das schwarze Festival. Der Weg ist schnell zu laufen, ich bin pünktlich um zwanzig Uhr für den Einlass da. Festival-Armbändchen vorzeigen, natürlich ganz in Schwarz. So viele sind noch nicht da, wird es diesen Abend auch so voll, wie den letzten Abend?

Die erste Band spielt wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe schon meine erste Flasche Wasser geholt. Die Band, die den Abend beginnt, sie ist uralt, aus der Frühzeit der Achtziger, ich habe sie zuerst vom Namen nicht erkannt … da war doch was? Sie spielen ihre Songs, die beiden Herren, den weiblichen Gesangspart muss eine viel jüngere Gastsängerin übernehmen. Und dann werden die ersten Noten ihrer alten Songs gespielt, jetzt kommt alles zurück, klar, kenne ich die. Ich bin immer noch (fast) textsicher, ich habe ihre Songs auf meinem alten Radiosender hoch und runter gespielt! Ob das jemals funktioniert hat, ob die jemals Tantiemen dafür bekommen haben? Meine vorproduzierte Radiosendung lief auf einem US-amerikanischen Streamingsender, für den ich monatlich ein paar Dollar für das Ausstrahlungsrechte-Management abdrücken musste, der Streamingsender ist dann insolvent gegangen oder wurde verkauft. Ich glaube nicht, dass die beiden deutschen Herren dafür jemals Geld bekommen haben, oder auch nur von der Existenz meines Übersee-Piratensenders erfahren haben. Ich hatte in der Spitze bis zu dreihundert Stunden Musikhörer … im Monat.

Die nächste Band, ich wechsele auf den Main-Floor … satanisch angehauchter EBM? Ritual-Black-EBM? Weihrauchschwaden in der Luft? Ich stehe bequem hinten in der Menge und betrachte die Szenerie. Gefällt mir. Und dass ich gleich neben mir an der Wand einen Haken für meine Lederjacke finde und einen schmalen Bar-Tresen für meine Tasche und meine Flasche … ich richte mich perfekt ein in meinem kleinen Wohnzimmer.

Die dritte Band später den Abend, wieder draußen auf dem Paradise-Floor, ich habe zu viel Zeit draußen verbracht, irgendjemand hat mich angesprochen und gefragt, ob ich in einer Band spiele, weil er glaubt, mich zu erkennen. Ich verneine das kurz, er geht wieder weg … er wird nicht wirklich mich meinen, ich habe zwar ein paar Songs von mir ins Internet hochgeladen, wo ich auf den Synthesizern und Drum-Computer mein „Pow-Wow“ trommele – aber das ist weit davon entfernt, irgendwie bekannt zu sein. Realistisch gesehen, mich kennt keine Sau … er muss mich verwechselt haben. Noch in Gedanken betrete ich den aus Holzwänden gezimmerten zweiten Floor draußen im Garten, weit komme ich nicht, schon am Eingang staut sich alles, die Hütte ist voll.

Bevor ich im Eingangsbereich zerquetscht werde, nur mit einem bescheidenen Blick aus den hintersten Reihen auf die Sängerin vorne auf der Bühne, versuche ich es, wieder draußen, über die Kunststoffglasfenster, aber das ist doof, hier höre ich ja nichts. Eine Flasche Wasser an der Bar … wenig später versuche ich es erneut im Eingangsbereich des Floors, jetzt mit einem halben Meter weiter und nicht mehr ganz so eng voller Menschen.

Die vierte und letzte Band, auch nur wieder eine Solokünstlerin an ihren Synthesizern. Dieses Mal stehe ich weit vorne auf einer der seitlichen Holzpodeste des Main-Floor und habe den besten Blick des gesamten Festivals auf die Bühne. Ihre Songs … ist das ihr Pronomen? Ihre Musik ist richtig gut, es gibt nur wenige, die so gut mit Synthesizern umgehen können – und ihre Stimme, operettenhaft? Auf jeden Fall trainiert. Ich spiele schon mit dem Gedanken, später am Merchandise-Stand nach einem Album von ihr zu suchen, aber so kleine Underground-Künstler haben nie das Geld, etwas in hoher Stückzahl pressen zu lassen. Ein Song kommt mir bekannt vor, den habe ich schon im Internet gehört, eines meiner YouTube-Abonnements kuratiert Playlisten der kleinen Künstler dieser noch viel kleineren Szene.

Mitternacht, alle wechseln wieder rüber von dem Main-Floor auf den Paradise-Floor draußen im Garten, der letzte Programmpunkt, keine Bands, Drag Shows! Darauf freu ich mich schon, seit ich den Flyer dieses Festivals Pfingsten bei dem anderen Festival eingesteckt habe. Die Drag Queen führt durch das viel zu kurze Programm und animiert die Gäste, auf die Frage, wer denn noch nicht auf einer Drag Show war, melden sich ganz vereinzelt, ganz wenige … vielleicht fünf. Auch dieses Mal, die Hütte ist voll, aber es besteht noch genug Platz für einen schmalen Gang durch das Publikum, durch den die Drag Queens mit viel Kontakt ihre Shows von der Bühne abseits performen können. Drei Drag Queens in aufwendigen, „gruftigen“ Kostümen – und ein Drag King! Wow … Und was für ein Kostüm! Und Make-up … so pechschwarz, so düster, so magisch. Die Posen des Drag Kings … mache ich das manchmal auch? Ich bin verwirrt und zugleich verzaubert.

Die Show ist wirklich viel zu kurz, ich hätte gerne mehr davon gesehen. Bis nach ein Uhr die Nacht sitze ich noch oben auf der Dachterrasse schräg über der Bar. Noch zwei Stunden bis drei Uhr nachts … mein Plan, bis vier Uhr im Hotel, schlafen bis zehn, Frühstück gegen elf, Check-out um zwölf. Diese zwei Stunden will ich tanzen, ich bin nicht müde.

Ich wechsele von der einen Tanzfläche auf die andere und wieder zurück auf die eine. Drinnen der Main-Floor, zu schnelle, harte Beats, draußen der Paradise-Floor, Achtziger-EBM, weniger schnell, gleich hart, das ist nicht der Club mit den Betonwänden von vor über zehn Jahren auf der anderen Seite der Spree. Tanze ich? Ich sitze auf einer Bank, es wird immer voller, ich kann hier nicht mehr sitzen. „Are you O.K., Madame?“ Ich fühle mich etwas beengt. Nach draußen Luft holen, wieder auf den Main-Floor, die dunklen Gemächer, die rot angeleuchteten Mauerwände, der ganze Nebel. Die Musik passt, ich kann mich fallen lassen, mich ganz hingeben. Ich habe den kleinen Haken an der Wand für meine Jacke wiederentdeckt, auch meine Tasche und meine Flasche Wasser stehen wieder auf dem schmalen Holzbrett. Ich tanze wie ich nur kann in meinem schwarzen One-Shoulder-Dress.

Irgendwann, es wird kühler, es ist nicht mehr so voll, Punk-Songs werden angespielt, ich ziehe meine Lederjacke über, das Tempo ist nicht mehr so schnell. Eine Toilette muss ich noch suchen, bevor ich gehe … drinnen wie draußen die Toiletten, es gibt keine Klobrille in den Kabinen. Unmengen an Klopapier, bevor ich mich irgendwo hinsetze.

Drei Uhr nachts, noch einmal der Blick runter von oben auf der Dachterrasse auf den gartenartig angelegten Innenhof mit den interessanten, schwarz gekleideten Gästen, dieser zweite Abend hat mir noch viel mehr gefallen, als der erstere … ich ziehe es in Erwägung, nächstes Jahr wiederzukommen. Alle Festivals, von denen ich Flyer habe, die sind immer irgendwo weiter weg in Deutschland, meine Gegend ist Leipzig und Berlin. Über die zwei Stationen mit U- und S-Bahn zurück zum Hotel … ab drei Uhr nachts hängen die merkwürdigen Gestalten in den U-Bahnhöfen ab.

Ich bin schon wieder vor dem Wecker wach, wenigstens 9:30 Uhr, nicht zehn Uhr. Nach Abschminken im Hotelbadezimmer und ins Bett fallen gegen vier Uhr, wieder nur fünfeinhalb Stunden Schlaf. Opulentes Frühstück. Danach duschen, zusammenpacken, Check-out noch vor um zwölf Uhr. Zweiten Kaffee in der Espresso-Bar im Ostbahnhof, bis mein Zug um kurz vor dreizehn Uhr fährt, vergeht noch eine Stunde. Der Regionalexpress wird voll … einsteigen im Ostbahnhof sichert die letzten freien Plätze oben im Doppelstockwagon.

Solitär, Solitär, Solitär … Im Internet surfen, ein wenig Musiktheorie. Mein neuer Song, er steht noch ganz am Anfang, die ersten Takte habe ich vor einem Wochenende schon angespielt: eine Mischung aus Detroit-Techno und Acid-House, 4/4 straight to the floor, ich will die TR-909-Sounds verwenden, nur Base Drum und Claps, mit Accent, ein einzelnes Open Hi-Hat ganz hinten, den Trick macht der Rimshot: auf der „1“ und mit einen Delay-Effekt im 3/4. Die Textpassagen singe ich bei 130 BPM, der analoge Synthesizer spielt ein Arpeggio die Tonleiter aufwärts … acht Noten? Ich gehe auf Pentatonik und die EBM-spezifische, „ägyptische“ Tonleiter. Eine Idee für die Bass-Sequenz fehlt mir noch, welche Akkorde ich nehme, steht auch noch nicht fest. Der Song lebt von den Texten, die ich singe, die steigern sich hinein … da ist alles drin, von den kühlen, dunklen Hotelzimmern von ihm verlassen zu werden.

Nächster Halt Magdeburg, der Zug endet hier. Weiter geht es, noch dreißig Minuten bis sechzehn Uhr den Sonntag, mit der schaukelnden Regionalbahn. Zurück in mein Heimatkaff. (Ende Teil 3/3)

[16.09.25 / 13:22] Den Wecker auf meinem Smartphone hätte ich nicht gebraucht, draußen auf dem Bahnhofsvorplatz dreht eine Kehrmaschine vor meinem angekippten Hotelfenster ihre Runden. 8:30 Uhr, stehe ich jetzt schon auf? Noch etwas liegen bleiben, fünf Stunden Schlaf. Das Frühstück begehe ich genauso, wie ich es geplant habe: wenn es bis elf Uhr angeboten wird, ich um zehn Uhr da hin gehe – und mich erst danach, zurück im Hotelzimmer meiner Morgenroutine widme, dann kann ich so weit meine knappe Schlafenszeit das Festival-Wochenende optimieren, wenn ich einfach nach dem späten Aufwachen aus dem Bett falle, ein T-Shirt überziehe und die Jeans, und zum Frühstück schlurfe … besser als die andere Idee, um sechs Uhr aus der Disko fallen und das Frühstück noch vor dem Schlafen legen mitnehmen.

Es ist gebucht, es ist im Preis drin: zwei Brötchen, Croissant, Marmelade, Nuss-Nougat-Creme, Obstsalat, Bircher-Müsli, ein Frühstücksei, ein Apfel oder eine Birne, ein Glas Orangensaft, eine Tasse Kaffee … den aus dem Automaten. Genüsslich verspeise ich mein hartgekochtes Frühstücksei und lebe mein deutsches Klischee. Das ist Berlin, ich werde hier immer gefragt: „English or German?“

Den Sonnabend habe ich mir etwas vorgenommen: wenn ich schon in Berlin bin, ich will mal so eine richtige Touristen-Tour machen. Unten an der Rezeption, die haben da so ein Stapel Papierkarten in A3, ein Touristenplan, eine Straßenkarte der inneren Bezirke in Berlin und eine Karte mit den U- und S-Bahnen, mehr brauche ich nicht. Alles ist darauf eingezeichnet. Meine Route für den Tag: das Brandenburger Tor, das Holocaust-Mahnmal, der Reichstag, die Gedenkstätte der Berliner Mauer – alles Touristen-Hot-Spots – und bis auf das Tor, habe ich die alle noch gar nicht gesehen … nur im Fernsehen.

Punker-Girl geht aus, schwarze Jeans und Nietengürtel, schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke, schwarze Sonnenbrille, meine kleine Handtasche und die Hi-Top-Sneakers – mit schwarzen Schnürsenkeln. Erste Haltestelle: über den Alexanderplatz mit der U- oder S-Bahn zum Brandenburger Tor … fährt hier überhaupt eine Bahn? Unregelmäßig … This is Berlin. Touris wie Einheimische bleiben entspannt. Ausstieg oben am Brandenburger Tor, das letzte Mal vor zig Jahren gab es hier noch Händler mit DDR-Devotionalien.

Touristen knipsen das Brandenburger Tor, ich knipse die Quadriga oben drauf … interessanter Fernsehbeitrag auf arte: das ist die Retourkutsche. Weiter auf die andere Seite des Tors, eine doofe, aufgebaute Bühne versperrt mir den Blick durch das Tor auf den Fernsehturm und den Ostteil der Stadt. Irgend so eine Demo mit Gaza oder so, sie wird gerade aufgebaut, die ersten Menschen finden sich ein, blaue Friedensfahnen, prominente Redner, nicht meine Partei. Ich gehe daran vorbei und versuche den größtmöglichen Abstand. Die Polizei hat alles im Griff, weit angelegte Felder von Absperrgittern trennen die Passagen von Touristenströmen und Demoteilnehmern. Ich finde meinen Weg hin zu dem in der Nähe gelegenen Holocaust-Mahnmal und dem Steinfeld.

Ich wandere durch die stummen Stelen, je tiefer ich in das symmetrisch angelegte Feld eintauche, desto mehr ergibt sich mir die Atmosphäre. Jeder Stein steht für die tausenden, ermordeten Juden. Das Feld an sich ist gar nicht so mahnend … viel bedrückender wird es unten in der Ausstellung.

Der Eingang ist oben, nur ein größerer Kubus, daneben die Treppe nach unten, nur wenige werden hineingelassen, unten soll es nicht zu voll werden, aber so viele sind um die Mittagszeit gar nicht da. Einlasskontrolle, Metalldetektoren, ein lautes Piepsen, ich lifte mein T-Shirt … Nietengürtel. Weiter hinein in die ersten Räume.

Die großen Tafeln mit der Geschichte der Judenverfolgung von 1933 bis 1945 überfliege ich … alles schon einmal irgendwo gehört oder gesehen, in der Schule behandelt, meine Großonkels hatten alle eine fesche Uniform. Interessanter und bedrückender wird es einen Raum weiter: hier sind Textpassagen hell erleuchtet in den Boden eingelassen (und ich habe immer noch die Sonnenbrille auf). Tagebuchaufzeichnungen, Briefe der Menschen, die das alles durchlebt haben … nur nicht überlebt. Emotionale Gedankenfetzen, Echos der Toten, mit den Bildern an der Wand in den anderen Räumen haben ein paar von ihnen ein Gesicht. Ich erinnere mich an die beiden, deren Porträtfotos ich in den Schredder gegeben habe. Sie bleiben in meiner Erinnerung. Ich lese die Texte, sie gehen mir nah, auch ich schreibe Tagebuch und habe meine Ängste mit dem neu aufkommenden Faschismus … ich bin als unsichtbare trans Frau die erste, die es dann erwischt.

Wieder draußen, oben auf der sonnigen Oberfläche … nicht ganz so sonnig, Wolken ziehen auf, gut so, Sonnencreme habe ich zwar dabei, aber nicht aufgetragen. Zu Fuß am Brandenburger Tor vorbei, die paar hundert Meter zum großen Reichstagsgebäude – ich will es fotografieren, ich will mal dagewesen sein, ich kenne es nur aus dem Fernsehen, die Nachrichten auf den Öffentlich-Rechtlichen. Große schwarz-rot-goldene Flaggen wehen im Wind, eine Europa-Flagge ist auch noch da. Nur eine Regenbogenflagge nicht … aber auf dem Weg, die Suche nach der nächsten U-Bahn-Station … die ist in Regenbogenfarben angemalt! Yeah … Irgendwo musste sich ja so etwas verstecken.

Eine Bahn fährt hier nicht, ich gehe wieder zurück zum S-Bahnhof am Brandenburger Tor, ich zähle mindestens drei Demos oder Kundgebungen und werde von den Polizisten durch die Absperrgitter geleitet. Mit der S-Bahn über einen Umstieg zur Haltestelle Nordbahnhof, zur Gedenkstätte der Berliner Mauer.

Tage vorher, ich habe im Internet geguckt, wo ich alles hin will. Es gibt noch Mauerabschnitte, die stehengeblieben sind, das an der Gedenkstätte beim Nordbahnhof ist der am größten erhaltene. Meine Musikszene, die Wave-, Goth- und EBM-Szene, sie ist so anachronistisch tief in den Achtzigern stehengeblieben, solche Punkte wie Kalter Krieg, Berliner Mauer und West-Berlin sind omnipräsent, die ganzen Songs von damals handeln nur davon. Ich will ein Mauer-Selfie. Ich fahre da nur hin, um Fotos zu machen, die ich so in Szene setzen werde, als wäre die Zeit und die Mauer noch stehengeblieben. Ich verfremde sowieso meine ganzen Fotos auf alt, die Film-Farbpalette, die dezente Körnung. Ich lebe das Gefühl der Underground-Szene der Achtziger. Meine Ausrede: ich fand Punks schon damals cool, als Kindergartenkind 1985.

Ausstieg am Nordbahnhof, ich hätte den anderen Ausgang wählen sollen, dann wäre ich gleich dagewesen, so irre ich auf der gegenüberliegenden Seite umher und muss mich noch mit meinem Papierfaltplan und den Straßenschildern orientieren. Dunkle Wolken ziehen auf … wird es regnen? Die ersten Tropfen treffen meine Haut … ich habe keinen Schirm dabei, nichts.

Selfie an der Berliner Mauer / September 2025 / Alter 43

Den Straßenzug mit den letzten Mauerabschnitten finde ich bald. Düsteres Wetter, ideal für düstere Selfies. Die hohe Mauer wirkt gleich noch viel deprimierender. Ich will Fotos von der Westseite machen, ich will so tun, als wäre ich in West-Berlin. Bröckelnder Mauerputz, durchscheinender Stahlbeton. Die Graffiti sind auf der Innenseite, der frei begehbaren Ostseite der Mauer. Auch hier mache ich ein paar Selfies.

Selfie an der Berliner Mauer / September 2025 / Alter 43

Es beginnt doch etwas stärker zu regnen, ich flüchte in das eine Café oder Bistro neben dem Museum. Gefühlt sechzehn Uhr den Sonnabend Nachmittag, Zeit für eine Tasse Kaffee aus dem Pappbecher und ein kleines Stück Pflaumen-Streusel-Kuchen, den größten Teil des kurzen Regenschauers habe geschützt überstanden. Eine kleine Pause.

Wieder zurück an der Mauer, das Gelände der Gedenkstätte erstreckt sich auf mehrere Abschnitte. Ein Teil ist nicht begehbar, es ist angelehnt an den städtischen Friedhof daneben, ein Sarkophag für die vielen, die auf der Flucht über die Grenze hier irgendwo erschossen worden. Auch in meiner Familie kursieren Geschichten von Jugendfreunden, die rübermachen wollten und dann ohne Spur verschwanden. Der eingezäunte Sarkophag mit dem Wachturm und dem Kiesbett wirkt noch viel mehr bedrohlicher und deprimierender. Das Feld daneben mit den dokumentierten Überresten der Grenzanlage, ich laufe es die ganze Strecke von hinten bis zur Mauer ab und stelle mir vor, wie unmöglich das zu überwinden ist. Wie ich es schon den ganzen Tag tue, jedes Mal wenn ich die Pflastersteine in den Wegen und Straßen sehe, die den alten Grenzverlauf der geteilten Stadt abbilden, ich springe in den Westteil, ich laufe nicht, ich gehe nicht, ich mache rüber.

Zurück über die S-Bahn-Station Nordbahnhof – die auch eine kleine interessante Ausstellung enthält – den späten Nachmittag zu meinem Hotel in der Osthälfte der Stadt. Am Alexanderplatz steige ich für einen kurzen Halt aus, irgendwo noch etwas essen, einen Falafelteller. Den kurzen Abstecher in ein Kaufhaus, das mit den Designer-Outlets, hätte ich mir sparen können, das frisst nur Zeit. Zeit, die ich den Abend im Hotelzimmer brauchen werde, um mich wieder ausgehfertig für die Nacht zumachen. (Ende Teil 2/3)

[16.09.25 / 13:21] Endlich wieder ein kleines, gruftiges Festival in Berlin? So etwas gab es da schon seit über zehn Jahren nicht mehr, seitdem das „Drop Dead“ weg ist. Das neue, kleine Festival ist ziemlich nah dran … einige Personen aus dem Umfeld der vergangenen Jahre tauchen hier wieder auf … ich auch.

Den Freitag habe ich schon Urlaub genommen, ganz entspannt, nichts Donnerstag nach der Arbeit machen lassen, alles in den Freitag Vormittag schieben, Tasche packen, Beine rasieren, meine Kleiderauswahl überdenken – ich will das schwarze One-Shoulder-Kleid den Abend und die Nacht anziehen, mit den absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefeln. Trage ich etwas darunter, ein Unterhemd, ein BH? Passt alles nicht, nur das Kleid pur … BHs werden überbewertet. Schmuck ganz klar: der marokkanische Armreif, alles an Silber und meine Perlenhalskette, die Idee stand schon seit ein paar Tagen, die Perlenkette würde richtig gut zu meinem kurzen, schwarzen Abendkleid passen. Ich zögere noch … ist das wirklich angemessen für eine Grufti-Party? Ja. Die Perlenkette muss mit. Schwarze Punker-Lederjacke, für alle Fälle noch den schwarzen Kapuzen-Hoodie und die Regenjacke in Tarnfarben. Einen Schirm nehme ich nicht mit, könnte stürmisch das Septemberwochenende in Berlin werden. Die kleine olivgrüne Sporttasche geht gerade noch so zu … sie ist allein zur Hälfte gefüllt nur mit dem Paar Stiefel – und die dicke Waschtasche muss auch noch drauf.

Ich stehe den Freitag später den Vormittag auf, Vorschlafen, Beine rasieren ist Routine. Frühstück wie gewohnt, Ticket für das Festival ist auf dem Smartphone – ich versuche es mal ohne Papier. Mittagessen, den „Bahn-Dress“ anziehen, schwarze Jeans und „Gothic-Pogo-Fan-Merchandise-T-Shirt“, ich werde wieder zum Bahnhof um die Ecke gefahren. Pünktlich vierzehn Uhr stehe ich am Gleis und warte auf meinen Regionalzug. Punkerkutte, Sonnenbrille – für dieses Wochenende die kleine, schwarze Handtasche von Coccinelle (ich habe zwei).

Viele Menschen, aber es ist Freitag. Umsteigen in Magdeburg, hier bekomme ich noch einen Sitzplatz. Weiter nach Berlin, ich bin die Strecke vor zwei Wochen schon in dem Doppelstockwagon oben gefahren, noch mehr Menschen, ich muss meine Tasche vom Nebensitz räumen.

Ausstiegsstation für mich: der Berliner Ostbahnhof, unweit den Hotels und der Festival-Location von vor mehr als zehn Jahren, ich war hier überall schon. Wie praktisch, mein Hotel ist das „Intercity“ gleich am Bahnhof, ich müsste nicht einmal bei Regen nach draußen gehen.

Einchecken, mein Zimmer in der ersten Etage, Straßenseite … schade, ich bin doch Eisenbahnfreund, ich hätte mich doch auf einen Blick auf die Gleise gefreut. Das Fenster ist stark gedämpft und war vielleicht schon länger nicht offen, Temperaturen jenseits von Sommer. Schnell ins Bad, Beine weiter rasieren, Einlass bei dem Festival, zwei Stationen mit der S- und der U-Bahn weiter, rüber auf die andere Spreeseite, ist gegen neunzehn oder zwanzig Uhr. Ich vertrödele die Zeit mit dem Auspacken und alles in den Schrank hängen … bloß nichts auf das Bett legen, alle Kleidungsstücke davon isolieren, meine Sporttasche hoch oben auf dem offenen Kleiderbügel zwischen den beiden Schränken hängen … die Verwandtschaft hat in den letzten Wochen unangenehme Erfahrungen gemacht, mit kleinen, schwarzen Krabbeltieren in Polster von Bussitzen und Hotels, östliches Ausland, so wie heimisches Inland. Nur ein paar einfache Regeln: Um Himmels willen, leg nichts auf’s Bett! Häng oder leg alles hoch!

Ins Bad verschwinden, Make-up vorbereiten, noch liege ich gut in der Zeit. Ich habe endlich die Lidschattenpalette mit eingepackt, die gefühlt schon seit zehn Jahren bei mir zu Hause ungeöffnet im Badschrank lag. Ich entferne die Plastefolie … so viele Farben, so viele Rot- und Rosa-Töne. Ich brauche eigentlich nur zwei Farben: das dunkelste Grau-Schwarz und das hellste Besch-Glitzernde. Ich habe mir den späten Abend noch YouTube-Tutorials angesehen: eigentlich ist es ganz einfach, den dunklen Lidschatten kreisend in die äußere Hälfte des Augenlides und der Falte eintupfen, den hellen Lidschatten auf die innere Hälfte des Augenlides, bis zum „Tränenpunkt“ an der Nase, die andere dunkle Farbe – mit dem freien Zeigefinger eine Linie bilden, zwischen Ende des Lids und dem oberen Ende der Augenbraue, nichts darunter auftragen. Als Finish alles noch mit dem anderen Pinsel mit Schwung nach außen verblenden. Geht doch, ich schaue mich in dem hellen Badezimmerspiegel an. Schwarzen Mascara auf die Wimpern aufbürsten, schwarzen Kajal oben und unten auf das Augenlid nachziehen, Brille aufsetzen … kurze Korrekturen … alles wieder mit dem kleinen Pinsel rauchig verblenden, zu schade, das die Sonne noch nicht ganz untergegangen ist und ich die letzten Meter in der dunkelsten Dämmerung noch meine Sonnenbrille aufsetze. Mein Kleid anziehen, meine Stiefel anziehen, die Schnürsenkel durch die zweiundzwanzig Löcher fädeln, die schwarze Punkerkutte anziehen, meine Handtasche über den langen Schultergurt umschwingen, Hotelkarte greifen, ich bin ausgehbereit.

Nur eine Station bis zur Warschauer Straße, dann mit der U-Bahn weiter über die Brücke, zum Bahnhof Schlesisches Tor … ist das noch Kreuzberg? Viele Menschen, viele „Party-People“, ich bin niemals allein. Ich laufe die Richtung, die ich denke, die richtig ist. Blick auf die Offline-Karte auf meinem Smartphone: ja, ich bin wirklich richtig. Nur noch ein paar hundert Meter … ich ziehe eine riesige Wolke an Patchouli hinter mir her.

Den Club erreiche ich wenig später, ein Seitenkanal zur Spree ist meine Wegmarkierung. Es stehen schon ein paar schwarz gekleidete Leute am Eingang, mit Gittern abgesperrt, falls später noch mehr wartende Festivalgäste dazukommen. Mein Ticket auf dem Smartphone vorzeigen, kurz mit der Taschenlampe in meine kleine Handtasche leuchten lassen, bis auf die Schminkrolle und meinem Brillenetui ist da nichts drin, EC-Karte und Smartphone in den schnellen Reißverschluss-Seitentaschen, die kleine Tasche ist wirklich sehr praktisch. Ich werde hineingeleitet in den Club.

Hier war ich noch nie, der ist neu. Ich betrete die dunklen Gänge, erforsche, wo mich meine Schritte hinführen. Musik von irgendwo, ist das die dunkle Tanzfläche? Weiter durch die verwinkelten Gänge … eine Unisex-Toilette. Wieder zurück, die Wege einprägen, die offene Tür nach draußen zu dem Innenhof finden … bewaldet, begrünt, beleuchtet, atmosphärisch … ach, wie schön! Ein Teich, eine kleine Brücke! Wie im Wunderland, ich bin entzückt. Irgendwo dahinten, alles wirkt, wie improvisiert zusammengezimmert, ein Anbau, die zweite, große Tanzfläche, wo später den Abend, nur noch wenige Minuten, die erste Band auf der Bühne stehen wird. Ich erforsche den Rundgang weiter, über einen Glasanbau, vielleicht war das früher mal ein Gewächshaus, finde ich mich wieder am Eingang des Innenhofes wieder, gleich neben der Draußen-Bar. Eine Flasche Wasser bestellen, wie angekündigt, keine Barzahlung, nur Karte. Die Dachterrasse über mir entdecke ich auch, die werde ich später die Nacht noch besuchen.

Die erste Band, geplant um zwanzig Uhr, auf der Bühne draußen, genannt der „Paradise Floor“. Die Berliner Band habe ich schon zwei oder dreimal gesehen, er nimmt sich mit der Bühnenshow zurück, sie spielt weiter am Synthesizer, die Musik ist eigentlich gar nicht so schlecht. Es ist voller geworden, die Leute begrüßen sich im Publikum und draußen, das Festival beginnt.

Die zweite Band, drinnen auf dem „Main Floor“, ich hatte es nicht gleich erkannt, ob da eine Bühne steht oder nicht, es war nur ein kleiner, unscheinbarer Kasten aufgebaut … die Musik kommt vom Band. Ich stehe hinten auf einer Empore, aus Holz gebastelt. Rauchschwaden füllen den Raum, Räucherstäbchen? Nebel aus der Nebelmaschine strömt überall hervor, die Musik beginnt finster und schleppend. Gefällt mir, könnte etwas werden. Synthesizerklänge, das ganze Festival ist elektronisch, der Sänger, die Sängerin? Keine Ahnung, ist nicht wichtig. Der Raum ist voll, Unmengen Menschen wollen die Performance sehen – und dann brechen die Beats los! Harscher Elektronikklang … zu heftig für mich? Die Leute tanzen und stampfen, von all den Schwingungen falle ich schon runter von dem überfüllten Holzpodest. Es fing gut an, aber ich glaube, ich muss doch einmal kurz nach draußen gehen, meine kleine Flasche Wasser ist alle, zurück zu der ruhigen Bar.

Die dritte Band, darauf habe ich mich gefreut, geplant so gegen zweiundzwanzig Uhr (ich habe die Time-Table fotografiert), draußen auf dem anderen Floor, die vielen Menschen sind noch drinnen, hier draußen habe ich wieder viel Platz für mich, der Floor hier hat sogar große Kunststofffenster mit Blick nach draußen, in den entzückenden Garten.

Die beiden an ihren Synthesizer, sie bauen alles auf, kommen wenig später wieder in ihrem Bühnenoutfit zurück. Sie fangen an zu spielen … viele neue Stücke? Ich hatte sie mehr Punk-lastig in Erinnerung, weniger poppig. Gegen Ende des Auftritts verkündet der Sänger, zum Entsetzen aller im Publikum, das sich die Band wohl auflösen wird. Ohh … Homoerotische Anspielungen, sind sie ernsthaft gemeint, oder doch nur amüsierend? Ich bin mir nicht sicher …

Die dritte Band, wieder drinnen, eigentlich nur einer, er spielt schon, als ich den kleinen Raum, verspätet nach den Abschiedszugaben der anderen beiden, betrete. Ist er es? Auf dem Flyer und den YouTube-Videos sah er noch anders aus. Malaka … Er hat seine Haare gefärbt. Auch diese Musik wird elektronisch sehr schnell und um einiges härter, als ich es erwartet habe, ich hätte mehr als ein YouTube-Video ansehen sollen.

Ich fühle mich etwas entkräftet … werde ich müde? Es ist doch noch gar nicht Mitternacht? Oder doch schon? Ich hatte doch extra Urlaub genommen und bin nicht schon um sieben Uhr früh für die Arbeit aufgewacht, ich muss doch noch ein paar Stunden durchhalten, bis die DJs hier auflegen, die ich alle schon im Publikum entdeckt habe. Draußen wieder auf der Paradies-Tanzfläche, die letzte Band für diesen ersten Festival-Abend, auch wieder ein Solokünstler – und er beginnt seine Songs sperrig langsam … Durchhalten, Honey!

Weit nach Mitternacht, ich wechsele zwischen den beiden Tanzflächen hin und her, die vierte Flasche Wasser in meiner Hand. Hoch oben auf der Dachterrasse war es noch ganz angenehm, hier sitzen nicht so viele. Unten auf den beiden Tanzflächen halte ich es nur bis zwei Uhr nachts aus, viel getanzt habe ich nicht, ich bin zu müde, ich muss gehen. Ich habe es doch nicht geschafft, bis zur erhofften Italo-Disco-Stunde der alten beiden DJs gegen drei Uhr durchzuhalten. Vielleicht morgen. Ich laufe wieder über die Kreuzberger Straßen meinen Weg zurück zu der U-Bahn-Station … gefürchtet vor betrunkenen, anpöbelnden Leuten und kriminelle Jugendgangs, die mich abziehen? So viele Party-People hier, so viele feiernde Menschen, so viele hell erleuchtete Straßenlaternen, dichter Verkehr an laut aufheulenden, aufgemotzten Poser-Autos … dunkle, verlassene, gefährliche Straßen sehen anders aus. Dann die S-Bahn-Station an der Warschauer Straße auf der anderen Spree-Seite, ich weiß, dass da hinten die großen Clubs sind, dichtes Gedränge an jungen Menschen, der ganze Straßenzug ist eine einzige Disko.

Mein Weg durch die Hallen im Ostbahnhof, hier bin ich wieder fast alleine, aber es ist so hell erleuchtet. Der Eingang zum Hotel ist gleich neben der automatischen Schiebetür nach draußen. Zurück zum Fahrstuhl in der Lobby, eine Etage, mein Zimmer – Fenster großflächig aufsperren und kühl durchlüften, währenddessen ins Bad verschwinden und mit den Abschminktüchern mein ganzes Augen-Make-up wieder entfernen. Das Pulver vom Lidschatten hält doch nicht so ganz, da muss ich mir noch Tricks aneignen. Drei Uhr nachts, Fenster wieder angekippt lassen, Vorhänge zu und mit Ohrstöpsel ins Bett fallen … noch sieben Stunden bis zum geplanten Frühstück um zehn Uhr. (Ende Teil 1/3)

[15.09.25 / 19:34] Das letzte Wochenende vor meinem Urlaub, noch eine Motorradtour in den Harz … mein Trauma aufarbeiten. Ich habe an alles gedacht, alles in die kleine Kampftasche auf dem Soziussitz eingepackt: die Unterhose zum Wechseln, die Feuchtigkeitstücher zum Hände reinigen und eine halbvolle Rolle Klopapier! Und dann habe ich das Ganze doch nicht gebraucht …

Eine kleine Tour durch den Ostharz, bei Thale hoch, Mittagessen in Friedrichsbrunn, meine „Stammgaststätte“, rüber ins Selketal – wunderschöne, kurvige Fahrspuren ohne Mittellinie und nur ich ganz alleine – und wieder raus bei Ballenstedt, Kaffee und Kuchen in dem Café, das früher mal ein fürstlicher Pferdestall war – und Enten am Schlossteich angucken. Zurück die Strecke über Magdeburg – und vor mir eine andere Motorradfahrerin (glaube ich zumindest), die jede Kurve noch langsamer fährt, als ich (das ist sehr selten). Ich kann wieder fahren.

[31.08.25 / 21:06] Der Demozug erreicht seinen Endpunkt, der Platz an der Kreuzung vor dem Rathaus in Lichtenberg, glaube ich zumindest, es steht auf einem Schild, Ortskenntnis habe ich in diesem Teil von Berlin nicht mehr. Es sind wieder weniger Demoteilnehmer geworden, in Berlin ist noch das andere, genauso queere Fetischtreffen und eine weit größere Techno-Demo mit LKWs, DJs und laut wummernden Bässen, davon weiß ich aber nichts, das hatte ich erst für den nächsten Tag gedacht. Einige Demoteilnehmer verabschieden sich schon, einige Teilnehmer bleiben. Die charmante Moderatorin plant etwas: Wie wäre es, wenn sich alle einmal um sich herum blicken und die anderen Demoteilnehmer fragen, warum sie hier sind, was sie dazu bewegt hat, hierher zu kommen? Gespräche beginnen, lautes Murmeln, ich stehe inmitten des ganzen und wickele das Abreißplasteband von dem Deckel meiner kleinen Wasserflasche zu einer Spirale, bis meine Finger schon rot und wund sind. Wo ist mein Awareness-Team? Die beiden in ihren lilafarbenen Westen sind auch in Gespräche mit anderen Demoteilnehmern vertieft. Nur ich stehe einzeln und isoliert in der Mitte des ganzen auf diesem kleinen Platz. Mit mir spricht keiner. Ich bin autistisch. Das schlimmste, was mir passieren kann. Ich fühle mich unwohl und schäme mich für meine Andersartigkeit, die ich nicht ändern kann. Ich suche die Sicherheit der Entfernung und laufe aus dem Zentrum hinaus, noch hinter die Reihen der bewachenden Polizisten. Erst als die weiteren Tanz- und Sprech-Performances losgehen, traue ich mich wieder in die Menschengruppe hinein.

So viel länger dauert es nicht, ich sehe die große Uhr der Kreuzung vor mir. Die drei Drag-Performances sind schön, die bunten Kostüme, das aufwendige Make-up. Nur das Ambiente dieser Straßenkreuzung mit den Wohnblöcken vor mir … letztes Jahr im Park, hier irgendwo in Treptow, hätte das besser gepasst … oder wieder zurück in Mitte von Berlin.

Der Pride geht zu Ende und wird abmoderiert. Es besteht die Möglichkeit, im Schutz der Polizisten die paar hundert Meter bis zum Bahnhof der Frankfurter Allee eskortiert zu werden. So lange warte ich nicht, ich kann auch alleine gehen, ich glaube, dass ich das Passing dazu habe, um nicht von transphoben Gewalttätern erkannt zu werden. Noch ist die Sonne hier in Berlin nicht untergegangen, noch hat der Sonnabend Abend noch nicht angefangen.

Am S-Bahnhof irre ich herum, die S-Bahn fährt hier im Kreis, ich kenne nur die Namen der größeren Bahnhöfe mit Anschluss zum Regionalverkehr. Die S-Bahn, in der ich sitze, fährt nur zwei Stationen und dreht dann wieder um, baustellenbedingt, soviel zu dem Ring. Dann eben wieder in die andere Richtung und über den Bahnhof Ostkreuz.

So verwirrend, wie der Bahnhof am Ostkreuz ist, ich war hier schon einmal … letztes Jahr? Dieselbe Kette, vielleicht dieselbe Filiale, ein kleiner Pappbecher süßer Haferbrei wird mein spätes Mittagessen für heute, außer einem Fast-Food-Imbiss habe ich hier nichts gefunden. Ein belegtes Brötchen bei dem teuren Bahnhofsbäcker gleich daneben, bis ich bis kurz vor zwanzig Uhr über mehrere Treppen auf und ab endlich den Gleis mit dem einfahrenden Regionalexpress gefunden habe. Vorteil, dass ich hier am Ostkreuz schon in den Zug Richtung Magdeburg zusteige, die ganzen weiteren Passagiere, bis der Zug voll ist, steigen erst ab Mitte ein. Noch habe ich freie Sitzplatzwahl … dass ich nach zwei Flaschen Wasser eigentlich eine Zugtoilette suchen sollte, unterdrücke ich vorerst.

Solitär auf meinem Smartphone, Musikhören auf meinem Smartphone – ich hätte die Kopfhörer vorher aufladen sollen, es reicht nur für einen Titel und ein paar Minuten abgeschirmter Stille. Ich esse mein belegtes Brötchen aus der Papiertüte. Spätestens ab Genthin und Burg steigen nicht mehr so viele mit dazu und ich kann mit meinem ganzen Gepäck, Handtasche und Umhängebeutel, die Zugtoilette suchen. Ekelhaft, jemand hat die kleine Fläche für die zweite Klopapierrolle als Müllfach genutzt und ich denke, das ist sauberes Papier … viel, viel Seife.

Zurück am Platz, die Ansage des Zugbegleiters vorhin: „Es gibt kein Recht auf einen reservierten Sitzplatz, ist der weg, wenn du auf das Klo musst, dann ist der weg.“ Glück für mich, ich habe so lange ausgehalten, das Pärchen, das hinter mir zusteigt, findet mich nur wieder sitzend in dem vollen Wagon vor. Weiter den dunklen Abend hinein, nach Magdeburg.

Endstation Magdeburger Hauptbahnhof irgendwann kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Der MITROPA-Wagen auf dem Nachbargleis fällt mir ins Auge, ein schönes, spontanes Fotomotiv. Weiter hinaus zu der großen Anzeigetafel in der Empfangshalle, wie erwartet, mein Zug in das Heimatkaff zurück fährt erst in anderthalb Stunden … ab später Stunde ist der Takt nur zweistündig. Ich mache das, was ich immer mache in dieser Situation und gehe erst einmal rüber zu der Bar, ein paar Schritte abseits des Bahnhofsvorplatzes, noch hinter dem angrenzenden und dunkel verschlossenen Einkaufszentrum, die andere Straße da, gleich neben dem großen Hotel.

