morgana81 - gothic transgender

Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[01.01.70 / 00:00] Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[22.03.20 / 14:46] Ich war noch bis 2 Uhr nachts in der Disko ... virtuell. Die beiden DJs haben es wirklich gemacht und ihr Set aus dem Club in Leipzig live über das Internet gestreamt. Alle Gäste in dem Chatraum - und in ihren Wohnzimmern.
Das Set fängt gleich mit ein paar Italo-Krachern an, die Beleuchtung in meinem Zimmer unter dem Dachboden ist gedimmt, die DJs auf dem Bildschirm in Vollbildgröße, der Regler an meinen Monitorboxen nähert sich dem Anschlag, mein Strobo-Effektgerät wirft die ersten Blitze ... ich fange schon mal an, zu tanzen. Wenig später, gegen 22 Uhr, ich stehe mit meiner Wasserflasche am Rand der Tanzfläche (also gegen meine Schrankwand gelehnt) und beobachte die Gäste: "Keiner da, den ich kennen könnte, kein bekanntes Gesicht." (Ich bin ja auch allein in meiner Wohnung.)
Zwischendurch immer mal wieder auf das Diskoklo (also meine Toilette nebenan), am Spiegel angedeutet meinen schwarzen Kajal nachziehen, die Wasserflasche nachfüllen. Zurück zur Tanzfläche (der kleine Quadratmeter vor dem Computerbildschirm), noch eine kleine Clubrunde (mein Zimmer auf und ab tigern). Die DJs moderieren ihre Stücke, ich erfahre immer etwas Interessantes über die Musik. Ihre zwei Turntables haben sie in dem kleinen Kellerclub vor der Bühne aufgebaut, im Hintergrund die blinkenden Lichter und der sporadisch eingeblasene Nebel. Immer wieder weisen sie darauf hin, daß es möglich ist, über PayPal zu spenden ... "Ich habe fünf Euro Eintritt bezahlt!" Dafür will ich auch mindestens fünf Stunden durchtanzen.
Ab und zu, wenn ich nicht mehr kann, liege ich auf dem Ledersofa in dem Club (also meine Kunstledercouch in meiner Fernsehecke) und lausche einfach nur der Musik. Gegen Mitternacht werden ein paar obskure Darkwave-Platten aufgelegt - ich kann mich nicht mehr halten, ich muß tanzen. In vollkommener Dunkelheit, das kleine Licht aus, tanze ich gegen meinen übergroßen Schatten, der durch das aufgedrehte Stroboskop-Gewitter gegen die weiße Wand (in meinem Zimmer) projiziert wird. Der Effekt hat die richtige Einstellung, alles wirkt so unnatürlich, wie auf einem Trip, wenn die Fragmente meiner Wohnungseinrichtung für Sekundenbruchteile aufleuchten.
Die beiden DJs spielen noch andere Musikstile ... wie lange die wohl noch online senden wollen? Ich hatte vor, gegen 2:30 Uhr wieder zu gehen. Den Club verlassen ... und im selben Moment wieder zu Hause zu sein. Tatsächlich spielen sie noch bis kurz nach 2 Uhr, aber da liege ich schon erschöpft auf meiner Couch. Für das allerletzte Stück rappele ich mich noch einmal auf: "Save the last dance!" Hat Spaß gemacht und wahrscheinlich haben auch viele der anwesenden Gäste (so um die 150?) einen kleinen Betrag gespendet ... wovon die beiden Künstler in diesen schwierigen Zeiten irgendwie ihre Miete oder wenigstens etwas zum Essen kaufen können.
Mein Outfit für die Nacht: die schwarze Trainingshose, ein schwarzes Unterhemd, eine schwarze Strickjacke, absatzlose Latschen oder auch nur auf Strümpfen (auch in Schwarz). Nur eines habe ich irgendwie vermißt: Hab' dich auf der Tanzfläche gesehen. Bist du alleine hier? Hast du einen Freund? In meiner häuslichen Isolation fange ich vielleicht wieder an, die Nächte in Internet-Chaträumen zu verbringen ... so wie früher, in den Urzeiten des Internets.

