morgana81 - gothic transgender

Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[01.01.70 / 00:00] Sternzeit irgendwas, Logbucheintragung des Captains:

[02.03.24 / 21:48] Ich will mal wieder eine ganze Nacht lang ausgehen – so wie früher: mit dem Zug abends hin und morgens wieder zurück, ohne Hotel. Die letzten schlaflosen Nächte haben mir wieder gezeigt, dass das geht – egal, ob ich die Nacht vorher nicht geschlafen habe, ich bin den nächsten Tag hellwach und topfit auf Arbeit (und wieder haarscharf an einer nächsten „über-64-Stunden-wach-Phase“ vorbei). Das Outfit steht für den Sonnabend Abend bereit: es müssen die spitz zulaufenden, schwarzen Stiefeletten mit den kubanischen Absätzen sein, es muss die anthrazitgraue Skinny-Jeans sein, es muss ein schwarzer Rollkragenpullover sein und er muss optimal zu meinem schwarz-weißen, lässig geschnittenen Long-Blazer passen! Endlich ziehe ich ihn an …
Seit ein paar Wochen weiß ich, dass in Leipzig wieder eine queere Disco-Nacht stattfindet, weit im Südosten, ein noch mir unbekanntes Haus in der Nähe von Bahngleisen und einer markanten Autobrücke. Der Veranstalter ist mir vertraut, nicht unweit dieser Venue war ich vor ganz vielen Jahren (2004?) bei einer seiner ersten Partys in einem Disco-Keller irgendwo in Plagwitz (da bin ich noch mit meinem alten Fiat die Nacht von Wernigerode aus hingefahren – und den Morgen wieder zurück). Ein Ticket habe ich nicht, ich verlasse mich auf die Abendkasse und die Bahntickets für den Regionalzug ziehe ich sowieso „ganz spontan“ am Automaten im Zug.
Sonnabend früher Abend, die Dusche mit dem parfümierten Duschbad, einen zweiten, anschließenden Sprühstoß quer über den Nacken mit dem dazugehörigen Parfüm („Rendez-vous nocturne …“) erspare ich mir – bzw. den anderen, späteren Fahrgästen im Zug. Mascara, Kajal, mein neuer, großer Spiegel in meinem neuen Bad (ich muss unbedingt hier mehr Beleuchtung einbauen, in irgendeiner Schublade liegt noch die LED-Leiste aus meiner alten Dachgeschosswohnung in Leipzig). Kein Abendessen für mich – und kein Geld, das ziehe ich mir vor Ort am Hauptbahnhof. 19 Uhr nochwas, ich steige in den Zug nach Leipzig.

Die Nacht unterwegs nach Leipzig / Februar 2024 / Alter 42
Der erste Zug von Wolfsburg kommend ist noch voll, der zweite Anschlusszug ab Magdeburg ist wieder gemütlich leer, ich kann die ganze Fahrt über Solitaire auf meinem Smartphone spielen. Nur der Zwischenstopp mit ungeplanten Umstieg irgendwo bei Dessau weckt mich aus meiner Routine. Je näher ich Leipzig komme, desto mehr erhellt sich mein Gesicht. Ich schaue aus dem Fenster: Da, dahinten. Irgendwo da habe ich mal gewohnt. Einfahrt in den Leipziger Hauptbahnhof. Toilette und Geldautomat, es muss nachher noch für ein Taxi zurück reichen.
Draußen die Straßenbahnhaltestelle vor dem Hauptbahnhof … Leipzig hat sich irgendwie verändert? Zu viele Menschen die zu sehr „asi“ wirken – und ich meine nicht die Obdachlosen, die hier sowieso immer sind. Weiter mit der Straßenbahn den späten Abend in der Dunkelheit nach Plagwitz. Günstig kalkuliert, mein Länderticket für einen Tag beinhaltet auch den öffentlichen Nahverkehr. Wenn ich später nicht mehr an der Abendkasse vorbeikomme, ich könnte noch bis drei Uhr nachts kreuz und quer hin und herfahren und mir etwas Neues suchen. Es gibt für diese Nacht noch einiges mehr an „Plan B“ in Leipzig.
Die Straßenbahnhaltestelle um kurz vor 23 Uhr, einsam und menschenleer. Ich kenne mich hier aus, zu viele Clubs in verlassenen Industrieanlagen, die nicht mehr existieren. Ich laufe die Straße entlang zu der Autobrücke über die Bahngleise. Der neue Club müsste sich schnell finden lassen, so markant wie er auf der Karte liegt. Ich biege auf einer Ecke ein und laufe eine Fußgängertreppe nach unten, die Laternen an den Bahngleisen erleuchten alles. Der neue Club, ein altes Haus, DDR-Stil, Graffiti an den Wänden zu der Brücke. Es wirkt interessant. Nach und nach kommen die ersten Gäste und ich bin nicht mehr alleine.
Die Treppe runter zu dem Kellereingang, vor mir sind vielleicht nur zwei oder vier Personen, der „Thrill“ ohne ein Ticket. „Gibt es noch eine Abendkasse?“ – „Ja, wir haben noch ein paar wenige Resttickets.“ Der Mann öffnet nur kurz die Tür und informiert die wartenden Gäste, dass der Einlass sich noch um ein paar Minuten verzögern könnte. Wenig später, 23 Uhr plus, es geht rein.
Mein Stempel auf meinem Handrücken, ich habe es geschafft. Ein paar Schritte von der Kasse entfernt, eine kleine Treppe hoch, die Garderobe – meinen flauschigen Wollmantel abgeben – eine kleine Sitzecke, wissen, wo die Toilette ist und ich betrete durch einen schmalen, dunklen Gang die kleine Tanzfläche. Ist es das? In den paar Sekunden habe ich den ganzen Club abgelaufen? Neben der Tanzfläche liegt noch eine Bar, sie ist noch im Dunkeln. Ich laufe ein paar mal hin und her, frage den netten Mann an der Garderobe, die Bar macht später noch auf. Er deutet auf die Kasse die Treppe runter, das ist auch eine kleine Bar (ist mir gar nicht aufgefallen). Es kommen weitere Gäste.
Auf der Tanzfläche, die erste DJane legt ein paar Italo-Classics auf – zu schön für mein Outfit. Mein Long-Blazer unterstreicht die Achtziger-Jahre-Note. Ich performe zu der Musik, ich kenne sie in- und auswendig. Die stilvolle Beleuchtung oben an der Decke fällt mir auf … so schön düster und elegant. Noch habe ich viel Platz zum Tanzen.
Mehr Gäste, mehr Leben, mehr tanzen und umherlaufen, meine Flasche Club Mate in der Hand. Transvestiten? Irgend etwas mit trans? Drag Queen Entourage! Ich bin nicht die einzige auf dieser queeren Party. Die Drag Queen bezeichnet sich selbst auch als trans. Ins Gespräch komme ich nicht, sie fallen mir nur auf. Transsexuelle Frauen und Transvestiten begegnen sich nicht, sind grundverschieden, tolerieren sich nur gegenseitig.
Die Temperatur in dem kleinen Club steigt, der schwarze Rollkragenpullover landet eingerollt in meiner Handtasche – diese wiederum für ein paar Cent mehr an der Garderobe. Endlich befreit kann ich noch mehr tanzen. Der zweite DJ, der Veranstalter höchstpersönlich, und wenig später die Nacht, der dritte, gebuchte DJ. Ein Wahnsinns-Set – er legt noch echtes Vinyl auf. Die zweite oder dritte Limonaden-Flasche in meiner Hand, den Blazer leger über meinem Arm, nur noch die Jeans und das schwarze Spaghettiträger-Top, mein Nietengürtel blinkt in dem warmen und dunstig-nebeligen Club. Die Gruppe an Menschen umringt den DJ-Pult und tanzt sich in Trance.
Wie lange bleibe ich hier? Wie spät ist es? Bargeld ist in der Jeanstasche vorne, das Smartphone hinten am Gesäß. Auf der Toilette spüre ich den Duft von Kondomen, überall wird geraucht, nicht nur Nikotin. Irgendwann ist es nach um drei Uhr und ich suche zwischen den vielen Menschen einen Sitzplatz. Der DJ legt weiter auf, sein Set ist noch nicht vorbei. Ich muss wieder herunterkommen, etwas entspannen, mich auf das Gehen vorbereiten. Stimmen überall, so viele Menschen, Italienisch, Spanisch, mehr.
Kurz vor vier Uhr, die kleine Sitzecke an der Garderobe. Die blinkenden LED-Textlaufbänder faszinieren mich, eine Kunstinstallation? Das Gemälde unten am Eingang ist mir aufgefallen, vielleicht habe ich es schon einmal in einer Galerie hier in Leipzig gesehen. Ich hole meinen Mantel und meine Handtasche an der Garderobe ab. Für das Anziehen aller meiner Schichten lasse ich mir viel Zeit. Auch wenn ich weiß: um fünf Uhr geht der erste Zug.
Draußen, es ist kalt. Mein Mantel eng zusammengeschnürt. Diese Stille, dieser Kontrast. Die Treppe hoch zu der großen Brücke und weiter im Schein der Laternen zu den großen Kreuzungen. Irgendwo hier muss ich ein Taxi anhalten, immer wieder drehe ich mich beim Laufen um, ob eines hinter mir ist. Eine zentrale Straßenbahnhaltestelle, einige Partygäste von irgendwo. Die ersten Straßenbahnen fahren bereits diesen frühen Sonntag Morgen. Ich glaube nicht, dass sie auch bis zum Hauptbahnhof fahren (auch wenn in Leipzig so gut wie alles über den Hauptbahnhof fährt). Mein Budget ist auf eine Taxifahrt ausgerichtet. Ich habe bereits die Nummer auf meinem Telefon gewählt, als ich am Ende der Straßenbahnhaltestelle inmitten der großen Kreuzung ein Taxi anwinken kann. „Zum Hauptbahnhof.“ Jetzt aber schnell, es ist schon nach 4:30 Uhr und der Zug geht in wenigen Minuten (25 bis 30 Minuten).
Der Taxifahrer nimmt eine direkte Route, angekommen am Taxistand am Hauptbahnhof drücke ich ihm meine letzten 25 Euro Bargeld in die Hand, die 25 Euro, die ich ihm auch versprochen habe. Wie erwartet, der Bahnhof ist um diese Uhrzeit den frühen Sonntag Morgen voller Partyvolk. Niemand lebt noch in Leipzig, sie alle kommen aus den umliegenden Gemeinden. Mein Zug geht pünktlich, ich kann mir in dem hell beleuchteten Wagon einen freien Sitzplatz aussuchen. Leer ist es nicht, aber die anderen Partygänger, so wie ich, versuchen auch, etwas zu schlafen. Einzig unterbrochen von der jungen Schaffnerin / Zugbegleiterin, die die Tickets prüft.
Delitzsch, Bitterfeld … der Ort kurz vor Magdeburg? Ich muss eingerollt auf der Sitzbank etwas eingenickt sein, mindestens der Halt in Dessau ist mir entgangen. Es fühlt sich genauso an, wie vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren, als ich noch in meinem schwarzen Kapuzenpullover und der Leder-Jeans (und genau dem Nietengürtel) und meinen alten Springerstiefeln von einem Festival / Konzert / Clubnacht von irgendwo in Deutschland zurück gekommen bin. Ich fühle mich auch gleich zwanzig Jahre jünger und so jugendlich.
Magdeburg, der Umstieg in den anderen Regionalzug weiter in das Provinzkaff, das wenigstens ein Bahnhof und somit ein Tor zur Welt hat. Ein Nuss-Nougat-Croissant als mein erstes Essen nach zehn Stunden um sieben Uhr morgens. Keinen Kaffee, noch eine Stunde und ich bin zu Hause. Die schwarze Wimperntusche und den rauchigen Lidstrich habe ich mir schon im Zug mit ein paar Tücher zum Make-up-Entfernen weggewischt, in meinem Heimatkaff angekommen, im sonnigsten, frühmorgendlichen Sonnenschein unter blauen Himmel und aufgehender Sonne zu Fuß die paar hundert Meter zum Familien-Wohnhaus. Ich bin froh, dass ich meine Sachen nur auf die Couch werfen brauche und kurz darauf – gegen acht Uhr – mit zugezogenen Vorhängen in mein Bett fallen kann. Ich erwarte nicht, dass ich einschlafe, ich mache nur (wie im Zug) meine Augen zu … und schlafe doch bis Mittag. Sonntag …