Mein Platz auf der terrassenförmig angeordneten Außenfläche, ein lauer Spätsommerabend, mein Strickjäckchen über meine schwarze, orientalische Tunika reicht. „Habt ihr noch diesen Ipanema?“ Die Mocktails auf der Getränkekarte haben sich nicht verändert. Ich muss nicht auf die Zeit achten, ich trinke das Glas mit den Eiswürfeln ziemlich schnell herunter. Mein Blick auf die Straße neben mir, die vereinzelt fahrenden Autos, die Innenstadtarchitektur ist ähnlich, postsozialistische Stalinbauten und große Alleen gibt es hier auch, aber der Verkehr, vereinzelte, einsame Auto-Poser? Magdeburg ist keine Großstadt. Tiefste Provinz.

Wieder zurück am Hauptbahnhof, selbst die Lichter an dem angrenzenden Kinopalast sind ausgegangen. Ich habe das Gefühl, ich habe den Tag noch nicht so viel gegessen und hole mir an dem jetzt vierundzwanzig Stunden offenen Bahnhofsbäcker das zweite belegte Brötchen, nach Salat und Mozzarella, jetzt eines mit Auberginen. Auf den Zug wartend und mein Brötchen aus der Papiertüte mampfend, draußen vor dem großen Bahnhofseingang.

„Hey du, bist du aus Deutschland?“

Ich drehe mich um.

„Ich meine, wegen deinen Augen“, er deutet mit seinen Fingern auf seine.

Meine stark geschminkten Augen sind ihm wahrscheinlich aufgefallen, so eine mit so viel Kajal sieht man hier nicht so oft. Ich komme den beiden näher, sie sind zu zweit, er steht mit seinem Kumpel vor dem Eingang mit der Glastür, den Rücken hin zur hell erleuchteten Bahnhofshalle mit der Anzeigetafel.

„Scheiß Araber“, ein paar andere Gestalten passieren wortlos die Glastür und gehen einfach vorbei.

Ich mustere die beiden: „Und wo kommt ihr her?“

„Indien.“

Ich ziehe meinen kleinen Ganesha-Anhänger an meiner Silberkette unter der Tunika hervor, bestimmt haben sie zuerst meinen Anhänger und nicht meine Augen gemeint: „Ich kenne da ein paar indische Studenten auf der Arbeit, denen ist der auch gleich aufgefallen.“

„Tatsächlich …“, er scheint überrascht, „Und du, bist du … straight? Ich meine nur, wegen meinen Freund hier, er würde gerne mit dir gehen.“

Ich erfasse die Situation und wo sie mich hinführt.

„Vielleicht … können wir etwas trinken gehen, oder zu uns nach Hause, nur sechs Minuten von hier?“

„Nein, ich warte auf meinen Zug, den da an der Tafel, in dreißig Minuten.“

„Darf ich?“, er kommt mir näher.

Ich bleibe still, ich kenne die Situation schon, er greift mit seiner Hand unter meine Tunika und mir in meinen Schritt: „Da ist nichts“, erwidere ich, nicht das erste Mal für mich, das passiert oft … als trans Frau.

„Ich hatte gehofft, da wäre noch etwas“, auch ein zweiter Versuch von ihm ertastet nichts.

„Hier sind überall Kameras“, ich deute auf die eine gleich neben uns, oberhalb dem Eingang mit der Glastür.

„Wir müssen jetzt los“, bevor die beiden in Richtung der Bahngleise verschwinden, umarmt mich der eine stille noch und versucht einen Knutschfleck auf meinem Hals, der andere, der das Gespräch versucht hat, umarmt mich auch … vorher der ertastende Griff an meine linke Brust.

Ich bin wieder allein und betrete auch die hell erleuchtete Bahnhofsvorhalle, den Mülleimer suchend für meine Papiertüte von meinem aufgegessenen Brötchen. Ich werfe das Papierknäuel hinein und gehe auch in Richtung meines Bahngleises. Wenig später, die Treppen oben, fährt auch mein Regionalzug in Richtung meines Heimatkaffs ein. Ich analysiere in Gedanken die Situation von eben …

Ich werfe meinen Körper nicht mehr weg. Noch vor ein paar Jahren, ich wäre mit den beiden mitgegangen, wohlwissend, dass die einfach nur den schnellen Fick mit mir gesucht haben, die beiden, aus Indien … ich bin eine: „Hijara.“

Die sind nichts wert. Die beiden Männer, ich habe es gespürt, ich bin nicht die wunderschöne Frau, die angebetet wird, ich bin etwas anderes, vielleicht noch nicht einmal menschlich … ein Ding, eine Sache, Besitz. Wie wäre es ausgegangen, ich hätte mit beiden den schnellen Sex gehabt, wäre irgendwo in einem mit der S-Bahn sechs Minuten entfernten Vorort den Morgen aus einer Wohnung geworfen worden, zwei Punkte auf meiner Bodycount-Liste mehr, im kalten Morgengrauen den Weg zum Bahnhof zurück suchend. Ich hätte die beiden nie wieder gesehen … ich werde sie auch so nie wieder sehen. Ich will nicht mehr benutzt und weggeworfen werden. Mein Körper und meine Psyche sind mir jetzt wichtig. Zurück auf dem Weg zu meinem Gleis in dem Bahnhofstunnel, ich erkenne auf den zweiten Blick einen mir entgegenkommenden Arbeitskollegen – auch ein Ausländer – eine vollkommen andere Situation, ein Handwinken mit viel Respekt, ich bin eine weibliche Softwareingenieurin, keine Prostituierte (auch wenn in Sexarbeit viel Arbeit steckt – die Männer erkennen den Wert dieser Frauen nicht).

Die Dunkelheit der Mitternacht rauscht an meinem Fenster vorbei, vor mir auf dem aufgeklappten, kleinen Tischtableau das Knäuel Make-up-Entfernungstücher, Sonnencreme und schwarzen Kajal aus meinem Gesicht wischen. Mein Heimatkaff erreiche ich gegen Mitternacht. Die paar hundert Meter zurück zu meinem Wohnhaus. Fenster in meiner oberen Etage öffnen … es dauert noch eine halbe Stunde, bis ich mich schlafenlegen kann. Ich gehe die Situation vor meinem hell erleuchteten Badezimmerspiegel noch einmal durch, greife mir selbst in den Schritt … Was hast du da ertasten können? Nichts. Die Nähte meiner Leggings.

Ich ziehe mich vor dem Spiegel weiter aus, angezogen bin ich unscheinbar, mit Brille sogar gar nicht so hübsch und weiblich. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fällt, die Tunika, das Spaghettiträgertop, der schwarze BH, die Leggings, mein schwarzer Baumwollslip. Nackt und ohne Brille, mit vollem, blonden Haar – meine kleinen Brüste, meine Vulva, mein gar nicht so untypisch, zierlicher und weiblicher Körper – nackt bin ich eine überaus hübsche Frau! Nichts deutet auf irgendetwas anderes hin! Mein versteckender Kleidungsstil, mein unsicheres und ängstliches Auftreten … meine leise Stimme, ist es das, was mein „Passing“ mindert? Ich will so bleiben, ich will daran nichts ändern, ich will … dass man mich erst respektvoll ausziehen muss, bevor ich meine wahre und innere, weibliche Schönheit zeige! Andere Menschen brauchen Kleider, um selbstbewusster zu werden? Ich werde erst selbstbewusst, wenn ich nackt bin. (Ende Teil 2/2)

[31.08.25 / 21:05] Der INTA-Pride Berlin 2025 – ich stelle den Wecker Sonnabend Vormittag auf 7:30 Uhr … eine halbe Stunde habe ich noch abgerungen, von meinen ursprünglich geplanten 7:00 Uhr. Beginn der Demo in Berlin, am Bahnhof Alexanderplatz unterhalb des Fernsehturms, ist auf 14:00 Uhr gesetzt, ich nehme den Regionalzug von 10:03 Uhr von meinem Heimatkaff in der tiefsten ostdeutschen Provinz (mit einer Stunde Puffer, falls der Zug ausfällt). Letztes Wochenende habe ich über drei Stunden gebraucht, bis ich es vom Aufstehen bis zur fertigen Abreise ins Auto geschafft habe. Werde ich es dieses Mal pünktlicher schaffen?

Alles vorbereiten, alles griffbereit. Den Freitag Abend nach der Arbeit, ewig langes Herumsuchen und Ausprobieren vor meinem Kleiderschrank … nehme ich das grüne Kleid? Oder doch lieber das schwarze, orientalisch angehauchte? Wie alle Demos jetzt, ist auch der Pride politisch polarisiert und teilweise eine Pro-Palästina-Demo. Alles ist Pro-Palästina, Pro-Links, Pro-Irgendwas-mit-Minderheiten. Stört mich nicht so sehr, ich will mein fertiges Outfit unbedingt mit meinem orientalischen Silberschmuck kombinieren – ein Schlauchschal zum Vermummen muss unbedingt auch noch mit in die kleine Handtasche.

Mein geplantes Gepäck vergrößert sich um einen schwarzen Umhängebeutel. Vorhergesagtes Wetter: Regen, Sonnenschein, Nebel den Morgen, Gewitter den Nachmittag, strahlend blauer Himmel dazwischen, Temperaturen gegen dreiundzwanzig Grad, plus minus fünf. Packe ich die Regenjacke mit ein? Mein schwarzes Strickjäckchen sowieso … passt die Regenjacke in Camouflage überhaupt zu meinen eleganten Kleidern? Und welche Stiefel? Kampfstiefel? Schnürstiefel? Mehr Fetisch, weil das internationale Fetischtreffen ist das Wochenende auch in Berlin? Ich nehme das orientalische Kleid und die Hi-Top-Sneakers, sommerlich schick. Das Fetischtreffen lasse ich sein, das passt zeitlich nicht – nur die Demo, vielleicht später Einkaufen.

Im Bad stapelt sich alles, was ich mitnehmen will, alles, was ich den Sonnabend kurz nach dem Frühstück brauche: Parfüm, Kajal, Pinsel, Augenbrauenbürste – für den Morgen: orientalisches Duschbad, französische Haarwäsche – zum Gebrauch und Mitnehmen: Zahnbürste, Zahnpasta zum potentiellen Übernachten – für später, den Zug zurück: Abschminktücher. Noch etwas vergessen? Zwei Pack kleine Taschentücher, das kleine Portmonee, ein Haargummi, ein Stift für die Bahnkarte und die kleinen Kopfhörer zum Musikhören im Zug. Mein Strohhut, einen Schirm habe ich nicht mehr, den kaufe ich neu vor Ort.

Den Abend vor Mitternacht, Beine rasieren, Augenbrauen trimmen, fein Nachschneiden, noch einen Film in der Mediathek schauen, vor 1:30 Uhr bin ich im Bett und schlafe präzise sechs Stunden bis ich noch vor dem Wecker auf dem Smartphone wach werde.

Aufstehen in der geplanten Uhrzeit, alles ist durchgetaktet. Entspannt frühstücken auf der Terrasse im Garten … dunkle Wolken, wenn das so bleibt, könnte es angenehm werden. Die letzten Meter zum Bahnhof zu meiner geplanten Abfahrtszeit werde ich gefahren. Der Zug ist voll, mein „Quer durchs Land“ Ticket am Automaten.

Umsteigen in Magdeburg in den Regionalexpress nach Berlin … verwirrende Anzeigetafeln, innerhalb weniger Sekunden wechseln sich die beiden benachbarten Gleise und die Fahrtrichtungen, ich laufe den ganzen Bahnsteig von vorne nach hinten, durch die dichtesten Menschenmassen, nur um danach festzustellen, ich hätte einfach nur stehenbleiben können, wo ich vorher stand. Ich will möglichst weit entfernt sitzen, vor den ganzen Menschen.

Der Doppelstockzug wird spätestens ab Potsdam immer voller. Es geht hinein nach Berlin. Der Himmel ist blau aufgeklart, die Sonnenblende an meinem Sitzplatz oben schirmt nicht die Wärme ab. Immer mehr vorbeirauschende Hochhäuser … alles ab drei Stockwerke ist für mich hoch.

Die Berliner Bahnhöfe, ich kenne die Reihenfolge, die Museumsinsel, der Fernsehturm ganz hinten, gleich bin ich da, am Alex.

Aussteigen, routiniert, als würde ich hier schon immer wohnen, laufe ich im Bahnhof durch die Touristenmassen, auf der Suche nach einer Drogerie oder einen Mini-Markt, zwei Flaschen Wasser und einen Regenschirm kaufen, beides ist kein Problem und landet mit in meiner schwarzen Umhängetasche.

Draußen vor dem Fernsehturm gleich daneben, der kleine, rote Transporter steht schon auf dem Platz. „Ist das der gleiche, rote Transporter, wie letztes Jahr?“ Die Orga-Truppe hat nur diesen einen roten Transporter, ich frage die beiden, ich war letztes Jahr schon da. Sie bauen noch die ganzen Plakate und Regenbogen- und Transgender-Fahnen an. Noch sind noch nicht so viele Demoteilnehmer gekommen, auf diesen überfüllten Platz, ich gehe erst einmal einen Kaffee trinken, in der Kaffeehauskette gleich neben mir und schaue mir von dort aus den weiteren Aufbau an. Unzählige Polizeifahrzeuge, die großen „Wannen“, mehr Berliner Polizisten in ihren blau-schwarzen, martialischen Uniformen, als Demo-Organisatoren. Auflagen werden durchgenommen, im Internet schien das so, als würde das eine ganz radikale und gewaltbereite Pro-Palästina-Demo.

Ein paar trans Frauen gesellen sich mit dazu, unter den Bäumen suchen immer mehr optisch erscheinende, nonbinäre Menschen den Schatten vor der Sonne. Ich bringe meine Kaffeetasse und den Teller zurück zum Tresen und trete auch aus dem Schatten der Kaffeehausfiliale hinaus auf den vollen Platz. Die kleine Gruppe an Demoteilnehmern sondert sich etwas ab, von den vielen Berlin-Besuchern ringsherum. Letztes Jahr waren doch mehr gekommen …

Die Demo beginnt mit ein paar gesprochenen Vorträgen, eine der Organisatoren trägt die Liste mit Auflagen vor und es wirkt bizarr, als wären die paar harmlos erscheinenden, groß gewachsenen trans Frauen und die zierlich erscheinenden Nonbinären, brutale Hamas-Kämpfer und bereit, gleich alles und jeden auf der Stelle zu lynchen, für ihren Kampf gegen Unterdrückung. Die vorgetragenen Texte betonen viel mehr, wie sehr die Gesellschaft Angst vor trans und alles ähnliche hat und genau diese kleine Gruppe, aus Gründen wie auch immer, unterdrückt, unsichtbar macht, verschwinden lässt, oder gleich vernichtet. Macht irgendwie Sinn für mich, wenn wir im gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung Allianzen bilden … nur das mit dem „Trans-Genozid“ habe ich nicht ganz kapiert.

Regenbogen- und Transfähnchen schwenken, wenn hier eine gefährlich ist, dann bin das allerhöchstens ich, mit meiner militärischen Ausbildung und Schnellfeuergewehr-Erfahrung (von vor fünfundzwanzig Jahren).

Die kleine Gruppe von hundert, vielleicht zweihundert, vielleicht später sogar dreihundert Demoteilnehmern setzt sich in Bewegung. Die Route geht vom Alexanderplatz aus Richtung Osten von Berlin. Ich laufe erst vor dem kleinen Transporter, in zweiter Reihe vor dem Front-Transparent: INTA – trans, inter, nonbinär und agender, wir sind nicht unsichtbar.

Der (oder die) DJ in dem Transporter mit den Lautsprecherboxen oben drauf, legt wirklich richtig gute House- und Techno-Musik auf, ich tanze meinen schlendernden Gang … nur immer wieder unterbrochen durch Seek-and-Protect Phasen, wenn der kleine Demozug die vielen Kreuzungen überquert. Berlin ist nicht Magdeburg, so etwas wie dieses „Geisterstadt-Szenario“ können die in Berlin hier nicht absperren, auf den Gegenfahrbahnen ist weiterhin dichter Großstadt-Autoverkehr. Mein suchender Blick geht immer hunderte Meter voraus auf die Gehwege und Passanten, ich achte auf Streamer – neuste Mode der Faschos. Die Lage bleibt ruhig, ich kann nichts entdecken, ich wechsele wieder in meinen entspannten, ich-bin-nur-ein-einfaches-trans-Mädchen Tanz-Modus.

Die Menschen um mich herum, ob die alle aus Berlin kommen, oder von weiter weg? Ein paar trans Frauen, einzigartig und jede für sich, so hübsch wie sie ist. Sind trans Männer dabei, bleiben sie für mich unerkannt. Menschen, deren Pronomen ich nicht nennen kann, und Allies. Die Demo bleibt ab und zu stehen, kurze Vorträge, es bleibt politisch. Den Weg auf halber Strecke wird eine größere Pause eingelegt, die Ansage der überaus hübschen und elegant in einem hellen Hosenanzug gekleideten trans Moderatorin kündigt eine zwanzig minütige, organisatorische Pause an, die Straße bleibt weiterhin blockiert. Zum Glück gibt es Sitzplätze an der Hausfassade neben einem Späti oder ähnliches gleich neben mir. Die Stalinbauten und die beiden markanten Kinos und Eiscafés aus sozialistischen Zeiten, haben wir schon passiert. Mein Blick schweift über die Demoteilnehmer … und da ist sie! Sie ist wieder da, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

In Gedanken gehe ich meine Phantasie durch, was, wenn ich sie ansprechen würde? „Du, ich habe ein Foto von dir, auf meiner Festplatte, schon seit fünfzehn Jahren. Ich konnte es nicht löschen, das Foto von dir, das ist so schön, ich bewundere es immer wieder.“ Nicht so häufig, es ist ja nicht so, dass ich ihr einen Altar gebaut hätte, ich schaue das Foto vielleicht ein oder zweimal im Jahr an. Es ist wirklich ein schönes Foto, wie sie da im Abendschein an der Reling des Queerboots verträumt in die Ferne schaut. Ich weiß nicht, ob es dasselbe Jahr war, in dem ich auch Passagierin auf dem Berliner Queerboot auf der Spree war. Irgendwie musste ich im Internet nach Fotos gesucht haben und bin auf dieses mit ihr gestoßen. Sie hat sich fast gar nicht verändert, sie ist nur fünfzehn Jahre älter geworden … und letztes Jahr war sie hier auch mit dabei. Aber vielleicht täusche ich mich nur und sie sind doch nicht dieselben Personen … aber dieser verträumte Blick und wie sie einzeln für sich durch die Menge schreitet, schwarz gekleidet, schwarze Haare. Neben dem Transporter werden weiter ein paar Vorträge gehalten, vielleicht auch eine Tanz- oder Kunstperformance. Die Ansage, dass es gleich weitergeht, holt mich aus meiner phantasievollen Gedankenwelt zurück. Es geht weiter. (Ende Teil 1/2)

[27.08.25 / 21:38] Laserbehandlung #2 (Haarentfernung #33) – Meine täglich aufgetragene Vampir-Creme, die mit dem milden Lichtschutzfaktor von 25, hilft hier nicht, mein Gesicht ist vom letzten Wochenende zu stark gebräunt. Die drei Stunden auf dem CSD den Sonnabend Nachmittag waren zu viel, ich hätte es wissen müssen … ich hatte auch die stärkere Sonnencreme mit in der Tasche.

Tage später den Mittwoch, die Behandlerin dreht die Einstellung am Gerät auf die leichteste Stufe und fegt routiniert mit dem Laser über Kinn, Wangen und die Oberlippe. „Ist es auszuhalten?“ Ich zucke nicht einmal vor Schmerz zusammen. Kleine Stiche, der Geruch von verbrannten Haaren, hoffentlich wirkt es doch auf meiner für die Behandlung grenzwertig leicht rötlich-braun schimmernden Gesichtshaut.

[24.08.25 / 23:06] Das komplette Leder-Outfit, das wollte ich schon immer mal machen! Der CSD in Magdeburg 2025, die Tage vorher verfolge ich die Wetterberichte … nach den heißen Tagen könnte es eine Abkühlung geben. Die letzten Jahre auf den verschiedenen CSDs (also nur Leipzig oder Magdeburg) war es immer wieder zu sommerlich warm für einen Auftritt ganz komplett in schwarzem Leder, dieses Mal wird es funktionieren!

Der Sonnabend das vorletzte Wochenende im August, der Termin steht schon länger fest in meinem Kalender, für mein geplantes Outfit brauche ich absatzlose Schnürstiefel … vielleicht die Docs, mit weißen Schnürsenkeln? Zu kurz, zu aggressiv – draußen beim Frühstück auf der überdachten Holzterrasse fühlt es sich schon wie Herbst an – ich nehme die hohen 22-Loch-Schnürstiefel ohne Absatz (die Nacht vorher eingefettet), zusammen mit dem schwarzen Ledermini, der schwarzen Baumwollleggings und meiner schwarzen Lederjacke, eine ausgezeichnete Wahl. Noch sehe ich aus wie immer, auf jeder Grufti-Party – ich brauche noch meine schwarzen Lederhandschuhe! Dieses Accessoire lässt mein Erscheinungsbild final in das Abstrakte kippen, so wie ich, läuft hier niemand herum.

Der Sonnabend Vormittag, ausschlafen, aufstehen, wann ich will, die Demo in Magdeburg fängt frühestens dreizehn Uhr an und ich nehme das Auto. Stiefel glänzend polieren, Beine vom Vorabend nachrasieren, duschen, draußen frühstücken, zurück ins Bad, Parfüm, schwarze Unterwäsche und Make-up. Dezenter, schwarzer Kajal-Strich, sieht sowieso keiner – zu meinem schwarzen Leder-Outfit kombiniere ich die dunkle Sonnenbrille, halb Achtziger-Jahre-Pilot, halb Cat-Eye. Ich bin zu spät, als ich mich ins Auto setze, ist es schon 11:40 Uhr, das „Politische Gespräch“ vor der Demo habe ich auch diese Jahr verpasst. Ich starte den Motor und öffne über die Fernbedienung das Garagentor.

Den Weg hinein in die Magdeburger Innenstadt, ich parke mein Auto in dem Parkhaus, wo ich immer parke, das unter dem Einkaufszentrum in der Innenstadt nahe dem Alten Markt. Noch in der Tiefgarage ziehe ich die Schnürsenkel meiner Stiefel nach. Den Weg nach oben über den Fahrstuhl betrete ich schon in meiner kompletten Lederkluft: die schwarzen Stiefel, der schwarze Lederrock, die bis oben geschlossene, schwarze Lederjacke, die getönte Sonnenbrille, meine Finger in meinen schwarzen Lederhandschuhen ertasten vorsichtig den Knopf in die obere Etage, zum nächsten Ausgang des Einkaufscenters auf die Straße. Jeden Muskel in meinem Gesicht bewusst entspannen, keine Mimik, keine Freude, nur diese Art von unnahbarer Eleganz … K. L.

Oben, über die mehrspurige Straße und den Gleisen, rüber zum Alten Markt, wie wird die Polizei ihr angekündigtes Sicherheitskonzept umgesetzt haben? Auch dieses Jahr hat sich wieder eine rechte Gegendemo angekündigt. Der Marktplatz vor dem Rathaus ist überraschend offen gestaltet, ich kann einfach so hinüberschlendern. Viele Demo-Teilnehmer sind schon gekommen, aber weniger als die letzten Jahre. Auf der Bühne die üblichen Drag-Queens, die durch das Programm leiten. Ich schaue mir die Stände an, laufe meine Runde, beobachte die anderen Teilnehmer. Ich entdecke sie auch dieses Jahr: die drei Leder-Schwulen, die mir als Inspiration dienten. Rüber zu dem Stand der Puppys, ich orientiere mich an der schwarz-blau-weiß-roten Leather-Pride-Flagge.

„Letztes Jahr waren hier aber mehr Stände“, ich vermisse das Bälle-Bad.

„Ja, kann schon sein …“

„Möchtest du einen Aufkleber?“

Ich bekomme einen grünen Pfoten-Sticker auf meine Lederjacke von einer zweiten Person von diesem Stand. „Mal sehen, wie lange das bei diesem Wetter auf meinem Leder hält“, der Himmel verdunkelt sich, jeden Moment könnte aus diesen grau-blauen Wolken wieder ein Schauer entstehen. Schwieriges Wetter, Sonnenbrille, Sonnencreme und Regenschirm.

Weiter zu der Aufstellfläche von den Demo-Trucks, nicht alle Parteien, eigentlich nur eine. Ein, zwei größere Firmen, gleich zwei größere CSD-Trucks und ein kleiner Laster mit obligatorischen Antifa-Flaggen – irgendwo hier sollte dieses Jahr doch auch ein queerfeministischer Block mitlaufen? Ist es dieses Fahrzeug? Meine erste Wahl. „Women Pride“ steht auch ganz hinten drauf.

Nach dreizehn Uhr, der Zug setzt sich in Bewegung, gefühlt zweitausend Menschen verteilen sich hinter die verschiedenen Fahrzeuge – es sind weniger Menschen, als das letzte Jahr. Die beiden großen CSD-Trucks nehmen die Wagenkolonne in die Mitte, es wirkt fast wie eine Wagenburg. Ungewöhnlich, mein linksradikal angehauchter Block ist dieses Mal das „vorletzte“ Fahrzeug.

Ein paar ganz vereinzelte Antifa-Flaggen – es dominiert die Regenbogenfahne. Der Block in dem ich mich befinde – von hinten lärmt der große Truck, von vorne dreht der DJ den Pegel seiner Anlage auf seinem Truck voll auf – der kleine Laster ein paar Meter vor mir hat zwar auch eine Anlage, aber die ist kaum zu hören. Innerhalb dieses Blocks wirkt es wie in einem Schweigemarsch, zu laut, um sich zu unterhalten, zu chaotisch, um zu irgendeiner von dieser Musik zu tanzen. Der Wind und der Regen zerfetzt meinen Schirm, der war aber auch schon vorher kaputt, hält immer nur ein Jahr. Die letzten Meter bis zur ersten Kundgebung auf dem Domplatz spanne ich ihn wieder auf, um mich vor der Sonne zu schützen. Ich kenne das, wenn ich mit meiner anderen Lederkluft, die Lederkombi zum Motorradfahren irgendwo in der Sonne stehe, sollte das angekündigte Wetter nicht einen bestimmten Temperaturbereich überschreiten …

Am Domplatz, für einen Moment die Lederjacke öffnen, die Handschuhe ausziehen und eine Flasche Wasser aus meiner ebenso schwarzen Lederhandtasche ziehen. Auch hier gibt es eine Kundgebung vor dem Landtag, aber davon bekomme ich nichts mit, ich sitze lieber im Schatten auf einer Bank. Letztes Jahr waren hier viel mehr auf dem Platz.

Die Puppys sammeln sich, die sind auch immer weit hinten im Demozug. Ich werde mit einem Handwinken begrüßt, die kleine Gruppe trans Frauen ist auch mit dabei! Ich winke zurück, ohne Worte, der Demozug hat sich schon in Bewegung gesetzt und Musikanlagen schallen wieder über die Straßen und machen eine Gesprächsgelegenheit unmöglich. Von irgendwo drückt mir jemand eine kleine Regenbogenfahne in die Hand, ich freue mich wie ein kleines Kind, jetzt habe ich endlich auch etwas zum Winken. Die nächsten Meter habe ich vor, hinter oder neben mir immer eine trans Frau mit dabei. Vielleicht könnte ich sie später nach der Demo ansprechen, ob eine von denen nächstes Wochenende auch mit nach Berlin fährt.

Der Demozug kreuzt die Route des letzten Jahres, irgendwo hier wurde er mal aufgehalten, ein Trupp Jung-Faschos hatte es bis heran geschafft. Wo sind sie dieses Jahr? Es ist nichts von ihnen zu sehen oder zu spüren, es sollen mehrere hundert von ihnen hier irgendwo sein? Das neue Sicherheitskonzept der Polizei – die Uniformierten sind überall, Polizeifahrzeuge bis zum hintersten Horizont, bis in die hintersten, noch kaum mehr zu erkennenden Straßenkreuzungen. Die müssen das hier wirklich ganz großflächig abgesperrt haben, um die beiden verfeindeten Lager voneinander zu trennen. Ich fange an, die Polizisten als meine Freunde zu betrachten. Es ist nicht mehr so unbeschwert, wie noch vor der großen Pandemie, aber verglichen mit dem Winter-Pride und der Demo letztes Jahr … ich fühle mich sicherer.

„Alerta, alerta, antifascista!“ Ein kleiner Trupp Vermummter schirmt mit ihren Bannern eine kleine Stelle, ziemlich am Ende der Demoroute, von der Straße ab. Ist da was? Sind da doch ein paar von denen? Neugierig verlasse ich die Demo ein paar Schritte seitwärts und stelle mich hinter den Demonstrierenden mit ihren Bannern. Blick nach rechts und links, die tragen alle Sonnenbrille und Hygienemasken – ich vermumme mich auch, ich habe aber nur meine kleine Regenbogenfahne, die ich mir vor mein Gesicht halte. Bloß nicht zu erkennen sein – der Typ, der da hinten von den uniformierten Polizisten eingekreist wird, er könnte eine Kamera an einem Stativ halten. Ich drehe mich wieder weg und laufe der Demo hinterher. Der letzte CSD-Truck hat mich schon passiert, bis zu dem kleinen Laster und meiner trans Gruppe schaffe ich es nicht mehr! Ich bin wieder allein. Den großen Truck erreiche ich noch und die letzten zehn Meter kann ich wenigstens noch endlich tanzen.

Der CSD hat den Alten Markt wieder erreicht, noch eine Runde über den Platz, lange hatte ich nicht vor, zu bleiben. Die auftretenden Bands sind „beschissen“, glaube ich zumindest, ein Programm wurde nicht veröffentlicht. Eine große Regenbogenfahne wird vor der Bühne aufgerollt, ein schönes Fotomotiv, auch ich krame mein Smartphone aus meiner Tasche. Die Demo ist vorbei, mein „Leather Woman“ Auftritt ist beendet, die schwarzen Lederhandschuhe landen in meiner schwarzen Handtasche und meine Lederjacke reiße ich auf – jetzt wieder als obligatorische Punkerkutte, Aufnäher, Buttons und Nieten glänzen am inneren Revers.

Weiter vom Alten Markt runter, zu der Einkaufsstraße zwischen den Warenhäusern, Mittagessen. Bestimmt schon sechzehn Uhr den Sonnabend Nachmittag, ein Burgerladen gleich gegenüber, eine Filiale dieser Kette, die ich auch von Leipzig kenne. Ich setze mich, geschützt vom Wind, in den Innenbereich der Gastronomie. Wie immer: veganer Patty-Burger, Süßkartoffelpommes und ein großes Glas Zitronenlimonade mit Eiswürfeln und Minze.

Weiter in die Drogerie gegenüber dem Einkaufszentrum, ich bin auf der Suche nach dieser exotischen Seife, die in meinem Bad zu Ende gegangen ist. „Marrakesh Promise“ – ich suche im Regal für Handseife und Naturkosmetik. Der Hersteller hat jetzt andere Duft-Nuancen im Programm. Mir fällt ein weiteres Produkt auf, es verspricht den Duft und das Gefühl von Hammam-Seife – das landet in meinem Einkaufskorb!

Wieder draußen, ich habe parallel an zwei Kassen gewartet, die sind da irgendwie nicht klargekommen mit dem Sonnabend-Nachmittag-Ansturm von Einkaufenden – dem Kassenzettel nach, ist es schon kurz vor halb sechs, ich wollte schon längst wieder zurück nach Hause fahren. Da ist noch dieser eine Asia-Laden dort drüben, in der Nähe vom Alten Markt, der ist so groß, die haben alles. Finde ich in den Tiefkühltruhen endlich das Eis, von dem ich in Tokio süchtig wurde? Sie haben viele Eissorten in der Truhe, in dem Laden verbringe ich gefühlt eine halbe Ewigkeit, starrend und staunend über dem großen Glasdeckel. Matcha-Eis mit roter Bohnenpaste, grünes Matcha-Eis ohne Paste, Kartons mit mehreren Stück Eis am Stiel und einem Zettel mit dem freundlichen Hinweis, nicht die Packung zu öffnen und nur ein einzelnes Eis herauszuholen. Mein Waffel-Eis, das ich suche, finde ich hier nicht.

Wieder draußen, die paar Meter zurück zu der Einbiegung zum Alten Markt. Schon wieder ein paar Vermummte und ihre großen Banner. Gibt es hier was? Doch ein paar Faschos? Doch Randale und Ausschreitung? „Laaangweilig.“ Ich stehe erst seitlich der Polizisten, beobachte die Szene. Tippele dann schnell hinter die Banner und schau den Demonstrierenden über die Schulter. Nichts zu sehen … Warum steht ihr hier, da ist doch nichts? Ich schaue noch einmal um die Ecke, neben den Polizisten und drehe mich dann um und laufe an dem ganzen vorbei, wieder zurück Richtung Einkaufszentrum und der Tiefgarage. Nichts los dieses Jahr, keine Faschos, die müssen schon die Polizisten anpöbeln, damit endlich „Action“ ist. Was ich nicht weiß, ich bin einem „Rechten Streamer“ ins Bild gelaufen, der am Rande des CSD, bis hin vor die Bühne, sein Unwesen getrieben hat.

Zurück zu meinem Auto in der Tiefgarage. Drei Läden noch, ein Kleid anprobieren, leider nicht meine Größe, ein anderer Laden, die Jacken mit dem Teddy-Fell abstreifen, ein dritter Laden, nichts, was mir ins Auge springt. Auch dieser Tag ist freundlich für mein Urlaubs-Budget … nach der Anzahlung für die nächste Reise bin ich schon wieder fünf Tage vor der Gehaltszahlung im Dispo. Die nächsten Wochen und Monate könnten schwierig werden, die Firma hat Kurzarbeit angekündigt. Vor mir liegt noch der Trip nach Berlin, ein weiteres Wochenende mit einem Festival in Berlin und meine Urlaubsreise, auf eine der Inseln von Griechenland (und es nicht Mykonos).

Mit dem Auto zurück zu meiner Wohnung in dem Provinzkaff, Kajal aus den Augen wischen, vor dem Computer sitzen, im Internet nach so einer Jacke mit Teddy-Fell gucken (in Tarnfarben) … aber eigentlich habe ich schon meinen französisch schwarz-grauen Kuschelmantel für den Herbst und Winter.

[21.07.25 / 00:25] Es hätte so ein schöner Tag werden können … Sonnabend früh Vormittag aufstehen, entspannt frühstücken, Motorrad aus der Garage holen und gegen elf Uhr nach Wernigerode fahren, ein Eis essen, Pizza essen, Kuchen essen, auf dem Marktplatz sein, einen Kaffee trinken, Oldtimertreffen beobachten, alte AWOs bewundern und dann … nach einer kurzen Pause an meiner Tankstelle, den Motorradparkplatz daneben, die Toilettenhäuschen, der schattig überdachte Stand mit den Touristenbussen, noch gemächlich eine Flasche Wasser trinken. Es ist heiß, bestimmt 30 Grad, so weit der Plan, bis siebzehn Uhr warten, dann sind die Touristen-PKWs weg und ich kann für mich alleine die Straßen nach Schierke hochschrauben … 400, 500, 600 Meter über Normalnull – und wieder abwärts ins Tal Richtung Elbingerode. Spätestens hier, fängt es unten im Bauch, ganz unten im Darm, an zu drücken und zu schmerzen. Ich sollte schnellstmöglich eine Toilette suchen.

Nach Wernigerode rein, ich verfahre mich, irre auf den engen, einspurigen Kopfsteinpflastergassen umher, finde den Weg ins Zentrum, der Kreisel mit dem großen Parkplatz und der Toilette auf der Gegenspur. Weiterfahren, wieder raus Richtung Benzingerode … irgendwo hier, noch vor dem Ortsausgangsschild von Wernigerode, war doch mal eine Tankstelle? Die, wo ich 2007 das Fahrschulmoped flach gelegt habe, die 125er. Ich passiere das Ortsausgangsschild, vielleicht die nächste Ortschaft weiter. Verdammt! Bis zur nächsten Tankstelle nach Halberstadt schaffe ich das nicht mehr. Blinker setzen, den nächsten Feldweg suchen, die Schmerzen in meinem Enddarm kommen in immer stärker werdenden, blubbernden Wellen. Ich finde einen Feldweg, steige ab, laufe zu einer mir günstig erscheinenden Stelle mitten auf dem Ackerweg, mit einem hohen Gebüsch und einem kleinen Bewässerungsgraben dahinter. Der Griff zu dem Knopf an meiner Motorradkombi – es ist zu spät! Explosionsartig verteilt sich alles um mein Gesäß und das Bein. „Ach, Scheiße!“ Warum ich? Warum schon wieder? Doch nicht die Motorradhose. „Das ist doch kacke!“ Ich verzweifele.

Ich schäle die Motorradhose nach unten, hinten den Reißverschluss der Kombi öffnen. Die zweite Welle geht wenigstens noch in das Gras am Wegrand … nicht hinein treten. Es stinkt, eine gelbe, bröcklige Brühe. „Da esse ich nie wieder!“ War es das Restaurant in Wernigerode? Der Kuchen? Der Kaffee, das Eis, die Limo? Die gelbe Farbe lässt mehr auf den Kartoffelsalat in der Kantine vom Freitag schließen, oder diese merkwürdigen „Mango-Schnittchen“, die die chinesische Kollegin für alle mitgebracht hat, die Packung mit den chinesischen Zeichen drauf. Den Morgen war ich noch froh, dass der Kantinen-Spinat vom Donnerstag raus ist.

Ich ziehe meine Motorradhose weiter aus, löse die Schnürsenkel von meinen Motorradsneaker und stelle das Paar etwas abseits daneben. Alles was jetzt passiert, mache ich in grünen Socken und nur meine Motorradjacke darüber. Die schwarze Unterhose ist nicht mehr zu retten, ich pfeffere das übel riechende Teil in den kleinen Graben vor mir. Ich habe nur eine Packung Taschentücher in meiner Jacke, die andere Packung ist in der kleinen Tasche im Gepäcknetz auf dem Motorrad. Ich laufe zurück … in Socken, die Motorradhose lasse ich da, den Helm habe ich wahrscheinlich immer noch auf.

Wieder zurück, meine Stelle auf dem Ackerweg, den Helm lege ich neben meine Schuhe, deponiere die zwei Flaschen Wasser darin. Mit den Taschentüchern versuchen, die bekackte Motorradhose sauber zu machen, versuchen, auch mich sauber zu machen. Die Handschuhe habe ich auch abgezogen, die liegen hier irgendwo im Gras.

Ein Taschentuch nach dem anderen wird wütend in das Gebüsch vor mir, den Graben runter, geworfen, es hängt wie Lametta zwischen Ästen und Zweigen. Es reicht nicht, die eine Packung ist leer, die zweite Packung Taschentücher wird leer. Was jetzt? In meiner Verzweiflung – oder auch leichter Schockzustand – ich muss zurück zu meinem Motorrad am Straßenrand und irgendwie jemanden anhalten und nach Tüchern fragen. Wieder zurück an die Straße, in Socken und schwarzer Motorradjacke – der ganze Unterkörper, meine Vulva, meine Schamhaare, alles ist frei.

Autos fahren vorbei, ein Transporter wird langsamer, hält er an? Ich winke, ich brauche Hilfe. Er fährt wieder schneller an mir vorbei. Ich muss Motorradfahrer anhalten, vielleicht sollte ich mein Halstuch an meinen Gepäckträger binden. Ein kleines Motorrad fährt heran. „Endlich! Du musst mir helfen!“ Ich springe vor meinem Motorrad hervor. Er blickt mich an, mit seinem Helm. Ihh! Die hat sich eingeschissen! Schnell weg! Kupplung springen lassen. Ich muss furchterregend aussehen, nackter Unterleib, braun verschmiert bis zum Knie, unrasierte Schamhaare, eine verrückt aussehende, wild gestikulierende, alte Schachtel … ich habe mehr ihn traumatisiert, als mich.

Der Transporter kommt zurück und biegt vorwärts auf dem Feldweg ein, es sind ein paar Männer drin in dem Miet-Transporter. „Toilettentücher, Papiertücher, irgendwas?“ Der Mann steigt ohne Worte aus, zieht die Seitentür auf und holt eine Rolle Wischpapier heraus … rollt um die zehn Blatt ab und gibt sie mir und steigt wieder ein. „Vielen, vielen Dank!“ Ich bin so glücklich in diesem Moment … immer noch halbnackt, das Schamgefühl ist das Erste, was verschwindet, in extremen Notsituationen.

Ich knie über meine Motorradhose und wische die schon antrocknende, gelbe Scheiße heraus. Das ganze Innenfutter ist verschmiert. Ich muss zwei oder drei Blätter übrig lassen, die ich mir unten herumwickeln kann, wenn ich die bekackte und engsitzende Motorradhose wieder anziehen will, ich habe noch fünfzig Kilometer vor mir. Der Strauch vor mir, den schattigen Bewässerungsgraben runter, wird immer weiter zugeworfen mit Papiertüchern.