[21.03.20 / 20:38] Bevor die Ausgangssperre einsetzt, hole ich noch einmal alle meine persönlichen Dinge aus meiner Zweitwohnung, u.a. mein Laptop, mein (verschlüsseltes) externes Backup, meine vier Pflanzen - und alle meine Schuhe (Schuhe sind wichtig). Den blauen Sack mit an die zwölf Schuhpaare über der Schulter (wer hätte gedacht, daß Schuhe so schwer sind), den anderen Kram in meinem Armeerucksack, die paar Schritte zu meinem in der Straße geparkten Auto. Auf der Autobahn zurück zu meiner Erstwohnung / die verbarrikadierte Festung. Um keine Bewegungsdaten zu hinterlassen, nehme ich den Akku aus meinem Telefon (eines der letzten Modelle, bei denen das noch möglich ist ... für besonders Paranoide). Meinen Kleiderschrank habe ich das Wochenende zuvor schon ausgeräumt. In meinem "Depot" in Leipzig bleiben noch drei Rollen Klopapier, ein Beutel Nudeln - und zwei Flaschen Rotwein! (Sollte die Wohnung nicht geplündert werden.)

Später den Nachmittag, die untergehende Sonne für ein paar Fotos meiner neuen Stiefeletten nutzen ... in Szene gesetzt mit meinem Armeerucksack: Endzeit-Fashion mit Stil.

[16.03.20 / 18:57] Nachtrag einen Tag später: Aufgrund der aktuell angespannten Lage, schränke ich meinen Bewegungsradius massiv ein und verzichte auf alle Fahrten auswärts... Die Nachrichten überschlagen sich, wofür ich mich gestern noch freiwillig entschieden habe, ist morgen schon Pflicht.

Zu etwas vollkommen, vollkommen anderem ... meine neuen Schnürstiefeletten kombiniere ich wieder mit einem Paar purpur- oder violettfarbenen Schnürsenkeln - gerade eben online bestellt.

[15.03.20 / 20:26] Viel Schlaf ist es nicht, zwischen 10 und 11 Uhr den Sonnabend scheint die Sonne so stark in meine Wohnung, daß ich nicht mehr weiterschlafen kann. Ich stehe auf. Strahlend blauer Himmel - darauf habe ich gewartet. Ich nutze die Gelegenheit und mache gegen Mittag um die 300 Fotos in meiner 28m²-Wohnung, ich will jedes Detail festhalten, ich will mich für immer an meine schöne Wohnung erinnern können ... bevor ich sie in ein paar Wochen aufgeben muß. Nach und nach werde ich alles rausschleppen, dann brauche ich auch keine Fotos mehr machen. Ein Traum geht zu Ende, der Traum, eine eigene, kleine Wohnung zu haben ... zurück zu meinem Erstwohnsitz (in der tiefsten Provinz) wohne ich wieder bei meinen Eltern. Ich habe es nicht geschafft, auf eigenen Beinen zu stehen, meine kleine Existenz zu halten.
Den frühen Nachmittag gehe ich noch einmal für den Abend einkaufen, etwas zum Essen organisieren ... die Regale mit den Nudelpackungen sind wie leergefegt, ich greife eine der letzten beiden Beutel. Auch an anderen Stellen gibt es nicht mehr viel, Gemüse ist weg, die Tiefkühltruhen suche ich erst gar nicht ab - Fischkonserven sind noch genug da! Ich greife gleich zwei - eine für mich, eine zum Tauschen. (Ich gehe richtig ab, bei der angespannten Situation - endlich zahlt es sich mal aus, daß ich die ganzen Zombiefilme und alle Staffeln dieser einen Serie mit den umherwandelnden Toten gesehen habe.) Über einen kleinen Umweg (zwei Stück Kuchen kaufen für mich) zurück in meine Wohnung.