[18.02.24 / 23:50] Ein sonniges Wochenende im Februar, Sonnabend Morgen … das Wetter hält? Die Sonne kommt noch raus? Ich habe ganz kurzfristig erfahren, dass diesen Nachmittag noch eine Demo in Magdeburg sein könnte – eine Demo gegen Rechts! Wie so viele die letzten Wochen zuvor, in ganz Deutschland, jetzt auch hier in Sachsen-Anhalt.
Ein breites Bündnis hat aufgerufen, zu breit, ich werde niemanden aus meinem Bekanntenkreis erwarten. Ich scherze noch: Wenn die AfD da nicht eingeladen ist, gehe ich nicht hin! In der Realität ist mein Umfeld viel zu sehr links, als dass sie bei irgend etwas teilnehmen würden, was von Parteien, Gewerkschaften und allen anderen mittig orientierte Institutionen organisiert oder unterstützt wird. Ich bin da, ich will dahin, mir ist es egal, jeder Mensch zählt. Wenn da mehr als zwanzig auftauchen, ist das schon richtig gut für dieses faschistische Drecksnest.
Den Regionalzug eine Stunde früher habe ich schon verpasst, ich lasse mir nach dem Frühstück genug Zeit. Ich nehme das Auto und bin auch so gegen 11 Uhr den späten Sonnabend Vormittag am Hauptbahnhof von Magdeburg. Mein Auto stelle ich wieder irgendwo in einem Parkhaus ab. Ich bin zu früh. Nicht mal mehr als zwei Polizeifahrzeuge sind auf dem einsamen Vorplatz zu sehen. Einen teuren Kaffee und ein Schokocroissant später auf der Sitzbank draußen … wenn ich schon einmal hier bin (und es noch ewig dauert, bis es losgeht), könnte ich doch auch noch Einkaufen gehen.
Zurück in die Einkaufspassage gegenüber dem Hauptbahnhof, der eine Klamottenladen hat ein schönes, grünes T-Shirt einer nicht näher genannten US-amerikanischen Marke … leider finde ich in dem ganzen Stapel nur noch die Größe XXL. Zurück nach draußen, es tut sich immer noch nichts auf dem großen Vorplatz – ohne anzuhalten drehe ich meine Runde von dem einen Ausgang wieder in den anderen Eingang des Einkaufstempels. Ein Schuhladen, hinten die Regale mit den Outlet-Angeboten, davor die „Boutique-Sneaker“.
Die letzten zwei oder drei Jahre blieb ich immer mit meinen Augen an den Vans hängen … kaufe ich sie mir irgendwann? Könnte das etwas für mich sein? Sind die szenetypisch und könnte ich mich damit in der Gothic-Szene blicken lassen? Oder werde ich dann merkwürdig angesehen? In meiner Plattensammlung habe ich auch ein paar Hardcore-Sachen, eine Scheibe ist sogar der (späteren) Skater-Hardcore-Punk-Szene zuzuordnen. Bei den Punk-Konzerten sehe ich in letzter Zeit immer häufiger Leute in diesen schwarz-weißen Turnschuhen herumlaufen. Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass sie äußerst bequem sein sollen. Ich probiere zwei Paare an, jeweils die eine Seite Hi-Top-Sneaker mit Plattform, die andere Seite ohne die erhöhte Sohle. Tatsächlich gefällt mir die Seite mit dem Plateau an meinem Fuß besser (wahrscheinlich sind sie durchgehend gepolstert und nicht nur hinten die Ferse). Ich kaufe sie! Verdammte YouTube-Influencer …
Mit dem Plastebeutel und dem Karton darin, verlasse ich wenig später wieder den Konsumtempel. Draußen sind jetzt schon viel mehr Menschen – und Polizisten. Meine neuen Turnschuhe (mit denen ich auch auf jeder nächsten Demo den Sommer latschen könnte) lasse ich in einem Schließfach unten in der Bahnhofsunterführung. Draußen bricht die Sonne aus den Wolken hervor und die Kundgebung beginnt. So irgendwann die eine Stunde nach Mittag.
Der Demozug setzt sich wenig später in Bewegung … es ist so still. Vielleicht sind es schon an die ein- oder zweitausend Menschen, wirklich breit gestreut, die schönen Menschen, nicht die hässlichen. Aber für mich ist es ungewohnt, finde ich mich sonst in einem schwarzen Block wieder, mit Seitentransparenten, ein paar Knaller, Flaschenwürfe, zerspringendes Glas und lauten Sprechchören – wirkt dies hier wie ein angenehmer Spaziergang. Die Polizisten sind bestimmt auch froh, eine friedliche Bürgerbewegung, da gibt es nicht viel zu tun … außer die wenigen, aufrichtigen Menschen vor faschistischen Idioten mit Gedankengift und Hass im Kopf zu beschützen. Von Störern bekomme ich nichts mit (die gibt es nur auf den CSDs).
Regenbogenfahnen, Antifa-Flaggen, Parteien – Links und Mitte, diverse Gewerkschaften. Ich orientiere mich an den paar, die dann doch ein paar Sprechchöre anstimmen und biege mit den anderen und den bunten Regenbogenflaggen auf dem großen Domplatz ein. Die Demo war eigentlich viel zu kurz für die paar vier Ecken rund um die Innenstadtstraßen von Magdeburg. Egal, die Sonne scheint, ich trage sogar meine übergroße Sonnenbrille (und meinen plüschigen, grau-schwarzen Mantel).
Hinter mir der Dom, die Demo vom letzten Jahr, da drüben stand ich mal. Ich glaube, jetzt wurden hier mit zwei- bis dreitausend Menschen doch mehr mobilisiert, als letzten Sommer hier die Rechtsnationalen waren (oder für was auch immer die sich halten, ich bin da szenefremd). Redebeiträge, die aktuelle CDU-SPD-(et.al.)-Koalition, was doch einige vom Kommen abgeschreckt hat, die Kirche, die Gewerkschaften und ein paar der Vertreter der Uni und der Hochschule mit den noch besten Texten (ich bin aber auch beeinflusst, als ehemalige Studentin). So wie sich die Sonne über dem Dom schiebt und den gepflasterten Platz in immer schöneres Licht taucht, verschwinden immer mehr Menschen, und als die Demo / politische Veranstaltung den Nachmittag offiziell beendet wird, ist nur noch ein kleiner Haufen übrig. Immerhin war wenigstens jemand da. Das wird noch hässlich werden bei der nächsten Landtagswahl (ich fürchte schlimmes).
Ein Eis im schönsten Sonnenschein, die Menschen verstreuen sich, die Schlange vor dem italienischen Eiskaffee um die Ecke ist noch lang. Ich setze extra meine Sonnenbrille noch einmal auf und verschlinge schnell die Kugel Stracciatella auf der Waffel. Weiter den Nachmittag zu der anderen Einkaufsmeile ein paar hundert Meter entfernt (dort wo mein Auto parkt).
Hier gibt es den einen Laden mit dem US-amerikanischen Modelabel, vorher noch schnell einen indischen Schnellimbiss, weiter hinein in die prallgefüllte Shopping-Mall. In dem Laden erzähle ich dem Verkäufer, dass die da in dem anderen Laden so ein schönes, grünes T-Shirt hatten. Er kommt wenig später aus dem Lager zurück und zeigt mir ein Exemplar – in meiner Größe. Es ist sogar noch schöner mit dem leicht veränderten Flock-Print auf der Vorderseite und dem Glitzer drumherum (das würde sicher bestimmt gut zu meinen neuen Sneakern passen). Ich kaufe es! Nach dem Anprobieren in der Umkleide fliegt meine Plastikkarte erneut über das Bezahlterminal. Weiter die Rolltreppen hoch und runter über die anderen beiden Etagen und die vielen Geschäfte (aber ich werde nichts weiter einkaufen). Die Sonne nähert sich langsam dem Untergang. Zurück zu Fuß zu dem Schließfach am Hauptbahnhof und denselben Weg wieder zurück zu dem Einkaufszentrum mit dem Laden von eben und mit dem Fahrstuhl runter in die Tiefgarage zurück zu meinem Auto.
Den Beutel mit dem Schuhkarton lege ich in den Kofferraum, mein neues T-Shirt ist auch mit dabei. Es ist bestimmt zweiundzwanzig Grad hier unten und mein Wollmantel und mein Schal und meine gefütterte Steppjacke und mein schwarzer Kaschmirpullover waren vielleicht doch etwas zu viel für heute. Mit dem Auto die fünfundzwanzig Kilometer zurück nach Hause.