„Meine Unterhose liegt schon irgendwo dahinten unten, das ist Baumwolle.“ Hinter mir auf dem Feldweg fahren schon die ganze Zeit ein paar Autos hin und her, ich bin denen nicht entgangen. Wenn ihr vielleicht noch ein paar Tücher habt? Eine Flasche Wasser ist schon leer, mit der zweiten Flasche versuche ich immer wieder, meine Hände sauber zu machen. Die Menschen, die hier irgendwie zelten, oder den Abend feiern wollen, oder dahinten einen Garten haben, versorgen mich mit ein paar Dingen. Eine Packung Taschentücher, das nächste Auto, ich versuche schon meine Motorradhose wieder anzuziehen, ein Blatt vorn herum, zwei Blätter hinten, der Wind versucht es wegzuwehen. „Hier, das könnte dir vielleicht helfen.“ Ein Mann bringt mir eine schwarze Unterhose und eine Jogginghose. „Die Hose ist zu viel, das passt nicht drunter“, meine Lederkombi sitzt eng, „Aber vielen, lieben Dank für die Unterhose, die nehme ich, das ist sehr nett.“ Nochmal ausziehen und die neue Unterhose drunter … schwarz ist sie auch noch. So nette Menschen, die mir einfach helfen. Sollte ich irgendwann mal in eine Situation kommen, in der ich anderen in einer Notlage Hilfe anbieten kann – einfach machen.

Die Kacke, der Haufen Scheiße, der stinkende Durchfall – kaum mehr zu sehen, ein Schwarm grün-goldgelb schimmernder Fliegen hat ihn schon für sich entdeckt … der Lauf der Natur. Alle meine Sachen zusammensuchen, nichts vergessen, meine Schuhe, mein Helm, meine Handschuhe – das letzte Auto den Feldweg, sie hatten feuchte Reinigungstücher mit dabei, das letzte bisschen Wasser aus meiner Flasche und die hohen Grashalme zum Abtrocknen, sind einfach nicht das Richtige. Meine verschmierten Hände stinken weit weniger, als ich und meine Motorradkombi, als ich wieder zum Straßenrand, an der Einfahrt des Feldweges, zu meinem Motorrad gehe, die kleine olivgrüne Tasche unter dem Gepäcknetz auf dem Soziussitz verstaue, meinen Helm aufsetze, das Bein auf die Sitzbank überschwinge und mein Motorrad starte. Später Nachmittag, schon fast Abend, die Sonne neigt sich dem Horizont, vor mir liegen noch diese fünfzig Kilometer Straße bis nach Hause, durch die goldenen Felder und die ebenso goldene Sonne neben mir.

„Da musst du jetzt durch!“ Was ein echter Motorradfahrer ist, auch mit der bekackten Kombi, die fehlenden Kilometer abreißen. Ich weiß nicht, warum die Autos hinter mir, mich alle überholen, das ist eine Agrar-Gegend, staubende Mähdrescher rechts und links, der Geruch von Schwein und Dünger auf jedem Feld … meine Geruchswolke, die ich hinter mir her schleppe, dürfte gar nicht auffallen. Die nächsten Ortschaften, wenn ich mal an einer Ampel stehe … das Gulli da neben mir, das mache ich für meine stark nach Fäkalien riechende Geruchswolke verantwortlich.

Mein Zuhause erreiche ich noch vor Sonnenuntergang. Das Motorrad ohne Umparken in die Garage fahren. Garagentor zu, Hoftor auf, weiter zur Haustür … der Hund begrüßt mich, kommt aber nicht näher, ich weiß, da ist eine starke Geruchswolke um mich herum.

Die Motorradkombi erst einmal auf der Treppe ablegen, zuallererst – eine Dusche nehmen! Endlich nackt lasse ich das Wasser über meinen Körper perlen. Gründlich abseifen mit Duschbad, das ganze bekackte Bein mit den Schmierstreifen, mein ganzes Hinterteil, bis in die tiefste Ritze.

Auch mit frisch gewaschenen Haaren und mit frischer Unterhose, stehe ich danach wieder draußen. Die Motorradhose lasse ich nicht im Haus, die lege ich draußen im Garten auf einen Stuhl. Morgen werde ich sehen, was ich damit mache. Die Lederhose in die Waschmaschine? Im Wollwaschgang? Danach trocknen lassen und richtig, richtig viel einfetten? Der ganze Aufwand, den Freitag Abend vor meiner Ausfahrt, nur vierundzwanzig Stunden zuvor – ich hatte schon meine ganze Kombi mit Lederreiniger und Lederpflege, stundenlang, viel zu verspätet, mitten in der Saison, endlich eingerieben, um in den zweiten Teil der Motorradsaison zu starten. Und jetzt kann ich nur hoffen, das meine müffelnde Motorradhose noch irgendwie zu retten ist. Ich mag die Kombi, die ist schön, die sitzt, angenehmes Ziegenleder, mit vielen praktischen Taschen, Reißverschlüssen und netten Design-Elementen. Hoffentlich kann ich sie retten … meine alten Lederhandschuhe habe ich nach einem Vollwaschgang auch wieder hinbekommen.

Der späte Abend, die Nacht, der Sonntag Morgen. Das Schamgefühl ist wieder da. Wie bin ich nur in so eine Situation geraten, warum war ich da auf dem Feldweg die ganze Zeit halbnackt? Ich hatte nichts! Keine zweite Unterhose, keine mitgenommenen Feuchtigkeitstücher – auch nicht diese eine, extra gepolsterte Unterhose mit „Windel-Funktion“. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert ist … ich habe mir schon so oft vorher in die Hose gemacht. Mehrere Male die Jeans, unzählige Male die Unterhose. Harn- und Stuhlinkontinenz. „Bis zu fünfmal im Jahr in die Hose machen, hat keinen Krankheitswert, das ist vollkommen normal!“ Das Mantra meiner Neurologin. Ich versuche, daran zu glauben, aber es ist nicht leicht mit Multipler Sklerose.

Ich bin den Sonntag Morgen deprimiert, ich will einfach nur sterben, ich versuche noch immer, das zu verarbeiten, was den Tag vorher passiert ist. Mein Arrangement mit der MS: sollte ich irgendwann mal nicht mehr in der Lage sein, selbstständig auf die Toilette und selbstständig, ohne Hilfe, essen zu können – dann ist es Zeit für mich, mich von den Lebenden zu verabschieden. Kein Suizid-Quatsch, ich will richtige Sterbehilfe, mit Begleitung, Rechtliches und allem drum und dran. Von meinen zwei Punkten, die dafür erfüllt sein müssen, ist einer vielleicht schon eingetroffen. Und der zweite Punkt, mit selbstständig nicht mehr essen können – sollte der eintreffen, kann ich auch selbstständig nicht mehr alles andere tun. Sterbehilfe vorziehen? So lange ich dafür noch in der Lage bin? Dann ist es doch dieser „Suizid-Quatsch“.

Den Sonntag, ich rotiere, die Motorradhose aus Leder ist noch vor dem Frühstück in der Waschmaschine im Wollprogramm gelandet, die braun-gelbe Kacke ist weg, aber leicht müffeln tut sie immer noch. Hängt draußen unterm Dach zum Trocknen. Die Familie empfiehlt ein Lederöl, das zwar drei Tage lang bestialisch stinkt, aber Wunder hilft. Was soll das sein? „Mink-Öl?“ Das vom Nerz? Angeblich sollen damit Pferdesattel eingerieben werden.

Weiter alle meine anderen Sachen, ich gehe nach und nach durch, was kontaminiert wurde. Die Schnürsenkel von den Motorradsneaker, mit in die Waschmaschine (der dritte Waschgang, in dem ich auch mein schwarz-goldenes Glitzerkleid mitwasche und danach alle anderen schwarzen Sachen „glitzernd“ wieder herauskommen), die Sneaker selbst, werden mit Desinfektionsspray eingesprüht. Die grünen Socken sind nicht mehr zu retten, die landen in der Restmülltonne, die hatten eh ein Loch. Meine Motorradhandschuhe, im Waschbecken, mit Wasser und Seife, umgestülpt, um auch an alle Stellen heranzukommen, die Lederteile werde ich irgendwann später die Woche mit Fettcreme eincremen, die nehme ich auch für mich selbst, für meine Haut. Die Motorradjacke, ich setze mich wieder auf einen Stuhl in der Küche und beginne wieder, alle Seiten, vorne, hinten, die Ärmel, mit Lederreiniger und Lederpflege einzureiben, es gibt nur ein paar kleine Abstreifspuren, als ich den späten Nachmittag zuvor auf dem Feldweg vor meiner Lederhose kniete und versuchte, mit fast schon bloßen Händen, alles herauszuwischen. Jedes Mal, wenn ich irgendwas davon sauber mache, ich wasche mir immer wieder meine Hände. Später Sonntag Nachmittag, nach einer Tasse guttuenden Hanf-Tee für meinen Darm, mein Motorrad und mein Auto in der Garage umparken … der Geruch nach Scheiße ist immer noch in meiner Nase, aber vielleicht rieche ich den nur für mich.

Fahre ich das nächste Wochenende wieder Motorrad? Fahre ich zu einem Treffen? Wieder da irgendwo das Nord-Harz-Gebiet? Ich will momentan nicht mehr raus und niemanden sehen. Es hat einen Grund, warum ich Kontakte ablehne und Menschen meide … ich will das niemanden antun, mir zu begegnen, sich mit mir auseinandersetzen zu müssen, von mir in meinen Abgrund gezogen zu werden. Ich bin nicht gut, ich bin krank, ich bin das Elend. War schon immer so, wird auch immer so bleiben. Ich versinke den Sonntag nach Mitternacht in meinem Selbstmitleid und habe den Punkt überschritten, an dem mein therapeutisches Schreiben mir hätte noch helfen können. Selbstmord, Selbstmord, Suizid! Hallo, da bist du ja schon wieder … kannst du auch wieder gehen?

Nachtrag Nummer eins den Montag Abend: Meine Motorradhose hängt in der Küche, ich habe sie komplett mit der Fettcreme eingerieben, die ich auch jeden Morgen für mich selbst da unten herum verwende, hoffentlich zieht sie in das schwarze Leder ein …

Nachtrag Nummer zwei den Dienstag: Ich wollte vor Scham in den Boden versinken … nächstes Mal – und das wird wieder passieren – behalte ich ein Taschentuch über, um damit mein „Scham-Dreieck“ zu bedecken, damit die anderen sich nicht vor mir erschrecken (und wegrennen), wenn ich sie um Hilfe bitte (oder sie sich für mich schämen).

Nachtrag Nummer drei den Mittwoch Abend: Ist die Fettcreme wirklich eingezogen, oder nur an der Oberfläche oxidiert? Die Lederhose ist fast wieder so fest, wie nach den Tag auf der Wäscheleine (draußen bei Regen, unter dem Dach). Nach der Arbeit im Schuhladen ein paar Leder-Pflegemittel gekauft: den Schaum, mit dem ich auch die raue Innenseite meiner Lederhandtasche wieder hinbekommen habe, als darin mal eine ganze, halber Liter Flasche Wasser ausgelaufen ist. Später den Abend, die Motorradhose noch einmal einreiben mit dem neuen Spray, von innen und von außen … wirkt fast wie neu.

Nachtrag Nummer vier, Tage später: Weich ist sie auch wieder geworden und schimmert seidenmatt.

[16.07.25 / 23:10] Den Flyer hatte ich Pfingsten schon mit eingesteckt, Anfang Juli ist wieder das kleine Festival in dem Club in Plagwitz. Da ich das Wochenende zuvor schon kurzfristig mit dem Auto nach Leipzig gefahren bin, nehme ich für dieses Wochenende den Zug. Ganz entspannt nach Leipzig fahren, zweieinhalb Stunden nur die Landschaft vorbeiziehen lassen, mit der Straßenbahn und dem Kombiticket ohne Stress zum Club, Tanzen bis morgens – und dann wieder zurück. So weit der Plan, ich rechne alles durch, es reicht, wenn ich Sonnabend frühestens Mittag aufstehe, die Beine rasiere und mein Outfit wähle, Dusche, Make-up, die kleine Handtasche packen, bis siebzehn Uhr am Bahnhof.

Es regnet den ganzen Tag, ich will das schwarze Spitzenkleid anziehen, das ich Pfingsten zum Gotik-Treffen nicht mitgenommen habe, das Ärmellose. Wetter- und Temperaturabhängig kombiniert … die Nylon-Strumpfhose oder die blickdichte, schwarze Yoga-Hose? Die Mitte, ich wähle die schwarze Baumwollleggings. Schuhe … ich wollte die schwarzen Plateaupumps tragen, aber die sind aus Wildleder, das ist doof im Regen, ich wähle die absatzlosen Doc Martens. Den frühen Nachmittag noch schnell eingecremt.

Das Make-up, nach der Dusche mit dem orientalischen Parfüm und dem obligatorischen Sprühstoß schweres, intensives Parfüm (mit noch extra Patchouli), ich sprenkele den schwarzen Kajal auf das Augenlid, den hinteren Strich ziehe ich vom Lidende mit dem frisch angespitzten Stift zurück zum Auge, den Pinsel ziehe ich an der Stelle in die gleiche Richtung. Leicht aufgetragener, schwarzer Mascara, ich muss unbedingt die feuchten Reinigungstücher für den Morgen danach, zurück im Zug, mit in meine Handtasche packen. Die Brille aufsetzen, es sieht ganz gut aus. Mit dem nächsten Handgriff nehme ich wieder die LED-Leiste von meinem großen Badezimmerspiegel und gehe, fast ausgehbereit, in meinen Flur. Die schwarze Handtasche, die ich immer nehme, die von Coccinelle 2015 in Rom … zur Hälfte gefüllt mit dem schwarzen Kapuzenpullover für später die Nacht. Die Lederjacke anziehen und draußen im Treppenhaus die Stiefel schnüren … freundlicherweise werde ich die letzten Meter durch den Regen von der Familie zum Bahnhof chauffiert. Siebzehn Uhr, der Zug nach Magdeburg und dann der nach Leipzig.

Für das Regionalticket brauche ich noch einen Namen auf dem Papier, in Magdeburg vertrödele ich die Umstiegszeit in einem Krims-Krams-Laden, ich suche so einen Stift mit schwarzer Tinte. Gedankenverloren … meinem Freund, ich habe ihm keine Nachricht geschrieben, ich habe kein Hotel gebucht, er wohnt nicht mehr in Leipzig, wo sollten wir uns treffen? All die letzten Jahre, wo ich immer auf dem kleinen Festival war, die Bands spielen bis weit nach Mitternacht, die Disko geht weiter … irgendwann hatte er mir nicht mehr geantwortet und ich wusste, dass er schon längst eingeschlafen sein muss. Kein Treffen mit ihm, ich versuche es gar nicht erst dieses Jahr.

Der andere Typ da, den ich letztes Pfingsten vor ein paar Wochen in dem Zelt auf dem Mittelaltermarkt getroffen habe, ein neues, potenzielles Casual Date? Er hat dieses Wochenende leider keine Zeit – aber er freut sich riesig, dass ich ihn Wochen später endlich mal eine Nachricht geschrieben habe … vielleicht hätte ich mich doch nicht so kurzfristig melden sollen, ein oder zwei Abende vor meiner Abfahrt nach Leipzig. Ich stehe in der Ecke des Magdeburger Hauptbahnhofes und kritzele mit meinem neu gekauften schwarzen Tintenroller meinen Namen auf das kleine Länderticket auf dem Tresen der Information. Weiter zum Regionalexpress nach Leipzig, der Zug bleibt anfangs leer.

Die schlimmste Toilette, die ich jemals in einem Zug benutzt habe … die Klobrille, die ich herunterklappe, ist vollkommen mit irgendeiner Flüssigkeit bespritzt, ich wische es mit Unmengen Klopapier ab, lege noch mehr Klopapier aus – so ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung ist darauf angewiesen, sich auf eine Klobrille hinsetzen zu müssen! In Gedanken versuche ich mir nur schemenhaft vorzustellen, wie die hochgeklappte Klobrille von der anderen Hälfte der Weltbevölkerung so hinterlassen werden konnte. Ich musste unbedingt auf die Toilette, kurz vor Bitterfeld und Delitzsch … zu geizig und zu eilig, um im Leipziger Hauptbahnhof noch einen Euro in die dortigen Sanitäranlagen zu investieren. 19:50 Uhr kommt der Zug an, Punkt 20:00 Uhr ist Einlass in dem Club – und es gibt nur Abendkasse.

Mit der Straßenbahn weiter die Linie nach Plagwitz, an der Gießerstraße aussteigen … es beginnt heftiger zu regnen. meinen Schirm aus meiner Handtasche holen und aufklappen. 2004 war ich hier den Morgen danach, nach der Gothic-Pogo-Party, in die Straßenbahn zurück zum Hauptbahnhof gestiegen, 2004 war ich das erste Mal in diesem Club, eine Band sehen, die es schon lange nicht mehr gibt.

Ich erreiche den Einlass, den dunklen Weg entlang, die besprühten Mauern, die alten Fabrikanlagen. Draußen steht zwar keiner, aber innen drinnen ist es schon gut gefüllt. Mein erster Weg, nach dem Stempel auf dem Handrücken an der Abendkasse, hoch zu den Toiletten im Obergeschoss – ich habe die Idee, meinen Schirm mit ebenso viel Toilettenpapier trocken zu wischen, bevor ich ihn zusammen zu meinen Pullover mit in die Handtasche legen kann. Wieder runter, die zwei Euro Wechselgeld vom Eingang gleich in eine Flasche Mate-Brause umwandeln.

Mir fallen die zwei gegenüberliegenden Bühnen auf, die große Hauptbühne, wie immer, und die zweite, kleine, die vor dem DJ- und Tontechnik-Pult aufgebaut wird. Prima – wenn ich hier stehenbleibe, brauche ich mich einfach nur umzudrehen und stehe schon vor der nächsten Bühne, bereit für den nächsten Auftritt. Ich mag das neue Konzept, ich hatte mich schon gefragt, wie sie fünf Bands den Abend organisatorisch, mit Umbaupausen, verteilen wollen, ohne dass es wieder bis zwei-Uhr-sonstewas geht. Nur wenige Minuten später, die erste Band fängt schon an.

So ein einzelner Typ, klassisch in schwarzer Lederhose und zerschnittenen, schwarzen T-Shirt mit abgetrennten Ärmeln und ultra viel verschmierter Kajal rund um die Augen. Er performt an seinem Synthesizer und Drum-Computer, oder „Spur-Band-Maschine“ ein paar solide Minimal-Synth-, bereit-für-die-Tanzfläche Musikstücke, der Gesang und das verzerrte Mikro gefällt mir. Ich habe den Flyer mit eingesteckt und hier hängen überall Plakate mit der Running-Order für diesen Abend herum … er kommt aus Norditalien?

Die zweite Band – ich muss mich nur umdrehen und stehe schon direkt davor – dafür bin ich extra hier angereist, die Stimme der Band, die jahrelang schon in meinem Autoradio hoch und runter läuft. Disco Noir … jetzt nur noch die Stimme alleine: Chanson Noir. Ich weiß nicht, welches Pronomen ich für sie oder ihn verwenden soll, der Bandname weist klar auf eine weibliche Adressierung, die Gesangstimme und ihr Wesen auch. Bei ihrer Begleitung, die sie für diesen Abend mit ans Keyboard gestellt hat, ist es einfacher. Chanson ist es nicht, die ersten Stücke gehen ins Post-Rock und Post-Punk … die Zugaben wieder elektronisch, tanzlastig.

Ich sollte mal meine Lederjacke ausziehen, es wird warm in dem Club. Draußen kurz Luft holen, der Regen hat nachgelassen, so kalt ist es nicht geworden. Die zweite Tanzfläche oben war anfangs noch nicht aufgebaut (oder besetzt), für die erste Tanzfläche unten bleibt nicht so viel Zeit zum Tanzen, ich muss mich wieder nur einfach umdrehen und beobachte die nächsten Musiker, ihre Instrumente auf der größeren Bühne vorzubereiten … ein paar große Trommeln, ein Saxophon?

Die dritte Band, aus Polen. Die jungen Musiker spielen das erste Mal in Deutschland. Unerwartete Tempowechsel, ein Schlagzeuger, der seine rohen, Punk-lastigen Texte auf polnisch singt, eine bezaubernde, junge Sängerin und Gitarristin in einem noch viel mehr bezaubernden Schwarz-Bunt-Folklore-Dress-Outfit und zwei oder drei weitere junge Musiker am Bass, Gitarre, Saxophon und Keyboard. Ich bin hingerissen, betitelt als New Wave, könnte das schon in den Jazz-Rock oder Rock-Jazz gehen.

Die vierte Band, der Typ da hinter mir – „Ich muss mich nur umdrehen“ – die runde, schwarze Sonnenbrille, das weiße Hemd, die schwarze Hose, ganz klar franko-belgischer, oldschool Synth-Kram, laut Flyer kommt er aus Frankreich. Seine Titel sind extrem tanzbar, die Menge vor mir bewegt sich weit mehr als ich. „Ich mache ein Schritt zurück!“ Bevor sie mir weiter gefährlich nahe auf meinen Stahlkappenlosen Schnürstiefeln herumspringt. So viel Nebel, so viele LED-Lichter, ein eingestreuter Strobo-Effekt?

Während der Umbaupause, irgendwann muss ich mir eine zweite Flasche Mate-Brause holen, irgendwann muss ich auch mal auf die Toilette. Wieder unten, ich habe die Garderobenhaken an den Wänden entdeckt, Platz für meine Lederjacke und meine Handtasche. Ein extremer Bass föhnt durch meine Haare … ich muss mitten in der Welle stehen, von vorne die PA der nächsten Band, hinter mir die kleine Bühne mit ihren Lautsprechern, dahinter sind erst die Tontechniker. Die letzte Band fängt an, zu spielen, eine Punk-Band aus Deutschland.

„Die sind Scheiße?“ Ich weiß nicht, liegt es an meiner extrem ungünstigen Position mitten im Raum, im Wellental und Wellenberg der aufgebauten Klanglandschaft, oder ist es das ewige Duett der beiden Sänger, der eine geht für mich schon ganz schön in die „Screamo“ Richtung. Ich kann damit nicht viel anfangen, klatsche auch nicht nach jedem Song. Das Publikum, da vor der Bühne, die ersten Reihen, denen gefällt das, die gehen mit. Ich will der Band eine Chance geben, jetzt den Club zu verlassen und mal kurz rausgehen, ist irgendwie doof. In den hinteren Reihen wird es weniger voll, ich kann meine Position leicht um ein paar Meter zur Seite verändern, hier ist der Klang etwas besser.

Ich weiß nicht, wie spät es ist, es muss weit nach Mitternacht sein, aber zwei Uhr – wie die Jahre zuvor – ist es noch nicht. Die Bands sind durch, die DJs legen auf. Die untere Tanzfläche, ich spüre, dass ich etwas taumele, ich will nicht umfallen, in das aufgebaute Equipment der DJs hinter mir auf den Podesten, der eben noch als kleine Bühne genutzten Fläche. Ich ziehe mich an dem Geländer die Treppe hoch zum Obergeschoss, in den Räumen neben der Toilette, die Räume mit den vielen Wänden voller Plakate der letzten zwanzig Jahre, der Rückzugsort, der Chill-out-Bereich, ein paar Sitzbänke.

Das Telefon aus meiner Handtasche kramen … eine Nachricht, nicht von ihm, nicht von dem anderen – eine Nachricht von dem Marokkaner, den ich viele Jahre zuvor mal in einem Swinger-Club kennengelernt habe, mit dem ich mich noch ein paarmal mehr getroffen habe. Mein nächstes Casual Date? Er hält weiter Kontakt zu mir, meldet sich über eine Nachricht ein paar Male im Jahr … er könnte demnächst, vielleicht wieder in der Nähe sein. Ich gebe mich dem Chat hin, wir tauschen ein paar Nachrichten aus. Ein Foto von mir? Das geht nicht, hier in dem Club sind doch Fotos verboten, du bekommst zwei Bilder von mir aus Thailand, die noch auf meinem Telefon gespeichert sind, das eine, wo ich mit den beiden Grazien den Abend in der Bangla Road posiere und das andere, wo ich auf dem Boot bin, in meinem Bond-Girl-Badeanzug, irgendwo in der Phang-Nga-Bucht. Er ist hin und weg. Vielleicht sollte ich ihn wirklich mal wieder treffen? Ich spiele mit ihm.

Die Treppen nach unten torkeln, ein paar Titel tanzen, die Treppen nach oben schleppen, auf der Tanzfläche oben ein paar Titel tanzen. Das ist die größere Tanzfläche, kahle Wände, weißes Licht, herunterhängende Laken, ultra viel Nebel, der DJ hat vor sich ein Gitter. Songs werden gespielt, Deathrock, ich betrete die Tanzfläche, Gothic-Rock, zwei Schritte vor, zwei Schritte wieder zurück, düsterer Wave, der Two-Step, Kopf tief gesenkt, die Flasche theatralisch in der Hand, noch mehr Post-Punk und Gothic-Kram, Dinge in der Luft greifen, die nicht da sind. Das komplette Repertoire. New-Wave-Klassiker, die Windmühlen-Arme.

Wieder unten, meine zweite Flasche habe ich schon wieder leer zurückgebracht, mit dem Pfand, den Eintritt, die beiden Limos hat mich der Abend nur zwölf Euro gekostet? Punker-Schuppen eben. Es ist kurz vor vier Uhr morgens, ich weiß, um 4:25 Uhr oder so, fährt der letzte Nachtbus draußen vor der Haltestelle Richtung Hauptbahnhof ab. Ich will noch nicht gehen, der DJ legt jetzt die Sachen auf, die mich Ende der Neunziger in die düstere Gothic-Szene gezogen haben. „I hate Berlin!“ Ich kann den ganzen Text mitsingen.

Draußen an der Straßenbahn- und Bushaltestelle, Vögel zwitschern, tiefdunkelblaue Farbe kommt zwischen den Bäumen, den Häuserdächern und den durch Straßenlaternen angestrahlten Laubblättern hindurch. Es ist schwül-warm, feucht und doch irgendwie kalt genug, meinen Kapuzenpullover aus der Handtasche zu kramen. In Kleid, Hoodie und Lederjacke stehe ich neben der Laterne am Straßenrand und warte auf den Bus … im Lichtkegel, damit mich der Busfahrer auch sieht, komplett in Schwarz. Ein Bus fährt heran, ich halte die Hand auf, der Bus fährt vorbei. „Dienstfahrt“ – nicht einsteigen. Minuten vergehen, an der Kreuzung dahinten fahren ständig Busse herum … stehe ich falsch? Kommt überhaupt ein Bus? Ist es schon kurz vor fünf Uhr den Sonntag Morgen – schaffe ich meinen Zug überhaupt noch? Der Bus kommt mit zehn Minuten Verspätung, „Jetzt aber schnell!“

Busspuren voller Busse, Straßenbahngleise voller Straßenbahnen, alles fährt zum Hauptbahnhof, das Herz von Leipzig. Mein Zug zurück steht schon bereit, es wären noch zehn oder fünfzehn Minuten Zeit gewesen. Ich muss nicht eine Stunde länger warten, hier irgendwo schon frühstücken, eine weitere Stunde in Magdeburg warten, bis dann irgendwann mal den späten Sonntag Vormittag ein Bummelzug in mein Vorstadtkaff fährt. Zeitlich passt es wieder, wie gewohnt, der Fünf-Uhr-Zug zurück. Die Gänge des Regionalexpresses in Doppeltraktion sind hell erleuchtet, die Toilette ist blitzeblank sauber für meine Erstbenutzung. Die Sitzecken mit der Möglichkeit, sich komplett hinzulegen, sind mir zu exponiert, ich bevorzuge wieder die intime Ecke auf den beiden Sitzen am hinteren Ende des Wagon-Abteils, direkt mit der festen Rückwand, ohne eine Sitzreihe dahinter. Hier ist es dunkel und abgeschirmt genug. Auch wenn draußen schon die Sonne aufgegangen sein muss, die tiefdunkelblauen Regenwolken ohne Regen lassen keinen Sonnenstrahl durch. Ich ziehe mir meine Kapuze tief vor die Augen und lege mich mit angezogenen Beinen auf die beiden Sitzplätze … ungünstig, ich trage ein kurzes Kleid. In der Hoffnung, meine Stiefel decken alles ab, versuche ich etwas zu schlafen.

Delitzsch, Bitterfeld … Roßlau – Dessau muss ich verpasst haben. Ich hätte nicht bis zuletzt stark koffeinhaltige Mate-Brause trinken sollen, vielleicht wäre ich etwas mehr eingeschlafen.

Der Magdeburger Hauptbahnhof, ich bin schon ein paar Haltestellen vorher wach. Zu viele merkwürdige Gestalten, die Bahnhofssicherheit umzingelt ein paar Trinker oder Obdachlose, die Bundespolizei ein paar andere ihr verdächtig erscheinenden Wesen der Nacht. Ich laufe daran vorbei … in Schnürstiefel, schwarzer Leggings, kurzes, schwarzes Röckchen, Lederjacke und die Kapuze des schwarzen Baumwollpullovers darunter weit ins Gesicht gezogen, von mir sind nur die langen, blonden Strähnen zu sehen und meine schwarz geschminkten Augen. Zum Bäcker da vorne, ein Schoko-Croissant bestellen, das, was ich hier immer um sieben Uhr Sonntag morgens, die Nacht zurück aus Leipzig, mache.

Draußen am Ausgang verdrücke ich mein Croissant, immer wieder mit dem Finger die Haarsträhnen unter der Kapuze wegschieben.

Wieder zurück in dem Regionalzug in mein Kaff, jetzt kommen die Abschminktücher zum Einsatz, die ich extra mitgenommen habe, diese Minuten vor dem Spiegel zu Hause, kann ich einsparen, bin damit viel schneller im Bett, ich habe die letzten Fahrten mindestens zwei Frauen gesehen, die das auch so machen.

Wieder zu Hause, den Weg vom Bahnhof zurück die zwei verschlafenen Straßenecken, wenigstens regnet es nicht. Routiniert meine Tasche auf die Leopardendecke auf meiner Couch schmeißen, nur das Smartphone und Zahnpasta und Zahnbürste da raus nehmen (ich war doch auf Übernachtung eingestellt), alle Fenster öffnen, ins Bad, und wieder zurück ins Schlafzimmer. Fenster wieder zu und schwere Gardinen davor … hoffentlich lässt das Koffein nach, hoffentlich kann ich einschlafen. Gefühlt 8:30 Uhr, ich blicke nicht auf die Uhr von meinem Smartphone, ich ziehe meine Bettdecke über den Kopf und schlafe ein. Wenigstens drei, vier Stunden bis Sonntag Mittag.

Über zwanzig Jahre solche Partynächte …

[08.07.25 / 23:12] Ein Bikertreffen das erste Juliwochenende, ich habe mein Motorrad den Abend schon wieder zwanzig Kilometer zurück in meine Garage gebracht und bin mit dem Auto wiedergekommen. Ich sitze auf einer der Bänke unter einem großen Partyzelt und schaue mir die Band auf der kleinen Bühne an, die die großen Rocksongs der vergangenen Jahrzehnte covert. Es ist kurz vor Mitternacht und dich trinke vielleicht den fünften Plastebecher Wasser. Eine Frau setzt sich zu mir: „Weißt du, wer ich bin?“ Ich glaube, schon. Es gibt mindestens drei schwarzhaarige Frauen hier in Rocker-Klamotten, die für mich gleich aussehen. Es ist die eine vom letzten Bikertreffen, die mir den Morgen nach dem Zelt das Frühstück serviert hat. Die Motorradclubs besuchen sich gegenseitig den Sommer auf ihren Treffen. Sie arbeitet bei ihrem Club schon seit Anfang an.

„Wir beobachten dich schon seit fünfzehn Jahren, du kommst jedes Jahr zu uns“, nicht ganz, manchmal ist das Wetter nicht so, „Wir haben deine Verwandlung von Anfang an miterlebt.“ Sie erzählt weiter, dass sie eine Bekannte hatte, deren Tochter ist genau so wie ich … sie lebt jetzt auch als Frau.

All die Jahre, als ich 2008 mein Motorrad gekauft habe, 2009 (oder 2010) das erste Mal auf einen ihrer Bikertreffen war, ich denke, ich habe mich optisch nicht verändert, ich war schon immer so, lange, blonde Haare, feminine, zierliche Figur. Immer zwischen den Menschen, aber nie nah und möglichst keine Gespräche. „Ich kann doch mit dir reden, wenn das nicht unangenehm für dich ist.“ Mittlerweile bin ich offener für Menschen, ich habe das letzte Jahr mehr Kontakte zugelassen, bin schon fast in einer Gruppe Motorradfahrer integriert, die sich lose auf den Treffen hier in der Region trifft. Gesichter erkenne ich erst, wenn ich sie Jahr für Jahr immer wieder sehe. Habe ich mich wirklich verändert, ist meine Wandlung über die letzten fünfzehn Jahre sichtbar?

Das autistische, asexuelle Etwas, gefühlt bin ich es immer noch. Die zugängliche Frau, die Motorrad fährt und irgendwie doch selbstbewusst die Anmachsprüche der Männer kontert … (noch längere Pause) … ich bin vielleicht das geworden, was ich immer sein wollte.

[06.07.25 / 19:57] Fahre ich zum CSD nach Leipzig? Es fühlt sich komisch an, ich weiß, das Wochenende naht und ich bin bis jetzt jedes Jahr zum CSD nach Leipzig gefahren. Nur dieses Jahr nicht. Stealth trans, alles vermeiden und leugnen, was auf meine verborgene Vergangenheit hindeuten könnte. Für das letzte Wochenende im Juni ist ein Nachmittag und ein Treffen mit den Arbeitskolleginnen in einer Strandbar an der Elbe geplant, das Wetter ist schön, angenehmer Sonnenschein, kein Regen, ein schöner Sommertag. Ich weiß genau, was ich anziehen werde – das neue, schwarze Kleid mit dem goldenen, aufgedruckten Paisley-Muster, superkurz, fast eine Tunika und weite, ausladende Ärmel, Bohéme-Chic.

Ich stelle mich schon darauf ein, den Sonnabend ganz entspannt zu beginnen, frühestens um elf Uhr den Vormittag aufstehen … so gegen neun, ich wache auf und prüfe das Smartphone neben meinem Bett. Abgesagt. Alles umplanen, das muss jetzt schnell gehen! Dann fahre ich eben doch nach Leipzig! Ich springe aus meinem Bett, hätte ich geplant, nach Leipzig zu fahren, hätte ich den Zug genommen, da wäre noch eine Party nach der Demo, in Connewitz. Beine rasieren, für mein Kleid, den Zug schaffe ich schon lange nicht mehr, ich nehme das Auto. Ein Frühstück draußen auf der Terrasse im Garten, keinen Kaffee, keine Zeit, die Tasche zusammensuchen – ich nehme die schwarze Stoffhandtasche – nur leichtes Gepäck. Kein Übernachtungs-Kit. Der Parfümstoß schweres, orientalisches Parfüm und ich bin draußen in der Garage in meinem Auto. Wenn ich es bis um elf hierhin schaffe, dann fahre ich los.

Auf der Autobahn, ich wollte es langsam angehen, die Geschwindigkeit auf der linken Überholspur wird immer schneller. 120, 130 … 150, 160? Ein Auto bremst, irgendwo da vorne, kurz vor Halle, kurz bevor die Autobahn dreispurig wird. Ich drücke auf die Bremse, ich stehe schon auf der linken Spur, vor mir die Bremslichter des vorausfahrenden Autos. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können.

In Leipzig, Blinker rechts auf meine Ausfahrt, ich weiß, wo ich parken kann, wenn in der Innenstadt wieder so viel Verkehr ist, wenn da wieder die Polizei alles wegen der Demo absperrt, wenn da wieder irgendwelche Faschos irgendwelche Gegen-Demos anmelden – ich parke weit abseits in der Gegend, wo ich mal gewohnt habe. Ich biege die Straße bei meinem Lieblings-Bäcker ein, bestimmt habe ich hier auch mal vor Jahren schon mein Auto unter den Bäumen und auf diesen Kopfsteinpflaster geparkt.

Nur fünf Straßenbahnstationen zum Hauptbahnhof, keine Kurzstrecke, ich muss das volle Ticket aus dem Automaten ziehen. Mit dabei neben meinem ultrakurzen Kleid / Tunika habe ich noch meinen Strohhut und die Hi-Top-Sneakers gewählt. Kapuzenpullover bleibt im Auto.

Am Hauptbahnhof vorbei, die nächste Station zum Augustusplatz … werden viele gekommen sein? Die Rechten und ihre Gegen-Demos vom letzten Jahr, das schreckt ab, das macht Angst, ich wollte doch auch nicht mehr kommen. Ich steige aus der Straßenbahn aus und laufe rüber zu dem großen Platz vor der Oper. Es sind doch einige gekommen, nicht so viele wie letztes Jahr, vielleicht gefühlt ein Drittel weniger, aber doch eine starke Demo.

Viele Plakate, viele Fahnen, Regenbogen, bunt, unterschiedlichster Art. Ein paar starke Drag Queens, die „Tier-Liebhaber“, jetzt in militanten Tarn-Uniformen. Die Ordner, die fast schon aussehen, wie in den USA mit ihren taktischen Westen und dem halbautomatischen Schnellfeuergewehr – zum Schutz der queeren Demo – entdecke ich nicht. So schlimm ist das hier noch nicht in Deutschland. Es dauert, ehe sich irgendetwas zwischen den bereitstehenden Demo-Trucks bewegt, eigentlich hätte ich mich gar nicht beeilen müssen, eigentlich hätte ich noch eine Stunde Extra-Zeit gehabt. Noch schnell einen Kaffee? Nein, doch nicht, ich nutze die Zeit zwischen den Arkadengang und den Bäumen am Eingang der Fußgängerzone zum Eincremen meines ganzen Körpers, Arme, Beine, Brust und Gesicht, mit Sonnencreme aus meiner schwarzen Umhängetasche.

Es geht so langsam los, es sind noch viel mehr Leute gekommen. Ich glaube, die meisten Menschen sammeln sich am hintersten Ende, den letzten Wagen, der linke und antifaschistische Block. Der Block mit den schönen Menschen. Techno-Musik wird aufgelegt, immer wieder Rufe, die bekannten Sprechchöre, kraftvoll und voller Wut. Wo sind sie, die Rechten? OK … keiner da, nichts zu sehen, die Polizei hat alles im Griff. Früher auf den linksextremistischen Demos, hätten wir die Polizei angegriffen, aber das ist hier der CSD, da sind das unsere „Freunde“, ohne dass wir denen so hundert Prozent vertrauen …

Ich tanze hinter den Trucks, auf den Kreuzungen ändert sich mein Blick und meine Bewegung, ich blicke in die Straßen rechts und links, nicht alle sind mit Polizeifahrzeugen blockiert, hier und da entdecke ich ein Auto von einer Seitengasse auf die Nebenstraße einbiegen … wenn der jetzt Gas geben würde. Ich befürchte schon lange so ein Attentat auf einen CSD hier irgendwo in Deutschland, es ist nur eine Frage der Zeit, bis so ein verrückter (wieder) kommt. Schnell wechsele ich von meinem militärischen Aufklärungsmodus wieder in den entspannten Tanz-Modus. Ich vermisse die Zeiten, wo das alles noch ein Riesen-Spaß war, einfach nur ein bisschen Party machen und richtig schöne, bunte Menschen entdecken. Irgendwann, die letzten Jahre, wurde es zu politisch und das zieht immer Gegner und Hass an.

Die Demo zieht durch die Innenstadt von Leipzig, sie haben mit zehntausenden Menschen gerechnet, um diese Masse zu bewältigen, muss die Demo in einem größeren Kreis um den Innenstadtkern herumgezogen werden. Die Sonne brennt, mein Tunika-Kleid sah erst zu Hause im Garderobenspiegel zu ungewohnt kurz aus, jetzt bin ich glücklich, nicht noch eine Leggings darunter angezogen zu haben. Die erste Flasche Wasser habe ich schon ausgetrunken, ich wechsele auf die zweite Flasche. Ich komme in ein kurzes Gespräch mit dem Nachbarmann neben mir, mein Blick wandert von dem Aufklären der Nebenstraße zu ihm. Ein kurzer Aufschrei von hinten, ich habe meinen Blick schon gesenkt, ein kleines Mädchen sammelt vor mir die bunten Glitzerstreifen der Demo auf. Ich bleibe stehen, ziehe meinen rechten Fuß langsam zurück. Puh, das war knapp, das hätte auch schief gehen können! Ein zweiter, solcher Moment. Nur wenige Zentimeter, ich hätte ihr auf die kleinen Hände getreten. Ich glaube, ich bin hier auf dieser Demo in einem so hohen Adrenalin-Spiegel, ich bekomme alles mit … und ich bin auch bis oben dicht mit weiblichen Hormonen, mir fällt jedes kleine Kind hier auf und aktiviert meinen Beschützerinstinkt.

Am Marktplatz und Hauptbahnhof vorbei, wieder zurück auf den Augustusplatz zwischen Gewandhaus und der Oper. Nach der Demo ist das Fest mit der Bühne auf dem großen Platz. Ich mache noch eine Runde zwischen den aufgebauten Ständen, bis ich einen entdecke, irgendwo steht immer einer von einer Organisation für trans Menschen. Eine blau-weiß-violette Postkarte, „Trans is beautiful“, ziert von nun an die untere Ecke meines Garderobenspiegels zu Hause im Flur. Lange bleibe ich nicht zwischen den Ständen, die heiße Sonne drückt und ich habe auch nicht so das Interesse an dem Bühnenprogramm. Zurück in die Innenstadt, die Fußgängerzone, den frühen Sonnabend Nachmittag, ein Eis essen.