Couscous mit Tomaten, schwarzen Oliven und Thunfisch: Couscous in einer kleinen Schüssel mit etwas Kurkuma mischen, zum gleichen Teil mit 100ml aufgekochtem, leicht gesalzenen Wasser übergießen, mit einem Teller abgedeckt stehen lassen. Einen Topf / Pfanne mit Olivenöl und gemahlenen Chili aufsetzen, Knoblauch einwerfen, alles erhitzen. 10 kleine Cherry-Tomaten vierteln, nach und nach dazugeben + Salz, Pfeffer, orientalische Gewürzmischung. 10 schwarze Oliven entsteinen (mit dem "Olivenentsteiner"), zerhacken, mit in den Topf geben. Eine kleine Dose Thunfisch aufmachen, auch dazugeben (den Inhalt), alles umrühren und köcheln lassen (wegen den wässrigen Tomaten und dem üppig eingegossenen Olivenöl mit etwas reduzierter Hitze). Kurze Zeit später den Couscous aus der Schüssel mit in den Topf / Pfanne rühren, alles zusammen weitere 5 Minuten erhitzen, gelegentlich umrühren. Danach fertig auf dem Teller servieren.
Mit den Tomaten geht der gelbe Kurkuma-Couscous in das Orangene, zu dem Thunfisch passen nur geschmacklich die schwarzen Oliven. Es wirkt etwas trocken, ein Stück Butter oder Joghurt wäre als finaler Abschluß nicht schlecht, frische grüne Kräuter würden das Optische aufwerten ... Notiz für später.

Den späten Nachmittag die zwei Stück Kuchen mit einem Kännchen Tee, den frühen Abend mein Rezept kochen mit den Sachen, die ich vorher eingekauft habe ... ich habe mich dann doch für den Couscous und nicht für die Nudeln entschieden. Den Abend mache ich mir weitere Gedanken ... gehe ich noch ein zweites Mal aus? Ich überprüfe immer wieder im Internet die Veranstaltungskalender für die Parties und Konzerte in Leipzig - gefühlt ständig ändert sich etwas und eine Veranstaltung nach der anderen fällt einfach aus oder wird abgesagt ... Virus-Panik. Wäre es nicht auch besser, ich bleibe den Sonnabend Abend auch in meiner Wohnung? Ich könnte niemanden infizieren, mich könnte niemand infizieren, überall in der Welt wird gerade das öffentliche Leben eingestellt, anderswo werden Bars und Clubs gleich ganz geschlossen und alle Veranstaltungen verboten.
Verboten! Genau das ist der Punkt, an dem ich mich aufhänge. Ich brauche niemanden, der mir irgend etwas verbietet, der mich vor mir selbst schützt - ich bin selbst verantwortlich für mich! Ich kann für mich alleine entscheiden, wieviel Risiko ich eingehe! Ich bin mir bewußt, ich gehöre mit meinem auf fünfzig Prozent runtergefahrenen Immunsystem (immerhin noch doppelt soviel wie bei AIDS) zu der in den Medien als besonders schützenswert benannten "Risikogruppe" - und es könnte mich treffen ... aber wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit? Ich mache auch andere unvernünftige und gefährliche Dinge - ich fahre Motorrad - und an wen könnte ich das Virus, wenn ich es hätte, schon weitergeben? Ich gehe nicht arbeiten, ich treffe keine anderen Menschen, ich lebe abseits der Gesellschaft ... ich habe das zutiefst autistische Bedürfnis, zu allen Menschen mindestens zwei Meter Abstand zu halten und mich nicht ansprechen oder in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Also gehe ich aus, tanzen, für mich allein (so wie ich es schon mein ganzes Leben lang tue). [Anm. der Verfasserin: War das wirklich so sinnvoll? Im nachhinein betrachtet...]
In dem Club in Plagwitz ist diesen Abend bzw. diese Nacht eine Soli-Party, ich weiß zwar nicht für was, aber es wird wohl schon irgend so ein linksalternatives Ding sein ... noch ist die Veranstaltung, nach meinem Kenntnisstand, nicht abgesagt (aber alle anderen Punk-Konzerte). Gegen 21:30 Uhr mache ich mich wieder ausgehfertig, das gleiche Outfit wie letzte Nacht. Etwa eine Stunde später sitze ich in meinem Auto und bin unterwegs in den Stadtteil.
Links und rechts sehe ich die jungen Leute in ihren Autos, unterwegs in die Diskos ... oder irritiert umherfahrend und nach etwas suchen, was die Nacht noch geht. Ich parke mein Auto in der gewohnten Seitenstraße gegenüber der finsteren Gasse mit dem Club. 23 Uhr ... ob die Veranstaltung wirklich stattfindet? Einfach probieren.
Zu Fuß ein paar Schritte durch die dunkle Gasse, der Eingang mit der Treppe zu dem Fabrikgebäude ist nicht beleuchtet, keine Menschen zu sehen. Vor der verschlossenen Eisentür ist es still. Ich versuche gar nicht erst sie zu öffnen ... klar, daß die Veranstaltung ausfällt. Das ist eine "Soli-Party!" Die lebt davon, daß viele Besucher kommen - und kommt keiner (außer mir) macht das ja auch gar keinen Sinn, die stattfinden zu lassen! (Aber ich habe es zumindest probiert.) Zurück zu meinem Auto, zurück in den Stadtteil nördlich des Zentrums mit meiner Wohnung. Immer noch haufenweise Disko-Fahrer auf den Straßen, ihre Welt bricht gerade zusammen, ihr einziger Lebenssinn, am Wochenende aufzuleben, die Lethargie der Arbeit hinter sich zu lassen und in den Clubs und Bars die Nächte durchzufeiern ... bis wieder der beschissene Montag anfängt. Kenne ich nur zu gut.
Gegen Mitternacht bin auch ich wieder zurück in meiner Wohnung und werfe das blaue Licht meines Laptops auf dem Tisch meiner Minibar an ... wenigstens war ich die Nacht davor noch aus und tanzen. Nächstes Wochenende wird bestimmt alles verboten sein. Zurück zur Zombie-Apokalypse: Wir sind bis an die Zähne bewaffnet und militärisch ausgebildet... (Ende Teil 2/2)