Antifaschismus ist auch Kapitalismuskritik? Mein Konsumfetisch und mein Ziel, mein gesamtes Vermögen in die schlimmsten und profitabelsten Dinge zu investieren, um innerhalb der nächsten drei Jahre zu den obersten zwanzig Prozent zu gehören, steht vielleicht etwas in Konflikt zueinander – zu meinen links-grünen Idealen.

[21.01.24 / 00:42] Mein Club liegt in Connewitz, weit im Süden von Leipzig, das eine „besetzte“ Haus (zumindest in der Gegend). Tickets gibt es nur an der Abendkasse, auch hier bin ich wieder überpünktlich und stehe kurz vor 19 Uhr vor dem Eingang des Gebäudes in dem dunklen Hinterhof. Es ist arschkalt (zum Glück trage ich noch eine olivgrüne Steppjacke drunter). Irgendwann geht die Tür auf, mit mir sind schon einige angereiste Gäste da. Eintritt bezahlen, Stempel auf die Handfläche abholen. Der Club ist kalt, die Tür zur Treppe nach oben, wo die Bands auftreten sollen, finde ich nicht gleich, wähne sie noch geschlossen. Es dauert bestimmt noch eine Stunde, bis hier alles losgeht. Zeit für ein Abendessen.
Wieder draußen auf der Straße vor dem Hinterhofeingang zu dem Club, das Ding daneben, ich dachte, das wäre mal ein veganer Burger-Laden gewesen, jetzt ist es ein kleines Restaurant (der tatsächliche Burger-Laden ist eine Straße weiter). Nicht ganz, was ich suche – quer über die Straße erblicke ich einen hell beleuchteten Döner-Imbiss. „Falafel-Teller“, der Mann am Grillspieß hat gute Laune, ich bestelle mir mein kleines Essen und nehme auf einer der Sitzbänke in dem kleinen Bistro Platz. Ich bin so froh, dass ich kein aufwendiges Make-up mehr im Gesicht trage, ich kann großflächig alles wieder mit einer weißen Papierserviette abwischen: „… mit scharfer Soße.“
Zurück in dem Club – das „Sozio-kulturell-links-autonome-Zentrum“ von Leipzig – die bunt angemalte Bude mit den vielen Plakaten von unzähligen Punk-Konzerten auf mindestens drei Etagen verteilt. Es sind mehr Leute da, ich zeige meinen Stempel unten am Eingang und schiebe mich die Treppe hoch nach oben, in dem kleinen Saal mit der noch viel kleineren Bühne. So viele gute Bands habe ich hier schon gesehen. Weiter an die Bar, den obligatorischen Club Mate bestellen? Ich probiere erst die kleinere Flasche Mate-Cola – keinen Alkohol für mich.
Nicht wenig später, die erste Band betritt die Bühne und beginnt zu spielen, diese Nacht sind alles Bands aus dem Synth-Wave-Umfeld, ich mag die junge Sängerin, sie trägt auch so einen schönen, „plüschigen“ Mantel wie ich … hätte ich eine Tochter, würde sie bestimmt genau so aussehen. Zusatzinfo: Ich bin überzeugt, ich habe eine 19-jährige Tochter irgendwo in einem Paralleluniversum, das in dem eine Entscheidung (2004) anders ausfiel und es sich so aufgesplittet hat (tatsächlich ist sie die Tochter meines Paralleluniversums-Ich). Keine Ahnung, was ich hier trinke oder welche türkis-blaue Pille ich da in dem Dönerladen eingeworfen habe, aber ich bin jetzt hier und mir geht es gut.
Nach der ersten Band erkunde ich wieder das Gebäude, die Toiletten sind eine Etage höher, unten hinter dem Eingang ist diese Nacht eine zweite Tanzfläche offen … es kommen immer mehr Leute. Wieder auf der zweiten Etage sehe ich ein Plakat für diese Nacht, unten fand ich schon die Timetable, bis zu dem Haupt-Act für mich – für das ich extra angereist bin – gegen Mitternacht, treten noch ein paar andere Bands auf. Schön, dass ich jetzt mit einem Foto des Plakats auch die Bandnamen habe, ich weiß sonst nie, welche Band tritt da jetzt eigentlich auf? Zu Schade, wenn mir eine gefällt und ich den Namen gar nicht kenne. Dicht daneben sehe ich noch ein anderes Plakat: Mist! Es gab doch wieder eine Party den 30.12. – ich hätte nicht unbedingt wieder mich für mein „Anti-Silvester“ isoliert zu Hause einschließen müssen. Die schwere Tür neben mir wieder zurück in den Saal mit der Bühne.
Die nächste Band, ein betagter Herr, die Musik gefällt mir, tanzbar, Wave, Synthesizer. Um mich herum die anderen Menschen finden die Musik auch gut. Es wird langsam eng zum Tanzen. Die nächste Band, meine Steppjacke liegt eingerollt in meiner Handtasche, meinen Mantel kann ich über meinen Arm hängen, von diesen beiden Künstlern kenne ich nur einen, im Auto höre ich mir manchmal den Sampler eines Plattenlabels an, die etwas von ihm veröffentlicht haben. Leider ist er diesen Abend nicht da, sein Partner entschuldigt sich und liefert eine für mich interessante Performance: die natürliche Evolution, nach Italo-Disco kommt Italo-House! Es war nur eine Frage der Zeit, bis die schwarze Gothic-Szene auch diese Stilrichtung elektronischer Musik aufsaugt und sie in etwas neues und düsteres umwandelt. Gefällt mir (als hätte ich nicht denselben Gedanken gehabt, was ich mit meinen Synthesizern als nächstes anstellen könnte).
Zwischen den Bands, die Treppe hoch zur Toilette … mein Atem kondensiert, es muss auch hier kalt sein, geheizt wird nur unten, wo die vielen Menschen sind. Meistens gehe ich kurz raus, frische Luft atmen (es ist ein Raucherclub), aber diese Nacht ist anders: kurz vor Mitternacht herrscht unten an der Abendkasse Einlasstopp, ich kann meinen Mantel gleich wieder ausziehen und wieder umdrehen … zu viele Menschen. Oben die nächste Band, viel bekomme ich nicht mit, ich werde weiter nach hinten gedrückt und stehe schon fast mit meinem Rücken an der Bar. Eine lokale Band? Ich kann mich nicht einstimmen, sie fängt mich nicht. Ich schiebe mich zwischen den Menschen wieder nach draußen, die Treppe runter zu der anderen kleinen Tanzfläche. Endlich weniger Menschen, ein paar Songs zu der aufgelegten Musik des DJs tanzen. Vertraute Musik, sie laufen bei mir auch das Autoradio hoch und runter.
Gefühlt kurz nach Mitternacht, wieder hoch zu dem Haupt-Act, für das ich hierher gekommen bin. Ich habe ihn schon ein paar mal live gesehen, kenne seine Musik. Äußerst tanzbar, elektronisches Zeug. Ich sichere mir einen Stehplatz in der Mitte vor der Bühne, will nicht wieder nach hinten weitergereicht werden. Egal, ob ich nur wenige Zentimeter zum Tanzen habe, egal, ob es zu so viel (unfreiwilligen) Körperkontakt kommt, ich angerempelt und geschubst werde – ich will ihn sehen! Ich kann in seiner Musik mitgehen, die Augen schließen, alles um mich herum vergessen. Es wird ein langes Konzert, er gibt mehrere Zugaben? Er spielt sein Set durch – ohne Pause.
An der Deckendekoration erkenne ich, wie ich mich durch den Raum und die Massen bewegt haben muss, nach dem letzten Auftritt wird es etwas lockerer – aber es sind immer noch genug Menschen da. Menschen. So viele Menschen. Ein zweites Getränk an der Bar, die Club-Mate-Flaschen, die ich verschließen kann. Tanzen, die ganze Nacht, so weit der Plan. Ich bin unten auf der kleinen Tanzfläche, irgendwo gegen 2:30 Uhr soll hier noch ein Live-Techno-Set kommen. Gerüchteweise. Es bleibt kaum Platz zum Tanzen. Die DJane legt wirklich gute Sachen auf – anders als oben, geht sie mehr in die Punk-Richtung.
Wenig später, das Set mit den harten, elektronischen Beats … live gespielt? Der Künstler überzeugt mich. Ich wünschte, ich könnte mich in Trance fallen lassen – aber es ist so eng auf der kleinen Tanzfläche! Und die da neben mir quatschen die ganze Zeit und übertreffen noch mehr die Lautstärke! Furchtbar! Ich stehe an der Wand, ich drehe mich zur Wand, suche in dem Lichtgewitter meinen Schatten. Wenigstens gegen Ende des Sets kann ich mich woanders vor der kleinen Bühne positionieren und noch einmal einen Versuch wagen, meiner Realität zu entkommen. Harte, industrialisierte Beats.
Weiter die Nacht, ich bin wieder oben auf der Tanzfläche. Die DJs sind bis fünf Uhr morgens geplant. Es ist vier Uhr nochwas und der letzte DJ legt sein Set auf. Ich bin immer noch meine wenigen Schritte tanzen, meine Handtasche und mein Mantel liegen nie mehr als ein oder zwei Meter von mir entfernt irgendwo am Rande an einer Mauer des Clubs, mal auf einer Bank, mal in einer Ecke. Wie lange bleibe ich hier noch? Gerechnet: wenn ich zwölf Uhr mittags wieder aus dem Hotel raus sein muss, bis elf Uhr schlafe, mit fünf Stunden Schönheitsschlaf … sechs Uhr mein Make-up entfernt habe und ins Bett falle – reicht es aus, wenn ich um fünf Uhr hier verschwinde. Irgendwo gegen halb fünf den Sonntag Morgen, der DJ spielt mal einen langsamen Song an … Zeit runterzukommen und so langsam zu gehen.
Unten an der verlassenen Abendkasse, ich streife meine Steppjacke und meinen Mantel wieder an. Zurück nach draußen in die winterliche Kälte dieser eisigen Januarnacht. Zurück zu meinem geparkten Auto. Zurück ins Hotel. Ein Fuchs überquert die Straße … oder war das schon bei der Hinfahrt?
Zurück im Hotelzimmer, es dauert immer eine ganze Weile, bis ich das Badezimmer abgeschminkt verlasse. Ich lege alles bereit für den Morgen nach dem Aufwachen, gezielt um am wenigsten Zeit zu benötigen und am längsten zu schlafen bis zu dem Hotel-Check-out. Auch diesen Sonntag Mittag (nach weiteren fünf Stunden Schlaf) verläuft alles nach Plan. Nur kennengelernt habe ich die Nacht niemanden. Wurde ich angesprochen? Verträumt an der Toilette wartend: „Rück mal einen Stück nach vorne!“ Auf Gothic-Partys geht nie etwas, alle meine Liebhaber, für kurze Momente, habe ich auf queeren Partys kennengelernt.