Weiter zum Marktplatz, weiter zu meiner obligatorischen Runde in dem Kaufhaus. Angenehm klimatisierte Temperaturen, die Summer-Sale-Kleiderständer mit den Augen abstreifen … mein Filter sucht ein schwarzes Polo-Kleid. Für einen kurzen Moment, Anfang des Jahres, sah es so aus, als könnte es wieder modern werden. Leider nicht, es ist kein Trend daraus geworden, ähnliche Safari-Kleider finde ich auch nicht mehr.

Weiter zu Kaffee und Kuchen auf dem kleinen Platz am anderen Ende der Leipziger Fußgängerzone mit der Kirche, die „irgendetwas mit Bach“ zu tun hat. Mein erster Kaffee für diesen Tag. Weiter danach, zurück in die Fußgängerzone hinein, in das italienische Restaurant versteckt in einem schattigen Innenhof, den Menschenmassen entfliehen, eine Pizza bestellen.

Ich wohne nicht mehr in Leipzig, eine Dusche wäre jetzt nett – und dann den Abend zu der Party irgendwo in Connewitz. Von irgendwo höre ich die Kirchenglocken, es muss achtzehn Uhr oder so etwas sein. Die Pizza bezahlen, die Straße wieder rauf zum Hauptbahnhof laufen, die große Uhr an dem imposanten Gebäude zeigt es an, es ist bereits irgendwo zwischen achtzehn und neunzehn Uhr.

Die Bahnhofstoilette, mein zweites Badezimmer – ich verbringe hier immer viel Zeit. Nur ein Euro und ich habe die großen Waschbecken und Spiegel für mich. Mit viel Seife und noch viel mehr Papiertüchern zum Abtupfen, wasche ich mir die ganze Sonnencreme von meinem Körper … Beine, Arme, Brust und Gesicht, nur das Kleid kann ich hier nicht ausziehen, das geht nicht, zumindest trage ich eine etwas längere, schwarze Unterhose, nicht den knappsten und kürzesten Tanga. Es geht ungewöhnlich gut, keinen Stress, ich nehme mir meine Zeit. Wechsel zum Schminkspiegel hinter mir, den schwarzen Kajalstrich an den Augenlidern führen … das hintere Ende geht jetzt mal vom Lidende zurück zum Auge. Ich habe den falschen Pinsel aus meiner Kosmetiktasche gegriffen, der ist eigentlich für den Lidschatten, die rauchig schwarzen Augen wirken jetzt noch viel rauchiger. Mit dem Finger leicht nach unten ziehen, die schwarze Farbe kommt über das untere Augenlid und dem Wimpernkranz. Wieder die Brille aufsetzen und so übel ist das jetzt nicht geworden. Bereit zum Ausgehen nach Connewitz.

Mit der Straßenbahn zurück zum abgestellten Auto und dann mit offenen Verdeck in Richtung Südstadt und weiter zum Kreuz, mein Parkplatz am Werk 2, wo ich wenige Wochen zuvor, Pfingsten schon war. Wo ist der Einlass, die große Halle hinten oder die kleinere Halle vorne? An der Halle hinten stehen Menschen, erst mal mit anstellen, eine Ticket-Kasse – hier ist den Abend eine kontemporäre Tanzvorführung … wäre bestimmt auch interessant gewesen, aber dafür bin ich nicht hier. Zurück zum Eingang der kleineren Halle mit dem Zugang nach unten. Ein aufgestellter Plakatständer weist darauf hin, dass hier heute Abend die queere Party-Nacht läuft. Einlass ist erst zwanzig Uhr.

Die ersten Gäste sammeln sich und warten, dann der Einlass … ich muss Eintritt bezahlen? Im Internet stand, dass das hier heute kostenlos ist – nur das „Speed-Friending“ von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr ist kostenlos, die Party danach nicht, die kostet fünfzehn Euro. Ich bekomme ein Papierbändchen um mein Handgelenk für die Party danach.

Unten im Club-Keller, auf der dunklen Tanzfläche sind einige Stehtische aufgebaut, mit großen Papieren mit Themenvorschlägen für Fragen und Dinge, über die sich die anwesenden Gäste unterhalten könnten. Seitlich sind auch wieder ein paar niedrige Tische mit Sitzgelegenheit und noch viel mehr Themenblätter aufgebaut. Die Organisatorin erklärt das Ganze, setzt euch einfach irgendwo dazu, beginnt ein Gespräch oder hört einfach nur zu. Am Eingang, an dem ersten Bartisch liegen die Aufkleber: deine Pronomen, dein Geschlecht und was du suchst, Flirt, Freundschaft oder einfach nur nichts. Ich kreuze Flirt und Freundschaft an und setze mich in die Hobby-Ecke, über Hobbys erzählen, das kann ich, ich habe interessante Hobbys.

Smalltalk, ungezwungen, den anderen zuhören, Fragen stellen. Meine Hobbys sind Blog-schreiben und Motorradfahren. Und was habt ihr so für Hobbys? Vielleicht ergibt sich ein Flirt, vielleicht lerne ich jemanden kennen, vielleicht entdeckt jemand die kleine dahingekritzelte Zeichnung auf meinem großen, runden Aufkleber auf meiner Handtasche – ich suche eine Dusche (vielleicht auch eine Übernachtungsmöglichkeit). Ich stehe noch an weiteren Ständen, für „Self-Care“ und Smalltalk allgemein … aber es ergibt sich nichts weiteres. Muss es auch nicht. Die zwei Stunden gehen sehr schnell rum. Ich bedanke mich bei der Organisatorin gegen Ende dieser ungewöhnlichen Veranstaltung, ich kann doch auch auf Menschen zugehen und ein Gespräch beginnen … vielleicht habe ich nur nicht so interessante Hobbys.

Wieder draußen, alle müssen raus zum Umbau. Das Absperrgitter wird wieder vor die Eingangstür geräumt, die Wartelinie für den Einlass. Wieder die Menschen mit der Aufschrift „Sicherheit“ auf ihren Westen. Ich habe meinem Freund keine Nachricht geschrieben, er weiß nicht, dass ich in Leipzig bin. Ohne ein Hotelzimmer macht das keinen Sinn, wo sollte ich mit ihm hin? Und hier hat er jetzt Probleme mit der Security. Ein Awareness-Team mit den lila Westen gibt es diesen Abend auch.

Der Einlass öffnet sich wieder, ich gehe mit meinem Papierbändchen durch. Es kommen mehr Leute, aber viele sind es nicht. Die erste DJane legt einen Neunziger-Jahre-Eurodance-Hit nach dem anderen auf. Ich habe da nie zu getanzt. Bei „Barbie Girl“ muss ich dann doch auf die Tanzfläche. Die meiste Zeit sitze ich in der dunkelsten, hintersten Ecke auf einem Barhocker an einen der Stehtische. Der eine Mann, der sich zu mir gesetzt hat, für den ich immer auf seine Tasche aufpasse, wenn er nach draußen eine Zigarette rauchen geht oder an die Bar, ist mindestens auch zwanzig Jahre älter als die anwesenden Gäste, die auf der Tanzfläche herumhüpfen. Er kennt die Songs bestimmt noch von früher, Anfang und Mitte der Neunziger. Ich auch, ich habe mich 1997 mit fünfzehn von der Teenie-Disko in die Erwachsenen-Disko danach geschmuggelt.

Irgendwann nach Mitternacht, die DJane hat gewechselt, die neue legt jetzt 2000 oder 2010er auf, damit kann ich nichts anfangen, da war ich schon tief in der Gothic-Szene. Den einen Mann begegne ich noch am Ausgang, ich bemerke seine grauen Haare, er war tatsächlich wesentlich älter, als die da drinnen. Bleibe ich noch? Wird es besser? Ich bin mit dem Auto hier, ich weiß, dass ich dann nicht so lange bleiben kann, ich will nach drei Uhr den Morgen nicht mehr fahren. Ich sehe, dass sich an der Einlassschlange nicht so viel mehr tut, es kommen zwar noch ein paar, aber voll wird das hier nicht. Zurück zu meinem abgestellten Auto.

Die Nacht die Autobahn zurück nach Hause, ein angemessenes Tempo. Jedes Kilometerschild wird die Zeit zurück geschätzt, noch vierzig Minuten, noch dreißig Minuten … bis nach Magdeburg. Im Autoradio laufen die ganzen Bands vom MP3-Stick, die ich Pfingsten live gesehen habe. Gedanken … das Kleid ist schön, das sollte ich die nächsten Tage noch einmal auf Arbeit tragen. So eine aggressive Gegen-Stimmung war es doch nicht auf dem CSD, verschwindet die queere Bewegung aus dem Fokus? Hier und da Nachrichten aus meiner Blase, die das nicht bestätigen. Weitere Termine in meinem Kalender, noch ein Bikertreffen, noch ein Festival in Leipzig – ich bin die nächsten Wochenenden noch viel mehr unterwegs. Zwei Uhr und nochwas, das Garagentor geht auf, endlich in meiner Wohnung, endlich in mein Bett fallen. Sachen von meiner Couch zusammenräumen, mache ich den Sonntag in ein paar Stunden, nur wieder schnell im Bad den Kajal aus den Augen wischen. Habe ich jemals jemanden kennengelernt, als ich noch stark geschminkt war? Ja, aber da war ich noch viel jünger.

[01.07.25 / 21:35] Laserbehandlung #1 (Haarentfernung #32) – Seit einiger Zeit beobachte ich wieder einige dunkle Schatten am Mundwinkel und der Bereich am unteren Kinn, während ein paar langen Wochenenden dieses Jahr (Ostern, Erster Mai) zeigten sich einzelne, dunkle Haarstoppeln … ich muss wieder einen Termin bei meinem Kosmetikstudio machen! Auf der Internetseite – der Name des Studios hat sich verändert, aber die Adresse und die Inhaberin sind noch gleich, eine Email, ein Telefonanruf … frühestens Anfang Juli ist noch ein erster Beratungstermin wieder frei. Sie haben ihre Ausrüstung modernisiert, zusätzlich zu IPL bieten sie jetzt auch Laser- und Nadelepilation an … ich bin gespannt.

Mein Termin, die Bartstoppeln wachsen lassen, das Wochenende und die ersten Tage der Arbeitswoche – da muss ich jetzt durch. Ich lege mir schon eine Ausrede zurecht: „Jetzt ist es raus, mein Geheimnis, ich bin eine bärtige Drag Queen!“ Aber anscheinend fällt es niemanden auf, ich bekomme sogar Komplimente für mein hübsches Kleid (das vom letzten CSD in Leipzig). Die kratzigen Bartstoppeln sind nur einen Millimeter dick und weitestgehend hellblond.

Die Kosmetikerin schaut sich das alles unter der hellen Lampe an, die zehn oder fünfzehn dunklen Haare kann sie gleich in der ersten Sitzung mitbehandeln, sie schlägt den (kosmetischen) Laser vor, der wirkt punktuell. Die anderen, hellen Haare, vielleicht später bei den nächsten Sitzungen mit der Nadel. Ich liege wieder auf der Liege in dem Behandlungsstudio und bekomme die Laser-Brille auf.

Fast keine Schmerzen. Es fühlt sich an, als würden sie nur ausgezupft. Der Geruch verbrannter Haare. Ist es das? Kein Vergleich zu meinen allerersten Sitzungen von vor über zehn Jahren, als noch großflächig mit viel Druck und brutalen Schmerzen bis auf den Knochen der ganze, verdammte Bart vaporisiert wurde. Am Bezahlterminal wieder draußen, zücke ich meine EC-Karte … so viel Geld für die paar Piekser. Wenn es nicht brutal wehtut, bringt es nichts? Vielleicht sollte ich von meinem Erwartungs-Denken abrücken. Haarentfernung muss nicht schmerzhaft sein.

[24.06.25 / 00:07] Jetzt kommt alles zusammen, das Wetter passt, mein neuer Schlafsack, die neue, schmalere Isomatte, das kleine Biwak-Zelt und die schwarze Motorradtasche vom letzten Jahr – ich fahre Zelten! Mit dem Motorrad!

Das Bikertreffen, wo ich immer bin, jedes Jahr (wenn das Wetter passt). Das Treffen zur Sommersonnenwende, mit dem wunderschönen Blick über die Felder, bei dem die Sonne nie wirklich richtig untergeht und ein leichter Schein von West nach Ost zieht. Sonnabend Morgen, meinen Körper vorbereiten, alle Stellen rasieren, ich könnte meinen Bikerfreund treffen, er hat eine Nachricht von mir bekommen. Eigentlich passt mir das zeitlich nicht, ich will dort die Nacht in meinem Zelt schlafen und nicht bis morgens früh mit seinem Kombi irgendwo in einem hellerlichten Waldweg „entführt“ werden … aber irgendwie wäre es unfair, ihn nicht einzuladen. Er mag die Musik, er fährt Motorrad.

Das Abenteuer beginnt

Sonnabend Mittag, ich suche meine Camping-Ausrüstung zusammen und packe alles in die große, schwarze, wasserdichte Tasche. Mit hinein kommt noch die kleine Waschtasche, die Stoffhandtasche, der schwarze Kapuzenpullover, die Stretch-Jeans und ein schwarzes Top, zum Schlafen. Turnschuhe haben nicht mehr reingepasst, ich nehme die Latschen, mit denen ich schon ganz Thailand abgelaufen bin. Die Rolltasche lässt sich gerade noch so verschließen. Daraufsetzen und die schwarzen Plaste-Clips mit den Gurten einrasten lassen. Die ganze Tasche wiegt jetzt bestimmt mehr als fünf Kilogramm … und mein Leoparden-Kopfkissen? Ohne das kann ich nicht schlafen – ich muss irgendwie noch einen schwarzen Stoffbeutel mit dazu anhängen. Runter zur Garage und die schwere Tasche im „Vier-Punkt-System“ auf der schmalen Rücksitzbank meines Motorrads befestigen. Die zwei mitgelieferten, schwarzen Spanngurte kommen nach vorne an die Tasche und die zwei Befestigungs-Pins für Motorradkoffer, die ich nicht habe. Die anderen beiden Spanngurte – noch die von der nie stattgefundenen Motorradreise nach Italien – wickele ich mehrmals um den Gepäckträger, bis sie genug Zug haben und die Reisetasche vom Heck her stabilisieren … wird schon irgendwie halten, sind nur zwanzig Kilometer bis zum Treffengelände auf dem Sportplatz, irgendwo ein Dorf in Sachsen-Anhalt.

Schnell noch Mittagessen, Motorradkombi anziehen, die Motorradsneaker, schön winddurchlässig bei dem angenehmen Sommerwetter. Vierzehn Uhr will ich da sein – werde ich dann noch einen Zeltplatz finden? Ich habe drei Optionen: tatsächlich zelten, nur mit dem Schlafsack und Isomatte über offenen Sternenhimmel neben meinem Motorrad pennen oder gegen vier Uhr morgens wieder abhauen, da ist es schon hell und ich kann mit meinem dunklen Visier fahren. Durch ein paar Wälder und Wiesen auf der Landstraße dem Treffengelände entgegen … schön langsam, so viel schweres Gepäck hinten drauf bin ich nicht gewohnt (ich war extra noch kurz vorher an der Tanke, noch „Null-Komma-Zwei Atü“ mehr Luft hinten aufpumpen).

Ich fahre auf das Treffengelände ein, mein Motorrad auf dem Weg neben dem Sportplatz abstellen und die Tasche abschnallen, wenige Minuten später auf der kleinen Zeltwiese: alles ist noch frei! Ein paar Camper, eine Handvoll Zelte, ich wähle den Platz in der hintersten Ecke neben einem Wohnmobil. „Hier standen bis heute Morgen noch ein paar, aber die sind abgehauen.“ Schön für mich, die Ecke ist schattig unter einem Baum – und wenn die Morgensonne dann auf mein Zelt fällt? Wird sie nicht, ein anderer Baum wirft von der anderen Seite dann auch einen Schatten auf diese kleine, mit Heu gepolsterte Stelle, in der ruhigsten Ecke der Wiese … „Aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.“ (Svendura)

Das Zelt ist gefühlt innerhalb von einer halben oder einer ganzen Stunde aufgebaut, endlich haben die Heringe auch einen Verwendungszweck (Probeaufbau auf dem Dachboden letztes Jahr). Ich visualisiere mein kleines Camp und weiß schon genau, wo ich das Motorrad daneben stellen werde. Wenige Minuten später steht es auch da und eine grüne BW-Leine von der Motorradgabel hinüber zur aufgespannten Luftluke von meinem Zelt trennt einen kleinen Privatbereich ab, auf dem ich mein ganzes Gepäck ablegen kann. Umziehen auf die Jeans und die Latschen. Als T-Shirt trage ich schon die ganze Woche das mit den zwei Wölfen vorne drauf.

Das Bikertreffen, die Motorräder, die von der Ausfahrt zurückkommen, so viele Leute, wie da sind, und so viele Motorräder – weitestgehend nur Chopper und Cruiser – wie jetzt auf dem Weg neben dem Sportplatz stehen, es ist ein reines Bikertreffen. Nicht so viele, wie in den letzten Jahren, aber die paar, die noch mit ihren Gepäckrollen hinten drauf anreisen, als ob sie alle noch zelten. Der Weg mit den Bäumen neben dem Sportplatz erfreut sich größerer Beliebtheit … die paar wenigen Schattenecken auf der Wiese sind schon „belegt“.

Ich werde erkannt, ich komme schon seit 2009 oder 2010 hierher. Eine Frau fragt mich, ihre Kumpels meinen, dass ich ein Mann bin, sie selbst ist überzeugt davon, dass ich eine Frau bin. „Ich bin eine trans Frau, von männlich zu weiblich.“ Offene Ehrlichkeit, die kennen mich hier schon etwas länger. Optisch sehe ich immer noch gleich aus, zierliche Gestalt, lange, blonde Haare – und immer noch dasselbe Motorrad, die VT 750 die irgendwo dahinten mal wegen schwacher Batterie nicht mehr wegkam und von einem VW Transporter Starthilfe bekam, bei der dann endgültig alle Sicherungen durch waren und nur mit einem einfachen Überbrückungsdraht und Anschieben gerettet werden konnte. Biker-Geschichten.

Noch laufe ich alleine durch die Gegend, ein paar bekannte Gesichter … ich merke mir nur die Gesichter, die ich Jahr für Jahr immer wieder sehe. Mein Motorrad ist mein Erkennungszeichen. Ich warte auf die beiden, die ich von den letzten Treffen kenne, auch Honda- und Suzuki-Fahrer. Der Nachmittag geht so dahin, ein Becher Wasser nach dem nächsten, hin und her wechseln zwischen Treffengelände, dem Weg und dem Zeltplatz, Motorräder bewundern. Einen kleinen Becher Kaffee auf meinem Motorrad sitzend trinken.

„Hey, hier sind wir!“ Es muss schon abends sein, oder zumindest ganz, ganz, später Nachmittag, die beiden sind angereist und bauen ihr Zelt auf der Wiese auf. Fast wären wir Nachbarn, aber die Zeltwiese ist klein, hier sind alle Nachbarn. Der eine Typ und sein Kumpel. Der eine Typ, der mich das letzte Mal so angebaggert hat und ganz nah mit mir tanzen konnte … bis ich dann mit einem anderen Rocker in Lederkutte tanz. Ich erzähle ihm von meinem Bikerfreund, wie er das letzte Treffen vor ein paar Wochen seine Ex-Frau mit dabei hatte … vielleicht sind die beiden wieder zusammen und ich bin nicht mehr so im Fokus. Und er hat sich bis jetzt noch nicht wieder gemeldet, meine Nachricht an ihn, gestern. Mein Typ da neben mir sieht jetzt seine große Chance gekommen, er wird die nächsten Stunden um mich herum sein.

Die Biker-Party nimmt Fahrt auf, zwei Bands spielen auf der kleinen Bühne, der Bierstand ist umzingelt von Kerlen in ihren Kutten, hier und da die Ladys. Die Sonne geht unter, mein Typ holt sich ein Plastebecher Bier nach dem anderen. Motorradfahrergespräche mit den Leuten, noch mehr bekannte Gesichter. Vor der Bühne abrocken, der Band zujubeln, obskure Wünsche für Cover-Songs zurufen. Er hat Spaß. Er mustert mich ab und zu, ich blicke weg, gebe die Unnahbare, bekomme aber alles mit. Er versucht immer wieder ein Gespräch mit mir, kann meine Hand anfassen, ich erlaube ihm sogar einen Blick auf meine Fußknöchel und schwärme von dem „Viktorianischen Picknick“ zwei Wochen zuvor. Er geht weiter, will mit mir tanzen … seine Zunge und einen Kuss auf meinen Handrücken. Ich zücke das weiße Papiertaschentuch aus meiner Jeans und wische alles weg. „Jetzt kann ich mir schon wieder die Hände waschen.“ Ich weise ihn immer etwas zurück, aber nie so direkt. Erst viel später den Abend, als mir das alles zu viel wird. In Gedanken: „Wo ist mein Awareness-Team?“ Ich tendiere dazu, doch das Wort „Nein“ mehr und deutlicher zu gebrauchen. Zu gefährlich, die Momente, in denen er es doch schafft, näher mit mir zu tanzen, bin ich nur einen Moment entfernt, mit ihm ins Bett zu gehen. Und er hat überhaupt keine Ahnung, wer oder was ich bin.

Irgendwann nach Mitternacht, im dunkelsten Dixi-Klo, ich habe schon wieder meine Jeans bepinkelt, die ich gerade erst gewaschen habe. Die Stimmung zeigt mir, die Party geht gegen Ende. Die zwei Bands sind durch, eine Stripperin tritt noch vor der Bühne auf und kokettiert ihre beiden „Opfer“ mit den verbundenen Augen mit ein paar „Trans Panic“ Momenten oder erzwungen homoerotischen Szenen. Ich stehe nur wenige Meter als Zuschauerin daneben in erster Reihe und kann das alles schmunzelnd hinnehmen. Nicht so ernst nehmen.

Nach der Strip-Show, ich sehe einen Mann und eine Frau im gar nicht mehr so zahlreichen Publikum – er ist es. Mit seiner Ex-Frau. Ich traue mich erst gar nicht, Hallo zu sagen, lasse die drei – der Typ, der mich den ganzen Abend schon anbaggert, die Frau und ihn, sich begrüßen. Ich sitze viele Meter entfernt auf einer Bank. „Hallo.“ Schön, dass du auch noch gekommen bist, etwas spät, aber na ja. Viel unterhalte ich mich nicht mit ihm, ich weiß nicht, wie ich mich in der Situation verhalten soll … sind die beiden jetzt wirklich wieder zusammen? Weiß sie, wer ich bin?

1:30 Uhr oder später, mein Typ verabschiedet sich in sein Zelt. Ich stehe noch etwas wortlos neben meinem Bikerfreund und seiner Begleitung für die Nacht, sie sind mit dem Auto hier. Ich lasse mehrmals andeuten, dass ich auch müde bin und in mein Zelt gehen will. Irgendwann gehe ich immer mehr Schritte zurück, bis ich dann so weit bin, dass ich mich umdrehen kann, ich lasse die beiden hinter mir. Die müssen jetzt zusammen da alleine Party machen, die Musik geht bestimmt noch bis sieben Uhr früh den Sonntag Morgen … oder hört gar nicht auf. Meinen letzten Plastebecher Wasser in der Hand nehme ich zum Zähneputzen mit.

An meinem Zelt, den Weg hierher angekommen konnte ich mit meinem Smartphone ausleuchten. Mich umziehen, mich ausziehen, Zähneputzen in der Ecke der Wiese daneben. Im Zelt in den Schlafsack kriechen, den Abend vor der Bühne ist es immer kälter geworden, erst das Unterhemd darunter, dann den schwarzen Baumwollpullover. Im Schlafsack liege ich nur mit dem Unterhemd. Wird es reichen? Hält der Daunenschlafsack warm bis fünfzehn Grad Nachttemperatur? Ohropax, von weit hinten dröhnen die Bässe der Rockmusik. Ich schlafe ein … letzter Blick: 2:30 Uhr.

Die Morgendämmerung, das Innere des Zeltes erleuchtet schon in einem leicht bläulichen Ton. Der Reißverschluss geht auf und ich krieche auf die Wiese. Bis zum Dixi-Klo dahinten bleibe ich in meiner schwarzen Unterwäsche, nur den Slip und das Unterhemd. So kalt und frisch ist es nicht. Vorbei an der Bierbude und der Musik, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, eine Gruppe feiert immer noch. Zurück in das Zelt, weiter versuchen, einzuschlafen. Der Mumienschlafsack hat eine praktische Tasche, mein Leoparden-Kopfkissen verrutscht nicht. Kuschelig warm bis zu den Ohren hochgezogen, geräumig und ich kann mit angewinkelten Beinen auf der Seite oder auf dem Bauch schlafen. Nur die Luftmatratze und die Isomatte als Doppelpack sind wie immer auf Dauer unbequem. Kurz schlafen, wenden, weiterschlafen … im Nachbarzelt, nur durch eine Hecke getrennt, kämpft ein zeltender Biker mit den Folgen seines Alkoholkonsums.

Morgens im Zelt / Juni 2025 / Alter 43

Im Zelt wird es heller … Gespräche, startende Motoren, der wummernde Bass der Zweizylinder. „Ey, das ist jetzt noch nicht mal halb acht!“ Weiterschlafen kann ich nicht mehr, auch ich mache irgendwann den Reißverschluss auf und schau nach draußen. Einige Zelte und Motorräder sind schon weg. Den Sonntag soll es sehr heiß werden, verständlich, dass die schon so früh abbauen. Auch ich fange an, mein Zelt auseinanderzunehmen, das umgebaute Wohnmobil neben mir braucht Platz, die wollen ihre BMW auf einer Rampe hochfahren. Mein Zelt steht – besser stand – immer noch auf einem Schattenplatz, erst jetzt erkenne ich, dass ich hier noch ein oder zwei Stunden weiter hätte schlafen können. Alle Heringe finden, eine Rolle nach der anderen, Zelt, Isomatte, Luftmatratze, Schlafsack auf den Sitz meines Motorrads lagern, das packe ich erst in die Tasche, wenn ich vom Frühstück zurückkomme.

Einmal habe ich hier schon gefrühstückt, wahrscheinlich das eine Mal, wo ich mein Motorrad nicht mehr starten konnte. Neben der Bierbude und der Bühne steht noch das kleine Sportlerhaus vom Sportplatz, unter der Veranda gibt es ein Frühstücksbuffet, liebevoll angerichtet von dem MC, der dieses Bikertreffen organisiert. Brötchen, Wurstaufschnitt, Gurken, Tomaten, Hering oder anderer Fisch und die kleinen Päckchen Marmelade und etwas Butter. Dazu mehrere, frisch aufgebrühte Kaffeekannen, für nur zehn Bon-Punkte (umgerechnet fünf Euro). Kaffee für mich, ich brauche jetzt Kaffee. Die eine „Old Lady“, die das hier mit organisiert, berichtet, dass sie die zwei Nächte noch viel weniger geschlafen hat (so gut wie gar nicht). So etwas macht viel Arbeit. Und wenn dann immer dieselben Menschen kommen und sich auf dieses kleine, familiäre Bikertreffen das ganze Jahr freuen … Ein Chili-Likör wird mir gereicht, aber ich benetze nur den untersten Boden meines weißen Plaste-Kaffeebechers. Noch Rührei mit Speck, zusammen mit der Bratwurst vom letzten Abend, der eine Tag im Jahr, an dem das verzehrte Schwein alternativlos ist … die Magen- und Darmschwierigkeiten kommen dann erst in zwei Tagen.

Zurück zum Zeltplatz, zurück zu meinem Motorrad. Es stehen fast keine Zelte mehr hier, auch nicht auf dem Weg mit den Bäumen neben dem Sportplatz. Beim Anziehen der Lederkombi und das Einrollen und Verzurren meiner Gepäcktasche merke ich schon, dieser Tag wird richtig heiß, jenseits der dreißig Grad. Motor starten, Helm aufziehen, ultra vorsichtig auf der Wiese wenden, die vereinzelt herumliegenden Bier- und Schnapsflaschen umfahren, den Weg vom Gelände hinaus auf den erst geschotterten, dann asphaltierten Feldweg runter zum Dorf. Noch den letzten Bikern und verbliebenen Treffengäste zuwinken. Die zwanzig Kilometer wieder nach Hause fahren … endlich eine Dusche nehmen.

[11.06.25 / 22:29] Der letzte Tag, Dienstag Morgen. Das Frühstück habe ich nicht mehr geschafft, kurz vor zehn Uhr werde ich in dem großen Bett wach, in einer Stunde ist Check-out. Die großen, schweren Gardinen aufziehen, die Fenster öffnen. Alles anfangen, aufzuräumen, ins Bad verschwinden. Alles was ich verwende, landet nach und nach in den Taschen, das Duschbad, die Haarwäsche, der ganze Make-up-Kram. Unterwäsche gesammelt in weißen Beuteln, meine Kleider von den Bügeln nehmen, falten und in die Sporttasche. Ab und zu ein Blick auf das Smartphone … noch 35 Minuten, ich liege gut in der Zeit. Den Tragekorb aufklappen, alle Stiefeletten darin einsortieren. Fünf Minuten vor um elf Uhr, ich trage meine Sachen aus der Hotelzimmertür heraus, stelle gleich alles daneben ab. Runter zur Rezeption nehme ich schon die erste Tasche, die olivgrüne Sporttasche, mit.

Check-out gegen elf Uhr, alles wie immer. Bevor ich meinen Tragekorb, das Picknickkörbchen und den schwarzen Stoffbeutel über den Fahrstuhl hole, parke ich mein Auto um und stelle es vor dem Hoteleingang. Den Mittag weiter in die Innenstadt.

Der Himmel ist düster dunkelblau-grau. Es ist kalt, den Kapuzenpullover ziehe ich erst aus, als ich mein Auto in dem großen Parkhaus am Hauptbahnhof parke. Ich will noch etwas Einkaufen gehen, ein paar Outdoor-Läden, vielleicht ein Schuhladen – und ein Frühstück. Der Flagship-Store der Leipziger Bäckerkette.

Die Filiale ist nur etwas runter, die erste Straße vom Hauptbahnhof in die Fußgängerzone. Ein süßes Frühstück, Brötchen, Kaffee, Croissant und Marmelade … die zwei kleinen Gläser verbrauche ich nie, eines davon landet immer gleich in meiner Handtasche.

Der erste Outdoor-Laden ist nur ein paar zehn Meter neben dem Bäcker, ich bin auf der Suche nach einem neuen Schlafsack. Mit Daune muss er sein, leicht, kleines Packmaß und kuschelig bequem. Ein Sommerschlafsack – ich will damit auf dem nächsten Bikertreffen zelten. Mein alter Schlafsack, noch aus Grundschulzeiten … ist es überhaupt mein Schlafsack? Die Familie hat ihn schon geteilt, Freunde von Familienmitgliedern hatten denselben, er könnte schon längst vertauscht worden sein. Er ist groß und sperrig, er passt gerade noch so in die schwarze Tasche hinten auf den Gepäckträger. Ich phantasiere, ich bin noch nie mit dem Motorrad zelten gefahren, der Schlafsack ist für Übernachtungen in fremden Wohnungen.

Der Verkäufer hat ein paar Modelle in der Auslage, er zeigt mir drei Sommerschlafsäcke mit Daune. Ich kann sie berühren und ertasten, wie leicht und dünn sie sind. „Und was kosten die so?“ 160 bis 200 und nochwas Euro. So viel wollte ich eigentlich nicht ausgeben. Mit der Hotelrechnung und den ganzen Festivalausgaben überziehe ich mein Konto schon um 1000 Euro … und es ist gerade erst Monatsanfang. Der Verkäufer verkauft mir eine neue Isomatte und eine leichte Plane für unter das Zelt. Eigentlich dachte ich da an so eine, auf A4-Größe zusammenfaltbare Isomatte und ein derbes Zelttuch in Flecktarn. Meine ganze Camping-Erfahrung basiert auf ein einzelnes Bundeswehr-Biwak im September 2000. Wieder draußen aus dem Laden mit meiner neuen Isomatte unter dem Arm. Verdammt. Für das Geld hätte ich doch auch einfach meine alte Isomatte zu Hause auf die schmalere Größe zurechtschneiden können, nur damit sie in die wasserfeste Motorradtasche passt. Zurück zum Hauptbahnhof, alles in den schon fast vollen Kofferraum packen. Irgendwo in der Promenade des Hauptbahnhofs gab es auch mal einen Outdoor-Laden, aber der ist weg, da hatte ich mal die aufblasbare Matte gekauft.

Mittagessen beim Inder, wieder zurück in der Einkaufs- und Restaurantstraße. „Aloo Chana“, Kartoffeln und Kichererbsen. Ich sitze unter dem Schirm im Außenbereich, die kleinen Spatzen sind putzig, sie haben fast keine Scheu mehr vor Menschen. „Das ist mein Essen“, etwas mit der Hand wegwinken.

Weiter hinein in die Fußgänger- und Einkaufszone, der italienische Eisverkaufsstand. Die beiden Schuhläden, an denen ich die letzten Tage und Nächte vorbei gelaufen bin … speziell das eine Modell schwarze Velourleder-Espadrilles im Schaufenster.

Erst den Doc-Martens-Laden, ich tue so, als wäre ich interessiert, etwas zu kaufen – tatsächlich habe ich vor, meine Doc Martens so lange zu tragen, bis sie auseinanderfallen. Das Paar martialische Stiefel mit den monströsen Plateau- und Blockabsatz, haben sie nicht mehr, die wären es gewesen.

Wieder um die Ecke zu dem anderen Schuhladen, so schön die schwarzen Keilabsatz-Peeptoes auch aussehen – in echt anprobiert, verlieren sie ihren Zauber. Nur zwei Größen im Regal, die britischen 6,5 und 7,5 – nicht meine 7. Es sind Schlappschuhe, der massive Keilabsatz bewegt sich von Natur aus nicht mit, damit kann ich keine langen Strecken laufen. Das Geld, die 150 Euro, wird woanders investiert.

In einem großen Kaufhaus versuche ich noch einmal, einen Schlafsack zu finden, so etwas haben die nicht in der Sportabteilung. Irgendwo hier in der Gegend war noch ein anderer Sportartikel-Laden, aber ich finde nur das nächste Outdoor-Geschäft, die beiden Läden sind fast identisch.

Wieder die Auslage mit den Schlafsäcken, von den Expeditionsmodellen jenseits der paar hunderte Euro und die leichten Sommerschlafsäcke, dasselbe Modell, wie in dem anderen Laden, der gleiche Preis. „Ich kann dir zehn Prozent Rabatt darauf geben, wenn du ihn mitnimmst. Ist das Vorführmodell, da haben schon, ich weiß nicht wie viele, drin Probe gelegen.“ Ich liege auch auf so einer aufblasbaren Matte bis oben bis zum Reißverschluss eingehüllt in meinem neuen Schlafsack. Den nehme ich! Zehn Prozent, da kann ich nichts falsch machen, super günstig, ein Schnäppchen. Er fühlt sich wirklich kuschelig warm an – und eingedrückt, in die grotesk winzige Packtasche, passt er sogar in meine Handtasche – das ist ein „Übernachtungskit“. Keine Ahnung, ob ich damit jemals zelten werde, ich schlafe nur auf Fußböden. Viele Jahre zurück auf der Schiffsüberfahrt von Genua nach Palermo, bei der Übernachtung draußen oben auf dem Deck, da hätte ich den gebraucht, ich sollte so etwas mal wieder machen.

Wieder raus aus dem Laden, weitere Einkäufe spare ich mir, keine Klamottenläden, keine neuen Anziehsachen, mein Budget an Bargeld für dieses Wochenende ist aufgebraucht, die letzten fünf oder zehn Euro sind für den Automaten im Parkhaus. In dem indischen Restaurant habe ich es für mich schon durchgerechnet, wenn ich diesen Schlafsack auch wieder die nächsten dreißig Jahre verwende, wenn die Daune hält und ich den nur einmal im Jahr brauche, dann rechnet sich das vielleicht. Meinen neuen Motorradhelm, den ich im April bestellt habe, ich bekomme immer nur vertröstende Emails, wie sich das Lieferdatum immer weiter nach hinten verschiebt. Hoffentlich, Geld ist erst am Monatsende wieder auf dem Konto. Zurück zu meinem Auto in dem Parkhaus, zurück auf die Straßen von Leipzig in Richtung Autobahn. Dienstag Nachmittag fünfzehn Uhr, Beginn der Rush-Hour, bis die Blechkolonne die Autobahnen erreicht, setzt ein Regen ein, der noch die ganzen 150 Kilometer bis nach Magdeburg reichen wird. Trucker auf der Straße. (Ende Teil 6/6)

[11.06.25 / 03:04] Noch irritiert von der letzten Nacht, will ich diese Nacht wieder zum Werk 2 und die Gothic-Pogo-Party? Vielleicht sollte ich die Tage von Freitag bis Sonntag meiden und nur Tickets an der Abendkasse für Donnerstag und Montag holen? Da sollte es nicht so voll sein. Dress des Tages: Punk. Mit Sneakers … Sneakers und Nieten? Geht das? Klar geht das! Das Nietenhalsband hat endlich einen Zweck, der Leopardenmini und die Punkerkutte kommen auf einmal noch viel besser zur Geltung, ein winziges Accessoire verändert alles. Bühne des Tages: wieder das Täubchenthal, Horror Punk und Psychobilly.

Nach dem Hotelfrühstück, in die Leipziger Innenstadt, das Kaffeehaus suchen, für einen zweiten, „richtigen“ Frühstückskaffee. Mittagessen danach, weit komme ich nicht, ich stehe gerade nach dem Bezahlen von meinem Tisch im Außenbereich auf, laufe ein paar Meter und sehe, dass in der nächsten Hausnummer eine neue Pizzeria aufgemacht hat, diese hat auch Tische und Stühle gleich daneben aufgestellt. Pizza mit Artischocken.

Weiter den frühen Nachmittag zu Tee und Kuchen durch die Innenstadt, das obligatorische Eis gab es schon gleich nach dem Straßenbahnausstieg. Vorbei an den Geschäften mit den Auslagen, hier sollte ich den nächsten Tag mal überall reingehen. Den Nachmittag komme ich so dahin, mit Einlass um sechzehn Uhr bin ich schon wieder in Plagwitz.

Die letzten beiden Tage habe ich mein Make-up in den Clubs gemacht, meist unter sehr schwierigen Beleuchtungssituationen, diesen Tag und die Nacht steht mein Augen-Make-up schon seit dem Hotel. Erste Band: Horror Punk aus Deutschland, mit Musikern, denen man vielleicht nicht im Dunkeln auf der Straße begegnen will, aber sind bestimmt ganz nett, ich stehe vorne im Publikum. Die zweite Band aus den USA … aber eigentlich bin ich hier für die dritte Band: Zombina and the Skeletons. Sie haben mal auf dem anderen Festival gespielt, ich mag den britischen Akzent der Sängerin.

Die vierte Band sehe ich mir von oben auf der Empore an … klassischer Psychobilly aus England? Die kannte ich noch gar nicht und sie müssen schon „uralt“ sein, sehen aber gar nicht so aus.

Die fünfte Band, kurz vorher in der Umbaupause versuche ich schon hübsche Bilder vom aufgehendem Mond draußen auf der Veranda zu machen. Sie spielen Horror Punk: Nim Vind. Irgendwo habe ich einen Sampler, wo ein Song von denen drauf ist. Auch dieses Konzert geht ohne große Zugabe zu Ende, an der Box auf der Bühne prangt eine große Uhr und setzt den Zeitplan … fehlt nur noch, dass der Strom abgeschaltet wird.

0:15 Uhr draußen an der Straßenbahnhaltestelle, der Bus nach Connewitz fährt in die andere Richtung, ich nehme die 3 zum Hauptbahnhof mit der anschließenden 11, sie liefern sich ein Rennen, die 11 wartet dann auf den Bus kurz vor dem Ziel für die umsteigenden Fahrgäste.

Im Werk 2 angekommen, mein liebstes „Gothic Pogo Festival“, es ist tatsächlich gar nicht so voll. Ich betrete die kleine Halle unten, die einzige, die diesen Abend offen ist und beginne zu tanzen, Tasche habe ich an der Garderobe abgegeben, ich werde ihm eine Nachricht schicken, ich schicke ihm immer eine Nachricht, wann ich zurück im Werk 2 bin. Auf einmal spüre ich, wie ich auf der Tanzfläche von hinten umarmt werde. Ich bin nicht erschrocken, oder verängstigt, oder irritiert, ich spüre sofort, dass er es ist. Tiefe Umarmung, ich wollte dir doch gerade schreiben, ich bin nur vor wenigen Minuten angekommen. Wir tanzen etwas, schauen uns an, ich sehe wie zwei Mitarbeiter des Sicherheitspersonals ihn mitnehmen und von mir weg führen. Was ist passiert? Ich folge den beiden und ihm nach draußen.