[15.03.20 / 20:25] 28 Tage später, zurück in Leipzig - in der Zombie-Apokalypse-Welt! Die letzten zwei Wochen hat mich ein mysteriöses Virus erwischt, plötzlich hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, extreme Kraftlosigkeit, aber kein Husten, Schnupfen oder Halskratzen - dafür sieben Tage lang fiesen Durchfall (mit einem Verbrauch von einer Klopapierrolle pro Tag, dafür habe ich die gebunkert). So einen Infekt hatte ich noch nie zuvor.
Freitag Vormittag stehe ich auf, den Abend davor war ich schon in meiner Wohnung, meine resistenten Pflanzen haben die Trockenphase sehr gut überstanden, zwei Brötchen zum Frühstück. Ich will den Tag in der Innenstadt von Leipzig nach einem Paar "Endzeit-Stiefel" suchen (so ähnlich wie das Paar, das ich in Kassel anprobiert hatte), schwarze 8- oder 10-Loch-Schnürstiefel mit einem hohen Blockabsatz und dieser speziellen Laufsohle mit dem "Militärmuster" (so wie bei meinen Stahlkappen-Rangers).
Manchmal treffe ich noch auf Überlebende ... irgendwann gegen Mittag bin ich in meiner Wohnung fertig mit den Vorbereitungen für den Weg nach draußen, die anthrazit-schwarze Jeans, der schwarze Wollmantel, die flachen Stiefeletten, die Lederhandschuhe. Weiter unten an der Straßenbahnhaltestelle ziehe ich meinen Schal über das Gesicht und die Nase, als die Bahn einfährt und ich einsteige. Die Bahn ist nicht sehr voll, mit meiner schwarzen Sonnenbrille ziehe ich keine Blicke auf mich ... Zombies!
Zu Fuß weiter ab dem Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt, die schwarze Handtasche paßt nicht zum Outfit - ich hätte den alten Armeerucksack in Woodland-Tarn aus der Abstellkammer hervorkramen sollen, den, den ich sonst immer hinten auf das Motorrad schnalle. Es sind immer noch nicht so viele Menschen zu sehen, ich fühle mich halbwegs sicher und mein Schal rutscht weiter zurück unterhalb der Nase.
Den Schuh-Outlet erreiche ich wenig später - dieses Mal habe ich aber wirklich viel Zeit und kann alle Regale im Obergeschoß mit der Größe 40 und 41 absuchen. Für die erste Runde habe ich noch die Sonnenbrille auf, aber wenig später lege ich auch die ab und lasse die schwarze Blende in meiner Manteltasche verschwinden.
Das erste passende Paar, das meinen Wünschen entspricht, entdecke ich in den Regalen für die Schuhgröße 40 ... vielleicht finde ich noch ein zweites Paar bei der 41? Ich lasse das erste Paar vorerst liegen und suche die anderen Regale ab ... nichts. Zurück bei dem ersten Regal finde ich das erste Paar nicht mehr - hat mir eine andere Kundin das etwa vor meiner Nase (bzw. hinter meinen Rücken) weggeschnappt? Fast schon panisch suche ich noch einmal minutenlang alle anderen Regale ab. "Verdammt!" So ein Paar schwarze Schnürstiefeletten mit Reißverschluß und genau dieser einen Laufsohle (die mit den Kreuzen) finde ich bestimmt nie wieder! Ziemlich erleichtert entdecke ich dann doch den einen Schuhkarton wieder, den ich vorher in der Hand hatte. Er liegt immer noch in demselben Regal, nur ganz unten ... oder ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, daß er ganz unten lag. Zurück zur Kasse - es gibt 50% Rabatt in dem Outlet.