Sonntag spät nach Mittag, die Leipziger Innenstadt, mein Auto steht im Parkhaus am Bahnhof. Ich will in der Innenstadt dieses eine Bistro ausprobieren, in dem man (frau) gut frühstücken kann. Es ist tatsächlich gut (auch wenn es keine Croissants gibt), aber für fast 20 Euro wird es vielleicht nicht doch etwas, was ich in ein paar Monaten, Pfingsten zum Gothic-Wochenende, jeden Tag mir leisten kann. Weiter zum Hauptbahnhof. Bevor ich Leipzig wieder verlasse, zieht es mich den Sonntag zu den offenen Boutiquen in der Bahnhofspassage, eine nicht näher genannte Kette, überall zu finden in Deutschland, für günstigen Modeschmuck. Nach dem günstigen Mittagessen bei dem Buffet-Inder, verliere ich mich in den Auslagen billigen Silberschmucks … mehr oder weniger billig, ich greife gezielt zu den 925er Sterling-Silber Ohrklemmen mit den Zirkonia-Steinen, meine letzte Ohrklemme aus der Drogerie habe ich leider letztes Jahr in dem Hostel liegengelassen, jetzt sind wieder zwei neu in meinem Bestand. Ich ziehe meine Karte über das Bezahlterminal und mache mich weiter auf den Weg zum Durchgang zum Parkhaus. Zurück zu meinem Auto. Zurück auf die Autobahn. Wenigstens mal wieder eine Nacht ausgegangen. (Ende Teil 2/2)

[21.01.24 / 00:41] Ich will mal wieder ausgehen und tanzen. Irgendwo in Leipzig im Süden ist ein Wochenende im Januar ein Abend – besser eine Nacht mit vielen interessanten Bands und DJs. Ich buche gerade mein Hotelzimmer für Pfingsten in vielen Monaten und nehme die eine Nacht das Wochenende im Januar gleich mit. Nur eine Nacht, Sonnabend bis Sonntag, mit dem Auto, das Hotel im Norden, das ich so gut kenne. Werde ich ihm eine Nachricht schreiben? Nein. Das wird ein Wochenende ganz für mich, nur Disko und Tanzen … und außerdem sind für die eine Nacht so viele Bands geplant, die spielen bestimmt bis drei Uhr nachts.
Das Wochenende rückt näher, den Sonnabend bin ich schon ganz aufgeregt und husche die Treppe hoch und runter, Beine rasieren, Rest des Körpers rasieren, Schamhaare trimmen. Mein neues Badezimmer unten hat noch keinen Spiegel, ich muss hoch in mein altes Badezimmer unter dem Dachboden an meinen großen Spiegel – den, der bis runter zum Waschbecken reicht, 110 cm x 90 cm. Make-up werde ich erst später im Hotel auftragen. Was ziehe ich an?
Zurück in meinem Ankleidezimmer – aka der begehbare Kleiderschrank – wühle ich meine Sachen durch, der schwarz-weiße Blazer auf der Kleiderstange bleibt ungetragen, ich weiß, dass es in dem Club keine Garderobe (und keine Heizung) gibt, ich werde wohl meinen schwarz-grauen Wintermantel die ganze Zeit anbehalten … mein französischer Waterfall-Cardigan aus Wolle, ungefüttert. Ich entscheide mich für das schwarze Kleid etwas dicker gestrickt. Aber eigentlich suche ich nur etwas, was am besten zu meinen hohen, schwarzen 18-Loch Schnürstiefeln passt … die ohne Absatz, ich werde die ganze Nacht bis in den Morgen vor der Bühne stehen müssen. All meinen Silberschmuck noch mit angelegt, die Waschtasche in meine große Umhängetasche, die Stiefel in den Kofferraum meines Autos in der Garage. Sonnabend Nachmittag, auf der Autobahn unterwegs nach Leipzig.
Kein Stau, keine Verzögerung, kein Eis, keine Glätte, keine Traktoren – ich bin präzise 17 Uhr nochwas an dem Hotel angekommen, so viele Nächte habe ich hier schon verbracht, ich hatte mal eine „Affäre“ mit jemanden, der hier nicht unweit entfernt in seiner Wohnung gelebt hat. „Sie kennen sich aus?“, netter Spruch des älteren Mannes an der Rezeption.
Im Zimmer, meine Sachen ausbreiten, alles, was ich die Nacht brauche, auf das Bett, alles, was ich die nächsten Minuten verwende, daneben. Die Dusche im Bad, mein orientalisches Duschbad passend zu dem schweren Parfüm – ich mag es so sehr: Jardin Bohème Rendez-vous Nocturne – allein schon der Klang des Namens … eine verführerische Begegnung die Nacht. Ich bin frei, ich weiß nicht, was passieren wird. Vielleicht lerne ich jemanden kennen? Mascara und Kajal, tiefschwarz. Es ist egal, wie ich es auftrage, hinterher verblende ich alles großflächig mit dem kleinen Pinsel rund um meine Augen.
Die Haare kämmen, der Sprühstoß des Parfüms – ich verlasse das Bad in dem Hotelzimmer und mache mich bereit für die Nacht. Das schwarze Kleid kombiniere ich mit der schwarzen Yoga-Hose – genau die vom letzten Pfingsten – ultrabequem. Meine Schnürstiefel binden, Loch für Loch einfädeln. Die bereitliegenden Sachen auf dem Bett in meine schwarze Lederhandtasche schieben. Meinen übergroßen Wollmantel – french chic – überziehen, die Schlüsselkarte greifen und das Zimmer verlassen. Zurück zu meinem Auto auf dem Hotelparkplatz … in dem Hotel am Stadtrand neben der Tankstelle und dem Baumarkt, wo wahrscheinlich nur einsame Trucker übernachten, so viele LKWs säumen die Straße. (Ende Teil 1/2)