Er rechtfertigt sich, hat nichts gemacht, die beiden mit ihren Westen und der Aufschrift „Sicherheit“ agieren äußerst professionell und lassen das Ganze nicht eskalieren, die Situation bleibt ruhig. Er muss die Veranstaltung verlassen, ich kann bleiben. Aber ich gehe doch mit dir! Ich laufe schnell zurück, meine Tasche holen, die ich gerade erst abgegeben habe. „Das ist vielleicht ein Wochenende! Ich war mal gerade drei Songs tanzen!“

Wieder zurück am Ausgang wechsele ich noch ein paar Worte mit der Security, ich glaube zu verstehen, was passiert ist, er ist schon länger hier und seine kommunikative Art, sein Wunsch, mit allen sofort befreundet zu sein, funktioniert hier nicht so wirklich im reservierten und kühlen Deutschland. Später erklärt er mir seine Sicht: er passt optisch nicht in die Gothic-Szene, irgendjemand ist auf ihn aufmerksam geworden – und als er dann mich von hinten auf der Tanzfläche überrascht hat, ist irgendjemand endgültig alarmiert zu dem Awareness- oder Security-Team gegangen und die haben ihn dann rausgeschmissen.

Wohin jetzt? Kurz nach ein Uhr nachts, draußen an der Haltestelle treffen wir auf ein paar Leute, die wollen es noch in der Moritzbastei versuchen, da auf die Abschlussparty reinzukommen.

Mein arabischer Freund freut sich, neue Freunde, spontan führt er eine Stadtbesichtigung von der Haltestelle an der Oper rüber zur Moritzbastei. Vor dieser steht eine endlos lange Schlange an Menschen vor dem Einlass. Das könnte so noch mindestens zwei Stunden gehen, bis sich da irgendwann mal was tut. Auch für uns und hier, kein Reinkommen. Es ist dieses Wochenende einfach überall zu voll. Wir versuchen es im Dark Flower.

Der kleine Club, nur unweit der Moritzbastei, den Marktplatz gleich links. Hier geht es von der Menschenmenge … vielleicht liegt es an dem eigenwilligen Set: Tanzfläche eins, Mittelalter, Tanzfläche zwei, Cyber, Aggrotech, Hardtekk … 140 BPM Minimum. Eine neue Erfahrung für mich, ich habe mich noch nie zwischen Cyber Goths auf einer Tanzfläche befunden. Aber so lange bleiben wir nicht, spätestens um drei Uhr nach Mitternacht möchte ich wieder zurück ins Hotel.

Mein Freund organisiert ein Taxi, ich ziehe schon meinen schwarzen Baumwollhoodie aus meiner großen Handtasche und bereite mich auf einen langen Weg zum Hauptbahnhof vor. Vor dem Club stehen zwei Taxis, eigentlich bestellt, aber mein Freund winkt mich schon herbei. „We take this one.“ Während der Fahrt, die beiden unterhalten sich in ihrem derbsten Arabisch, Smartphones werden gezeigt mit Videos von Familienmitgliedern, der Taxifahrer fährt schon Schlangenlinien und verpasst unser Fahrtziel um einige hundert Meter … ich glaube, das konnte ich übersetzen: „Ey was machst du? Wo fährst du hin?“ Es stellt sich heraus, ihre beiden Onkels sind beste Freunde, so läuft das in Syrien.

Wir steigen bei meinem Hotel aus. Wieder oben in meinem Hotelzimmer – wirst du diese Nacht mit mir schlafen? Ich will ein Kind von dir. Meine kurze Minute im Bad, seine Minute, er hat noch ein Bier im Kühlschrank. Danach liegen wir wieder auf dem Bett, ich probiere etwas aus, ich kenne einige Stellen an meinem Körper auf die ich bei der Masturbation Druck ausübe … könnte das auch bei ihm funktionieren? Die Stelle unten am Schaft des Schwellkörpers, wo eigentlich bei mit hätte die Vagina beginnen sollen. Ihm scheint es zu gefallen.

Er dreht mich, hat noch ein Kondom. Ich liege auf meinem Bauch und er kommt von hinten, er umschlingt meinen Körper … diese Stellung ist intensiv nah, aber nicht ganz so tief. Er kommt in mir, zieht ihn raus, zieht das Kondom ab. Bleib so liegen, ich mache dich sauber. Ich muss mich um nichts kümmern, kann ganz entspannen. Später wechseln wir die Seiten und er liegt auf dem Bauch, ich habe schon lange keinen Penis mehr … und hätte ich einen, ich hätte das nie gemacht.

Auch diesen Morgen, es ist zwischen vier und fünf Uhr, ich sehe ihn wieder, sich anziehen, er schließt die Tür, ich bleibe auf meinem Bett liegen. Ein Abschiedskuss, bis wir uns wiedersehen. Es ist schon Dienstag, Pfingsten ist vorbei, das Frühstück bis zehn Uhr spare ich mir, ich will wenigstens bis dahin noch ein paar Stunden schlafen. (Ende Teil 5/6)

[11.06.25 / 01:55] Der Sonntag, Dress des Tages: das Spitzenkleid und die kleine Clutch, Tasche in Tasche. Bühne des Tages: das Stadtbad, da war ich noch nie. Ich lasse mir den frühen Nachmittag Zeit, Beine rasieren, duschen, meine Sachen zum Anziehen wählen, mich ausgehfertig machen. Als Silberschmuck habe ich zusätzlich zu meinem Jeden-Tag-Schmuck noch den marokkanischen Armreif und ein kleines Kreuz als Anhänger mitgenommen, beides passte zum „Trad Goth“ Outfit, für die Glam-Variante wähle ich wieder den Ganesha-Anhänger an der Silberkette und dem Armreif mit Glitzersteinen.

Zuerst Frühstück. In der Innenstadt, die Leipziger Bäckerkette. Eigentlich ist das Wochenende das zeitgleich stattfindende Leipziger Stadtfest und ich sollte die Innenstadt wirklich meiden, zu viele Menschen, aber die große Filiale der Bäckerkette ist nun mal dort und ich wüsste nicht, wo ich um fünfzehn Uhr noch ein Frühstück bestellen kann. Ein Brötchen, ein Croissant, ein Café Crema. Die dunkelste Ecke in dem verglasten Innenhof war noch frei. Der versteckt liegende Innenhof des italienischen Restaurants wenig später, ist voller schwarz gekleideter Gothics.

Einlass im Stadtbad ist um 16:30 Uhr, eigentlich nur ein oder zwei Stationen hinter dem Hauptbahnhof, aber ich steige doch eine Station zu spät aus, ich hätte es wissen müssen, als ich hier noch gewohnt habe, bin die 16 immer von Eutritzsch bis zum Zentrum an dem markanten Gebäude vorbeigefahren, es ist eine große Schwimmhalle, gefühlt ein Jahrhundert alt. Mit der Straßenbahn wieder eine Station in die Gegenrichtung, dann weiter zu Fuß, musste ja jetzt auch gerade in diesem Moment, anfangen zu regnen … Beschissenstes Wetter seit 2007 …

Das historische Hallenbad ist wirklich beeindruckend, die erste Band fängt an, zu spielen, dieser Abend wird düster und Wave. Die Schwimmhalle mit den massiven Säulen im Historismus, sie wirkt wie eine Kathedrale! Der Hall! Ich bin fasziniert.

Die zweite Band, dafür bin ich hier: Jakuzi aus der Türkei! Wie haben die das nur bis hierher geschafft? Für mich ein Geheimtipp, die kennt doch niemand, die spielen doch bestimmt auf der winzigsten Bühne. Die große Kathedrale ist voll. Ich stehe ganz vorne in zweiter Reihe, es ist den Jungs anzumerken, dass sie sich nicht so wohl dabei fühlen. In der Türkei kennt sie doch jeder, aber hier in Deutschland? Und sie singen nur auf Türkisch? Ich als Fan habe natürlich schon ein Album von ihnen, ich bin wahrscheinlich die Einzigste, die Teile der Texte mitsingt … die Titel, wie sie auf das Booklet gedruckt sind. Sie spielen auch einige ihrer eigenwilligen „Schunkelsongs“, die Dramatik und Melancholie liegt wahrscheinlich in den Texten … wird es das Publikum verkraften? Einige aus den ersten Reihen drehen sich schon um, ich blicke nur kurz hinter mir … der Saal ist immer noch voll.

Nach dem Auftritt, zum Merchandise-Stand, ihr neustes Album ist leider nur auf Vinyl, ich habe zwar einen Plattenspieler, aber keinen Einkaufsbeutel für die Scheibe. Das ich von dem anderen Album eine CD habe, wirkt etwas merkwürdig, sie war vielleicht nicht „offiziell“.

Zwischen den Bands die Umbaupause, Sitzplätze gibt es hier nicht, allerhöchstens in den historischen Waschräumen. Das Publikum sitzt in den seitlichen Arkadengängen auf der Auslegware, so auch ich, mit einem Taschentuch darunter. Menschen stolpern über ausgestreckte Beine und Stiefel.

Die dritte Band, düsteres Zeug, sperrig, nicht so eingänglich für mich. Die vierte Band, sie ist so eine Solokünstlerin, eine schwarze Frau! Das ist in der Szene selten. Und sie ist so eine, wo ich einen Song kenne, den ich richtig gut finde und nie weiß, von wem der ist. Das ist ihr Song, den sie als letztes zur Zugabe spielt. Ein elektronischer Song aus dem Ende der Achtziger, die markanten Synthesizer- und Drum-Computer-Sounds.

Während ihres Auftritts, ihre Musik – mir kommt die Idee für einen neuen Song, die Texte fließen mir in den Kopf: „Loving a Ghost“. Endlich habe ich ein Thema, über das ich singen kann, das ich in meiner Musik verarbeiten kann. Synthesizer-Tracks kommen aus einer Jam-Session vor zwei Jahren, den Text vervollständige ich in der Umbaupause danach, wieder sitzend in den seitlichen Arkaden. Ich tippe den kurzen Mehrzeiler in meine Smartphone-Notizen.

Der Headliner des Abends: Linea Aspera. Eines der Alben, das in meinem Autoradio rund läuft. Das Set geht lang, die Halle ist voll. Manchmal geht es zu lang, es wirkt, als würden die beiden einige ihrer Songs bewusst wiederholen und dabei nur leicht variieren. Etwas ermüdend für mich, aber ich versuche durchzuhalten. Nur leider wird es gegen Ende des Konzertes politisch, ich bin deprimiert, dass meine an sich zutiefst unpolitische Gothic-Szene dazu bewegt wird, eine Seite zu wählen, der Kampf in Nah-Ost ist nicht mein Kampf, jede Phrase von: „Ich bin besser als du, wir sind (moralisch) besser als ihr“, hat immer ein Hauch von Faschismus.

An der Straßenbahnhaltestelle, es ist spürbar kälter geworden, gut, dass ich das Spitzenkleid mit meiner Lederjacke kombiniere.

Meine Freude ist nur kurz, als ich wieder um ein Uhr nachts das Werk 2 und das „Gothic Pogo Festival“ erreiche … schon wieder Einlassstopp vor dem Clubkeller mit den Konzerten. Überall Menschen. Der Innenhof ist voll, die andere große Halle ist voll, keine Chance, zu tanzen, keine Chance, an die Bar zu gehen, die Traube an Menschen steht in mehreren Schichten.

Als die kleine Halle etwas leerer wird, die Konzerte sind durch, kann auch ich rein, aber sie wird gleich wieder richtig voll, dabei ist das doch der elektronische Synth-Wave-Abend, der geht die ganze Nacht bis zum Morgengrauen. Ich fühle mich beengt und unwohl, auch am Rande sitzen und die Augen schließen und mich auf die Musik konzentrieren, wirkt nicht. Manchmal werde ich angerempelt, manchmal streifen Menschen an mir vorbei. Ich öffne meine Augen und sehe, dass es nicht besser wird.

„Abbruch!“ 2:30 Uhr, ich springe auf, laufe so schnell wie möglich zur Garderobe, meine Tasche und meine Lederjacke abholen, um dann noch schneller aus dem Clubkeller hinaus zum Ausgang des Geländes zu flüchten. Vor der Einlasskontrolle steht schon die nächste Schlange, vielleicht ist diese Angst vor Menschenmassen nur eingebildet und nicht echt, aber andere Menschen haben auch eine panische Angst vor Spinnen, was für mich vollkommen unlogisch und irrational ist, die kleinen achtbeinigen Krabbeltiere sind doch so niedlich. Zurück zum Hotel, wenigstens schaffe ich das Frühstück in ein paar Stunden. Die Taxifahrer verdienen gutes Geld mit mir, das Hotel fernab. (Ende Teil 4/6)

[11.06.25 / 00:54] Ekelhaft, Sonne, direkt widerlich. Ich bin schon ein paar Minuten vor um zehn Uhr aufgewacht und öffne die Fenster. Für das Frühstück unten in der ersten Etage, wechsele ich das Wochenende in meine schwarze Jeans und das schwarze Top mit dem Netzausschnitt. Dusche und Beine rasieren, das alles passiert erst viel später den Mittag. Das Frühstück besteht aus zwei Brötchen, ein wenig Joghurt und Fruchtsalat und einer Thermokanne Filterkaffee, für Trucker reicht das.

Sonnabend, Bühne des Tages, das Täubchenthal mit den Goth- und Deathrock-Bands, daher mein Trad-Goth-Outfit, doch zuerst runter zum Heidnischen Dorf, dem Mittelaltermarkt des Gotik-Festivals.

Es hat sich verändert, es ist größer geworden, der Einlass ist viel mehr professionell organisiert, mit Absperrgitter, Security, Taschenkontrollen und langen Warteschlangen. Endlich auf dem Gelände, unzählige Buden und noch unzählig viel mehr Menschen. Es ist voll.

Dunkle Regenwolken. Als es anfängt, stärker regnen zu wollen, stelle ich mich mehr in dem Zelt unter, in dem ich eigentlich schon stand, ich bin auf der Suche nach Räucherstäbchen, die Verkäuferin hier hat einige im Angebot. „Du weißt schon, dass die krebserregend sind?“ Die sind doch nicht für drinnen, der Typ da neben mir, der in dem Zelt auch gerade Schutz vor dem Regen sucht, beginnt ein Gespräch mit mir. Ich erzähle erst, was für Räucherstäbchen ich suche: „Die Auroshika Nag-Champa“, das ich da mal 2008 in dem Ashram war, lass ich weg, er führt das Gespräch gleich weiter und ist viel mehr an mir interessiert. „Ich bin so direkt, ich stehe auf trans Frauen.“ Verdutzt blicke ich ihn an, wenigstens weißt du es schon vorher. „Wollen mir Nummern tauschen?“ Herrje! Ich werde nach meiner Nummer gefragt! Tollpatschig taumele ich umher, bevor ich endlich mein Smartphone aus meiner Handtasche gekramt habe. Du kommst in meine Männer-Liste, vielleicht sehen wir uns mal wieder. Er wohnt in Leipzig, eine weitere Übernachtungsmöglichkeit ist immer gut.

Vom Mittelaltermarkt zurück in die Südstadt, in einem Imbiss ein Falafelteller mit Pommes und Halloumi bestellen. Draußen regnet es … beschissenstes Wetter seit dem WGT 2007.

Danach mit der Straßenbahn raus nach Plagwitz zu der Veranstaltungsbühne dort. Ich glaube zu wissen, wo das ist und steige zielgerichtet aus der Straßenbahn aus. „Immer verlaufe ich mich hier!“ Das Smartphone mit dem Navi aus der Tasche holen, im Umkreis von einem Kilometer sind eine Handvoll von Clubs, in denen ich alle schon einmal war, ein paar der Clubs existieren schon gar nicht mehr.

Das große Täubchenthal erreiche ich. Ich dachte immer, das wäre so ein Nobel-Schuppen, als ich den jetzt zum ersten Mal betrete, sehe ich, dass es auch nur einer der vielen abgewrackten Clubs hier in der Gegend ist. Aber die kleine Dachterrasse, oder auch „Veranda“, die gefällt mir.

Drinnen sind links und rechts neben der Bühne und dem Publikumssaal Emporen aufgebaut und geben einen Blick von oben herab auf die Bühne. Falls ich es in die erste Reihe ans Geländer schaffe, kann ich endlich auch mal etwas von den Bands sehen.

Die erste Band, etwas aus dem Umfeld der Deathrock-Szene in Kalifornien … ich bin mehr an dem Kaffeestand draußen interessiert. Die zweite Band, ein paar Deathrock-Youngster aus Kalifornien … ich habe die Liegestühle draußen entdeckt und liege halb apathisch mit meiner großen Sonnenbrille darin. Die dritte Band, klar habe ich das Album, aber ich fand die immer ein bisschen peinlich und musste immer verheimlichen, dass ich ein ganz großer Fan bin, auch diese Band ist aus dem Dunstnebel von Kalifornien, ich stehe oben auf der Empore.

Die vierte Band des Abends, deswegen bin ich hier: als altes Eva O Groupie stehe ich natürlich schon unten vor der Bühne. Ich habe sie schon gesehen, als Teil von Christian Death (1334) und mit ihrem Solo-Projekt. Die Gitarre, die sie da auf der Bühne hat, ich bin mir ziemlich sicher, die war vor neunzehn Jahren noch weiß, jetzt ist sie vergilbt.

Ihre Performance, ihr Konzert, ihr Auftritt, ihre tiefe Stimme, Gänsehaut-Feeling! Ich schau sie die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen an. Der Schmerz, der in ihrer Stimme liegt, sie teilt ihn mit dem Publikum. Ein paar Klassiker, die unbedingt gespielt werden mussten, doch keine Zugaben, zu knapp sind die vorgegebenen Zeitfenster.

Die fünfte und die Headliner-Band des Abends: Fangs on Fur. Sie sollten schon letztes (oder vorletztes) Jahr in Berlin spielen – abgesagt – zu Schade, auch diese Band will ich schon seit zehn oder fünfzehn Jahren endlich mal wieder live sehen. Jetzt ist dieser Zeitpunkt gekommen. Oben auf der Veranda habe ich sie unten schon gesehen, ein Interview geben. Ich stehe weit vorne an der Bühne, nicht die erste Reihe, die ist für Pogo, die dahinter. Textsicher singe ich die Songs mit: „Picknick in L.A.!“ (Es heißt eigentlich „Panic“).

Nach dem Konzert, zum Merchandise-Stand, es gibt ein neues Album, aber leider nur Vinyl, limitiert, fast schon weg. „Will there be a new repress?“ Möglich … Wo ist das Geld hin, dass ich mal per Crowdfunding für ein neues Album und eine Europatour „2020“ gespendet habe? Auch die T-Shirts gibt es leider nur noch in „M“.

Zurück zur Straßenbahnhaltestelle, im Dunkeln im Nirgendwo. Wäre nicht der Festival-Fahrplan, hier könnte man um diese Zeit unmöglich wegkommen, ich fahre hier auch sonst nur mit dem Auto her. Die Straßenbahn braucht auch wieder eine halbe oder eine dreiviertel Stunde mit Anschluss zum Werk 2. „Einlassstopp!“, den Weg auf das Gelände freue ich mich noch auf meine „VIP und Gästeliste“ Warteschlange, weiter als bis zum Eingang des Clubkellers danach komme ich nicht. Egal welche Bands da den Abend gespielt haben, davon bekomme ich nichts mit, wohl irgendetwas „Mexikanisches“.

Rüber zu der großen Halle mit dem Main-Dancefloor. Ich prüfe die Nachrichten auf meinem Telefon, lasse ihn wissen, dass ich wieder im Werk 2 bin. Er antwortet dieses Mal, er ist auch in der Gegend. „Dark corner!“ Ich sehe ihn an mir vorbeilaufen, er hat mich nicht bemerkt, ich sitze auch wirklich in der dunkelsten Ecke am Rande der Tanzfläche an einem Stehtisch mit Barhocker. Er prüft seine Nachrichten und kommt auch gleich wieder zurück. Tiefe Umarmungen, warum warst du die letzte Nacht nicht da? Etwas tanzen, eng an eng, zieh mich bitte nicht aus, das ist ein öffentlicher Club.

Draußen die Leute, er stellt sich immer jemanden vor, er hat eine entdeckt, die ihn fasziniert: eine Drag Queen aus München. Sie ist nur kurz hier, sie zieht weiter zu der anderen Party des Abends, eine queere Party … auch dort sind so viele Menschen, dass man ohne Gästeliste oder Vorab-Tickets nicht hineinkommt.

Lass uns wieder zum Hotel fahren. Die Straßenbahn, das Taxi, die Tankstelle, er nimmt noch zwei Flaschen Bier mit. Eines trinkt er, eines packt er oben im Zimmer in den leeren Kühlschrank der Minibar.

Routinierte Abläufe, ich entferne meine Schminke im Bad, er raucht draußen vor den großen Fenstern eine Zigarette. Wir sind beide wieder nackt in dem großen Doppelbett. „What would you like to do tonight?“ Bitte nimm mich, gehe tief, diese Position, die ich so mag, die, wo ich einfach nur auf dem Rücken liege und meine Beine an deine Schulter lege. Er stößt tief zu. Eines meiner Beine ist schon unten, der andere Fuß weit über seiner Schulter. Beim Vorspiel, die Toilettenpapierblätter sind auch für ihn. Wenn er liegt und ich kokett über ihn rutsche und ihn mit meinen Schamlippen einrolle … ich bin so feucht, ich fordere ein, was ich verlange.

Fünf Uhr morgens, du gehst schon wieder? Wo gehst du hin? Warum schläfst du nicht bei mir? Ich verzweifle auf meiner Hälfte des Doppelbettes, sehe immer nur seinen Rücken und wie er die Hotelzimmertür schließt. Ich mache sie wenig später wieder auf, um das „Bitte nicht stören“ Schild anzuhängen. Frühstück bis elf Uhr fällt aus, ich schlafe bis dahin. (Ende Teil 3/6)

[10.06.25 / 23:32] Freitag, traditionell der Tag mit dem „Viktorianischen Picknick“ im Clara-Zetkin-Park. Mein Outfit ist wieder das, wie im letzten Jahr … und das Jahr davor … und das davor … und das … Wie letztes Jahr, meine schwarze Dirndl-Schürze ist das „It-Piece“. Es könnte regnen, ich nehme meinen Regenschirm mit, aber als Jäckchen habe ich nur meinen schwarzen Strick-Cardigan mit dabei. Das Hotelzimmer verlasse ich nicht ohne einen großen Parfümstoß Orientalisches und einer umfangreichen Wolke an Patchouli. Die müssen sich in der Straßenbahn schon woanders hinsetzen. Von der Haltestelle am Baumarkt nur die paar Stationen zu dem Bäcker in Eutritzsch, den mit dem schönen Kuchen. Ein „Coffee-To-Go“ landet auch gleich mit in meinem Thermobecher in meinem Picknickkörbchen. Es ist gerade erst Mittag, aber wenn ich früher in dem Park bin, sind vielleicht noch nicht so viele Menschen da. Mit mir steigt schon wieder der erste Schwung an aufwendig gekleideten Damen und Herren in Schwarz aus der Straßenbahn, hinein in das Grüne. Schon zurück am Baumarktparkplatz kam ich mir irgendwie weltfremd vor, in meinem historisch angehauchten Dress aus der Jahrhundertwende. Dark Cottage Core.

Ich laufe meine Runde um den Parkteich, die beliebte Fotoecke mit dem Blick rüber zu dem sich aufbauenden, schwarzen Picknick. Mehr Menschen kommen dazu. Ich suche meinen Platz am Teich, beobachte die mehr und mehr vorbei flanierenden Menschen. Ein paar auf der anderen Seite des Teiches sehen so echt historisch aus, als könnten sie einem Gemälde aus dem Impressionismus entsprungen sein … so eines hängt bei mir zu Hause über den Fernseher und war auch meine Inspiration.

Ich warte meine Zeit ab, der Blick geht immer hoch zu den Wolken, mal düster dunkelblau, dann wieder Fetzen an Sonnenlicht … Regenschirm und Sonnencreme griffbereit. Ich hoffe, die Blätter über mir halten ein paar Tropfen ab. Irgendwann kurz vor fünfzehn Uhr, ich beginne meine Vorbereitungen und packe das blau karierte Geschirrtuch aus meinem Picknickkörbchen neben mir, darin befindet sich der Kuchen, zwei Stück je Rhabarber und Mandarinenschmand und die mitgebrachte Kuchengabel. Genüsslich nehme ich ein Happen nach dem anderen auf meine kleine Kuchengabel. Den Thermobecher Kaffee aufschrauben.

Weiter den Nachmittag, quer über die großen Wiesen dieses Parks … es sind viele Menschen gekommen. Das „Viktorianische Picknick“ muss schon größer sein, als das eigentlich zeitgleich stattfindende Gotik-Festival. Es beginnt zu regnen, mein Schirm liegt immer griffbereit in meinem Korb. Die Hunde sehen schon viel zu sehr „wolfig“ aus, die lustig gemeinten Anspielungen auf Rotkäppchen erhalte ich mehr als einmal. Ist es die Schürze? Ist es die Perlenkette? Oder ist es die Bauerntracht? Ich bin keine von den schwarzen Prinzessinnen und höheren Adligen in ihren riesengroßen Reifröcken.

Zurück mit der Straßenbahn zum Hotel, den Korb abstellen, die Dirndl-Schürze abnehmen, sie sitzt eng, der vegetarische Burger im Innenstadtkern von Leipzig den späten Nachmittag zuvor, hat gerade noch so hineingepasst. Eine Dusche nehmen, den Cardigan gegen die Lederjacke tauschen, anschließend wieder zurück in die Innenstadt von Leipzig, zur Moritzbastei.

Ich habe mir für jeden Tag des Gotik-Festivals einen Plan gemacht, die Vorlage der Office-Tabelle ist dieselbe, wie ich sie bis 2013 erstellt habe. Jeder Tag drei bis vier Veranstaltungsorte. Das dazwischen Umherreisen, von einer Ecke der Stadt in die andere, ist mir zu stressig, ich mache genauso weiter, wie ich vor über zehn Jahren aufgehört habe: nur ein Veranstaltungsort pro Tag, an dem genau die Bands spielen, die ich unbedingt sehen muss! Alle Bands kann ich nicht sehen, dafür spielt zu vieles gleichzeitig, das ist das Prinzip dieses Festivals. Und den Freitag ist es eben die Moritzbastei und Aux Animaux.

Einlass gegen neunzehn Uhr, so voll ist es noch nicht, ich komme locker hinein. Die erste Band gefällt mir, sie kommen aus Griechenland. Auf einer anderen Bühne in der Stadt würde jetzt auch eine andere Synth-Band aus Griechenland spielen, die ich eigentlich auf meiner Liste als sehenswert markiert habe. Zu Schade, dass ich in dem Konzertkeller dieser Festung wieder meinen Stehplatz ganz hinten am Notausgang eingenommen habe.

Zwischen den Umbaupausen, Getränk holen, die Flasche Wasser. Rechtzeitig von den Bars und den Toiletten wieder vor der Bühne sein … nicht, dass da zu viele Menschen sind und ich nicht wieder hineinkomme. Die anderen beiden Bands, eine Solokünstlerin die sehr, fast schon kitschigen Synth-Pop spielt, ich bin total entzückt, dann eine Band, sie geht schon fast mehr in den Punk, oder Glam, und dann der eigentliche Headliner.

Laut Plan kurz nach dreiundzwanzig Uhr, da ist sie, die kleine Sängerin, sie springt auf der Bühne mit ihren fluffig weiß-blonden Haaren. Sie muss tatsächlich kleiner sein, als sie in ihren Musikvideos wirkt, wieder so eine, nicht größer als ihre Bass-Gitarre. Sie wechselt zwischen Bass und Theremin hin und her. Ein Album brauche ich nicht vom Merchandise-Stand – das habe ich schon längst.

Mitternacht, die Moritzbastei verlassen, rüber zur Straßenbahnhaltestelle und mit der 11 im Fünfzehn-Minuten-Takt nach Connewitz. Als ich am Werk 2 zum „Gothic Pogo Festival“ ankomme, muss ich erst meine Einlassschlange suchen … wo ist mein Weg links davon vorbei, ich gehörte doch einmal „zum Inventar“? VIP und Gästeliste, weniger Menschen als die mit dem anderen Pöbel.

Irgendwie wusste ich, dass ich die beiden Festivals nicht zeitgleich schaffen werde, wenigstens die Headliner, die erst nach ein Uhr spielen. So auch diesen Freitag: Ghost Dance aus UK. Die Band mit der Sängerin von Skeletal Family. Ich bin schon Fan, da habe ich noch selbst aufgenommene Kassetten in mein Autoradio geschoben … so zwischen 2002 und 2004.

Nach der Band, noch ein wenig tanzen? Die andere große Halle mit der großen Tanzfläche ist offen. Ich vermisse den Verkaufsstand mit den CDs und Schallplatten auf dem kleinen Markt in der Vorhalle (auch die nächsten Abende wird er nicht da sein). Im Kopf rechnen, wenn das Frühstück den Sonnabend bis Montag bis um elf Uhr geht, dann könnte ich, wenn ich 2:30 Uhr die Disko hier verlasse, doch genügend Schlaf finden? Warum habe ich das getan, warum musste ich unbedingt Frühstück dazu buchen. Keine Nachricht von meinem Freund auf meinem Smartphone, auch wenn ich es vermisse, ihn neben mir liegen zu sehen, ich kann wenigstens alleine viel besser schlafen. Ich bin müde, ich brauche etwas Schlaf. Mit der Straßenbahn erst zurück zum Hauptbahnhof und dann in ein Taxi zurück zum Hotel. Drei Uhr und ich kann die schweren Vorhänge auf und wieder zuschieben. (Ende Teil 2/6)

[10.06.25 / 22:24] Fünf Outfits für das lange Wochenende: das schwarze Top mit dem Netzausschnitt und die schwarze Jeans, Nietengürtel, „Casual Goth“, das lange, schwarze, viktorianische Kleid und die Netzstrumpfhose mit Rosenblüten, „Victorian Goth“, der schwarze Ledermini, die schwarze Baumwoll-Yogahose, das Netztop und das ärmellose Schwarze, die Lederjacke mit den Buttons und Nieten, „Trad Goth“, das neue, schwarze Kleid mit Spitze und langen Ärmeln, die einfarbige, schwarze Nylon-Strumpfhose, „Glam Goth“, das schwarz-grüne, kurze Kleid mit Leopardenprint und Leggings und wieder die Lederjacke, den schwarzen Baumwollhoodie darunter, „Punk Goth“ – und alle Schuhe, der Reihe nach: die Pikes, die viktorianischen Stiefeletten, die Doc Martens, die Military-Schnürstiefel mit dem hohen Absatz und ganz zum Schluss, den letzten Tag, die Hi-Top Sneaker, mit schwarzen Schnürsenkeln. Ich schiebe meine Kleiderauswahl auf der Roll-Garderobenstange durch die Wohnung. Alle meine Stiefeletten kommen wieder zusammen in die Tragekiste. Pfingsten, ich habe zwei Tickets, das kleine „Gothic Pogo Festival“ und das große „Wave-Gotik-Treffen“. Hotel wie immer, die letzte Truckerabsteige im Norden von Leipzig, nahe der Autobahn … sündhaft teuer gebucht, das halbe Jahres-Urlaubs-Budget.

Donnerstag Morgen, früh zur Arbeit fahren, zehn Minuten zu spät kommen. Alles an Klamotten zusammensuchen, den Abend zuvor, hat schon Stunden gedauert, alles ins Auto zu manövrieren, braucht auch wieder Geduld. Die Arbeit verlasse ich wenige Stunden später schon um präzise fünfzehn Uhr, mein erstes Outfit trage ich bereits, ich will, wenn ich in Leipzig bin, keine Zeit verlieren, nur schnell unter die Dusche und fertig. Auf der Autobahn an der Raststätte kurz anhalten, die ersten anderen Gothics sichten. Viel Verkehr, viele LKWs.

Das Hotel, das ich immer buche, gegen siebzehn Uhr fahre ich auf den Innenhof, mein Auto parken. Einchecken, Zimmer sichten – Standard mit großem Doppelbett, zweimal runter zum Auto, alles hochschleppen, die Tragekiste, die olivgrüne Sporttasche, den schwarzen Stoffbeutel und mein Picknickkörbchen. Den Wetterbericht schon Tage zuvor verfolgt … wird es regnen? Es könnte eines der nassesten Pfingst-Festival-Wochenenden werden – und kalt noch dazu. Meine fünf Outfits habe ich auf Temperatur und Wetter schon am Computer in meiner Office-Tabelle selektiert. Alles ist perfekt geplant, wo ich wann und wie am Wochenende sein will. Und mein Langzeitliebhaber? Keine Zeit für ihn. Ich muss noch den Abend oder späten Nachmittag in die Leipziger Innenstadt, zum Hauptbahnhof, mich in der ersten Schlange anstellen, den Zettel mit der Rechnungsnummer in ein Festivalticket tauschen – die Post hat meine Adresse „nicht gefunden“ und das Ticket einfach wieder zurückgeschickt – und dann rüber zum anderen Container, Ticket in Bändchen um das Handgelenk umwandeln. Dusche, Make-up im Hotel, der Plan steht weiterhin. Den Weg ablaufen, Leipziger Kopfsteinpflaster, die Straßenbahnhaltestelle am Baumarkt irgendwo am Nordrand von Leipzig.

Bahnhof, noch schnell in die Drogerie, Abschminktücher und Deoroller sind alle. Zum Geldautomaten, Bargeld abheben, 200 Euro, das muss reichen für das Wochenende. Aus dem Hauptbahnhof raus, über die Fußgängerampel über die große Ringstraße und über die Straßenbahngleise – ich sehe schon die endlos lange Schlange an wartenden, schwarz eingekleideten Menschen – es hat sich überhaupt nichts verändert. Mehr als zehn Jahre bin ich dem WGT fern geblieben, jetzt stehe ich schon wieder da und mache ein Foto von der Warteschlange, nur eben mit dem Smartphone und nicht mit der analogen Touristenkamera 2003.

In der Warteschlange zum Tauschen in das Ticket, komme ich schon ins Gespräch, ich bin nicht die Einzige mit Problemen mit der Post. Andere sind neu hier und kaufen ein Ticket an der Abendkasse. Diese Schlange ist nicht so lang – sehr nett von der Organisation, hast du dein Ticket, kannst du gleich die paar Meter um die Ecke zum anderen Containerfenster und dein Bändchen abholen … neidische Blicke der anderen, die da die hunderte Meter an der langen Schlange warten.

Was mache ich mit dem frei gewordenen Donnerstag Abend? Ein Eis kaufen. In eine Bar gehen, was trinken … ihm eine Nachricht schreiben? „Hello, I'm in Leipzig!“ Das kommt jetzt ganz überraschend. Seit Anfang dieses Jahres, ich wollte ihn immer wieder treffen, ein oder mehrere Nächte mit ihm in Leipzig verbringen. Immer habe ich es in einer Nachricht angekündigt, immer wieder musste ich absagen, ihn enttäuschen, ich bin krank geworden, mein Immunsystem schwankt extrem stark zwischen … großen Ausrufezeichen auf Laborberichten und „Geht gerade noch so“ mit den Werten vom letzten Blutbild. Lymphozyten sind im Keller.

Ich sitze in meiner Lieblingsbar am Leipziger Marktplatz, der kleine Tisch im voll besetzten Außenbereich, vor mir das Smartphone. Die Nachricht tippen und absenden. Smartphone hinlegen, wieder greifen. Display aktivieren. Hat er schon geantwortet? Er hat! Er ist auch in Leipzig und hat Zeit für ein Treffen! Ich freue mich immer wie so ein verknalltes Schulmädchen. Donnerstag Abend ist nur die Party vom „Gothic Pogo Festival“ in Connewitz, Einlass ist zweiundzwanzig Uhr, ich bin da.

Ich laufe das Werksgelände ab. Mein anderes Papierticket habe ich am Einlass schon in ein zweites Bändchen am Handgelenk getauscht. „Die schönere Farbe“, die zwei Bändchen in blau und lila-schwarz, „Das wird ein hartes Wochenende.“ Werde ich das schaffen? Werde ich so viel Kraft und Ausdauer haben? Die Hotelbuchung gab es nur mit Frühstück – und das geht nur bis zehn oder elf Uhr, es muss mich zwingen, die Partynächte für dieses lange Wochenende früher abzubrechen … oder ich mache durch und starte das Frühstück schon um sechs Uhr.

Ich schaue in die vielen Gesichter, die Menschen draußen vor dem Club, die Menschen drinnen auf und am Rande der Tanzfläche. Ich suche ihn, suche die Ecken, wo er schon mal war, wo er saß, wo er ein Bier nach dem anderen getrunken hat, wo er stand, wo er mit jedem ins Gespräch kam und seine Geschichten erzählt hat. Ich erblicke ihn, draußen, am Eingang zum Club-Keller.

Heftige Umarmungen, mein Gesicht und meine Nase tief in seinen Hals graben. Ich habe mir schon vorgestellt, wie er jetzt nach einem Jahr aussehen könnte, vielleicht ganz grau? Weiter nur ein paar ganz kleine Stellen in seinem Vollbart und in seinen schwarzen Haaren. Und etwas mehr dicker. „They did not want to let me in“, klar, in seinem weißen Outfit und die Brusttasche, wie sie viele tragen. „It's not about the outfit, there should be no dress code.“

Wir bleiben im Außenbereich, ein rollender Imbiss verkauft dieses Festivalwochenende vegane Burger und Döner. Die Leute ansehen, beobachten, schwarz-bunte Punks und die Subkultur dieser schwarzen Szene, zu interessant. Nur meine schwarze Lederjacke – die Punkerkutte – signalisiert mich als nicht-szenefremd. Er hat so seine Probleme, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, sie sind spürbar reservierter.

„Let us go“, es ist erst gegen ein Uhr nach Mitternacht, die Straßenbahnen fahren noch nicht den schnellen Takt der folgenden vier Tage und Nächte. Er bezahlt ein vor dem Eingang wartendes Taxi. Zu unserem Hotel, besser noch, die Tankstelle davor, Bier und Wasser kaufen, ersteres für sich, zweites für mich. Er mag das Hotel, es ist diskret, niemand fragt nach, wer da an der Rezeption vorbei geht, die Damen in ihren kurzen Röcken, so wie ich die nächsten Nächte, die Herren, die LKW-Fahrer, die ganze Straße ist zugeparkt mit LKWs. „Zwei Bier und eine große Flasche Wasser.“ Das Taxi fährt schon weg, wir nehmen den kleinen Pfad von der Tankstelle rüber zum beleuchteten Hoteleingang.

Mein Zimmer ist den Fahrstuhl hoch in der zweiten Etage. Die weiße Funkkarte vor das Schloss halten, die Türklinke runterdrücken und die Tür aufdrücken. Lichtschalter suchen … ich muss die Karte noch irgendwo hineinstecken.

Das Zimmer ist eingeräumt, ihm fällt schon gleich meine Phalanx an fünf Paar Stiefeletten für jeden Tag auf (eines zusätzlich zum Autofahren). „I just need to go to toilet, give me some minutes.“ Ich beeile mich, den schwarzen Kajal aus den Augen wischen, Zähneputzen. Er zieht sich draußen schon aus und legt sich auf die rechte Hälfte des Doppelbettes vor den großen, weit geöffneten Fenstern. Ein Blick ins tiefe Schwarz, hier draußen ist nichts, außer die entfernt vorbeirauschenden Züge.

Ich krabbele zu ihm auf das Bett, alle meine Sachen liegen schon auf einem Stuhl irgendwo daneben. Ich schaue ihn an, schaue in seine Augen, wie eine Wildkatze, nimm mich, beiß mich, ich fress dich. Er lenkt mich, drückt meinen Kopf, nimmt meine Hände, bringt mich in Position. Nimm meinen Hodensack, nimm ihn, geh mit der Zunge ganz langsam von unten nach oben und dann wieder mit dem Mund nach ganz unten. Mach es langsam! Ich gehe tief, meinen Kopf zwischen seinen Schenkeln, immer wieder den Blick zu ihm gerichtet. Und wann bin ich dran? Später, später … er macht mich wahnsinnig. Ich will ihn, ich will dich!

Er holt ein Kondom heraus, neben dem Bett und dem Nachttisch steht schon der Abfalleimer, gefüllt mit unzähligen Klopapierstreifen. Ich bin unzählige Male tief gegangen, so viel Speichel, so viel … das Zeug vor dem Sperma. Das Kondom ist knallrot, er liegt weiterhin mit seinem dicken Bäuchlein auf dem Bett. „Do you have some liquid?“ Klar habe ich das! Endlich kommt mal die kleine Probepackung Gleitgel zum Einsatz, die ich schon seit mindestens einem Jahr in meiner Waschtasche und dem „Übernachtungskit“ habe. „Would you like to sit on me?“ Er reißt die kleine Packung auf, „Make also a bit on your ass“, es wird die Reiterstellung. Sie ist nicht so tief, aber er kann meine kleinen Brüste bewundern.

„I have to go.“ Du schläfst nicht bei mir? Er muss den nächsten Tag, in wenigen Stunden noch arbeiten, nur für mich ist der Freitag ein Urlaubstag. „Take your breakfast at nine“, ich sehe ihn wieder, sich anziehen, liege perplex auf meiner Hälfte des Doppelbettes am Fußende und sehe ihn die Tür schließen … vielleicht wenigstens noch eine Umarmung und einen schnellen Abschiedskuss. Drei Uhr den Freitag Morgen, noch fünf oder sechs Stunden bis zum Hotelfrühstück. Die Fenster weit öffnen, das Zimmer aufräumen, bevor ich die Fenster wieder schließe und die schweren Vorhänge zu schiebe. (Ende Teil 1/6)

[26.05.25 / 00:21] Der Kalender ist voll, voll mit Terminen für die einzelnen Bikertreffen in dieser Saison. Das erste steht an, das mit der großen Ausfahrt … werden sie den Rekord mit den über 700 Motorrädern von 2019 schaffen? Warten und schauen auf die Wettervorhersagen jeden weiteren Tag.