Freitag früher Nachmittag, die Marktstände auf dem Marktplatz lasse ich rechts liegen, ich drehe noch eine Runde in dem teuren Kaufhaus gegenüber - aber eigentlich brauche ich nichts mehr zum Anziehen zu kaufen, das neue Paar Schnürstiefeletten paßt perfekt zu dem schwarz-grünem Kleid, das ich mir erst vor kurzem zugelegt habe. Auch in dem einen Laden dieser spanischen Modekette mit den bunten Designerkleidern, ein paar hundert Meter weiter, brauche ich nicht weiter zu suchen ... schwarze Sachen mit weißem Blümchenmuster oder grüne Sachen mit schwarzem Blümchenmuster. Ich muß an mein Budget denken, in ein paar Wochen ist Schluß und dann gibt es keine Eingänge mehr auf meinem Konto.
Lieber ziehe ich noch durch ein weiteres Kaufhaus und zwei anderen Schuhläden, nur um mich zu vergewissern, daß es das Paar meiner neu gekauften Stiefeletten dort nicht gibt oder wenn doch, dann zu einem vollkommen überteuerten Preis ... das ist so ein "Frauentick".
Zurück am Ende der Fußgängerzone (und mit einem Paar weiteren, neuen Schuhspanner aus Holz in meiner Tragetasche) biege ich in die Straße mit den Restaurants ein. Mit zunehmender Zahl der Fußgänger, die einfach nur in der Innenstadt einkaufen wollen, wirkt die ganze Szenerie der letzten Tage nicht mehr so bedrohlich und langsam vergesse ich, daß ich mich in einer apokalyptischen Welt bewege. Die zwei Wochen zu Hause, in denen ich nicht rausgegangen bin, in denen ich nur vor dem Fernseher und dem Internet hing, haben mir ein anderes Gefühl gegeben. In dem italienischen Restaurant surfe ich mit meinem Smartphone weiter im Internet, als ich auf die bestellte Pizza warte, und lese die ganzen Schreckensmeldungen ... die drehen alle gerade total durch.
Wieder zurück in meiner Wohnung, die eine Tüte Brötchen in dem Bäcker im Untergrund des Hauptbahnhofes habe ich schon wieder liegengelassen - aber dieses Mal habe ich es schon zwei Straßenbahnhaltestellen später bemerkt und bin mit meinem Ticket einfach wieder zurück zum Hauptbahnhof, meine Tüte abholen, und dann in die nächste Linie in Richtung meiner Wohnung ... OK, die zwei Stationen zurück sind definitiv schwarz, das Ticket gilt nur 60 Minuten in eine Richtung. Auf dem Sofa in meiner Wohnung lese ich die weiteren Nachrichten ... das Konzert, zu dem ich diesen Abend eigentlich wollte, fällt aus, wegen dem Virus (und ich hatte schon befürchtet, es wäre ausverkauft). Die Aftershowparty findet unter Auflagen trotzdem statt.
Später den Abend, mein Outfit für die Nacht: die anthrazit-schwarze Jeans, der Nietengürtel, ein schwarzes Spaghettiträgertop, darüber der schwarze Cardigan, meine 3/4-Stiefel, der schwarze Wollmantel. Die indischen Ohrhänger aus Silber hängen offen, ich binde meine langen, blonden Haare zu einem Pferdeschwanz, in Kombination mit meinen schwarzen Lederhandschuhen kann ich mir nicht mal eben so durch die Haare gehen - oder mir ins Gesicht fassen (das ist gerade der Sinn). Kurz nach 22:30 Uhr verlasse ich meine Wohnung und laufe zu meinem Auto.