[06.01.24 / 23:13] Happy New Year! Mein traditionelles Anti-Silvester: Mich den Abend vor dem Computer setzen, an meiner ewigen, nie fertigen Software-Baustelle arbeiten (mein Web-Mail-Programm – erfolgreich in Konstruktion seit 2013) und mich gegen Mitternacht wegen dem Lärm draußen beschweren. Wieso mache ich das? Tage später die Erklärungsnot unter den Kollegen auf Arbeit:

„Es ist wegen meiner Vergangenheit … Vor vielen, vielen Jahren die Trennung von meiner ersten großen Liebe, kurz vor dem Jahreswechsel, ich war so traurig (2004) und danach habe ich nie wieder Silvester gefeiert! Bis dann zu meiner zweiten großen Liebe (2015) und nach dieser dann auch nicht mehr.“

Und so wiederholt sich das jedes Jahr …

[28.12.23 / 21:55] Auf der Suche nach Fotos – um ein mögliches „Insta-Profil“ zu füllen – bin ich auf ein ganz altes Foto von mir gestoßen, dass ich damals, 2007, nicht veröffentlicht habe. Wahrscheinlich wegen dem Grünstich – hinten als Gegenlicht die Leuchtstoffröhre (in meinem alten Zimmer im Studentenwohnheim), vorne die Stehlampe mit der 30- oder 45-Watt-Glühbirne und dazu die völlig überforderte Handy-Kamera für die Session. Mein Plan, alle meine alten Profilfotos auf Instagram zu veröffentlichen, habe ich schnell wieder aufgegeben … ich müsste über 130 oder 150 Fotos wieder neu bearbeiten (und das würde ewig dauern). Besser ich veröffentliche nur dieses eine, neue Foto hier auf meiner privaten Internetseite (die von niemanden sonst gefunden wird): Mein altes Ich, mit Gothic-Make-up, im Alter von 25 Jahren.

Notiz am Rand – es sind bestimmt sechs Schichten Make-up im Gesicht: Moisturizer, Concealer, Foundation-Rouge (um Schattierungen zu verstecken), Liquid-Make-up, Puder und Top-Level-Rouge (um Schattierungen wieder zu erzeugen), Silver-Rose-Watershine-Color-Lippenstift und viel, viel tiefschwarzer Kajal und üppig aufgetragener Mascara rund um die Augen …

[25.12.23 / 03:16] Wow … ich glaube, ich hatte gerade einen Orgasmus! Nach all den Jahren! 2018 die Operation, das vorsichtige Herantasten, die Schmerzen, die falsche Technik, das Wissen, dass die Operation nicht wirklich gelungen war. Es sah zwar alles hübsch aus, aber eine richtige Vagina war da nicht. Immer wenn ich mit den Fingern tiefer hineintauchte, schlug mein Gefühl sofort um in Verzweiflung, Enttäuschung und Sehnsucht.
Es hat Jahre gedauert, das dort unten zu akzeptieren. Die Korrrekturoperation – der Verlust einer halben Schamlippe als Spender für das Hauttransplantat. Die vielen Männer – die ganzen Nieten: „Wie, du bist da unten nicht tief?“ Meine einzige Hoffnung, wenigstens alleine für mich etwas Gefühl zu erzeugen.
Hatte ich erst die Antidepressiva im Verdacht, mir die Fähigkeit zu nehmen, einen Orgasmus zu erreichen, mich vollkommen fallen zu lassen – war ich doch enttäuscht, als es nicht gleich wieder klappte, als ich sie 2021 absetzte. Ach, das wird schon wieder, das kommt ganz sicher zurück!
Meine Exkurse in die Internet-Erotik, die Live-Sex-Chats mit meinen Liebhabern während der Pandemie … alles bei mir zu Hause, in meiner vertrauten Umgebung. Nur ich habe die volle Kontrolle, was passiert. Meine eigenen Shows – eigentlich nur die Eine und ein Video. Mich zieht es wieder in das Internet, mein Suchfilter auf der Porno-Seite hat sich nie verändert: Spanisch sprechende Schönheit, für sich alleine vor der Kamera, keine störenden Männer, kein Druck von außen, nur sie alleine in ihrer vollkommenen Freiheit. Ich fand es gut, dass sie in ihren Texten niemals auf männliche Genitalien einging, eher zum Mitmachen animierte: „Lass uns gemeinsam da unten anfassen.“
Ich war nah dran, so wie die letzten Jahre … könnte ich nur diesen einen Gipfelpunkt halten, nicht gleich wieder verlieren. Ich brauche mindestens zwanzig Minuten Vorspiel und Phantasie, um eine gewisse Feuchte zu erreichen – das Einzige, was bei mir wirklich sicher funktioniert. Ich mag es, ihr dabei zuzusehen, sie hat so ein bezauberndes Lächeln.
Ein Wochenende später, weit nach Mitternacht, dieses Mal nicht der kleine Laptop an meinem Bett, der große Fernseher mit dem Internetanschluss. Das Sofa, meine geliebte Leopardendecke, wohlig eingehüllt in einer weiteren schwarzen Decke. Sie sieht hübsch aus, ich betrachte sie … mir gefallen die weißen Stiefel.
Ich lasse meine Phantasie schweifen, male mir aus, was ich ihr erzählen könnte. Meine Erlebnisse als Webcam-Erotik-Model – das Gefühl, mit dem Zuschauer zusammen etwas zu kreieren, eine Geschichte, eine eigene Phantasie, etwas, was vorher nicht da war, eine entspannte Atmosphäre, nur in unserer Vorstellungskraft, mit knisternder Erotik!
Ich lasse meine Finger nach unten wandern, wie schon viele Male zuvor. Kein Druck, nicht ewig daran herumrubbeln, bis es schmerzt, nichts erzwingen, nichts nachjagen, nicht wieder voller Enttäuschung, dass es wieder nicht geklappt hat, davon ablassen. Dieses Mal nicht. Zwei Finger an meiner Klitoris … und ihr einfach zuzusehen – ihr winziger, weißer Slip zeigt mehr, als er verbirgt. Ihre beiden Schamlippen zeichnen sich schon wirklich deutlich ab.
Und auf einmal passiert es! Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist – ich bin nicht nur feucht, ich bin klitschnass! Mit einmal! Geradezu explosionsartig. Gut, die schwarze Unterhose kann ich jetzt waschen, die Oberschenkel kann ich mit etwas Klopapier abtupfen. Es zieht wie immer glitzernde Fäden zwischen meinen Fingern. Ich mag den Geruch. Viel wichtiger ist der Moment, wie ich das Plateau erreiche. Bleibe ich hier oben, voller Glücksgefühle? Und wenn ja, wie lange wird es andauern? Auch wenn es nur ein kurzer Moment ist, auch wenn es nur ein Orgasmus ist, es ist wieder so, wie ich es viele Jahre vermisst habe.
Vor vielen Jahren, die Nächte in den Hotelzimmern, der Analsex bis zur Besinnungslosigkeit. Das unoperierte Genital, gebändigt voller weiblicher Hormone, noch viel empfindsamer, als jemals zuvor. Das Trauma der Operation, das Kennenlernen meines neuen Körpers, die Zurückweisungen der Männer, nicht mehr gut genug für Sex zu sein. Der Gedanke, niemals wieder etwas wie dieses Gefühl empfinden zu können. Und doch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, auch wenn es Jahre dauert – irgendwann wird es ganz sicher wieder passieren! Und dann schreibe ich darüber!