Mein Bikerfreund, der vom letzten Jahr, hat zugesagt. Er will zu dem Treffen kommen, will mit seiner Rennmaschine an der Ausfahrt teilnehmen, vielleicht dann auch, wie letztes Jahr, sein Motorrad danach in die Garage zurückfahren und mit dem Auto zurückkommen? Ich erhalte schon den ganzen Winter Nachrichten von ihm auf meinem Smartphone. Er ist weiter an mir interessiert, ich blocke ab.

Der Sonnabend das Wochenende im Mai, Freitag hat es geregnet, Sonntag soll es auch regnen. Ich nutze den Sonnabend Vormittag, um endlich das Motorrad ein wenig sauber zu machen. Zwischen zehn und elf Uhr, Eimer mit „Spüli-Wasser“ aus dem Keller holen und mein Wisch-Handschuh suchen. Motorrad aus der Garage holen.

Den Abend zuvor habe ich schon mein Körper etwas auf Vordermann gebracht, überall Haare schneiden, Haare trimmen, Haare frisieren, Beine, Schamgegend, Po, Brustwarzen, Achselhöhlen und Augenbrauen, überall da, wo Frauen Haare haben (der Po eigentlich nicht, der fühlt sich glatt an, aber den sehe ich nicht). Eigentlich wollte ich mich nicht mehr so leicht hergeben, eigentlich wollte ich von Männern Abstand halten, wäre doch viel besser, wenn ich nicht mehr diesen Sex habe. Alle Männer finden es irgendwann heraus, was ich bin – und dann kommt das Drama.

Sonnabend Mittag, Mittagessen. Sonnabend früher Vormittag, nach dem Aufstehen, Beine fein nachrasieren. Klamotten sind die, die ich schon die ganze Woche auf Arbeit trage, das schwarze Polo-Hemd. Motorradklamotten auf der Couch zurechtgelegt, Motorradklamotten angezogen. Mittagessen musste sein, auf dem Bikertreffen gibt es bestimmt nur wieder einen Grillstand mit Steak und Schweinebratwurst. Helm schnappen (mein alter Helm) und das Gepäcknetz für die kleine, olivgrüne Armeetasche auf der Rücksitzbank. Brauche ich einen schwarzen Kapuzenpullover für unter die Kombi? Nein, ich fahre so. Böser Fehler, auf der Tour die zwanzig Kilometer zu dem Treffengelände kurz nach 13 Uhr, merke ich schon den kalten Fahrtwind.

Unterwegs noch tanken, das gute Benzin mit den hundert Oktan, nicht die Plörre mit dem E5 oder E10. Ich glaube, dass ich mir damit den Vergaserreiniger sparen kann, wenn der Kraftstoff besser verbrennt. Der Motor läuft auf jeden Fall damit besser, hat keine (oder kaum) Fehlzündungen, springt sofort an und diese merkwürdigen, ruckartigen Aussetzer sind noch nicht wieder vorgekommen (so ähnlich, wie wenn ich „versehentlich“ den Tank leerfahre / auf Reserve umschalten muss.)

Ich erreiche das Gelände pünktlich, um 14 Uhr soll doch die große Ausfahrt starten. Ich will mich, wie das letzte Mal, ganz hinten anhängen, da habe ich mehr Platz und gefährde nicht so sehr die hinter mir fahrenden, wenn ich die engen Kreuzungskurven wieder mit schleifender Kupplung entlangkrieche (im Pulk der Ausfahrt ist es zu eng, da wird in den Innerorts-Kurven sowieso nicht schneller gefahren). Ich parke mein Motorrad außerhalb des Geländes mit dem Sportplatz, auf einem Waldweg. Einen anderen Biker hatte ich schon gefragt, aber ich habe selber gesehen, dass ich nur ein paar hundert Meter an einer breiteren Stelle bequem wenden kann. Die Wege zu dem Sportplatz sind voller Autos, ein Fußballspiel ist hier auch noch.

Das Gelände … so viele Motorräder! Sie könnten den Rekord wirklich schaffen. Ich suche die weiße Rennmaschine meines Freundes, er ist nicht da. Er hat in einer Nachricht geschrieben, dass er seine Tochter mitnehmen wird. Auf dem Platz mit den Bars, den Veranstaltungszelten und der Bühne, spricht der Organisator schon ins Mikrofon, es geht gleich los.

Aufsitzen! Ich laufe den Kiesweg zum Ausgang des Geländes, noch bevor die zu hunderten Motorradfahrer hier durch wollen. Weiter zu meiner Maschine auf den angrenzenden Waldweg. Einige Motorradfahrer stehen hier auch rum, sie wollen sich das nicht entgehen lassen, wie die ganze Meute mit ihren donnernden Motoren im langsamen Tempo das bewaldete Sportplatzgelände verlassen und auf die Landstraße zusteuern. Kein Stress, ich habe die Zeit, mir das alles anzusehen. Irgendwann, es geht zehn, oder zwanzig Minuten, laufe ich auch zu meinem Motorrad, ziehe mir meinen Helm über und starte den Motor. Wenige Meter … Oh, Mist! Ich habe meinen Helm gar nicht zugemacht. Ich muss noch einmal anhalten und an dem Verschluss herumfummeln. Die beiden Abschluss-Motorräder mit dem „Achtung Kolonne“ LED-Schriftzug sehe ich schon um die Ecke verschwinden. Jetzt aber schnell, noch einmal den Gashahn aufdrehen. Ein oder zwei Kilometer später kann ich mich auf der Landstraße in die letzte Position mit einreihen.

Wie gewohnt, die Tour, wie all die Jahre zuvor. Dieselbe Route, wie immer. Nur das Stück in der Kleinstadt, wo ich wohne, könnte Baustellenbedingt anders werden … sie könnten bei mir Zuhause an meiner Garage vorbeifahren. In jedem Dorf wird laut gehupt oder gewunken, bestimmt hat jeder hier irgendwo Angehörige oder Freunde am Rand stehen, die gegrüßt werden müssen. Ich freue mich auch auf die winkenden Menschen, bin aber viel zu sehr beschäftigt, die Spur und das Tempo zu halten, der Strecke und dem Vordermann (oder -frau) zu folgen und auf die Bremslichter und den Abstand zu achten. Wie immer, von der Landschaft bekomme ich eigentlich nichts mit. Im Rückspiegel die orangefarbenen Lichter der Begleitmotorräder. Jede Kreuzung akkurat gesperrt.

Vor mir die Landstraße, ich mag die Stellen, an denen ich bis zum Horizont nur diese hunderte Motorräder sehen kann. Maschinen aller Art, die Renner und die Chopper mit den ultra-breiten Hinterradreifen. „Die passen nie alle auf die Tankstelle!“ Je näher wir dem Zwischenhalt kommen, witzele ich schon wiederholt in meinem Helm. Der Trupp fährt auf das kleine Gelände dieser Tankstelle in einem Heide-Dorf irgendwo in Sachsen-Anhalt ein. Und sie passen doch alle drauf. Ich parke mein Motorrad in dritter Reihe neben den LKWs und steige ab, um meinen Freund hier zu suchen, eine weiße Sportmaschine müsste doch auffallen zwischen den ganzen Chopper und Cruiser. Ich finde seine Maschine tatsächlich, er ist nicht allein.

Ich stehe minutenlang vor ihm, er hantiert mit seinem Helm herum und bemerkt mich nicht. Seine Tochter und die andere Frau da, schon. Wer ist das? Wieso starrt sie ihn an? Kennen die sich? (Gedanken lesen.) Die eine Frau, wie ich es später erfahren werde, ist seine Ex-Frau. Ich tue so, als ob ich sie nicht bemerke, bin mir der Blicke aber sehr wohl bewusst. Endlich hebt er seinen Kopf und erkennt mich. Eine einfache Begrüßung, so wie unter Motorradkumpels üblich. Er schlägt vor, den letzten Teil der Ausfahrt mit mir nebeneinander zu fahren. Irgendwann kommt das Signal, dass es weitergeht. Ehe die paar hundert Motorräder die Tankstelle wieder verlassen, vergehen wieder einige Minuten.

Das letzte Stück der Ausfahrt fahre ich, bzw. „wir“ nicht ganz hinten. Das hintere Drittel, vor mir die schweren Cruiser der MCs. Er hinter mir mit seiner Tochter, im Rückspiegel.

Die lange Kolonne biegt ein in die Kleinstadt, in der ich wohne. Vorbei an meiner Garage, so ein Mist, genau jetzt sind meine Eltern nicht da, ich hätte doch gerne auch einmal gewunken. Vorbei die engen Straßen, der Innenstadtkern, noch engere, kleinere Straßen – die Anwohner in diesem verschlafenen Provinzkaff hätten nie erwartet, dass sich auf einmal, aus dem nichts, über 600 Motorräder lautstark durch ihre Straße schieben. Hier winkt niemand, sie sind eher überrascht und entsetzt.

Wieder raus aus dem Kaff, auf die alte Route, die mit den Dörfern, mit den Menschen, die das schon von jedem Jahr kennen, die mit Camping-Stühlen und vereinzelten DDR-Fahnen schon auf uns warten. Das Event des Jahres.

Ich verliere ihn kurz vor Ende der Ausfahrt, sehe ihn im Rückspiegel nicht mehr, er ist vielleicht woanders abgebogen, er wohnt hier in der Gegend? Ich fahre mit den vielen anderen Motorrädern auf das parkähnliche Gelände des Sportplatzes. Alles ist organisiert, überall sind weiße Markierungen aufgesprüht, im Gras liegen die vielen, kleinen Holzplättchen für die ausgeklappten Seitenständer. Ich parke mein Motorrad in leichter Hanglage im Umkreis einer alten Eiche. Es muss eine Eiche sein, der Zweig mit dem angetrockneten Eichenlaub fällt mir neben meinem Fuß auf, als ich den Seitenständer ausklappe. Ich finde den Zweig mit den Blättern so hübsch, ich klemme ihn unter das Gepäcknetz neben meiner russischen Armeetasche … so als „Tarnung“. Ein paar Meter weiter steht ein altes Gespann aus Sowjetzeiten, der Fahrer hat noch viel mehr liebevolle Details an seinen Beiwagen montiert: Gefechtshelm, Tarnnetz und eine rote Flagge.

Zum obligatorischen Kaffee-und-Kuchen zu den Verkaufsständen und dem zentralen Platz auf diesem Biker-Festival. „Einen Kaffee und einen Schoko-Kuchen.“ Ein paar Euros wandern über den Bartresen. Meinen Schokoladenkuchen esse ich ein paar Minuten später, während auf der Wiese vor der Bühne sich schon ein paar Motorräder für die Dezibelmessung ansammeln. Die Veranstalter haben extra mal ein paar Frauen aufgerufen, sich hier zu treffen … es finden sich tatsächlich ein paar. Ich jedenfalls nicht, mein Mopped hat noch den Serienauspuff, damit könnte ich doch nie konkurrieren. Nach der Lautstärkemessung sprengen die Männer den ganzen Platz und wollen alle mal wissen, wie laut ihr Auspuff ist. Es kommen immer mehr männliche Motorradfahrer mit ihren Maschinen dazu …

Weiter den späten Nachmittag, ich laufe an dem einen Verkaufsstand vorbei, betrachte die Auslagen an Eisernen Kreuzen, Biker-Utensilien, hier und da Militaria … so einen kleinen Panzer-Anstecker hatte ich auch mal an meinem schwarzen Barett, aber der sah „irgendwie“ anders aus … Bikertreffen, Dinge übersehen. Weiter zum Motorrad, es hat die Ausfahrt doch kurz angefangen, zu tröpfeln und jetzt schieben sich wieder dunkelblaue Wolken über den Himmel. Den Helm vom Riegel am Hinterrad abnehmen, auf den Rückspiegel hängen, damit es nicht hinein regnet. Meine Armeetasche von der Rücksitzbank nehmen und unter meiner Motorradkombi tragen. Die paar Biker da begrüßen, die ich noch vom letzten Jahr von den drei anderen Treffen kenne. „Und, wo ist dein Freund?“ Keine Ahnung, ich habe ihn irgendwie verloren.

Sein Motorrad entdecke ich, das weiße mit den beiden Helmen. Er sitzt irgendwo mit seiner Tochter und seiner Ex-Frau auf einer Biergartenbank. Ich finde ihn, als ich wieder zurück auf den zentralen Platz gehe. „Und bringst du dann dein Motorrad auch später wieder zurück in die Garage und kommst mit deinem Auto hierher?“ Na klar mache ich das, er dann auch. Seine Ex-Frau mustert mich weiter, es gibt zwei Möglichkeiten: Wer ist die, ist das die neue? Eher abwertend. Oder: Da hast du aber eine hübsche, kleine Blondine gefunden, und Motorrad fahren kann sie auch … behandele sie gut, sie wirkt, als hätte sie schon viel Scheiße in ihrem Leben erfahren. Wie auf dem Tankstellengelände, ich bin nur auf ihn fixiert. Nur ein paar Wörter und ich verlasse diese Szenerie so schnell wie möglich. Zurück zu den anderen Biker-Kumpels, Biker-Gespräche führen.

Ich sattele wieder auf, schließe meine Lederkombi, verstaue die Tasche unter dem Gepäcknetz. Nur wenige Sekunden zuvor habe ich ihn auf seinem Motorrad mit Sozia wegfahren sehen. Ich bringe mein Motorrad nach Hause. Die Biker-Kumpels neben mir, zelten hier.

Ein paar Kilometer, kurz vor der Bundesstraße zu meinem Wohnort, kommt er mir alleine entgegen, dreht und fängt mich auf der Einfahrt auf die Bundesstraße ab. Er begleitet mich bis zu meinem Wohnhort. Ich biege auf die gepflasterte Hofeinfahrt neben meiner Garage ein. Was will er hier? Will er mit reinkommen? Auf keinen Fall, darauf bin ich nicht vorbereitet, alle Fragen und Situationen in dieser Hinsicht weise ich immer damit ab, ich könnte ein „Müll-Messie“ sein und möchte keinen Besuch. Er nimmt nur den Helm ab und wechselt ein paar Worte mit mir. Natürlich fahre ich wieder auf das Festivalgelände zurück, es könnte nur etwas länger dauern, im Bad, wie das bei Frauen so ist. Er scheint beruhigt, oder traut er mir nicht? Mein Vater öffnet mit einem mürrischen Blick das Hoftor, meine Eltern bekommen mit, dass ich nicht alleine bin. Er setzt den Helm wieder auf, lässt kurz seinen Motor aufheulen, und jagt den Fußweg runter auf die Straße, davon. Ich parke um, Auto rausholen, Motorrad in die Garage schieben.

Oben in der Wohnung, Motorradsachen auf die Couch werfen, im Bad verschwinden. Eine Dusche? Das muss jetzt so gehen. Ich brauche ewig, um meine langen Haare zu entfilzen … ich musste ja auch bei der Ausfahrt den Nachmittag zuvor meinen blonden Zopf unter dem Helm heraushängen lassen, damit auch alle sehen, dass da ein Mädchen unterwegs ist.

Polo-Hemd anbehalten, schwarze Jeans anziehen, noch der lange, schwarze Kapuzenhoodie und die Lederstiefeletten mit den kubanischen Absätzen. Heute Nacht kein Make-up. Ich bin schon die Treppe runter, als ich wieder umdrehe und zurück ins Bad muss. Die Waschtasche greifen, das Kondom und das Gleitgel heraussuchen. Was machst du hier eigentlich? Brauchst du das wirklich?

Mit dem Auto zurück zu dem Dorf mit dem Bikertreffen und der Abendveranstaltung. Es ist später geworden, meine Eltern mussten mich unbedingt noch zum Abendessen überreden. Da auf dem Festival gibt es eh nur Schwein.

Halt dich von den Motorradrockern fern, das ist kein guter Umgang für dich, die wollen nur, das du anschaffen gehst! Meine Gedanken auf der Fahrt dahin sind wahrscheinlich wesentlich spießiger, als die von meinen Eltern. Alles irgendwie amüsant übertrieben. Im Autoradio, die Dämmerung entlang, die melancholische Musik der britischen Rocker aus den Achtziger-Jahren („The Jesus and Mary Chain“, wen es interessiert).

Als ich das Gelände erreiche, ist es schon fast dunkel geworden. Mein Auto steht wieder draußen an der Einfahrt. Wo vorher die vielen hundert Motorräder standen, steht jetzt vereinzelt mal eine Maschine. Mit viel Glück habe ich draußen noch einen Auto-Parkplatz gefunden. Es hat nicht noch einmal geregnet, die Bühne mit der Band, die gerade spielt, ist unter einem riesigen Partyzelt aufgebaut. Alles passt hier unter das Zelt: die Bar, die Leute, die Bühne. Eine Cover-Band, die die Rocksongs der letzten Jahrzehnte spielt, nicht die uralten Klassiker, tatsächlich mal ein paar Songs aus den Neunzigern. Zwischendurch Songs aus der „Konserve“, die Band braucht eine Pause.

Ich unterhalte mich mit dem Typen, den ich die letzten Male so oft getroffen habe, mein Bikerfreund hatte schon die Vermutung, dass der andere da auch was von mir will. Mein Bikerfreund ist nicht wieder aufgetaucht, ich suche ihn mit ein paar umherschweifenden Blicken, finde ihn aber nirgends. Auch keine weiteren Nachrichten auf meinem Telefon. Ich gehöre nun ganz ihm, dem anderen Typen aus der Motorradfahrergruppe. Ich werde bearbeitet?

Draußen die Bühne, überraschende Ansage, eine Feuershow – mit einem Mann! Endlich mal nicht mit einer Frau, die sich auszieht, endlich mal etwas für Frauen. Diese finden sich auch in den ersten Reihen. Der Fakir, so wie ich ihn gleich erkenne, zeigt einige Tricks, Feuer schlucken, Feuer spucken. Sein Outfit ist wohl gewählt, die Schnabelschuhe, die orientalische Jacke, die Haremshose und dazu diese orientalische Musik. Wahrscheinlich alles nur Show, aber das Glas, das er zerhämmert, auf das er mit den Füßen stampft, auf das er sich mit seiner blanken Brust umherrollt, das ist echt! Bewundernder Beifall aus den ersten Reihen!

Zurück unter das Zelt, die Band spielt weitere Songs, mein Begleiter hat mich so weit, ich tanze nah mit ihm. Sehr nah, mit Körperkontakt. Ist das nicht ein bisschen zu nah? Die Band spielt im ihren zweiten Set schnellere Songs. In einer ihrer letzten Titel wird ein „Onkelz-Song“ gecovert, das Publikum mit den Bikern, den MCs mit ihren Lederkutten, die anwesenden Ladys, stürmen den Bereich vor der Bühne und singen ziemlich textsicher mit. Ich finde das ein wenig befremdlich, meine Songs sind das nicht, alle deutschen Songs kann ich gar nicht, ich bin mehr so bei den Songs der Ami-Punks („Ramones“, wen es interessiert).

Ich muss mich auch mal hinsetzen, der dritte oder vierte Becher Wasser. Ein anderer Motorradrocker in seiner MC-Kutte setzt sich zu uns an den Tisch der letzten, die hier noch sind, nach Mitternacht. Die Band räumt bereits ihre Instrumente von der Bühne. „Los komm, lass uns tanzen!“ Noch ein paar Rock-Songs aus der Konserve. Im Gegensatz zu dem anderen Typen, ist dieser Motorradrocker mindestens einen halben Kopf größer als ich (mit meinen Absätzen). Er kann bereits sofort eng umschlungen mit mir tanzen … unter den Augen des anderen Typen, den ich danach nicht mehr sehe. So bin ich. Der andere, der vorher mit mir getanzt hat, er hat mir schon sein Bett angeboten, wenn ich ihn mal besuchen komme. Das war zu viel für mich. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das auch wirklich verstanden habe. Ich brauchte dann meine Zeit, um auf der Sitzbank alleine vor mich hin zu grübeln. Wenn einer so nah kommt, flüchte ich weg, hin in die Arme des nächsten.

Der zweite, er sagt so etwas nicht zu mir. Hat er auch ein Interesse? Vielleicht ist er schüchtern. Zwei Uhr, die Musik geht aus. Ungewohnt, Biker feiern doch immer bis Sonnenaufgang und weiter. Die kleine Gruppe des MCs zeltet hier irgendwo auf dem Gelände. Den Weg zur Ausfahrt in Richtung meines Autos laufen wir noch zusammen. Einer aus der Gruppe leuchtet mit seinem Smartphone den stockfinsteren Weg. „Da drüben, da schlafen wir. Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder.“ Bestimmt, die MCs besuchen sich hier gegenseitig auf allen ihren Bikertreffen, zwei weitere sind noch in meinem Kalender. Zurück zu meinem Auto. Alleine die Nacht durch die dunklen Landstraßen und Waldwege zu meinem Zuhause.

Dieses Mal nicht bis frühmorgens, dieses Mal nicht in einem fremden Auto irgendwo den Morgen verbracht. Es ist kurz nach zwei Uhr und ich kann mich in mein eigenes Bett legen. Meine Motorradkombi und mein Helm liegen weiterhin noch auf meiner Couch, die räume ich morgen weg. Übliche Routine, Schlafzimmerfenster öffnen, ins Bad verschwinden. Etwas ist anders, dieses Mal wurde ich von mehreren angesprochen, ich habe sie nur nicht an mich herangelassen … ich habe zu viel Angst davor, dass sie mitkriegen, dass ich keine Frau bin.

Die hellen Lichter in den beiden Augen, die mich anstarren, ein Marder kreuzt meinen Weg, bleibt kurz stehen, sieht mich an, ich verlangsame das Tempo, und springt dann weiter von der Straße.

[19.05.25 / 23:28] Die Wochenenden unterwegs, nach Erfurt (das zweite Wochenende im Mai). Schon ein paar Wochen zuvor beschlossen, die Familie trifft sich da. Sonnabend Mittag mit dem Regionalexpress am Hauptbahnhof angekommen, wieder dasselbe Hotel gleich um die Ecke, wie im Dezember zuvor. Das Zimmer wird erst in zwei oder drei Stunden bezugsbereit. Erstes Kaufhaus am Anger – die Shoppingtour den Sonnabend.

Ich bin nicht alleine unterwegs, meine Begleitung sucht für sich etwas, ich bin nur beratend dabei. Eigentlich habe ich die letzten Wochen schon ein Kleid gekauft, eigentlich habe ich das letzte Wochenende schon einen BH gekauft … ich sollte auf mein Budget achten, ich kann es nicht lassen, auch hier verschwinde ich in der Anprobe-Kabine: „Probier das doch mal an!“

Sie sucht für sich eine Jeansjacke, ich habe da noch das schwarze Polokleid im Sinn. Viele Runden in dem Kaufhaus und dem Einkaufszentrum, Taschen und Schuhläden, Drogerie und Unterwäscheboutiquen. Es wird für mich ein überlanges, olivgrünes Leinen-Hemd – das kann ich auch am Strand anziehen, speziell für tropisches und heißes oder mediterranes Klima. Die Urlaubsfrage für dieses Jahr ist auch Thema des Familientreffens später.

Weiter durch die Erfurter Altstadt, zurück zum Hotel und Einkaufstaschen ablegen? Nein, wir ziehen das durch, Hotelzimmer ist reserviert, das können wir auch später den Abend beziehen. Zu Kaffee und Kuchen zu einem besonderen Café im Jugendstilambiente, nur etwa einen halben Kilometer entfernt, noch innerhalb des Innenstadtrings, aber weit abseits der Touristenwege.

Das Café gab es schon zu DDR-Zeiten und wahrscheinlich schon viel länger. Das Interieur ist renoviert aber noch im alten Stil belassen. „Früher war das hier mal viel dunkler.“ Mir gefällt es, ich betrachte die vielen Fotos an den Wänden, Portraits der Zwanziger-, Dreißiger- und Vierziger-Jahre (vielleicht auch moderner). Die Lichtführung mit dem Scheinwerferlicht von oben und dem Haarglanz und das besondere Verschwimmen der hellen Konturen in dem Schwarz-Weiß-Foto, das hätte ich auch gerne so hinbekommen (Anregung für eine nächste Foto-Serie). Ein Stück Rhabarber-Streuselkuchen und einen Cappuccino. Die Tassen schmecken nach Spülwasser, aber der Kellner hat vielleicht ein Auge auf mich geworfen.

Wieder zurück in das historische Zentrum von Erfurt, würden wir hier noch wohnen, wir hätten vielleicht nie wegziehen sollen. Die Touristendichte nimmt spürbar zu, meine Begleitung kennt ihre alten Pfade. Weiter in das nächste Kaufhaus. Nichts für mich, ich habe zwar meine Kundenkarte dabei (dieselbe Kette wie in Leipzig), aber die heruntergesetzten Artikel sind spärlich verteilt. Auch hier: ich verstehe den aktuellen Trend nicht, Bomberjacken im klassischen Skinhead-Stil zu vollkommen überteuerten Preisen zu verkaufen – das steht nur mutigen PoC – ist aber hier in Ostdeutschland total unverkäuflich (die Skins haben ihre traditionelle Marke).

Weiter zurück in die andere Shopping-Mall, wieder zurück Richtung Bahnhof und Hotel. Drogerie und Unterwäscheladen … kaufe ich mir zu meinem BH noch die passende Dessous-Unterhose? Leider gibt es die nur als Tanga oder als Hochbund-Panty. Jetzt wirklich zurück zum Hotel am Bahnhof.

Check-in irgendwann nach 18 oder 19 Uhr, ein ähnliches Zimmer, wie letztes Mal, derselbe Ausblick auf den Platz vor dem Bahnhof, nur eine Etage tiefer. Kurz Entspannen. 20 Uhr … wir sollten noch etwas Essen gehen, nur viel Laufen will ich nicht mehr. Da ist noch eine Pizzeria gleich gegenüber. Die nehmen wir. Wenige Schritte später, ich bestelle mir meine vegetarische Pizza, die auf der Tagesmenükarte, mit Auberginenscheiben.

Gedanken, lustige Kommentare … so wie wir das aus dem Fernsehen aus den Krimis kennen – die müssen bestimmt den gepanschten Wein überteuert abkaufen und zu Geld machen, damit die … die in Süditalien „sauberes“ Geld bekommen. Was die hier nicht wissen, dass ich ein paar Brocken Italienisch kann. Der ältere Typ da in der Küche beschwert sich, dass irgendjemand krank ist und er den ganzen Laden hier alleine schmeißen muss. Außer uns ist nur noch ein anderes ausländisches Pärchen da.

Weiter den Abend – nicht viel laufen – gleich daneben ist auf dem Bahnhofsplatz die Bar, wo der Willy Brandt schon mal war (muss ich mir jedes Mal anhören, da oben hat er mal aus dem Fenster geguckt). Die haben auch alkoholfreie Cocktails auf der Karte, nur der Ipanema heißt hier nicht „Ipanema“, sondern irgendetwas mit „alkoholfreier Caipirinha“, mit Apfelsaft anstatt Maracuja. Den nehme ich, hier auf unseren zwei Stühlen und dem Tisch im Außenbereich. Es ist kühl geworden, ich habe für die Tour meine schwarze und dicke Baumwoll-Reißverschluss-Jacke mit Kapuze übergezogen. Der Cocktail besteht mehr aus zerkleinerten Eis als aus Zuckersirup und Apfelsaft. Das zu viele Eis verschwindet in den Pflanzenkübel gleich neben mir. Rechnung übernehmen, ganz viel Trinkgeld, 22 Uhr nochwas, zurück ins Hotel.

Frühstück gegen neun Uhr, wir kennen das Hotel, wir kennen die Betten, wir wissen den Weg zum Frühstücksraum. Für uns die paar freien Tische in der VIP-Ecke … ob auf den Tisch, den sie gerade frei gewischt hat, auch ein „Reserviert“ Schild hätte hin gemusst? Ich sehe mit meiner orientalischen Tunika auch gar nicht so aus, wie all die anderen Hotelgäste. Vor mir die Fotos und Autogrammkarten der ganzen Prominenten an den Wänden, die hier mal für ihre Tour übernachtet haben. Üppiges Frühstück, von allem etwas. Fruchtsalat ist aus – die letzte Portion für Zwei ertrinkt gerade in einer riesigen Schicht aus Joghurt in meiner Schale vor mir auf dem Tisch. Teller und Löffel stapeln sich daneben. Der Kaffee ist besser als der letzten Nachmittag. Noch besser ist der zweite Kaffee wenige Minuten später, als wir wieder raus aus dem Hotel sind und die Kette: Pizzeria – Bar – Bäcker auf dem Bahnhofsvorplatz ablaufen. Warten auf den Familienanhang, er kommt später, aber vor zwölf Uhr müssen wir wieder zurück und wieder raus aus dem Hotel sein.

Check-out, keine freien Schließfächer am Bahnhof. Erwartet. Wir reisen mit extrem leichten Gepäck: nur das, was ich anhabe und die ganz kleine Kosmetik- und Waschtasche in meiner Handtasche. Das bewährte Übernachtungskit, Probedosen Duschbad und Shampoo, Zahnpasta und Zahnbürste, Abschminktücher und leichter Reisekamm, Ohrstöpsel und die üblichen Schmink-Utensilien. Rasierapparat und Estradiolgel-Packungen – mitsamt meinem schwarzen Baumwoll-Zipper kommt das „schwere Gepäck“ in einen extra mit eingepackten, schwarzen Stoffbeutel. Der Familienanhang ist da, weiter mit der Straßenbahn zum egapark in Erfurt. Zum „Japanischen Gartenfest“, das eigentliche Ausflugsziel für dieses Wochenende zum Muttertag.

Auch wie erwartet, es wird voll. Gegen späten Mittag angekommen, das japanische Event zieht Gäste aus dem Umkreis von 150 Kilometer (also wir). Es verteilt sich, der Park ist größer. Die Einlasstore sind belegt mit Menschenschlangen, irgendwo ist noch ein Schlupfloch, ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt ein Drehkreuz benutze. Irgendwie haben wir Tickets aus dem Vorverkauf für die Ega selbst und noch einmal das Japanische Gartenfest – aber das wird nirgendwo mehr kontrolliert weiter auf dem Gelände. Weiter zu dem kleinen Bereich mit dem Japanischen Garten.

Zu viele Menschen, zu enge Wege, uns ist bereits klar, dass wir wesentlich länger bleiben werden, wenn wir später dann den Nachmittag den Garten noch einmal in aller Ruhe genießen wollen. Das große, rote Eingangstor vorne … mir gelingt ein „menschenfreies“ Foto, ich musste nur fünf bis zehn Minuten warten.

Die Anlage ablaufen, immer wieder vergleichen mit dem Garten, den ich mal in Japan in Kamakura gesehen habe. „Da habe ich ein Foto von!“ Mir springt der Flyer ins Auge, die Deutsch-Japanische Gesellschaft hat einen Stand hier, ein Flyer mit Ausflugstipps rund um Tokio. „Habt ihr diese Kuchen mit dieser Füllung, mit schwarzer Bohnenpaste?“ Die Frau am Stand weiß, wovon ich rede, aber genau das ist schwer zu importieren. „Matcha-Schokolade?“ Nein, auch nicht … leider. Mein Blick wandert zu dem Tetra-Pack Grüner Tee. Der genauso japankundige Familienanhang freut sich über die zuckersüßen Getränkeflaschen, die sie schon damals, irgendwo in Tokio oder Osaka oder Kyoto aus dem Automaten in irgendeiner U-Bahn-Station gezogen haben. Weiter zu der Showbühne und den ausgestellten Bonsai-Pflanzen.

Ich bestaune die kleinen Gewächse in ihren filigranen Schalen, sie sind aufgereiht wie auf einer Preisveranstaltung, mit Jahreszahl, wie viele Jahrzehnte der kleine Baum darin schon wächst. „Kletter-Hortensie geht auch?“ Der eine, knorrige Wurzelableger vor der heimischen Garage, von der Pflanze die da schon seit Neunzehnhundertnochwas wuchert, wird demnächst „umgetopft“.

Die Show auf der großen Parkbühne, ein geschwungenes Dach spendet Schatten – es ist den Sonntag sonnig und blauer Himmel (ich habe mir mein Gesicht mit extra viel Sonnencreme abgedichtet), alle Sitzbänke sind belegt. Eine Trommelshow von den Bäumen oben am Hang schon gesehen, eine Tanzvorführung von wahrscheinlich echten Japanerinnen in echten Kimonos. Es muss echt sein, die traditionelle, japanische Begleitmusik ist noch sehr schön, die moderne japanische Musik ist … „besonders“. Nicht, dass ich das nicht schon aus Japan kenne, aber das geht vielleicht nur für die wenigen ultra Fans hier, die extra ihr Cosplay-Outfit aus dem Schrank geholt haben.

Weiter die Ega entlang, den Nachmittag auf der Suche nach Kaffee und Kuchen, etwas zu essen, ein Imbiss. Viele Pflanzen bewundern, eine Sitzbank im Schatten einer japanischen Zaubernuss (eigentlich sind es die Bäume rundherum, die Schatten werfen). Ein Imbisswagen, der letzte Veggie-Burger für mich, ich bleibe auf der Bank und bewache den Sitzplatz. Später dann zum Kaffee-Mobil, drei Cappuccino holen, dieses Mal bin ich die paar Schritte unterwegs. Die Schlange dauert ewig.

Später Nachmittag, zurück zum Japanischen Garten. Wie erwartet, viel weniger Menschen. Jetzt endlich bessere Fotomotive. Es gibt hier ein Teehäuschen, da war den frühen Nachmittag sogar eine Teezeremonie, die wir nicht sehen konnten, vor all den Menschen davor. Jetzt ist der Blick frei auf das Innere des Teepavillons. Ausgelegt mit Reismatten, die Veranstalter und Helfer und Freunde des Japanischen Gartenfestes trinken ihren Sake und sind offen für Fragen von interessierten Besuchern. „Müssen die Reismatten irgendwann mal gewechselt werden?“ Nicht, wenn sie trocken gelagert sind. Ich schlafe darauf. Der Zentimeter Lattenrost darunter sorgt vielleicht für ein paar Luftkammern. Was ich wechseln sollte, ist der Futon – meiner ist wendbar, mit zwei Seiten – und mit der Korkschicht dazwischen, ist der so sperrig und dick wie eine herkömmliche Matratze. Sollte ich einen neuen Futon für mein traditionelles, japanisches Bett zu Hause kaufen, dann den dünnen, einfachen, nur etwa vier bis acht Schichten Baumwolle, der ist dann zusammenrollbar, den kann ich dann auch wirklich mal nach draußen hängen und auslüften.

17 oder 18 Uhr nochwas, der Familienanhang muss den Zug nach Hause erreichen, wir auch, aber eine Stunde später. Im schönsten, sonnigen Wetter zum Seitenausgang der Ega, zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Und weiter, Abschied nehmen am Hauptbahnhof. Über das Thema Urlaubsplanung haben wir gar nicht so genau geredet. Griechische Inseln? Mykonos? Oder doch lieber Japan? Oder Indien? Süditalien? Für die beiden letzteren Ziele kann ich nicht begeistern, Japan wäre nett, aber da haben wir vielleicht unterschiedliche Ziele. Kyoto haben sie schon gesehen, wir nicht, Tokio habe ich schon gesehen und Hokaido, ganz im Norden? Mein Budget sagt: fünf Nächte Mykonos Last-Minute, mein Favorit momentan.

Wir sind alleine in Erfurt, die dreiviertel Stunde bis zu unserem Zug den Abend, bekommen wir auch noch herum. Brötchen und Wasser. Mir fallen die ganzen Soldatinnen und Soldaten in Uniform auf. Ja, das waren auch meine Wochenenden vor fünfundzwanzig Jahren. Nur diese schicken, braunen Kampfstiefel hatte ich nicht von der „StOV“, nur die schwarzen, mit dem planmäßigen Verfallsdatum nach zwanzig Jahren (Sohle ab, beide Paare, zeitgleich).

Weiter mit dem Regionalexpress nach Hause, den Sonnenuntergang und den parallelen Mondaufgang vor den großen Panoramafenstern bestaunen. Meine Begleitung habe ich schon vorgewarnt, wie ich das schon von meinen vielen Zugfahrten zu Festivals und Konzerten nach Leipzig kenne: zurück in das Provinzkaff fährt Sonntag Abend von Magdeburg aus – die paar Kilometer – nur alle zwei Stunden ein Zug. Wir werden vom weiteren Familienanhang mit dem Auto abgeholt. Familie, stark ausgedünnt die letzten Jahre.

[04.05.25 / 02:19] Vor einigen Wochen habe ich im Internet entdeckt, dass die Achtziger-Jahre Punkband, die ich schon seit mindestens neunzehn Jahren mal live sehen will, in Leipzig ein Konzert geben wird, der Ticketshop, bei dem ich mir sonst auch die ganzen Tickets bestelle, hat die Band im Programm … Anfang Mai, in Connewitz.

Endlich wieder nach Leipzig fahren, vielleicht dort übernachten? Bei ihm? Das letzte Konzert, das letzte Ticket, ich konnte nicht hin, bin krank geworden, musste ihm absagen, mein Ticket wieder verkaufen. Dieses Mal muss es doch funktionieren! Ich warte die Wochen … fünf Tage vorher, ich schreibe ihm eine Nachricht, ich komme. Ich beantworte endlich eine seiner vielen Nachrichten, wann ich denn mal wieder in Leipzig bin. Montag … Scheiße, ich werde krank.

Es fängt an, wie eine Erkältung, mehr noch, Grippe? Corona? Halsschmerzen, Kopf- und Gliederschmerzen. Wo habe ich mir das eingefangen? Die Woche zurück beim Rezept holen bei meiner Frauenärztin? Das Einkaufszentrum ist gleich daneben, dasselbe Gebäude – ich musste mir unbedingt noch dieses neue Kleid kaufen, Schwarz und Bohème-chic. Oder war es doch auf Arbeit? Das Großraumbüro und die ganzen Kolleginnen und Kollegen mit ihren Kindern im Kindergartenalter. Alles was die anschleppen, dagegen bin ich nicht immun mit meinem ramponierten Immunsystem. Ich schleppe mich auch auf Arbeit.

Zwei Tage Halsschmerzen, anschließend zwei Tage Fließschnupfen. Endlos lange Meetings, wenigstens ist das nur eine halbe Arbeitswoche kurz vor dem ersten Mai Feiertag. Genau diesen einen freien Tag, den Donnerstag vor dem Freitag, krame ich einen alten Covid-19-Test aus dem Badschrank … negativ. Glück gehabt. Kann ich doch nach Leipzig fahren, zu dem Konzert – und dort alle mit meinem was-auch-immer-das-ist anstecken. Vielleicht ist es das Cortison-Spray, das ich nehme, gegen meine Allergien, und es ist nur eine heftige Nebenwirkung? Zu viele Fragezeichen … aber ich habe für mich schon entschieden, nach Leipzig zu fahren … wenn ich die Nacht überstehe (schlaflose Nächte bei laufender / verstopfter Nase).

Freitag, der Vormittag vor dem Konzert den Abend. Ein Urlaubstag, ich muss nicht arbeiten. Der Schnupfen ändert sich in den festen, klebrigen Zustand. Wenn das eine Erkältung ist, geht die ziemlich schnell durch. Ich gehe ins Bad und rasiere meinen gesamten Körper, Beine, Schamhaare, Achseln und Augenbrauen, dort, wo Haare stehen sollen, werden die natürlich nur getrimmt. Aber dieser klebrige Schleim in Nase und Rachen – so kann ich ihn doch nicht treffen! So würde das mit Sex mir doch nicht gefallen. Gegen Mittag packe ich meinen ganzen Kram zusammen. Brauche ich mein Übernachtungskit? Im letzten Moment räume ich doch noch meinen Badschrank leer und packe alles in einen extra Beutel, Zahnbürste, Zahnpasta, Kamm, Duschbad, den Rasierer und noch ein kleines Handtuch. Ich hatte ihm schon eine Nachricht geschrieben und schon angekündigt – mich entschuldigt, „Sorry …“ – das wir uns wohl nicht treffen werden. Ich schreibe ihm meinen detaillierten Plan, was ich alles in Leipzig ohne ihn machen werde.

Freitag, früher Nachmittag, mit meinem Auto die Autobahn nach Leipzig. Erst mal ankommen, erst einmal ein Kaffee irgendwo trinken, vielleicht in der Innenstadt einkaufen, dann zu dem Konzert nach Connewitz fahren. Ich habe mein Kaftan-Kleid an, es ist nicht schwarz, aber es passt super zu der schwarzen Lederjacke. Es wird ein Punk-Konzert, die Pikes-Stiefeletten in der schwarzen Leggings mussten unbedingt auch noch zu dem Outfit kombiniert werden.

Mein Auto parke ich in dem großen Parkhaus an der Oper, Kaffee trinke ich gleich schräg gegenüber bei dem Bäcker dieser Kette in ganz Leipzig. Der Himmel hat sich verdunkelt, ein kurzer (Gewitter-)Schauer. Es sind ungewöhnlich über dreißig Grad diesen späten Frühlingstag. Weiter durch die Läden, er hat mir eine Nachricht geschrieben, er wirkt so enttäuscht mit diesen zwei, drei Wörtern. Egal, was er schreibt, ich kann ganze Dramen darin hineininterpretieren. Ich muss etwas kaufen, wird es mich aufheitern?