Durch die Straßen gelange ich ziemlich zügig zu dem Club im Süden von Leipzig ... so viel Verkehr ist den Freitag Abend nicht, vielleicht ein paar Einzelne auf dem Weg zur Disko. Der Club macht erst gegen 23 Uhr auf, ich finde einen Parkplatz in der Nähe und laufe zu dem Eingang die Kellertreppe runter ... ein oder zwei Gäste sind schon da, von innen ertönt Musik - die Disko findet definitiv statt. Am Eingang müssen sich alle Gäste in eine Liste eintragen, mit Name und Telefonnummer, ich hinterlasse die Anschrift meines Zweitwohnsitzes in Leipzig. Ich habe tatsächlich leichte Bedenken ... wenn das vor ein oder zwei Wochen wirklich der Virus war, der mich dahingerafft hat, bin ich dann noch infektiös? Es könnte auch irgendein anderer Infekt gewesen sein. Wenn ich noch nicht immun gegen das neue Virus bin - und mein Immunsystem ist definitiv irgendwo kurz vor der Grenze zu AIDS (wegen den Immunsupressiva die ich nehme) - wenn mich das Virus erwischt ... sterbe ich dann?
Ich bin schon so gut wie tot ... ich tanze in den Untergang!
Ich lasse mich nicht abhalten und betrete den Club. Meinen Mantel (inklusive eines zweiten, beschfarbenen Cardigan) gebe ich an der Garderobe ab. Die erste Flasche Cola an der Bar, der erste Weg auf die Tanzfläche. Die zweite Bar und die zweite Tanzfläche sind für diese Nacht geschlossen. Nach und nach kommen einige weitere Gäste im schwarzen Outfit, Gothics, Grufties, der Tod ist ein elementarer Bestandteil unserer Lebensphilosophie. Ich tanze ... mit viel Platz. Ich kann meine Arme bis zu einem Meter weit um mich herum ausstrecken, den ganzen Abend und die ganze Nacht werden in dem Club nie mehr als 50 Personen anwesend sein.
Jede weitere Stunde ein Getränk, ich wechsele mich ab mit an einem Tisch in der Nähe der Bar sitzen, die aufgelegte Musik hören (mich richtig darin fallen zu lassen), den kleinen Club auf und ab tigern, auf der Tanzfläche verschiedene Stile ausprobieren, Gothic-Style, EBM-Style ... unter meinem schwarzen Top trage ich einen kleinen Push-up, der meine kleinen Brüste etwas mehr betont - aber hier ist niemand, der darauf starren könnte. Ich möchte die Nacht auch lieber für mich allein sein.
Immer wieder läßt ein DJ der Gruppe etwas Italo einfließen, kurz sogar Detroit (sofern ich das erkennen konnte) und diesen einen Titel ... woher kenne ich den? Ich brauche ein paar Minuten ... klar! Die Goa-Party auf Ibiza! (Also die Strandhütte mit der Chill-Out-Musik.) Der Titel, der mir da schon gefallen hat.
Die Zeit vergeht, gegen 3 Uhr die Nacht sind auch nicht mehr so viele Gothics anwesend, ich beschließe, auch zu gehen und remple mich durch die eine Gruppe von Stinos in ihren dicken Mänteln, die auf einmal in dem Club aufgetaucht sind. (Auf der Suche nach Party? Hier ist auch nicht mehr los.) Zurück zu meinem geparkten Auto, 3 Uhr nochwas, zurück zu meiner Wohnung. Auch wenn ich das sehr angenehm empfinde, wenn ich viel Platz in dem Club habe, so richtig Stimmung war dann doch nicht. Das war irgendwie so wie früher, die kleinen Provinz-Gruftie-Tanzveranstaltungen irgendwo, mit einer sehr überschaubaren, kleinen Szene. Meine Gedanken schweifen ab ... ich fahre an einem mobilen Blitzer vorbei, ein kleines, rotes Lämpchen blinkt mich an - und ich dachte die Strecke hier ist mit 60 km/h freigegeben?
Zurück in meiner Wohnung, im Badezimmer die schwarze Wimperntusche und den Kajal aus meinen Augen wischen, die Wohnung kühl durchlüften ... ich habe extra noch einmal die doppelte Bettdecke bezogen (wird doch immer wieder frisch morgens früh). Zurück ins Bett, 4 oder 5 Uhr, für ein paar Stunden einschlafen. (Ende Teil 1/2)