Danke dir, du wunderschönes Camgirl.

[23.12.23 / 19:23] Drei Wochen Erkältung (in mehreren Runden), von meinen Kollegen auch scherzhaft als der „Kalkutta-Husten“ bezeichnet, dann noch eine Covid-Infektion (Immunsystem ist runter) … eine Woche zu Hause. Und eine weitere Woche vor Weihnachten (ohne viel zu tun) – ich habe es endlich geschafft, alle meine 590 Fotos aus der Indienreise zu sortieren und auszuwählen: auf eine Sammlung mit hundert Bilden. Die Texte aus meinem Reisetagebuch hatte ich schon vorher abgetippt und online gestellt – und jetzt ist auch endlich alles bebildert. Viel Spaß beim Ansehen in meinem Internet-Reise-Blog!

[19.11.23 / 21:30] 2:30 Uhr brutal früh aufstehen, Duschen, alles zusammenpacken, eine Stunde später Check-out im Hotel. Mit dem Touri-Bus zum Flughafen von Kolkata. Abflug bei Sonnenaufgang.
Weiter mit dem Inlandsflug nach Delhi – dort angekommen, schon wieder den Transferpfad verpasst und komplett aus dem Flughafengebäude rausgegangen … ein Wachposten versperrt uns den Weg, zurück geht es nur über die einstündige, intensive Sicherheitskontrolle. Warten auf den Flug nach Frankfurt, endlos langes Karussell durch den Duty-Free-Bereich.
Früher Nachmittag, der siebenstündige Flug zurück, die beiden Passagiere vor mir in der Reihe müssen unbedingt rummachen … Bitte, ich versuche hier gerade mir einen „John Wick“ Film anzusehen.
Ankunft in Frankfurt den Abend … Laune im Keller, Nase zu, Ohren zu, Gesicht zu – Scheiß Erkältung. (Neuste Pandemie eingeschleppt?)
– Papier alle, keine Seiten mehr im 80-Blatt-Reisetagebuch (ich kritzele die letzte Ecke voll). –

Nach einer weiteren Hotelübernachtung folgt den Morgen noch ein Reisetag, mit Zügen, die nicht fahren und Zügen mit 15 bis 30 Minuten Verspätung, bis ich mit Sonnenuntergang endlich wieder zu Hause ankomme.

[18.11.23 / 21:56] Den Morgen nach dem Frühstück (Continental French) erster Besichtigungspunkt: ein Ashram eines Erleuchteten. Der Bus braucht den ganzen Vormittag bis dahin, quer durch Kolkata über mehrere Brücken, Hochstraßen und vielleicht noch ein paar Seitenarmen des Gangesdelta.
Der Ashram liegt am Ufer des Ganges, auch hier eine Treppe mit Badenden. Die religiöse Organisation (die mit den orangefarbenen Kutten) hat mehrere Tempel und Grabmäler über die Verbrennungsstellen ihrer Ergründer gebaut. „Fotografieren verboten!“ Das Schild ist zu verlockend, ich muss es knipsen.
Auf dem Weg zum Bus zurück, kurzer Stopp im angehörigen Souvenirladen – niedliche Bücher für Kinder, ganz im Stil der Bibeltrickfilme, die ich so mag (aus anderen, nicht-religiösen Gründen) und weiter quer durch die Stadt, auf das andere Gangesufer, zum Kali-Tempel. Leider hat der Guide entschieden, dass da zu viele Menschen sind und wir gehen nur drumherum. Die Sonne brennt und er wollte uns die Warteschlange in der schwülen Mittagshitze nicht antun.
Nächster Besichtigungspunkt, im vollgepackten Programm, den frühen Nachmittag: das „Töpferviertel“, dort werden die großen Figuren für die Rituale aus Stroh, Lehm oder Ton und anschließend bunt bemalt, angefertigt … nur um sie dann später wieder im Ganges zu versenken. Auch hier, vor dem Eingang zu dem engen Gassengeflecht, ein kleiner Kali-Tempel. Ich mache nur ein Foto von dem Opferstein (viel rote Farbe, um die Göttin zu besänftigen).
Weiter den Nachmittag, um auch die Reisegruppe zu besänftigen, eine Pause in einem Café – mit Kuchen und Toilette (die sehr sauber und nahezu westlich anmutete).

Straßenbahn, Kolkata / November 2023 / Alter 41
Den späten Nachmittag, das Highlight im Programm: Wir gehen auf eine „Straßenbahn-Safari“! Irgendwo in Kolkata soll es eine Straßenbahn geben, niemand weiß, wo sie gerade fährt (und ob sie überhaupt fährt). Einen Plan gibt es nicht.
Der Bus fährt die Straßen im dichten Verkehr mit den Gleisen ab, wir haben einen örtlichen Führer / Spurenleser mit dabei. Dann taucht sie auf! Zwei rostige, alte Wagons, bestimmt schon ein Jahrhundert alt. Der Bus pirscht sich an, überholt und hält an der nächsten Haltestelle. Schnell Umsteigen und Platz nehmen. Ich wollte schon immer mal an eines dieser offenen Fenster mit den Metallstreben sitzen.
Die Fahrt führt durch den Verkehr von Kolkata. Gelbe Taxis, die so schön altmodisch aussehen, bunte Linienbusse, Tuk-Tuks und koloniale, handgezogene Rikschas. Dazwischen die alten Bauten und das Moderne. Diese Stadt gefällt mir, sie ist so schön grün und stellenweise morbide (das feuchte Klima). Vielleicht war sie mal dreckig und arm, aber das hat sich gebessert.
Zurück den späten Nachmittag, noch vor Sonnenuntergang, ins Hotel. Wieder die Koffer umpacken, auf Handgepäck und aufzugebendes Gepäck (eigentlich tausche ich nur die Waschtasche gegen den „Techi-Beutel“ mit der Elektronik und der Powerbank), um 3:30 Uhr geht der Bus zum Flughafen. Kolkata – Delhi – Frankfurt.

[17.11.23 / 21:34] Die ganze Reisegruppe schleppt schon seit Beginn einen Infekt mit sich, wahrscheinlich in der zweiten Runde schon eine Reinfektion (die Zugreise, die langen Busfahrten, der Inlandsflug und die vielen Hotel-Klimaanlagen). Ich dachte, ich sei dagegen immun – auf dem letzten Reisestopp erwischt es mich auch, hier kommt meine umfangreiche Reiseapotheke gegen allerlei Erkältungssymptome zur Geltung. Den Auftakt zur morgendlichen Stadtbesichtigung in Kolkata verspäte ich mich um ganze zwanzig Minuten (bin aber auch nicht die Einzige … siehe erste Zeile).
Erster Besichtigungspunkt für mich: der große Blumenmarkt in Kolkata. Ein Geflecht an engen Gassen, zweistöckige Stände – unten die Blumenketten binden und verkaufen, oben die Saison übernachten. Es gibt für jedes Ritual, für jeden Zweck eine besondere Blumendekoration. Nur die zu vielen und eng anstoßenden Menschen ist nichts für mich. Für Fotos habe ich gar nicht den Blick und den Gedanken … ich bin komplett ausgelastet damit, der Gruppe und dem Reiseführer zu folgen (zum Glück gibt es in unserer europäischen Gruppe viele blonde Haare).
Weiter über die große Stahlbrücke über den Ganges, sie wurde von den Engländern erbaut, ich wusste bis hierhin noch gar nichts von ihrer Existenz. Die anschließende Stadtrundfahrt führt noch an weiteren Kolonialbauten vorbei (ich trage für diese letzten beiden Tage extra mein grün-weiß kariertes „Kolonialkleid“), mit Ausstiegsmöglichkeit und Fotostopp.
Abschluss des Tages ist der Halt in einem Kaffeehaus im Universitätsviertel. Ein Studenten-, Philosophen- und Literatur-Café. Eine Institution in Kolkata mit langer Geschichte? Vielleicht aber auch eine Kette an Cafés über die ganze Stadt verteilt. Ob wir nun das eine Kaffeehaus getroffen haben, weiß ich erst hinterher. (Ja.)
Gleich daneben, der Büchermarkt. Meistenteils eingeschweißte Fachbücher mit Grundlagen der vielen Fächer für die Studenten. Nur ein Stand hat etwas speziellere Bücher für das Ingenieurwesen. Die meisten Buchtitel sagen mir etwas (es geht in die Richtung von dem, was ich studiert habe). Sehr fachspezifisch, alt und gebraucht. Ich frage nach, ob sie auch das Buch über die „Programmiersprache C“ haben (das von den beiden bärtigen Gurus die damit Mitte der 1970er UNIX entwickelt haben). Die beiden Verkäufer verneinen. Das Buch – die Referenz-Bibel aus der Computer-Urzeit – finde ich allerhöchstens noch in einem Buchantiquariat. Ein Versuch war es wert. Zurück zum Bus und zurück zum Hotel.
Die Sonne geht schnell unter, hinter den dunkel-grau-blauen Wolken. Der Regen ist ausgeblieben. Durch die langen Besichtigungstouren bleibt gar keine Zeit für ein Bad im Hotel-Pool, Der schwarze Bikini in meinem Koffer bleibt wohl die ganze Reise unbenutzt. Ich laufe nach dem Abendessen lieber an dem riesigem Koi-Karpfenteich entlang und ziehe eine lange Spur hungriger Fische hinter mir her.