Der erste Schuhladen, nichts, was ich brauche, nichts, was mir gefällt. Das nächste Luxus-Kaufhaus – ich mit meiner Stammkunden-Mitgliedskarte – die Regale mit den Frühlingsangeboten sind mager ausgedünnt. Ich suche nur dieses schwarze Kleid, welches ich mir von einer Designer-Marke Mitte der Zweitausender gekauft habe. Wann wird dieser Schnitt endlich wieder modern sein? Der Schnitt der knappen Polizeiuniformen der späten Achtziger und Neunziger Jahre im amerikanischen Fernsehen für hübsche und toughe Polizistinnen. Auch das nächste Kaufhaus im höheren Preissegment hat so etwas nicht, die Zeit ist noch nicht wieder reif.

Der nächste Laden gleich daneben, italienische Unterwäsche, irgendwo anders günstig fabriziert. Der schwarze Sport-BH, den ich zum Motorradfahren trage, ist eine ganze Nummer kleiner eingelaufen. Ich erkläre der Verkäuferin meine ganzen Anforderungen: ohne Bügel, ich will den BH unter der schweren Motorradjacke tragen, breite Träger, Vollschale, gut gepolstert, abfedernd gegen Stöße vom Asphalt, fester Halt und leicht und angenehm und flache Textur – und in Schwarz. Mikrofaser, Funktionsunterwäsche für Motorradfahrerinnen. Die Verkäuferin zaubert einen BH hervor, der all meinen Anforderungen entspricht. Zwei Größen, in M und in S. Ich verschwinde in der Anprobe, gefühlt ewig lange, fast ist es schon 19 Uhr und die machen gleich den Laden zu. Ich entscheide mich für die S, wird sie passen? Die Hautwulst links und rechts unter meinen Achselhöhlen sagt eigentlich nein … aber der in einer Nummer größer saß so bequem locker. Zurück zur Kasse, EC-Karte durchchecken, PIN eingeben, alles in die kleine Papiertüte und viel Spaß noch damit.

Zurück nach draußen, die Uhr am alten Rathaus mitten in Leipzig zeigt 18:45 Uhr. In fünfzehn Minuten ist Einlass auf dem Konzertgelände. Ich habe das geplant, die Band fängt 20 Uhr an, und es spielt nur diese eine Band und das sind ältere, grauhaarige Herren, die machen nicht so lange – spätestens um Mitternacht bin ich schon wieder zu Hause und kann in mein Bett, meine Atemwegsinfektion auskurieren. Quer durch Leipzig, in den Süden.

Meinen Parkplatz, da, wo ich immer parke, wenn ich hier zu einem Konzert bin, alles ist besetzt. So viele Autos, ich muss die Straße noch weiter hinein bis ganz nach hinten fahren. So weit war ich noch nie. Schnelles Make-up, Kajal und Pinsel, im kleinen Spiegel in der Sonnenblende im dunklen Auto. Zu Fuß wieder runter zu dem Clubgelände gleich über die Brücke. So viele Menschen! Ich dachte, die Band will doch keiner mehr sehen, die sind doch uralt, aus den Achtzigern. Selbst ich, als ich die Band 2006 aus den Internet-Sharehostern gekramt habe – wahre Schätze an Kassettenaufnahmen – war damals auch wesentlich jünger, als jetzt. Das Publikum, überwiegend schwarz, Alt-Punks, Alt-Grufts, gelegentlich doch etwas bunt. Mein braun-grüner Kaftan in Zebra- oder Tigermuster passt ganz gut. Hunderte sind da, das Gelände dieses linksalternativen Zentrums ist voll. 20 Uhr soll Einlass sein, eine Flasche Wasser am Stand, ein Brötchen mit Vegan-Falafel. Ticket gegen den Stempel auf der Hand tauschen. Nach und nach gehen alle, und auch ich, in die Konzerthalle.

Vor der Bühne ist ein zweites Schlagzeug aufgebaut – es wird doch eine Vorband geben? Meine Punkerkutte gebe ich an der Garderobe ab, die Bedienung, die eine der beiden jungen Frauen, sie wirkt so wunderschön hübsch, ich bin so irritiert, ich vergesse schon fast meine Kleidermarke mitzunehmen. Verträumt weggucken, Blickkontakt vermeiden, alles andere wäre auch total sexistisch.

Es dauert bestimmt noch eine Stunde, bis alles losgeht. Mein Platz oben auf der Empore, die Treppen hoch, alles ist schon besetzt. Irgendwo hier habe ich 2015 mal einen Joint geraucht. Die Notausgangstür hinter mir zu der Raucherinsel draußen ist offen. Es ist noch taghell.

Die Vorband fängt an, zu spielen, von meiner Position an den Sitztreppen, etwa einen halben Meter über den normalen Boden, gleich neben der Garderobe, habe ich einen guten Blick auf die Vorband inmitten des Publikums in dem großen Raum vor der Bühne. Was ist das? Fusion-Punk? Math-Core? Das Schlagzeug verbringt wahre Wunder an Tempowechseln und unterschiedlichsten Zähl-Stilen. Ich gebe es auf, mitzuzählen. Die haben das drauf, leider kann ich nicht genau erkennen, wer das ist.

Die Pause dazwischen, einmal auf die Toilette, die ohne Pinkelbecken, einmal nach draußen, neues Wasser kaufen, es ist dunkel geworden. Wieder drin, ich beobachte von meiner erhöhten Position, was auf der Bühne passiert. Als es dann wirkt, als könnte es gleich losgehen, klettere ich von der Empore runter. Ich will mitten hinein in das Publikum, ich will die ganze Band spüren, all die Energie, all den Punk! Die Band fängt an, es sind die alten Herren. Sie spielen ihre Stücke, so viele Stücke, die ich gar nicht kenne. Einige langsame Lieder, sie lassen mich versinken, ich wiege mich in den Rhythmus. Dann wieder die schnellen Stücke, irgendwann bildet sich in den vorderen Reihen vor der Bühne dann doch eine Pogo tanzende Masse … zu interessant, die grauhaarigen Alt-Punks. Ich mehrere Reihen davon entfernt, meine Stücke sind das nicht, ich bin nur hier für die ganz langsamen, schwermütigen Stücke. Aus meinem Gesicht verschwindet jede Falte an Emotion, ich will das so, ich schließe meine Augen, ich bin wieder das Suicide T-Girl von 2006, das mit dem ultra viel Make-up, den halben Zentimeter an schwärzestem Kajal rund um die Augen und den ganzen obskuren Kram in der Bude in dem Studentenwohnheim, die Kerzen, die Miniaturschädel, die ganzen Gothic und Düster-Punk-CDs!

Die Band geht nahtlos in die Zugabe über, ein paar alte Titel wurden gespielt. Ich will schon meine Lederjacke von der Garderobe holen, als sie doch wieder die Bühne betreten und doch noch zwei, drei Titel mehr spielen. Erst jetzt bin ich dicht dran an der Pogo-Masse, geschützt auf meiner Empore wieder einen halben Meter darüber. Weiter nach der Zugabe zum Merchandise. Ich drehe jede CD und jede Platte um, doch mein Lieblingstitel ist nirgendwo drauf. Die alten Stücke, sie wurden auch gespielt, ich habe sie erkannt, aber die Tonträger – die Band verkauft nur im Eigenvertrieb – sie sind bestimmt schon ewig ausverkauft. Vielleicht nutzen sie die Konzerteinnahmen, um mal wieder ein Re-Re-Release herauszubringen.

Wieder draußen, alles setzt sich in Bewegung, zu gehen. Draußen, die Bar ist geschlossen, drinnen, ich kann nur noch den Pfand für meine Flasche zurückbekommen – kaufe ich mir die nächste Flasche Wasser eben, wenn ich ortsausgangswärts noch tanken muss. Es ist wenige Minuten vor Mitternacht – es hat doch etwas länger gedauert – demonstrativ ziehe ich meine Punkerkutte inmitten des aufbrechenden Publikums über, zurück nach draußen, das Tor des Geländes, die Straße, die Brücke, die andere Straße, noch ewig weit latschen bis zu meinem Auto. Übliches Leipziger Kopfsteinpflaster, die Absätze meiner Stiefeletten knallen auf den Boden, es muss geregnet haben, es ist überall nass.

Mein Auto erreiche ich. Die Jacke auf den Beifahrersitz, eine zweite Flasche Wasser habe ich hier irgendwo noch. Ich suche das Smartphone in meiner Handtasche … wird er mir eine Nachricht geschrieben haben? Er hat … schon zwei Stunden zurück. „Och Mann!“ Ich gerate in einen Konflikt, antworte ich ihm? Vielleicht ist er schon längst eingeschlafen. Ich kann ihn doch nicht treffen, ich bin doch erkältet. Zu egoistisch, um all die Konzertbesucher vor mir anzustecken, zu vorgeschoben fürsorglich, um nicht ihn anzustecken. Vielleicht renne ich einfach nur vor ihm weg, vielleicht reagiert mein Körper so, vielleicht werde ich immer krank, wenn ich ihn sehen könnte, um ein Treffen zu vermeiden, antwortet mein Körper, um meine Seele zu beruhigen … aus Angst, ich könnte ihm begegnen und mich in einer tiefen und bedingungslosen Liebe zu ihm zu verlieren. Ich starte den Motor, fahre die nächtlichen Straßen quer durch Leipzig, der Schein der Laternen in dieser schwül warmen und erkalteten Nacht. Zu viele Umleitungen, ich verfahre mich, ich muss am Straßenrand halten und mein Navi am Smartphone einschalten, da bin ich schon weit draußen, irgendwo in Gohlis.

Ich will auf die B2, irgendwo bei Eutritzsch. Einige Stellen und Kreuzzungen erkenne ich wieder, ich war hier schon einmal. Dann der Baumarkt, die eine Straße am Ortsrand von Leipzig. Irgendwo hier hat er mal gewohnt, irgendwo hier wird er vielleicht wieder wohnen? Ich schaffe es auf die B2 nach Leipzig raus, die Tankstelle ist nur ein paar hundert Meter hinter dem Ortsausgangsschild. „Keine Toilette“, die Frau am Nachtschalter, bei der ich meine Tankfüllung bezahle, verneint meine Frage. Dann irgendwo dahinten in das Gebüsch. Ich muss dringend. Das ist die Tankstelle, bei der er immer seine Zigaretten geholt halt … seine Wohnung ist da gleich. Ich könnte ihn auch anrufen. Ich entferne mich von meinem Auto und laufe das Tankstellengelände ab. Einige Trucker parken ihre schweren Laster hier. Zu interessant, der kleine Trampelpfad, die kleine, lichte Stelle im hohen Gebüsch, es wirkt wie eine Cruising Area. Das feuchte Gras, der Schein der Laternen von der Straße gleich nebenan, nicht unweit von dem Hotel, wo ich sonst immer übernachtet habe. Wir haben so viele Stunden in diesem Hotel verbracht.

Wieder zurück am Auto im Schein neben der Zapfsäule, noch einmal um das Auto herumspringen, ich habe den Eimer mit dem Scheibenwischwasser entdeckt. Zu merkwürdige Gestalten geistern hier durch die Nacht. Weiter auf die zweispurige Schnellstraße. Weiter auf die dreispurige Autobahn. Gewitter am Horizont, zuckende Blitze in den Wolken weit entfernt. Meine Fahrt bleibt trocken, nur die Gischt der nassen Straße auf meiner Scheibe, wenn ich mich an die vereinzelt und langsam fahrenden Autos heranpirsche, Verkehr ist nur auf der Gegenfahrbahn, die endlose Kette an LKWs.

Ich fahre meine hundertdreißig mit Tempomat. Im Autoradio auf dezenter Lautstärke eine andere deutsche Goth- und Punkband, schon in zweiter Wiederholung. Gedanken … warum renne ich vor ihm weg? Warum renne ich vor jedem weg! Ich muss hässlich sein, meine Theorie, wie und warum ich auf Festivals, Konzerten und Diskos niemals angesprochen werde – und all die Männer, die es doch tun, so viele waren es gar nicht in meinem Leben, sie müssen sich geirrt haben, das hätte gar nicht passieren dürfen. Niemand interessiert sich für mich, ich gehöre zu den „hässlichen“ Menschen. Ich baue mir mein Vermeidungs-Konstrukt zusammen. Das, was ich im Spiegel sehe und das, was andere sehen, sind zwei vollkommen unterschiedliche Bilder! OK … das, was ich von mir im Spiegel sehe, das ist mein inneres Ich, eigentlich … ganz hübsch, so wie ich innen bin, meine Seele und wie ich zu den zehn Prozent auf dieser Erde lebenden, niemals böswilligen und naiven Menschen gehöre, aber mein äußeres Ich, mein Erscheinungsbild? Nur einmal habe ich mich in einer dunklen Disko in einem großen Spiegel nicht selbst erkannt.

Die Viertelstunde vor der vollen Stunde, ich schalte den Tempomat aus, ich verlasse die Autobahn, sie hört einfach auf. Kurz vor zwei Uhr, ich biege ein in die Einfahrt kurz vor meiner Garage irgendwo in einem Provinzkaff in Sachsen-Anhalt. Aussteigen, meine Jacke schnappen, meinen Einkauf und meinen „Übernachtungsbeutel“ aus dem Kofferraum holen. Garagentor über die Funkfernbedienung am Autoschlüsselbund schließen. Das Hoftor aufschließen, die Haustür öffnen, „Schleich, schleich, schleich“, leise säuselnd, der Hund bellt nicht, Eltern weiter schlafen lassen. Hoch zu meiner Wohnung. Wieder alles auf meine Couch im Wohnzimmer werfen. Kurz ins Bad, die Abschminktücher … ich sehe furchtbar aus. Das aufgepinselte Make-up, viele Stunden zurück in dem dunklen Auto, ist katastrophal ausgefallen. Merken, niemals im dunklen Auto im winzigen Kosmetikspiegel der Blende überhastet ein Make-up dahinpfuschen. Abgeschminkt mit dem Rest Hauch Kajal in den Wimpern sieht immer besser aus. Alle Fenster öffnen, kurz runterkühlen, mit Ohropax dann kurz nach 2:30 Uhr schlafen legen. Ich schlafe mit angekippten Fenster, das macht sich besser mit der verstopften Nase. Straßenlärm rechts (vorbeiziehende LKWs), Fabriklärm links (Agrar-Futterfabrik auf Turbo-Lärmstufe).

Den Sonnabendmorgen, mein erster Griff geht zu meinem Smartphone neben meinem Bett, er hat mir keine weitere Nachricht geschrieben. Aber meine Arbeitskollegin, wir haben uns mal über unsere Beziehungsprobleme unterhalten und wie wir das so definieren. Für meinen besonderen Fall gibt es ein paar englische Begriffe: Casual Arrangement und Emotional Ghost … letzteres trifft es eigentlich genau. Aber ich bin mir nicht so sicher, wer von uns beiden, er oder ich, der Geist ist. Wir fliehen beide voneinander und kommen trotzdem mehr als zehn Jahre später nicht voneinander los.

Ich stehe auf, eigentlich ist es schon Mittag. Meinen Kram zusammenräumen, meinen neu gekauften BH anprobieren und mit meinen anderen BHs vergleichen … eigentlich ist er zu eng, ich hätte doch den in einer Nummer größer kaufen sollen, er ist kleiner, als alle meine anderen BHs und genauso eng, wie der eingelaufene BH, den dieser ersetzen soll. In Leipzig gekauft in einer Kette an Unterwäscheläden, wie sie in ganz Deutschland in den unterschiedlichsten Großstädten existieren. Auch in Magdeburg. Kurz entschlossen fahre ich den Nachmittag in diese Filiale in dem örtlichen Einkaufszentrum (ja, das mit der Arztpraxis) und tausche ihn dort anstandslos um. Es ist kein Problem, die resolute Verkäufern scannt den Barcode auf der Quittung ein, greift in eine Schublade, zaubert den exakt selben BH in einer Nummer größer heraus und ich kann glücklich und zufrieden wieder gehen. Noch ein Eis und einen Kaffee draußen in der Eisdiele mit dem Springbrunnen und der im Kreis schwimmenden Ente und dann wieder zurück nach Hause, meinen Einkaufsbeutel mit dem BH auf meiner Couch ablegen und mich darüber freuen, als hätte ich nie einen Fehlkauf getätigt, als hätte ich die ganze Zeit schon den BH in der passenden Größe gehabt. Alle Chatnachrichten mit meinem Freund sind auf sieben Tage eingestellt, dann verschwinden sie wieder … als hätten sie nie existiert, als wären sie nie geschrieben worden.

[01.05.25 / 01:02] Nach zwei Monaten Arbeit, die ganzen Nächte durchprogrammiert und das Cascading-Stylesheet hin und her geschubst: das neue Design ist online. Die Release-Version meines Content-Managing-Systems springt von "2018" auf "2025" … so viele Jahre habe ich da nicht mehr so umfangreich herumgebastelt (nur Bugfixes). Hoffentlich existiert mein Konto und Repository bei GitHub noch … ?

[21.04.25 / 02:52] Die Arbeit an einem neuen Stylesheet für meine Internetseite ist doch umfangreicher, als gedacht … es zieht sich hin, schon seit anderthalb Monaten. Absätze mit Texteinrückung, gleich ein neues, dreispaltiges Layout, vielleicht noch mit einem Bereich für das neuste Bild und die neuste Galerie? Anpassungen am Quellcode, neue Datenbankabfragen, das Design macht einen Sprung von 2011 auf 2015. Und dann noch die responsiven Media-Queries … noch einmal zehn bis elf komplett neu aufgearbeitete Cascading-Stylesheets.

Schlaflose Nächte die letzten Wochenenden. Es fällt komplett herunter, dass ich auch noch ein anderes Leben, als das vor dem Computer, habe. Die Touren mit den Arbeitskollegen nach Thale und nach Wernigerode, Ende März und Anfang April. Die anderen Arbeitskollegen planen auch schon wieder eine Motorradtour in den Harz … schlimm, kauft sich einer einen neuen Helm, muss ich auch gleich nachziehen und einen Nachfolger für meinen 18 Jahre alten Jethelm im Internetshop des örtlichen Motorradzubehörhändlers bestellen (es wird ein schicker Carbon-Klapphelm).

Wenigstens für das Motorrad in der Garage bleibt an diesem arbeitsreichen Osterwochenende noch eine kleine Pause – es springt problemlos nach der Winterpause an … den Trick mit dem Super-Plus-Benzin im Tank die lange Standzeit, muss ich mir merken.

Kalender ist voll: Gothic-Festivals, Biker-Treffen, noch mehr Touren.

[31.03.25 / 22:09] „Transgender Day of Visibility“ – und ich habe das Gefühl, ich bin unsichtbarer als jemals zuvor.

Die Regenbogen-Emojis sind weg, die Regenbogenflagge hinten an meinem Auto ist weg. In den Nachrichten wird auch nicht mehr davon berichtet, ich spüre, die ganze Welt nimmt Abstand von dem „Trans-Wahnsinn“. Schön für mich, schön für uns. Aus der Schusslinie verschwinden, nicht auffallen. Ein normales Leben leben … Endlich Rentenversicherungsbriefe bekommen, die mich wieder als „Frau“ adressieren!

[14.03.25 / 21:26] Deep Stealth … es hat nur wenige Sekunden gedauert, ein paar Klicks in dem Profil auf der Porno-Seite und die vier Teile meines vor zwei Jahren hochgeladenen Amateur-Erotik-Filmchens sind komplett verschwunden. Noch ein paar weitere Änderungen in dem Profil, Texte entschärfen, Texte löschen, das Thema trans nicht mehr erwähnen, nur das Geschlecht „transsexuell“, das ich bei der Anmeldung mal angegeben habe, ist fest und nicht veränderbar. Ich werde das Profil nicht mehr lange halten und in nächster Zeit komplett löschen. Bis dahin kann ich da noch zwei Friedhofsbilder von mir als „Gothic Girl“ für Zehn Cent verkaufen.

Das Video von mir, in dem ich mich auf meiner Leopardendecke im dunklen Schein der Nachttischlampe räkele, ich konnte tatsächlich jeden der vier Teile je ein oder zweimal verkaufen, aber die Auszahlgrenze von 50 Euro habe ich nie erreicht. Dafür haben sich einfach viel zu wenige für meine Inhalte interessiert, so alle paar Monate vielleicht einer.

Mein Experiment, ich hatte da so eine Theorie: Wieso werde ich in Bars und Diskotheken, wenn ich die Nacht ausgehe, so selten von Männern angesprochen, bin ich vielleicht zu hübsch und die trauen sich nicht? Oder bin ich einfach wirklich zu unattraktiv und uninteressant? Finde es heraus … Ich stelle ein Porno-Video von mir online ins Internet, auf einer Porno-Seite – jeder Mann kann dort ohne Angst draufklicken, das Hemmnis, mich anzusprechen, ist vollkommen eliminiert!

Niemand klickt die Videos an. Ein vernichtendes Fazit. Ich muss vollkommen unattraktiv und uninteressant sein. Ich bin in etwa so attraktiv, wie eine Badfliese, hübsch anzusehen, aber hat mit Sex überhaupt nichts zu tun. Damit kann ich mir gleich, wie jeden Abend, dieselben bestätigenden Blicke im Badezimmerspiegel zuwerfen. Ich entferne mich immer weiter von den Gedanken, Sex und Beziehungsmomente in meinem Leben einzubauen.

Die letzten beiden Männer haben einfach zu viele Fragen in die Richtung gestellt und einen Verdacht aufkommen lassen. Meine Tarnung gebe ich nicht auf, bevor es kritisch wird, verschwinde ich einfach, antworte nicht mehr auf ihre Textnachrichten, treffe sie nicht mehr. Deep Stealth zermürbt. Deep Stealth ist eine harte Entscheidung. Ein einsames Leben.

[14.03.25 / 21:25] Meine Idee, komplett auf „Deep Stealth“ zu gehen und was ich lange mit mir herumgeschleppt habe: die Sozialversicherungsnummer – die Versicherungsnummer für die Rentenversicherung, das Zahlenkürzel ganz hinten, es stand noch auf „männlich“ kodiert. Meine Bedenken, die mich bis jetzt davon abhielten: wenn ich die Nummer ändern lasse, verschwinden dann alle meine eingezahlten Beiträge und ich fange ich dann wieder bei Null an? Eigentlich unwahrscheinlich, aber die ganzen Jahre, nach 2016, habe ich mich nicht getraut, einen Antrag zu stellen.

Jetzt muss es sein, das Umgebungsfeld wird ungemütlicher, ich lebe mitten im Osten – das ist „A#D-Kernland“. Alles, was irgendwie noch darauf hin deutet, dass ich trans sein könnte, muss verschwinden. Die genannte Nummer, die nie getauschten Diplomurkunden (die nie einer sehen wollte) und alle Regenbogenflaggen und -emojis, die ich überall im Internet in diversen sozialen Profilen und Chatgruppen hinterlassen habe. Ich fange mit der Versicherungsnummer an, damit auf Arbeit, oben in der Etage bei der HR, niemand auch nur auf den Gedanken kommen könnte, irgendetwas zu fragen oder anzudeuten … Gerüchte verbreiten sich auf die Großraumbüros eine Etage tiefer.

Meine erste Anfrage auf Nummernänderung mache ich in einem Kontakt-Formularfeld auf der Internetseite der Rentenversicherung, das erstbeste Eingabefeld, das ich finden konnte … ob die HTML-Posts auf der anderen Seite überhaupt jemand liest? Den Text, den ich da hineingetippt habe, er klingt wie von einer Verrückten geschrieben, irgendetwas mit „Namens- und Geschlechtsänderung“. Ein Mausklick, keine Bestätigung, nichts. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt den richtigen Button zum Absenden gedrückt habe.

Warten … eine Woche später, ich stöbere noch einmal auf der Seite der Rentenversicherung nach anderen Formularfeldern, dieses Mal finde ich etwas, was mir mehr verspricht, eine Unterseite, bei der ich Anfragen ohne Anträge stellen kann. Ich schreibe einen neuen Text, kurz und präzise. In einem Feld muss ich meine alte Nummer eingeben, damit meine Anfrage mir auch zugeordnet werden kann, dafür bekomme ich auch eine automatische Bestätigungs-Mail nach dem Absenden. Mit Erfolg, kurz darauf wird mir in einer weiteren Antwort-Mail mitgeteilt, ich soll meinen alten Beschluss zur Vornamens- und Personenstandänderung noch mit hochladen (den hattet ihr doch 2016 oder 2017 schon), alles weitere wird dann bearbeitet.

Eine weitere Woche später, mein neuer Versicherungsnachweis kommt als Brief bei mir an. Gespannt reiße ich das Kuvert auf und ziehe das Papier heraus: das Zahlenkürzel der Nummer deutet jetzt endlich auf „weiblich“ – und ich habe den ersten Buchstaben von meinem Geburtsnamen ändern lassen, den von der allerersten Geburtsurkunde (ich habe drei) … für meine Legende, warum ich meine Versicherungsnummer habe ändern lassen: „Damit niemand mitbekommt, dass ich adoptiert bin.“ Schön ablenken, von dem eigentlichen Grund (das Zahlenkürzel).

Deep Stealth … was macht das mit mir? Keine Regenbogenfahnen mehr, keine Transgender-Flaggen mehr, von allem Abstand nehmen, was mich kompromittieren könnte. Mittlerweile zehn Jahre an Hormone, mein Stimmtraining jeden Morgen im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Dort werde ich von den weiblichen Kolleginnen schon mit in die Gespräche hineingezogen, wie meine „Periode“ den so war. Ja, die Schmerztabletten nehme ich auch … und die Slipeinlagen liegen auch bei mir im Badschrank herum, falls mal wieder eine süffende Entzündung dort unten in der Harnröhre ist. Selbst der YouTube-Algorithmus will mir Damenprodukte für die Monatsblutung verkaufen und ist überzeugt davon, dass ich durch und durch eine Bio-Cis-Frau bin. Eigentlich ein ganz guter Start … würde es mir nicht so schwer fallen, mich von meiner 2SpiritsLGBTQIA+-Identität zu trennen.

[10.03.25 / 23:12] Mit dem Zug über Magdeburg und Dresden, nach Prag. Das Wochenende mit dem internationalen Frauentag im März. Donnerstagabend angekommen, den kurzen Weg vom Prager Hauptbahnhof, die Innenstadt, zum Hotel. Unser ursprünglich gebuchtes Zimmer zur Straßenseite, mit der großen Aussicht auf die prachtvolle Allee, bekommen wir nicht, unser neues Zimmer ist das den dritten Turm, bzw. zweiter Hinterhof, ganz oben, letzte und sechste Etage, mit Ausblick auf die Rückseite … so ganz unglücklich sind wir damit nicht. Auf der anderen Seite, die mit der Allee, dort wird gebaut – und unser „Pent House“ hat eine riesige Terrasse mit wunderschönem (und ruhigem) Ausblick auf die Dächer von Prag und die Altstadt mit ihren vielen Kirchtürmen. So gut schlafe ich sonst nicht in einem Hotel.

Freitag, nur zwei volle Tage sind für diese Reise gebucht, ein straffes Programm. Den entspannten Morgen nach dem üppigen Frühstück unten im Hotel, geht es mit einem Faltplan bewaffnet, auf die erste Erkundungstour in die nicht unweit gelegene Prager Altstadt. Der Weg ist von der Rezeptionistin aufgekritzelt: gleich rechts, dann wieder links und nach wenigen Gehminuten, da muss es sein, das Mucha-Museum.

Wunderschöne Art déco und Jugendstilbilder, der sehr mondäne und tschechische Künstler aus der Jahrhundertwende trifft unsere Emotionen. Ich kann mich in der kleinen Ausstellung gar nicht satt sehen. Die Reklamebilder, die Schrift fällt mir ins Auge – genau diese Art von Jugendstil-Schrift habe ich – ohne es zu wissen – vor Jahren schon für meine Website verwendet (ich baue gerade an einem neuen Stylesheet).

Weiter in den Museumsshop, das eine oder das andere Wandbild? Ich kann mich nicht entscheiden … keines der beiden wird wohl an meine purpur-violette Wand in meinem Wohnzimmer passen (außer vielleicht das in Mint, aber das weiß ich nicht). Ich kaufe nur zwei Magneten, für die Kunstgalerie am Kühlschrank … zwei gleiche Motive, eines als Leihgabe an die kunstinteressierte Verwandtschaft. Meine Begleitung lässt wesentlich mehr Geld an der Museumsshop-Kasse.

Weiter den späten Vormittag, zu der Astronomischen Uhr – die mit dem Sensenmann, der die Glocke läutet, der zweitwichtigste Punkt auf meiner Liste, was ich alles in Prag sehen will. Auf dem zentralen Platz angekommen, ich reihe mich ein, in die immer umfangreicher werdenden Touristenmassen … ich zücke mein Smartphone … gleich schlägt es elf Uhr. Ich mache schon vorher Probeaufnahmen. Meine Begleitung, die schon mindestens dreimal in Prag war, sitzt währenddessen weiter hinten und trinkt einen Cappuccino in dem sauteuren Café.

Weiter durch die Innenstadt … ganz Prag ist ein einziger Souveniershop. Wir haben es vorher gewusst, auf was wir uns da einlassen. Aber so extrem? Freitag, ganz früher Nachmittag, es hält sich mit dem Touristenstrom noch in Grenzen. Mehrere Souvenirläden gehen wir durch, die Verwandtschaft möchte beschenkt werden. Ich hätte ja auch gerne so eine Tasse für mich, die mit dem „kleinen Maulwurf“, in einigen Motiven sind auch alle seine Freunde mit dabei, Hase, Maus und Igel … aber die (wahrscheinlich in riesiger Menge in Fernost hergestellten) Tassen gibt es nur in Kindergröße. Alle Souvenirläden haben die. Als Kaffeepott für erwachsene Kinder gibt es die nicht.

Von Laden zu Laden, „Antikwaren“, Kosmetik, Glas – wir nähern uns der Brücke. Der Touristenstrom wird zahlreicher, wir verlaufen uns dennoch, auf der Suche nach einer nicht ganz so frequentierten Seitengasse. Das Smartphone wird allerhöchstens zur Lokalisation verwendet, wir vertrauen weiter „oldschool“ unseren Faltplänen.

Die große Karlsbrücke erreichen wir, aber rübergehen tun wir noch nicht, das sparen wir uns für morgen auf. Ein Foto vom Rand, mit Blick auf die Brücke und die Moldau. Wir gehen weiter ins jüdische Viertel.

Alter Jüdischer Friedhof, Prag

Zu Hause habe ich mir schon überlegt, was will ich mir alles ansehen. Fahre ich alleine nach Prag, auf jeden Fall den großen, neuen jüdischen Friedhof. Der muss so schön sein, wie der in Wien, oder der Südfriedhof in Leipzig, mit den Jugendstilgräbern. Ich bin aber nicht alleine unterwegs, ich bin in Begleitung (oder ich bin die Begleitung) – für mich gibt es auf diesem zweitägigen Kurztrip nur den Besuch des alten jüdischen Friedhofs. Nett … Synagoge und Friedhof sind eingezäunt und nur über eine Kasse erreichbar, hält gleich die ganzen Sauf- und Eventtouristen ab. Tatsächlich verbringe ich unendlich viel Zeit zwischen den Grabsteinen und mache den Nachmittag unzählig viele Fotos. „Efeu! Wie hübsch! Sonnenstrahlen, der leichte Nebeldunst.“ Zurück zu Hause muss ich unbedingt alles in Schwarz-Weiß färben. Außer mir hat sich auf diesen Friedhof nur eine jüdisch-orthodoxe Reisegruppe eingefunden, wahrscheinlich aus den USA … wahrscheinlich New York. [Mehr Bilder in der Galerie.]

Die eine Synagoge am Friedhof war noch ganz interessant. Viele Namen als Inschriften, der in den Konzentrationslager Verstorbenen. Ich suche die alphabetisch sortierten Nachnamen ab, nichts, was irgendwie auf die eigene Familie zurückführen könnte, da ist niemand jüdisch … nur so alte Schwarz-Weiß-Fotos mit Männern in Uniform, im besten Fall tragisch und jung gefallene Wehrmachtsoldaten, hier und da ein paar eingeheiratete Bonzen mit Hakenkreuzbinde am Arm. Puh … Ich bin das schwarze Schaf, antifaschistisch … und als trans Frau wäre ich damals gleich als erste mit „abgemurkst“. Wenn es nicht gerade so beschissen wäre, mit dem Erstarken des neuem Faschismus in Europa … dieselbe Scheiße fängt wieder von vorne an. Ich gehe auf jeden Fall als erste ins Exil, die vielen toten Juden um mich herum mahnen mich.

Eine weitere Synagoge, über die paar Straßenzüge des alten jüdischen Ghettos, zurück zum Zentrum der Prager Altstadt. Wieder der Uhrenturm als Wegpunkt. Ein Kaffee irgendwo, ein Stück Kuchen. Nicht da, wo die Touristen sitzen, immer ein paar Meter entfernt auf versteckten Innenhöfen.

Abendessen gleich unweit zurück am Hotel. Mein Outfit für diesen Trip habe ich lange überlegt: das schwarze, langärmelige Kleid, das ich eigentlich das letzte, ausgefallene Konzert trage wollte, die superbequeme, schwarze Yogahose und meinen anthrazit-grau-schwarzen „Kuschelmantel“ – das olivgrüne Innenfutter, auch „Übergangsjacke“ genannt, ziehe ich auf dem Weg zum Restaurant gleich mit an … nach Sonnenuntergang wird es spürbar kühler die frühen Märztage.

Ein tschechisches Restaurant, mit Knödeln und Fleisch. „What's inside this? Is it pig or ham? No pork please.“ Es wird schwierig, aber sie haben auch Rind ohne Schweinespeck. Ich esse alle Tiere, außer Schwein, die sind dem Menschen zu ähnlich (auch nicht Elefanten, oder Delfine, oder Gorillas, vielleicht noch nicht einmal Hunde und Katzen … aber Kuh ist OK). Begraben unter einer riesigen Schicht an Senfsoße, zweierlei Knödel, Meerrettich und bittere Beerenmarmelade, nur der riesen Eisbecher als Nachtisch war vielleicht etwas zu viel. Zurück auf das Hotelzimmer, die Nacht werde ich nicht ruhig schlafen, der Magen muss arbeiten.

Der Sonnabend, der achte März, der Frauentag. Wieder ein üppiges Hotelfrühstück, Brötchen, Croissants, Pfannkuchen, Obst und Obstsalat, Joghurt, Kaffee und Fruchtsaft. Die italienische Reisegruppe, die den letzten Vormittag zuvor den Kaffeeautomaten in Beschlag genommen hat, ist immer noch da. Ich würde doch niemals auf die Idee kommen, „Filterkaffee“ trinken zu wollen.

Wieder raus in die Prager Altstadt, Faltplan und Smartphone, orientiert an den paar einzelnen Sehenswürdigkeiten. Unser Ziel für heute: die Karlsbrücke und die große Burg dahinter, die wir von unserer Hotelzimmerterrasse nicht sehen können. Der Besucherstrom, man merkt es an, es ist Wochenende und schönstes Wetter, alle Einheimischen machen genau das und besuchen Prag. Hier und da ein paar deutsche, englische, spanische und italienische Stimmen. Wenig später, oben auf der Brücke … Menschen, voller Menschen, ich kann die Brücke schon gar nicht mehr sehen. Aber ich bin optimistisch, es ist kurz nach zehn Uhr den späten Vormittag – garantiert werden wenige Stunden später noch viel, viel mehr Menschen kommen (was auch so passieren wird). Selfies mache ich keine. Hier und da gelingt mir ein Foto ohne Menschen. Für ein schönes Motiv muss ich später in einem Souvenierladen eine historische Postkarte suchen.

Weiter den anderen Teil der Altstadt, den auf der anderen Seite der Moldau hinauf, zu der großen Burganlage. Folgen wir dem Touristenstrom? Wo gehen die überhaupt hin? Die Faltkarte zeigt ganz klar die kleine Seitengasse rechts. Wenig später stoßen wir auf die Treppe mit den über zweihundert Stufen den Berg hinauf, parallel der großen Mauer der gewaltigen Anlage. Verschnaufpausen bilden interessante Fotomotive zurück.

Ganz oben angekommen, wo ist der beste Punkt mit der besten Aussicht? Weit über Prag, der beste Selfie-Hot-Spot? Ich reiß mich zusammen, der Dunst und die Mittagssonne bilden sowieso keinen schönen Hintergrund. Ganz weit unten, die Karlsbrücke, von der wir gekommen sind. Die vielen Menschen darauf bewegen sich fast gar nicht.

Auf der Burg- und Schlossanlage war früher mal die tschechische Regierung, noch viel früher, die Regenten. Eine große Kathedrale in der Mitte. Das Eintrittsticket gilt auch noch für ein paar umliegende Sehenswürdigkeiten. Auch wieder: alles, was Eintritt kostet, hält auch gleich wieder ein paar Touristen ab. Die große Kathedrale ist dennoch gut gefüllt.

Sitzbänke sind alle abgesperrt, ein Rundgang, riesige Deckenbauten, schon ein sehr beeindruckender, gotischer Sakralbau. Alle Apostel irgendwo an den hohen Fenstergläsern, noch mehr Heilige. Wie das wohl auf die ganzen asiatischen Reisegruppen wirkt? Ich erkunde die Kathedrale für mich alleine, meine Begleitung kommt erste gegen Ende mit dazu.

Wieder draußen, der nächste romanische Sakralbau, ganz interessante Deckenfresken. Noch viel interessanter wird es in der kleinen „Handwerkergasse“, man merkt es, die deutsche Sprache ist hier nicht fremd, das war alles mal irgendwie Österreich-Ungarn, ein Viel-Völker-Gemisch. Winzige Häuschen, mit winzigen Zimmern hübsch eingerichtet. Wir verlaufen hier so viel Zeit, es kommen immer mehr Besuchermassen hinzu. Spät nach Mittag, wieder hinaus, auf die Burganlage, weitere Panoramablicke … endlich Zeit für Sonnencreme für mich, und wieder hinunter zur Altstadt diesseits der Moldau. Wir nehmen den langen Weg über die Kopfsteinpflasterstraßen.

Mittagessen irgendwo in einer Pizzeria mit Balkonterrasse … es war für einen Moment so schön ruhig, bis eine spanische Großfamilie mit Kind und Kegel die Pizzeria in Beschlag genommen hatte. Früher Nachmittag, auch draußen wird es unangenehm voll.

Das kleine Kunstkaffee unten nicht unweit dem Eingang zur Brücke, alles, was die Touristen nicht sehen können, auch wenn es nur wenige Meter auf einem Innenhof verborgen liegt, ist nahezu leer! Winzige Ruheoasen. Veganer Kuchen und schaumig aufgeschlagener, grüner Matcha-Tee. Jeder Innenhof mit Schatten ist bei diesem sonnigen Frühlingswetter aber auch arschkalt. Ich trage durchgehend meinen Wollmantel, die kleine, schwarze Handtasche hält mit ihrem Gurt alles zusammen.

Wieder zurück auf die Brücke, zurück auf die andere Seite von Prag, die mit der Altstadt, den Hotels, den imposanten Jugendstilgebäuden. Hinwärts sind mir schon ein paar Art-déco-Säulen aufgefallen, die Paläste der Banken, die Paläste der Hotels, mit Restaurants, Cafés und Tanzkellern. Diese Stadt ist es wert, ein zweites Mal besucht zu werden, mit einer Tour durch all die architektonischen Juwelen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Eine weitere Einkaufstour, Kosmetik und Accessoires … entweder dieser späte Nachmittag oder den zuvor, meine Handtasche ist von Coccinelle – die erste hatte ich in Rom gekauft, die zweite in Florenz. Der kleine Laden hier in Prag, nur durch Zufall daran vorbeigelaufen, ich kann dem Markennamen nicht widerstehen. „Lass uns reingehen …“ Das kleine, flache Portemonnaie, das optisch perfekt zu meiner Handtasche passt, das muss es sein. Das Kaufhaus in Leipzig hat die auch, immer wieder schlich ich daran vorbei … Kaufe ich sie mir? Hier in dem Laden muss es passieren, ich habe meine Prepaid-Kreditkarte mit 250 Euro aufgeladen, ich tippe meine Geheimnummer in das Bezahlterminal an der Kasse. Endlich eine kleine Kartentasche, für die Innentasche, damit die Bank- und Kreditkarten nicht so unsortiert umher purzeln (tatsächlich gibt es auf Arbeit eine Kollegin, die auch eine Vorliebe für Taschen von Coccinelle hat, ich muss mit ihr konkurrieren und deshalb ein halbes Vermögen dafür ausgeben). Weiter draußen in der beginnenden Dämmerung, die nächsten Läden … für die Strickjacke im dreistelligen Preissegment war von Anfang an nicht genug Geld auf der Kreditkarte angelegt … das mit dem „Aufladen“ soll mich auch gewollt vor weiteren „Spontankäufen“ schützen.