[01.03.20 / 20:15] Zurück von einem Kurzbesuch in Kassel - die "Ost-Verwandtschaft" kündigt sich an. Das von mir begehrte Sommerkleidchen habe ich auch da in den Kaufhäusern nicht in meiner Größe gefunden - dafür aber ein anderes mit schwarz-grünem Blümchenmuster, mit viel besserem Schnitt für mich, von meinem englischen Lieblings-Hippie-Label. Fast hätte ich auch noch ein paar schwere, schwarze Schnürstiefel mit hohem Blockabsatz dazu gekauft, aber die waren in meiner Größe nicht mehr vorrätig - und außerdem war ich schon über meinem Wochenend-Budget ... nach dem Einkauf in dem Plattenladen (zwei Vinylscheiben zweier raren 80er-Jahre Underground-Bands). Zuletzt noch ein All-You-Can-Eat-Sushi-Abendessen - bei dem ich das "all you can eat" mehr als wörtlich genommen habe...

1 2 3 4 5 6 7 8 9 [10-19] [20-29] [30-39] [40-44]

Tags:

Amsterdam (5), Backen (9), Florenz (8), GaOP (58), Hormone (52), IPL (39), Ibiza (8), Kalifornien (17), Kochen (20), Marrakesch (7), Namensänderung (17), New York (11), Nordindien (31), Paris (11), Psychiatrie (16), Psychotherapie (29), Reise (183), Rom (7), Schuhe (12), Sizilien (23), Sri Lanka (17), Tel Aviv (12), Tokio (14), Transsexualität (203), Wien (11)

Archiv:

2024 (5)
2023 (57)
2022 (53)
2021 (40)
2020 (80)
2019 (96)
2018 (95)
2017 (81)
2016 (80)
2015 (57)
2014 (53)
2013 (33)
2012 (41)
2011 (56)
2010 (39)
2009 (6)

Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg
Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,
vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

1

Name:
Mail (optional):
Website:

Der Blogeintrag auf dem sich dein Kommentar bezieht:

Kommentar (max. 2048 Zeichen):

Bitcoin punk: '…some coins?'