[16.11.23 / 22:33] Gegen vier Uhr aufstehen, noch vor Sonnenaufgang mit dem Touri-Bus runter zum Ganges. Selbst um fünf Uhr morgens sind die Straßen zu den Ufertreppen nicht mehr frei! Viele Menschen möchten in dem heiligen Fluss ein Bad nehmen.
Umstieg auf das Aussichtsboot, mit tuckernden Motor treibt das Boot von der Treppe weg und den Ganges entlang, ich habe schnell meine Lieblingsstelle am Heck auf der oberen Plattform an der Reeling für mich entdeckt. Fotos, viele Fotos. Ich will unbedingt das Motiv treffen, das auch so aus vielen Reiseführern bekannt ist. Welches Ghat das ist, weiß ich nicht.
Den Tag vorher lag über der Stadt schon der verbrannte Geruch in der Nase. Vom Boot aus sehe ich die Feuerstellen. Einige Tote werden dort den Morgen verbrannt. Eine Feuerstelle qualmt noch vor sich hin.
Mit Einsetzen der Helligkeit und dem Vertreiben des Dunkels der Nacht, sehe ich immer mehr Menschen die Treppen zum Wasser hinuntersteigen, als wäre es … als ist es das Normalste der Welt. Weiter vorbei an den pittoresken, mehrgeschossigen Bauten. Diese Stadt gibt es schon ewig.
Landung an einer anderen Treppe, die Feuerkugel der Sonne glimmt rötlich hinter dem dichten Nebeldunst, Varanasi ist die einzige Stelle, an der der Ganges nach Norden fließt und ein Sonnenaufgang vom Ufer aus sichtbar ist. Sammeln für ein Fotomotiv an einer Feuerstelle, die Reste einer grauen Asche nur eine Fußbreit entfernt. Durch die engen Straßen zurück zum Bus.
Gegen Mittag, das Flugzeug nach Kolkata. Irgendwo hinter der dunstigen Wolkenschicht sehe ich von meinem Fensterplatz aus die majestätischen Gipfel des Himalaya aufragen. In Gedanken male ich mir aus, wie viele Kletterer da jetzt wohl in Kolonnen die Achttausender erklimmen.
Landung in Kolkata, anderes Wetter, eine dichte Wolkenschicht. Meinen Schirm habe ich für alle Fälle mit im Koffer, auf der Wetterkarte vor ein paar Wochen sah es so aus, als fegt gerade ein tropischer Zyklon den Golf von Bengalen vorbei. Der neue Touri-Bus fährt vom Flughafen direkt zum Hotel.
Dieses letzte Hotel auf der Rundreise wurde vom Veranstalter als äußerst luxuriös angepriesen – tatsächlich ist nur das benachbarte Schwesterhotel der Luxusklasse zuzuordnen. Ein vierzigstöckiger Protzbau, der mit seinen neoklassizistischen Elementen auch so in Vegas oder Moskau hätte stehen können. Mit der Schlüsselkarte erreichen wir (über einen Verbinder) auch die Lobby dieses Hotelmonstrums und können einen Blick hineinwerfen, so weit unsere unterste Sicherheitsbefugnis reicht. Alles Marmor, riesige, Ballsaalartige Treppen. Unser Hotelblock daneben ist mit seinen 7800 Rupien die Nacht nicht mehr, als ein besseres „Stundenhotel“.
Beide Hotels liegen in derselben Anlage, eingezäunt mit Mauern und Stacheldraht, um die arme Bevölkerung von draußen fernzuhalten. Wieder eine „Gated Community“ irgendwo am Stadtrand dieser ostindischen Metropole. Uns bleibt nichts anderes übrig, als hier drinnen (geschützt) auf das Abendessen zu warten. Draußen wären wir verloren? Polizeisirenen, von der angrenzenden Hochstraße, dringen ständig von außen in das geschlossene Hotelzimmerfenster durch. Schwere Gardinen schirmen alles ab.

[15.11.23 / 22:05] Der Aufenthalt in dieser Stadt ist zu kurz, um ihr noch eine zweite Chance zu geben. Auch wenn es den Morgen etwas besser aussieht – Allahabad (jetzt in Prayagraj umbenannt) kann komplett aus dem Programm gestrichen werden, lohnt sich nicht. Die Stelle mit den zwei Flüssen ist am besten von der Autobrücke aus zu sehen.
Den Vormittag weiter Richtung Varanasi – mit Zwischenstopp in Sarnath – der Stelle, an der Buddha (der Erwachte) seine erste Rede gehalten hat. Jetzt eine Ruinenanlage alter, geschliffener Kloster, eine (zum Teil rekonstruierte) Stupa, eine Pilgerstätte daneben. Etwas in der Mittagssonne herumlaufen, viele Besucher.
Weiter hinein nach Varanasi. Für eine halbe Million ausgelegt, eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern. Von der Regierung aufgehübscht, für Touristen vorzeigbar, im Verkehr das totale Chaos / ein Kollaps. Zu viele Menschen.

Aarti-Zeremonie, Varanasi
Stunden später, bereitmachen für die Lichterzeremonie am Ganges. Ich habe mir im Hotelshop gleich zwei billige Fußkettchen gekauft, eines davon trage ich, zusammen mit meiner indisch inspirierten Tunika und einer simplen, schwarzen Leggings. Die Fahrradrikschas führen die Touristengruppe bei Anbruch der Dunkelheit runter zum Ufer des Ganges. Im dichtgedrängten Verkehr.
Der Guide hat ein paar Sitzplätze organisiert, weit oben – die hintersten Plätze – eine Reihe Monobloc-Stühle. Sehr viele Menschen … die dicht gedrängten Boote haben vielleicht die bessere Aussicht auf die Aarti-Zeremonie. Egal, beeindruckend ist es trotzdem. Ob sie diesen Aufwand mit der Live-Musik und den rituellen Handlungen mit dem Weihrauch und den Feuerlichtern wirklich jeden Abend machen? Bei so einer großen Bevölkerung kommen immer genug Reisende, Pilger und spirituell angehauchte Teilnehmer.

[14.11.23 / 22:10] Prayagraj (ehemals bekannt unter den Namen „Allahabad“). Nach sieben Stunden im Bus, quer durch Uthar Pradesh, Ankunft gegen Sonnenuntergang. Besichtigung der Stelle, an der der Ganges und der Yamuna zusammenfließen … Wo bin ich hier? Eine platt getrampelte Ödlandschaft, aggressive Bettler und ein Haufen Obdachlose in ihren orange-roten Kutten, die nervös bis gereizt wirken, wenn man ihren eingezäunten Sandburgen zu nahe kommt.
Von der heiligen Stelle mit den beiden Flüssen ist nichts zu sehen, nur Nebeldunst oder Staub aus weiter Ferne. „Sieht aus, wie in Kasachstan.“ (Nur hier eben als übergroße Müllkippe.)
Die Stadt wirkt arm, ärmer, als alles andere, was ich sonst in Indien gesehen habe. Das Hotel – als „Gated Community“ – erreichen wir mit Rikschas oder Tuk-Tuks – der Bus hat sich verfahren und kann unter einer Brücke nicht mehr vorbei – kein Vorwärts und Rückwärts, kein Wenden mehr möglich, im dichten, indischen Straßenverkehr den Abend. Ankunft im Hotel, für eine Nacht, mit im Bus zurückgelassenen Koffern (die werden später den Abend noch nachgeliefert). Dafür ist das Essen dieses Mal indisch-authentisch scharf … viele westliche Touristen gibt es hier nicht, die überfliegen diesen Moloch für gewöhnlich, auf dem Weg nach Varanasi.

[13.11.23 / 21:37] Den Vormittag, nach dem Frühstück, zur westlichen Tempelanlage in Khajuraho. Eine weitläufige Anlage mit verschiedenen Tempeln. Einer davon ist sogar noch in Benutzung und wird von verschiedenen Besuchern zum Ausklingen des Diwali-Festes verwendet.