Wieder zurück im Hotel, der Sonnenuntergang auf der Dachterrasse. Wohin dann später? Ausgehen? Eher nicht, das ist doch die letzte Nacht und morgen elf Uhr ist schon Check-out. Vielleicht einfach nur ein Bistro oder einen Döner-Kebab suchen und eine Kleinigkeit essen. Kurz nach 19 Uhr, wieder draußen, die Allee hinauf zum Wenzel – dann wieder hinab, Umdrehen, den gleichen Weg auf der anderen Straßenseite zurück … selbes wiederholt sich. Wir laufen gefühlt mehrere Kilometer, nach dem ganzen Tagesmarsch. Wir wollen keine neumodischen Fast-Food-Restaurantketten, keine Selbstbestell- und Bezahlterminals, die gerade mal nur einen Schlitz für eine Plastekarte haben. Wir wollen einfach nur mit unseren Münzen über einen Tresen greifen und ein Brot oder Sandwich in einer Papiertüte in Empfang nehmen. Hier vollkommen unmöglich. Zu jugendlich, zu modern. Irgendwo in einer Seitenstraße ist noch ein vietnamesisches Bistro, in dem wir mit unserer verschrobenen, altmodischen Art nicht auf ein Befremden stoßen.

Weiter dann wieder zurück den späten Abend auf das Hotelzimmer. Diesen Tag habe ich nur vegan und vegetarisch gegessen, meinem Körper eine Pause geben.

Der nächste Tag, der Sonntag. Der Abreisetag. Wir hätten noch etwas unternehmen können, wir hätten noch einmal eine Tour durch die Prager Altstadt machen können, stattdessen nur ein weiteres, üppiges Frühstück (muss für den ganzen Tag reichen) und Entspannen auf der Sonnenseite der Dachterrasse … die da drüben hatten den letzten Nachmittag noch einen Jacuzzi. Check-out ist dann ganz knapp vor elf Uhr. Nichts im Zimmer vergessen, alles was ich die zwei Tage mit An- und Abreise brauchte, befindet sich in meiner kleinen Sporttasche, die in dem fetzigen, olivgrün-orangen Camouflage-Muster.

Den Weg zurück zum Hauptbahnhof, wenigstens den will ich mir noch einmal ansehen. Auf der Hinreise habe ich mit einem Blick nach oben auf der Rolltreppe schon gesehen, dieser Bahnhof hat auch einen sehenswerten, historischen Teil im Jugendstil. Das ganze Untergeschoss, frequentiert von den Massen an Reisenden dieser Zeit, kam erst viel später dazu. Oben die alten Wartehallen, mit Blick durch die Fenster auf die einfahrenden Züge und Bahnsteige, ein nettes Café, etwas teuer, die winzige Tasse Cappuccino, aber um die Zeit, auf den Zug zurück nach Dresden (und das Elbsandsteingebirge) um halb eins den Sonntagmittag zu warten, schon OK. Große Wartehallen mit viel Dekor … so wie der in Leipzig, selbe Epoche, ähnlicher Stil. Stunden später, den Abend, wieder zurück.

[22.02.25 / 22:40] Nachtrag, zwei Wochen später, ein weiteres Konzert in Leipzig. Ich hatte mich schon so darauf gefreut, ich war mit ihm im Austausch von Chat-Nachrichten, er hätte mir ein Zimmer angeboten, seine alte Wohnung, untervermietet an einen Bekannten … zwei Männer, gleichzeitig? Das Konzert selber, mit anschließender Gothic-Disco, mein schwarzes Kleid, die Stiefel, die Nacht durchtanzen, den Morgen mit ihm verbringen. Und dann wurde ich den Anfang der Woche vor diesem Freitag krank. Mist, verdammte Erkältung. Konzertticket wieder zurückgeben … ein neuer Käufer oder Käuferin findet sich und kauft mir das Ticket im Online-Shop ab, um 0:35 die Nacht von Donnerstag auf Freitag, viel Spaß damit.

[16.02.25 / 20:19] Eine Woche später, der „Winter-CSD“ in Magdeburg. Eine bundesweite Demo, in über fünfzig Städten in Deutschland verteilt, symbolisch den Sonnabend vor der vorgezogenen Wahl, um „11:55 Uhr“. Die Prognosen lassen nichts Gutes erahnen, konservative Parteien und Faschisten in der Mehrheit. In Österreich ist genau dasselbe passiert, die Koalition scheiterte nur an ihrer eigenen Machtgeilheit. Für Deutschland, das sich mitten im Gefüge des weltweiten Abbaus an Schutz und Rechten für die LGBTQIA+-Gemeinde positioniert, sieht die bevorstehende Zukunft düster aus. Das neue Selbstbestimmungsgesetz – gerade mal ein paar Monate alt und für so viele aus meinem eigenen Umfeld überlebenswichtig – soll wieder abgeschafft werden. Reine Wahlkampfpolemik, ein so rechtmäßig etabliertes Gesetz kann nicht so einfach abgeschafft werden, dafür müsste erst wieder ein neues Gesetz über mehrere Jahre den Weg der ordentlichen Gesetzgebung antreten. Die Wähler springen darauf an, weg damit, „Transen“ mag eh keiner.

Die letzten Jahre, die Angriffe der Rechten auf die CSDs, die letzten Monate und Wochen, die Angriffe und Attacken auf Menschenansammlungen und Demos, werden überhaupt noch Menschen an CSDs teilnehmen und für den Erhalt ihrer Rechte kämpfen? Ich erwarte weniger Menschen, bin aber selbst da.

Kurz vor Mittag am Bahnhof in Magdeburg angekommen, viel ist noch nicht los. Ein paar kleine Stände werden aufgebaut, ich gehe die nächste Viertelstunde noch rüber in das Einkaufszentrum, Schuhe angucken.

Wieder zurück, etwas mehr haben sich versammelt. Die Organisatoren des CSDs eröffnen die Veranstaltung und betonen über die Lautsprecher der kleinen Bühne wie wichtig es ist, das nächste Wochenende wählen zu gehen. Der Schock der Europawahl vom letzten Sommer sitzt noch tief, auch da hat das mit dem Wählen so nicht wirklich funktioniert. Jetzt, ein halbes Jahr später, sieht es noch viel schlimmer aus. Meine Hoffnung ist, dass die etablierten Parteien sich noch einmal zusammenreißen und ein Bollwerk gegen die ganze menschenfeindliche Ideologie der Faschisten errichten.

Die Demo beginnt wenig später um 13 Uhr, viele sind wirklich nicht gekommen, der kleine „Streichelzoo“, in Regenbogenfahnen gehüllten Optimisten, zieht unter massivem Polizeischutz durch die verlassen wirkende Magdeburger Innenstadt. Der letzte Auto-Anschlag auf eine Demo irgendwo anders in Deutschland ist nur wenige Stunden oder Tage her, mein Mindset ist ein anderes. Die vielen Demos früher war ich ausgelassen und fröhlich, tanzend hinter den großen Trucks, diese Demo hier ist anders, stiller, vorsichtig. Als trans Frau habe ich ein natürliches Stress-Level und bewege mich in jeder Situation so, als würde ich gleich angegriffen werden. Die Polizisten links und rechts um die kleine Demo herum, in ihren schwarzen Uniformen, sichern alles ab, blicken überall hin. Jede Kreuzung ist mit mindestens einem Polizeifahrzeug blockiert, um Autos abzuhalten, in die Menge zu fahren. Meine Schritte, meine Bewegung, meine Blicke, rechts und links, sie unterscheiden sich nicht von meiner Zeit als Soldatin, ich bin im Gefechtsmodus … meine Schnürstiefel, mein Mantel, mein schwarzes Barett sind mein Feldanzug. Andere Ordner des CSD sehen noch viel martialischer aus und unterscheiden sich mit ihrer taktischen Kleidung kaum noch von den Polizeikräften. Wären wir in den USA, wären sie auch noch mit halbautomatischen Sturmgewehren bewaffnet. Den Schutz der Drag Queens verpflichtet.

Drag Queens gibt es auf diesem kleinen CSD dann später auch … später den späten Nachmittag, die Sonne geht schon hinter dem Bahnhofsgebäude unter und es wird spürbar kälter auf dem Vorplatz mit der Straßenbahnhaltestelle. Außer mir halten es gefühlt noch fünfzig Personen aus – aber die beiden Drag Queens, sie geben so viel und bedeuten so viel für die queere Gemeinschaft, vielleicht bin ich als trans Frau aber auch stark objektivistisch (weil selbst mit männlichen und weiblichen Anteilen).

17 Uhr nochwas, die Kundgebung ist beendet, zurück die Mittagszeit mit dem großen Gruppenfoto vor dem Landtag, waren wir noch viele, jetzt zerstreut sich alles in die Unsichtbarkeit. Mein Weg führt mich zu der italienischen Restaurantkette in dem anderen Einkaufszentrum, für eine Pizza an der Bartheke (die ich platzsparenderweise falte) und wieder zurück zum Hauptbahnhof kurz vor halb acht den Abend. Bombendrohung – der Regionalzug, in dem ich bereits sitze, sowie der gesamte Bahnhof wird evakuiert. Noch viel mehr Polizeikräfte erscheinen in ihren Polizeibullis auf dem Bahnhofsvorplatz und sperren den Eingang des Gebäudes großräumig mit Flatterband ab. „Endlich Action!“ Ich zücke mein Smartphone (wie nicht wenige) und beobachte interessiert das Treiben. Der Bombenspürhund ist das interessanteste. Noch anderthalb Stunden in der Kälte, das Einkaufszentrum gegenüber macht bereits die Lichter aus, aber ich lasse mir meinen erheiternden Optimismus nicht verderben. Auch wenn alles den Bach runtergeht, die Apokalypse droht, meinen Galgenhumor bekommt ihr nicht weg.

Fluchtpläne nach der Wahl? Ins Exil gehen? Was bleibt noch für ein Land in Europa? Auch wenn es beschissen klingt, Deutschland mit seiner „Ist mir doch egal, was du tust“-Mentalität, ist noch mit die am wenigsten beschissenste Option. Als trans Frau auf „deep stealth“ vorbereiten.

[16.02.25 / 20:18] Meine Präsentation vor dem großen Fernsehbildschirm im Büro auf Arbeit muss ich exakt um 15 Uhr abbrechen, die Kollegen im Software-Team waren sowieso schon im abschweifenden Dialog ohne mich. „Sonst verpasse ich noch meinen Zug in einer Stunde.“ Punkt 15 Uhr ist die Kernarbeitszeit den Freitagnachmittag zu Ende. Schnell zu meinem Auto auf dem Firmenparkplatz, schnell den Weg nach Hause – die dreißig Minuten habe ich die letzten Tage schon eingeübt. Die Sachen, die ich den Abend für das Konzert in Leipzig tragen will, habe ich schon an, nur die schwarz-graue Skinny-Jeans, die schwarze Kaschmir-Strickjacke und die absatzlosen 22-Loch-Schnürstiefel, dazu mein schwarz-grauer Mantel, das schwarze Wollbarett und die warmen, schwarzen Handschuhe. Es wird eisig kalt, das zweite Wochenende im Februar.

Ticket für das Konzert, schon lange vorher im Internet gebucht, das Auto in die Garage parken, die Treppe hoch zu meiner Wohnung, die fertig gepackte Tasche greifen und zum Bahnhof laufen … der nur fünf Minuten zu Fuß entfernt ist. Wenn ich den Zug um 16 Uhr schaffe, wenn der auch wirklich fährt, dann kann ich schon gegen 19 Uhr in Leipzig in der Innenstadt sein und rüber zu dem Hotel laufen. Das Konzert mit der Electro-Gothic-Band ist in der Moritzbastei, das Hotel, das ich die letzten Abende einfach noch schnell mit dazu gebucht habe, nicht weit entfernt davon. 16 Uhr nochwas, ich steige in den Regionalzug in meinem sachsen-anhaltinischen Provinzkaff.

Schreibe ich ihm eine Nachricht, dass ich wieder in Leipzig bin? Gedanken, während die Dunkelheit hinter den Abteilfenstern an mir vorbeirauscht. Ich habe mich entschlossen, ihm dieses Wochenende keine Nachrichten zu schreiben. Keine Zeit für ihn, ich bin nur in Leipzig für eine Nacht, für das Konzert, nichts anderes, nicht Ausgehen, nur wieder um Mitternacht zurück sein, ein paar Stunden schlafen, wieder in dem Hotelzimmer aufwachen, frühstücken und zurück zum Bahnhof laufen, ich muss den Sonnabendmittag schon woanders sein.

Der Zug ist pünktlich, dicht eingepackt, laufe ich kurz nach 19 Uhr den Freitagabend die Innenstadt von Leipzig entlang, zu dem Hotel am Augustusplatz, hier war ich noch nie. Zeitlich ist alles von mir akkurat geplant: Einchecken, eine Dusche nehmen, schweres Parfüm auftragen, den Kajal und den schwarzen Mascara nachziehen, alles erst mal so im Hotelzimmer auf das Bett werfen, die Sachen, die ich den ganzen Tag getragen habe, so wieder anziehen und im eiligen Schritt rüber zur Konzertlocation laufen … die Menschen da vor mir an der Hotelrezeption kommen nicht klar und blockieren die beiden Rezeptionistinnen. Um 20 Uhr ist Einlass, ich habe es eilig! Ich bin dran, den sündhaft teuren Preis ignoriere ich, das Frühstück buche ich einfach noch mit dazu (obwohl ich wüsste, dass ich wesentlich günstiger frühstücken könnte, bei der Leipziger Bäckerkette gegenüber).

Weiter in meinem Plan. Mein Atem kondensiert, es ist kalt. Die Treppen runter zur Moritzbastei sehe ich schon, wo ist der Eingang heute? Unten. Am Einlass mein Ticket zeigen, den wegweisenden Handgesten folgen, den armen Mann, der die Tickets für eine andere, parallel stattfindende Veranstaltung prüft, mit überflüssigen Fragen in Anspruch nehmen. „Wo ist meine Veranstaltung? Ah da, den Wegweisern folgen. Gab es hier nicht mal eine Garderobe? Früher jedenfalls.“ Garderobe wieder zurück in die andere Richtung, meine Orientierung in dem Kellergeschoss der alten Festung setzt erst sehr langsam wieder ein. Die Cafeteria entlang zu dem Veranstaltungsraum, endlich den richtigen Menschen mein Ticket zeigen. War das hier nicht alles mal viel größer? Das Gewölbe mit der kleinen Bühne am hintersten Ende hatte ich viel größer in Erinnerung.

Ich stehe erst mal ganz hinten, hinter mir der grüne Schein des abgedeckten Notausgangs. Ich beobachte die Menschen, die nach und nach dazu kommen und den Bereich vor der Bühne füllen, alles schwarzes Publikum, alle … unglaublich alt? So viele alte, zerknautschte Gesichter, graue Haaransätze der Herren, gemütliche Figuren und Kleidungsstil der Damen, gruftige Schönheit überall, aber das ist eine reine Ü40-Veranstaltung? Wenn nicht sogar schon Ü50. Bei den Trad-Goths gibt es wenigstens vereinzelt noch Nachwuchs, aber die Electro- und EBM-Fangemeinde ist wirklich alt geworden. Cyber-Goths gibt es auch noch.

Bin ich auch so alt? Ich will es nicht wahrhaben.

Die Vorband, der eine Typ da oben auf der Bühne, mit Sonnenbrille und Wollmütze, Hommage an die frühen belgischen Achtziger-EBM. Ich hätte mich vielleicht mehr weiter vorne positionieren sollen. Danach die Hauptband, für die ich eigentlich hier bin, deren Musik in meinem Autoradio vom MP3-Stick hoch und runter läuft, von denen ich bestimmt alle Alben habe (so lange gibt es die noch nicht), wenn die später am Merchandise auch ihre neue EP verkaufen, ich war extra zurück am Bahnhof noch am Geldautomaten für ein paar Euro-Scheine. Ihr Auftritt beginnt, ich stehe jetzt wirklich weiter vorne, mittendrin, und lasse mich von den Songs mitreißen.

Gebannt schaue ich, zwischen den Köpfen vor mir, auf die Bühne, die Sängerin und der eine Typ da an den ganzen Synths und Computern. Jeden Titel, den ich an den ersten Takten erkenne, begrüße ich freudig. Meine Bewegungen zu der Musik, soweit es die Enge des ausverkauften Konzerts zulässt. Viele Stücke werden gespielt, die kenne ich gar nicht. Neues Material von der EP? Ich werde es herausfinden, wenn ich mir später die neue Scheibe am Merchandise-Stand abhole.

Das Konzert geht so kurz vor Mitternacht zu Ende, die Sängerin wird erst nach zwei Zugaben entlassen. Die CD in der schwarz-weißen Papphülle, auf die ich am Verkaufsstand mit meinem Finger gezeigt habe, ist schon gut weggepackt in der Reißverschlusstasche meiner kleinen, schwarzen Handtasche. Blick auf die Uhr, es ist 23:45 Uhr, ich sitze an einem Tisch in der Cafeteria des Festungskellers, um mich herum noch viele schwarzgekleidete Konzertbesucher. Gibt es hier noch etwas zu essen? Ich habe seit Mittag nichts mehr gegessen. Die Bedienung räumt die Tische ab und verneint meine Frage, die Küche ist schon längst zu. Dann eben woanders hin, in die Leipziger Innenstadt. Ich gehe wieder zur Garderobe und ziehe mir alle Schichten meiner warmen Winterkleidung an, inklusive der gar nicht so gruftigen, olivgrünen Steppjacke als Innenfutter.

Die Straßen der Leipziger Einkaufszone entlang, der Schein der gelben Laternen und der Schaufenster der geschlossenen Läden. Ich weiß, wo ich um kurz vor Mitternacht noch etwas Warmes zu essen finde. „Da gab es doch diese Gerichte auf der Menükarte, die mit so einem Halbmond gekennzeichnet waren. So Snacks und Baguettes. Gibt es die immer noch?“ Die junge Frau hinter dem Bartresen schaut mich fragend an und gibt mir zu verstehen, dass es schon um fünf Minuten vor Mitternacht ist, aber sie fragt in der Küche nach. Die zerfledderte Menükarte gibt es immer noch, ich bin in meiner alten Lieblingsbar am Leipziger Marktplatz kurz vor der Gasse mit den vielen Bars. Wenig später, eine riesige Platte an Kartoffelspalten wird mir serviert, mit Sour Cream, damit es nicht ganz so trocken ist. Ich wechsele vom Barhocker an der Theke rüber auf einem anderen Platz mit Sitzgelegenheiten.

Die Bar war mal mehr besucht, laute Engländer fallen mir als einziges auf. Vielleicht liegt es daran, dass heute nur Freitag ist. Ein Mann sucht das Gespräch mit mir und fragt mich, ob ich aus Leipzig komme und ein paar andere Clubs und Bars hier kenne. „Ich wohne zwar nicht mehr hier … aber da drüben wäre noch eine Disko (oder war zumindest mal eine), dann den Weg hier bis zur Straße und dann weiter und irgendwo dahinter (da ist oder war noch eine), oder die Straße hier entlang, da gibt es so eine Gothic-Disko, oder“, ich zeige mit meinem Finger auf den Fußboden unter mir, laut wummernde Bässe sind schon zu hören, „Hier unten ist auch noch mal eine Disko drin, aber die ist nicht so für jedermann, vielleicht gefällt sie euch gar nicht, müsst ihr mal am Eingang da unten, runter an der Treppe, gucken.“ Er gibt an, mit seinem Kumpel für dieses Wochenende in der Stadt zu sein – den sehe ich aber gar nicht – ich helfe soweit ich kann und erzähle ihm alle meine Ausgeh-Tipps. Wenn er wirklich richtig ausgehen will, muss er viel weiter weg, in die Südstadt, oder Connewitz, oder Plagwitz. Erst Tage später überdenke ich die Situation … hat er wirklich nur einfach gefragt, oder wollte er gezielt mich ansprechen? Ich bin für so etwas blind.

Den Mitternachtssnack habe ich bis auf den letzten Krümel Kartoffel aufgegessen. Ein Uhr nachts, ich laufe schon wieder die verlassene Einkaufsstraße in der winterlichen Kälte entlang zu dem Platz mit der Oper und rüber über die mehrspurige Hauptverkehrsstraße an der Ampelkreuzung zum Hoteleingang. 1:15 Uhr, das Make-up aus dem Gesicht wischen, kurz Zähne putzen, meine Sachen überall in dem kleinen Hotelzimmer verstreut deponieren, noch ein paar Stunden mit Oropax schlafen, bis zum großen Frühstücksbuffet oben auf der siebten Etage mit dem Blick auf ganz Leipzig und der aufgehenden Sonne.

Sonnabendvormittag, irgendwann zwischen 9 und 10 Uhr, das Frühstücksbuffet ist wirklich sehr umfangreich, Berge an Brötchen, Croissants, Kuchen, Marmeladen, Obst, Joghurt, Frühstücksei und Kaffeetassen und Orangensaftgläsern türmen sich auf dem kleinen Tisch, der so wie die anderen eingereiht ist, in einer Linie mit den Blick aus dem Fenster und den Hausdächern und Hochhäusern von Leipzig. Das Frühstück ist so umfangreich, als ich um kurz nach zehn Uhr nach dem Auschecken zum Bahnhof laufe – für die in wenigen Minuten abfahrende S-Bahn nach Halle habe ich schon gar keine Zeit mehr für den Ticketautomaten und fahre die ersten Stationen schwarz. Erst beim Umsteigen Richtung Flughafen ziehe ich am Gleis ein Ticket. Es geht über Halle in den Norden von Thüringen, dort werde ich in einer Kreisstadt wieder von der Familie aufgesammelt und es geht weiter zu einem Feriendorf mit Bungalows mitten im Wald, gebucht für eine kleine Feier. Auch die nächste Nacht verbringe ich nicht zu Hause.

[20.01.25 / 23:49] Der Sonnabend Mitte Januar, wo will ich hin? Ich will nach Leipzig, das kleine Festival, für das ich bei der letzten Halloween-Party schon das Plakat gesehen habe. Dieses Mal auf zwei Tage – den Freitag und den Sonnabend ausgeweitet – aber ich schaffe nur den Sonnabend … zu viel Nebel auf den Straßen, zu viel Frost, ich nehme den Zug und mache wieder die Nacht zum Sonntag durch. Die Bands und ihre Musikstile habe ich schon vorher im Internet recherchiert, die auflegenden DJs in dem Club irgendwo in Connewitz können gar nicht so falsch liegen. Das muss gut werden … wieder.

Eigentlich wollte ich schon den Abend vor Silvester nach Leipzig, eigentlich wollte ich ihn wiedersehen, meinen „Langzeit-Liebhaber“, zu schwer enttäusche ich ihn, mir geht es nicht so gut, will lieber zusammengerollt in meiner warmen Decke zu Hause vor dem Fernseher auf der Couch liegen … er hatte schon ein Zimmer für mich organisiert. „Dann sehen wir uns eben in zwei bis drei Wochen.“ Da wäre ein nächstes, kleines „Festival“.

Ich erwarte den Tag, das Wochenende Mitte Januar, ich weiß genau, was ich anziehen werde, wo ich hin will, der Club – vielleicht sogar die Wohnung, die er mir versprochen hat, gleich daneben. Ich will unbedingt nach Leipzig fahren, ich muss! Das Wetter hält mich nicht ab, ich nehme den Zug.

Sonnabendmittag aufstehen, Frühstück, Beine rasieren, Schamhaare frisieren … wenn ich die Dusche mit dem orientalischen Duschbad bis in den frühen Nachmittag rauszögere, bleibe ich frisch und duftend. Beine weiter rasieren, glatt, Mittagessen vorher. Sachen zurecht legen: das schwarze, langärmelige Baumwollkleid, die schwarze Yoga-Hose, die hohen, schwarzen Lederstiefel ohne Absatz und zum Schnüren, jenseits der 10-Loch-Paare (oder 22 nach anderer Zählung), mein schwarz-grauer Wollmantel, die dicken, schwarzen Wollhandschuhe und mein neues, schwarzes Wollbarett – es wird frostig kalt und nebelig, zur Sicherheit ziehe ich die olivgrüne Steppjacke mit unter (im Idealfall kann ich den ganzen Dress den Montag noch einmal auf Arbeit anziehen). 15 Uhr nochwas, der Regionalzug fährt gnadenlos pünktlich in weniger als einer Stunde ab, ich muss mich noch duschen, Parfüm auftragen, die blonden Haare kämmen, mich anziehen und das Make-up auftragen. Kajal, schwarz, und Wimperntusche. Die Schnürsenkel in die hohen Stiefel einzufädeln, schaffe ich gerade noch so, 15:55 Uhr stehe ich am Bahnhof dieses kleinen Provinzkaffs irgendwo in Sachsen-Anhalt.

17 Uhr nochwas, der Bahnhof in Magdeburg, Umsteigen nach Leipzig … der vorhergehende Regionalexpress hatte 70 Minuten Verspätung, stört mich nicht, mein Zug fährt pünktlich und ist dafür fast leer. Ich suche mir meinen Sitzplatz. Auf den zweiten Extra-Parfümstoß und noch zusätzliches Patchouli habe ich dieses Mal verzichtet.

Leipzig 19 Uhr, Einlass in dem Club ist 19:30 Uhr, noch genug Zeit, im Hauptbahnhof unten am Automaten noch etwas Geld für die Nacht abzuheben, nicht viel, ich habe mir fest vorgenommen, diesen Monat wieder nicht im Dispokredit zu landen, das bisschen Bargeld muss reichen. Die mitgebrachte Pfandflasche für die Zugfahrt in der Kaufhalle unten in der Bahnhofsgalerie am Pfandautomaten gegen einen Bon für 25 Cent für ein kleines, trockenes Brötchen tauschen. An der Straßenbahnhaltestelle draußen dann in die Elf Richtung Connewitzer Kreuz steigen.

Meine Nachricht an ihn ging schon den späten Vormittag raus, da lag ich noch im Bett und war gerade erst aufgewacht. Eine zuversichtliche Antwort von ihm, er fragt, wann ich in Leipzig ankomme. „Erst spät den Abend.“ Und dann will ich auch gleich zum Einlass an der Abendkasse. Meine Antwort erhält er erst Stunden später – und sie bleibt ohne Lesebestätigung.

Der Club in Connewitz, ich weiß nicht mehr, wie viele Jahre ich hier schon war, die Schlange der wartenden Menschen schiebt sich langsam vorwärts, die Kellertreppe zum Eingang hinunter. Der kleine Aufkleber, einer von vielen, an so einer Metallstange oder Querstrebe in dem schummrigen Licht von der Häuserfassade mit den besprühten Ziegelsteinen, fällt mir auf … die Band habe ich hier schon gesehen, da gab es diesen Blog noch gar nicht, das muss also noch vor 2009 gewesen sein.

Drinnen der Einlass, die Menschen, bunt gemischt, viel Alternatives und Schwarzes. Die Garderobe suchen … ich suche immer die Garderobe und jedes Mal kommt es nur bruchstückhaft in mein Gedächtnis zurück, dass es hier gar keine Garderobe gibt! Oder doch? Ich laufe die vier Etagen ab, unten die kleine Tanzfläche, da wird später noch jemand ein Live-Techno-Set performen. Oben die große Etage, der große Clubraum … so viele Konzerte. Darüber die Etage mit den Toiletten – „Egal-Toiletten“, frostig kalt. Die Etage weiter die Treppe hoch, hier ist Schluss, der „Backstage-Bereich“, früher gab es hier mal einen Plattenladen, temporär jedenfalls … das muss auch schon, weit zurück, in grauer Vorzeit liegen. Wieder runter in die zweite Etage, ich entsinne mich, meinen Mantel oder meine Kutte irgendwo da an der Wand, hinter oder unter die Sitzbänke gequetscht zu haben … doch die erste Band, halte ich noch alles unter meinem Arm fest.

Ich habe meine kleine italienische Umhängetasche mit dabei, ein paar Münzen in dem Innenfach mit dem Reißverschluss. An der Bar hinten meine erste Flasche Mate-Brause. Instinktiv, ohne darüber nachzudenken, lächele ich der Bedienung entgegen, die Punkerin wirft mir einen irritierten Blick zu – ich sollte aufhören, so etwas in diesem Land zu tun, das wirkt verstörend. Die anderen Gäste um mich herum, hier und da ein paar „Elder-Goths“, juchhu, ich bin nicht die Einzige. Dort hinten, die Hübsche … etwa auch eine so wie ich? Der kleine Clubraum füllt sich, die erste Band fängt an, zu spielen. Ganz nett, das „Wesen“ am Mikro und Bass kann ich nicht zuordnen. Übersehe die täuschenden Geschlechtsmerkmale, achte auf die Sprache, die Mimik und die Geste, das verrät dir viel mehr, als das, was du glaubst, voreingenommen zu sehen.

Die zweite Band, wieder gitarrenlastig, Punk, Goth, Cold – wäre es nicht so beschissen abgemischt (oder hätte ich meinen Standpunkt mitten im Publikum verändern müssen), das Wellental in der Soundperformance verschluckt den ganzen Synthesizer, er kommt nur im Offbeat rüber und klingt so ganz merkwürdig deplatziert. Dabei hätten die richtig gut sein können, sind es vielleicht auch, die Sängerin hat eine ziemlich starke Aura.

Die dritte Band, „Wow“ – zwei ältere Herren an noch viel älteren Synthesizern. Ich schließe meine Augen und lasse wieder das Oszilloskop vor mir flattern … Dreieck, Sägezahn – Trapez? Niedrigschwingende Oszillatorkurven, fein dosierte Filter, ein Oberton?

Während den Pausen laufe ich immer wieder den Club ab, die Treppe runter zu der kleinen Tanzfläche am Eingang, ein paar DJs haben hier schon angefangen, aufzulegen. Im Treppenhaus hängt ein A4-Blatt mit der „Running Order“ für diese Nacht. Ich mache ein Foto und sende es ihm, dann weiß er, wie lange ich hier noch bleibe, ab wann ich frei bin (wenn die letzte Band gespielt hat), ab wann wir uns treffen können. Keine meiner Nachrichten an ihn hat eine Lesebestätigung, seit der einen Nachricht gegen Mittag, kam nichts mehr von ihm.

Oben auf der größeren Tanzfläche, ein Mann spricht mich an, er kennt meinen Namen, meinen „echten“ Vornamen. Ich schaue ihn an, sehe nicht viel in der Dunkelheit, wer bist du? Kenne ich dich? Vielleicht jemand von der Arbeit … noch während die dritte oder die letzte Band spielt, mustere ich ihn ab und zu von der Seite … jetzt fällt es mir ein, wer du bist! Das ist der Typ, mit dem ich 2023 bei dem Pfingstfestival am „Rummachen“ war. Beschämt, ich kann mich nicht einmal an deinen Vornamen erinnern. Er sagt nur ein Hallo, viel haben wir nicht zusammen. Ich habe mich verändert, ich will eigentlich gar nicht mehr angesprochen werden, schließe es geradezu aus, dass mir das überhaupt noch passiert, in der Disko. Nicht in diesem Universum!

Die vierte und letzte Band die Nacht, oben auf der „großen“ Bühne. Wieder zwei am Synthesizer, Mikro und Laptop, ultra-tanzbare Beats. Ich positioniere mich in der Mitte vor der Bühne für das ultimative Klangerlebnis, die Bässe der beiden Boxen frisieren meine Haare … wenn es noch lauter wird, ich hätte noch Ohrstöpsel aus Schaumstoff irgendwo vergraben in meiner kleinen Handtasche. Die Menge an Menschen drückt mich nach und nach nach hinten, tanzende Menschen brauchen Platz. Meine Moves sind nicht so raumintensiv.

Die Zeit vergeht nach Mitternacht. Noch eine Flasche Mate-Brause, noch ein Toilettengang – kurz Rausgehen nach draußen auf den Innenhof an die frische Luft, tue ich nicht, zu frostig kalt, angeblich soll es auch wieder einen Einlassstopp gegeben haben, aber die Menge an Menschen und jungen Party-People hält sich angenehm in Grenzen. Nach den Konzerten oben, die DJs – und die Performance unten. So ein Typ performt ein paar Songs Playback auf der Karaoke-Bühne? Ein Song erkenne ich, was von den Chamäleons aus den Achtzigern, der Punker scheint textsicher und kann viel besser in einer Billy-Idol-Stimmlage singen, als ich es am Steuer von meinem Auto auf langen Autobahnfahrten durch die Nacht es je könnte. Meine Mate-Brause ist alle, ich muss die Etage hoch zu der Bar neben der anderen Tanzfläche. Hier versacke ich bei den aufgelegten Titeln der DJs.

Zwei oder drei Uhr nochwas, ich habe es aufgegeben, noch daran zu glauben, dass er sich noch bei mir melden könnte, eine letzte Nachricht noch von mir an ihn auf meinem Telefon. „Wenn du dich nicht mehr meldest, fahre ich um fünf Uhr mit dem Zug wieder zurück …“ Ich war vorbereitet, den Platz der kleinen Handtasche maximal ausgereizt. Zahnpasta und Zahnbürste zum Übernachten, ein kleines Päckchen Make-up-Entfernungstücher, Kondome und Gleitmittel in dem kleinen Reißverschlussfach, zusammen mit dem Kajal und dem Mascara. Eine Mischung zwischen „ich bin überaus motiviert und vorbereitet“ und „jetzt kommst du dir doch irgendwie merkwürdig vor“. Weiter zu der Musik tanzen.

Unten auf der kleinen Tanzfläche vor der noch viel kleineren Bühne, das Live-Techno-Set, von dem ich so viel erwartet habe, das ich unbedingt gerne wiedersehen möchte, wurde um einen „MC“ am Mikro ergänzt … gefällt mir jetzt nicht so. Wieder hoch, weitertanzen. Die nächste Straßenbahn zurück zum Leipziger Hauptbahnhof, fährt um kurz nach vier Uhr den Sonntagmorgen. Bis dahin sind es noch gut eine halbe Stunde. Ich wechsele meine Tanzstile von dem „Two-Step“ auf die langsamen Bewegungen zu den sphärischen Synthesizerklängen, geisterhaft abgetrennt von den Beats. Übliche Gothic-Dance-Moves.

Die letzte Limo-Flasche, kein Koffein mehr, am Bartresen zurückgeben, mein Bündel an schwarz-grauen Wollmantel und olivgrüner Steppjacke von der Spalte zwischen Gitter zur Sitzbank und Wandmauer abholen, Schal, Handschuhe und Barett habe ich in alle vier Taschen gestopft. Wieder runter zum Einlass an der verlassenen Abendkasse und alle meine Schichten an wärmender Kleidung überziehen. Mein Atem kondensiert wieder, als ich wenig später im neblig-gelben Schein der Straßenlaternen zurück zu der Haltestelle am Connewitzer Kreuz laufe.

Noch 15 Minuten bis die erste Straßenbahn den frühen Sonntagmorgen fährt. Ich werfe ein paar Münzen ein und ziehe mir ein Ticket aus dem Automaten. Weiter meinen kondensierenden Atem beobachten und auf die Zeit warten. Neben mir an dem Straßenbahnhaltestellenhäuschen sitzt ein Mann … vielleicht kommt er auch von dem Festival?

„Weißt du, ob hier ein Plan von der Elf hängt?“

„Nö, nur die Nachtlinien und der Bus, der Nachtbus da drüben“, gegenüber von der Straßenbahnhaltestelle fährt sonst immer einer.

Taxis rauschen die Straße entlang. „Und wo kommst du so gerade her?“

„Ich war da drüben in dem einen Club, Konzerte, ein paar Live-Bands und DJs.“

„Schön, gefällt mir. Ich war in einer ‚Tisch-Kicker-Bar‘.“

„Einer ‚was‘?“

„Tisch-Kicker, kennst du, oder?“ Ja, tatsächlich, das kenne ich, in der Firma steht auch so ein Tisch herum.

Die nächsten Minuten, ein kleines Gespräch ergibt sich, er bietet mir an, mich neben ihn auf die Bank zu setzen. Ihm fällt es auf, dass ich nervös werde, meine Finger greifen ineinander, die wärmenden, schwarzen Handschuhe umschlungen. „Dir ist kalt? Wo wohnst du, wo kommst du her? Wenn du magst, können wir noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen, ich warte auch auf die Straßenbahn zum Hauptbahnhof.“

„Ja … OK“, warum nicht, „Ich komme nicht aus Leipzig (aber ich hatte mal eine Wohnung hier), ich muss nachher noch drei Stunden mit dem Zug zurückfahren, nach Magdeburg.“

„‚Drei Stunden‘? Wirklich?“

„Naja … eigentlich anderthalb Stunden, dann ewig dort auf dem Bahnhof rumstehen und dann weiter noch eine dreiviertel Stunde …“

„Du kannst bei mir übernachten, du musst nicht so weit fahren, wir könnten auch zusammen frühstücken.“ Jetzt komme ich ins Nachdenken, meine Nervosität vergrößert sich noch viel mehr. „Ja, ich weiß, ich mache dich nervös.“

Die Straßenbahn fährt ein, es ist jetzt exakt 4:15 Uhr und ich will am Hauptbahnhof am Automaten das nächste Ticket für den Zug zurück kaufen, der nächste Regionalexpress, den ich immer Sonntag früh von Leipzig aus nehme, fährt um kurz nach fünf Uhr.

„Kennst du den einen Laden da?“, die Straßenbahn hält an der einen Haltestelle zwischen Innenstadt und Südvorstadt mit dem Geschäft daneben, für arabisch-orientalische Deko-, Schmuck- und Bekleidungsartikel, wo ich manchmal einkaufe, er hat mir bereits verraten, dass er aus der arabischen Welt kommt.

„Ich bin ursprünglich aus Jordanien, aber schon zehn Jahre hier.“ Jordanien … füge ich das meiner Liste zu? „Ich mag deine tiefe Stimme, die ist so schön sexy.“

„Puh …“, die Augen drehen und verlegen weggucken. Mache ich das jetzt, lasse ich mich darauf ein? Klar, er könnte auch mein Typ sein, mein Beuteschema, er wirkt zehn oder fünfzehn Jahre jünger als ich. Aber will ich das? Ich wollte das doch nicht mehr tun, einmal anquatschen und ich lande irgendwo den Morgen in einem fremden Bett, mit einem Mann, von dem ich nichts weiß, dessen Vorname ich in ein bis zwei Jahren, oder noch viel eher, ich schon längst vergessen hab. Alle meine Bemühungen, meine Sprüche zu Hause vor dem Badezimmerspiegel, du bist es wert, dich näher kennenzulernen. Du musst nicht mit dem Erstbesten ins Bett, nur um irgendwie eine Art Bestätigung zu bekommen, vielleicht doch attraktiv zu sein. Schon wieder habe ich eine Clubnacht hinter mir, schon wieder ist es nichts geworden, meinen Liebhaber zu treffen, den ich so sehr vergöttere, unablassend nach all den schönen und weniger schönen Momenten, die ich mit ihm die letzten zehn Jahre erlebt habe.

Erinnerungen kommen hoch, der Typ vor ein paar Stunden, den ich im Club getroffen habe, der mich nur anderthalb Jahre zuvor abgewiesen hat, weil sich herausgestellt hat, dass ich „trans“ bin. Und die andere Erinnerung, der Moment, der mich jetzt seit Monaten permanent begleitet, mich vollkommen lähmt, überhaupt noch irgendwie irgendeine Beziehung mit irgendjemanden (männlichen) einzugehen: der Typ der 100 Euro für ein Hotelzimmer – und somit für mich – bezahlt hat, nur um dann festzustellen, dass ich früher mal „ein Mann“ gewesen sein könnte und der innerhalb Sekundenbruchteile mein ganzes weibliches Wesen vernichtet hat … oder zumindest in viele kleine Einzelteile zersplittert. Und jetzt begegne ich schon wieder jemanden? Hatte ich bis eben noch Angst, dass er auch herausfinden könnte, was ich nicht bin, ist diese „Anmerkung“ über meine Stimme ein ganz anderes Indiz und offenbart seine Motivation und wahrscheinliches, spezielles Interesse an mir.

„Auf keinen Fall!“ Ich stehe in der Tür des Regionalexpresses auf dem Gleis des Leipziger Hauptbahnhofes. Er hat die Überlegung aufgestellt, einfach mit in den Zug zu steigen und mich bis in mein Zuhause zu begleiten. Was willst du von mir? Weder habe ich ihm meine Telefonnummer gegeben, noch hat er mir seine angeboten. Das alles ist nur eine Spielerei, nichts ernstes, ein Flirtversuch, ein Test, wie weit ich gehe, wie weit er gehen kann.

„Und was machst du so beruflich, wenn du überhaupt einen Beruf hast?“ Diese Frage von ihm, noch Minuten zurück an der Haltestelle, wirkt die nächsten Tage noch auf mich ein, vielleicht hielt er mich auch … für eine Prostituierte.

Mit dem Zug zurück in mein Heimatkaff, Schlafen kann ich nicht, der Sitz ist zu unbequem, meinen Berg an Wintersachen zu einem riesigen Kissen aufgetürmt, die Schwingungen des Fahrgestells des Zugwagons rütteln mich permanent wach. Zu viele Gedanken in meinem Kopf. Frühstück um kurz nach sieben Uhr beim Bäcker am Magdeburger Hauptbahnhof, ein Nuss-Nougat-Croissant. Weiter in den aufklarenden Morgen zu meinem Zuhause.

Alles, was ich anhatte, auf die Couch werfen. Die Tätigkeit, schon in der Regionalbahn zurück meine Abschminktücher zu zücken, behalte ich bei, schöne Zeitersparnis, um wenig später nach nur einer Minute im Bad, wieder die Fenster im Schlafzimmer zu schließen, die dunklen Vorhänge zuzuziehen und ins Bett zu fallen … Gedanken, bis ich den Sonntagmorgen einschlafe, vergehen noch ein paar mehr Minuten.

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße

Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg

Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,

vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.

Herzlich

Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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