Ich die Tempelanlage fotografierend, Khajuraho
Nach der Tour mit dem Guide, alleine durch das Feld, diese Bauten sind berüchtigt für ihre erotischen Reliefdarstellungen, quer durch das Kamasutra (für westliche Europäer nur schwer zu verstehen). Fotos machen. „Schätze der Welt, Erbe der Menschheit – Khajuraho“ – langsame Kameraschwenks, Standbilder, in denen sich, bis auf ein paar Blätter im Wind, nichts bewegt – und eine ruhige Erzählstimme (hätte ich eine Videokamera dabei).
Ein Tempel – er ist dem Gott Shiva gewidmet – ein Bildnis zeigt die Figur mit Parvati zusammen, halb Mann, halb Frau. Meine Fotokamera für ein Detailbild darauf gerichtet: „Ich darf das!“ (Der Tempel ist auch nicht mehr in Benutzung und auch nicht mehr so heilig).
Mit dem Bus weiter zu dem östlichen Anlagenfeld. Auch von diesen Tempeln mache ich ein paar Bilder. Die Reliefs wiederholen sich fast immer wieder. Die Mittagssonne drückt. Ein langer, grüner Rock, zwei Tops mit Spitze und Häkelornamenten schwarz-weiß übereinander. Mein Strohhut schützt mein Gesicht … doch ein beginnenden Sonnenbrand kann ich bereits fühlen.
Den Nachmittag steht eine Safari auf dem Touristenprogramm. Den Rock habe ich im Hotel gegen die „Jeggings“ vom Vortag getauscht. Im Nationalpark angekommen, sehe ich, dass die Jeeps oben offen sind – drei Stunden Fahrt ohne Verdeck? Panisch ziehe ich die Sonnencreme aus meiner Umhängetasche und schmiere mein ganzes Gesicht und meinen Oberkörper damit ein. Das ich mich dabei fast ausziehe … aus Furcht vor einem fiesen Sonnenbrand kenne ich keine Scham mehr. Pünktlich zum Start der Tour ziehen Schleierwolken auf und die Sonne verschwindet dahinter.
Welche Tiere gibt es hier zu sehen? Angeblich Tiger. Ich mache nur Fotos von Hirschen, verwackelte Aufnahmen aus der Fahrt heraus (wenn der Jeep den Motor wieder angelassen hat). Große Spinnennetze, eine tote Schlange – „Äußerst giftig!“ Geier und schöne Landschaften – aber Gefallen finde ich erst bei der Jeep-Tour selbst. Steiniges Gelände, auf und ab, quer durch. „Nochmal!“ Wäre nach dem Sonnenuntergang die Temperatur nicht so rapide abgefallen, mit der richtigen Ausrüstung und Bekleidung könnte ich hier noch länger bleiben. Safari Lodge?
Den Abend zurück zum Hotel, den ganzen Staub wegduschen, den ganzen roten Staub aus meinen Sachen klopfen – Das muss für den nächsten Tag noch gehen! Mein begrenztes Bekleidungssortiment im kleinen Handgepäckkoffer ist für je zwei Tage ausgerichtet.

[12.11.23 / 22:50] Die dritte Zugfahrt, den Morgen von Agra aus irgendwo in die Mitte von Nordindien. Wieder ein Expresszug der klassischen Art. Die Kofferträger tragen alles vom Busausstieg bis in das klimatisierte Zugabteil. Die Zeit bevor der Zug einfährt, noch genug Momente die Bahnhofsatmosphäre auf Bildern einzufangen … Ratten (niedliche Tiere).
Weiterfahrt und Ankunft gegen Mittag, die Türen des Wagons wurden schon einen Kilometer vorher geöffnet. Neuer Bus, nach drei Stunden im Zug, noch einmal drei oder vier Stunden im 60-km/h-Tempo auf der Autobahn. Hauptsächlich im Slalom, um den vielen Kühen auszuweichen. Am Nachmittag dann ein Stopp in Orchha … noch mehr Kühe, einige recht fotogen, die Tempelanlagen und historischen Bauten (mit engen Treppenaufstiegen im tiefsten Dunkeln) werden fast zur Nebensache.
Weiter bis in den frühen Abend nach Khajuraho. Kurzer Stopp in einem Motel mit Imbiss, einen Chai trinken, den Verkaufsladen für Souvenirs nach einem Fußkettchen durchstöbern.
Das Hotel erreichen wir am Abend. „Happy Diwali!“ Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich mir das angekündigte Feuerwerk im Garten des Hotels ansehe, so fertig bin ich von der Fahrt, tue es dann aber doch. Ungewöhnlich, ein Feuerwerk, bei dem die Menschen einfach nur glücklich sind – kein „Krieg“, keine Polizeisirenen, keine Kapuzenpullover, keine Vermummung. Es gibt sogar diese aufsteigenden Lampions mit Kerzen (oder Esbit), bei uns verboten, hier steigen sie einfach in die Luft, fallen verglühend wieder runter, in einen Baum, auf einen Balkon – und es passiert nichts. Wieder Abendessen im Hotel. Vielleicht bin ich so gelassen, weil ich mir den Nachmittag zurück in Orchha bei einem Priester mein Tempelbändchen am Handgelenk geholt habe.

[11.11.23 / 22:02] Besichtigungsmoment des Tages: das Taj Mahal. Schon wieder … Letztes Mal ist meine weiße Tunika ein Tag vorher kaputt gegangen – jetzt hat sie ihre zweite Chance! Vom Hotel aus den Morgen im Nebeldunst mit dem Reisebus zum Umstiegspunkt auf das Elektromobil für die vielen Besucher, die zum Eingang des prächtigen Grabmals wollen.
So viel weißer Marmor – auch in dem trüben Morgendunst wirkt dieses Bauwerk beeindruckend – auch beim zweiten Mal. Mitgenommen habe ich nur meine Kamera, ich will nur die nötigsten Fotos machen, keine Selfies, die Stelle mit der Spiegelung im Wasser fehlt mir noch [Anm. der Verfasserin: eine Variante ohne Touristen davor]. Für Potraitaufnahmen werde ich von einem der vielen Fotografen angesprochen, nur hundert Rupien pro Motiv in cineastischer Bollywood-Pose … ich stimme zu und nehme mir die Zeit (die Bilder bekomme ich später).

Taj Mahal, Agra / November 2023 / Alter 41
Weiter die weitläufige Anlage, näher an das Grabmal heran. Die Becken sind ohne Wasser, ein paar Fotos aus der Froschperspektive. Am Eingang an der Fundament-Plattform angekommen, Wechsel auf die Schuhüberzieher und mit den weiteren Touristen hinein in das Innere. Anders als 2018, werde ich dieses Mal nicht mit hindurchgedrückt, ich kann mir genug Zeit lassen, die zwei Grabstellen, des Mogulkaisers und seiner Frau, zu umrunden. So viele filigrane Details zu bewundern …
Den Nachmittag, der Touri-Bus hält an ein paar obligatorischen Einkaufsgelegenheiten, die Juwelen- und Garnstickerei, Hoflieferant vergangener Herrscher, übersteigt mein Budget. Von sündhaft teuren Spontankäufen, die ich danach sicher bereue, halte ich mich tapfer fern. Auch wenn dieses gestickte Kunstwerk sehr hübsch aussieht – was soll ich dann später damit? Es dient nur dekorativen Zwecken.
Weiter zu einem Laden, oben Tee und Gewürze, unten Tücher, Schals und Textilwaren. Die Reisegruppe plündert alles, hinterlässt ein Schlachtfeld. Gewürzmischungen und Tees kaufe ich woanders, Schals habe ich genug. Dieser Stopp ist für mich nur eine Toilettenpause (viel sauberer und privater als die beim Taj Mahal für Abertausende).
Zurück zum Hotel, bevor es den späten Nachmittag weiter zum Roten Fort geht, ein Stück „Black Forest Cake“ unten am Café in der Nähe der Lobby. Für das Bezahlen bleibt mir kaum ein Moment, mein Darm schlägt durch (kommt immer auf einer Reise nach Indien).
Später den Nachmittag, die Festung und der Palast wurden uns bei der letzten Reise vorenthalten. Ich bin auf der Suche nach dem berühmten Fotomotiv mit dem kleinen Türmchen auf der Festungsmauer und dem schneeweißen Taj Mahal im Hintergrund, fern am Horizont, hinter dem Yamuna Fluss. Die Besichtigungstour dauert bis zum Sonnenuntergang, bis wir auch diesen letzten Winkel erreichen. Bis dahin habe ich unzählige Fotos gemacht, die Batterie gibt ihr letztes Bild und das verschleierte Sonnenlicht hinter all dem Dunst ist sowieso weg. Ein ausgiebiger Tag – nur eingekauft habe ich nichts.
Das ändert sich zurück im Hotel. Den Tag vorher in dem Laden für Kaschmir und Pashmina einen leichten Schal anprobiert und wieder beiseite gelegt – jetzt den Abend, auf dem Weg zum Dinner, kaufe ich ihn doch. Es ist immerhin Diwali.
Ein Laden daneben, eine Außenstelle des Juweliers vom Nachmittag? Mit hineingezogen, betrachte ich die Silberringe mit den Peridots, die mir vom Verkäufer präsentiert werden – natürlich passt dieser eine Ring mit dem grünen Stein und den funkelnden Zirkonen wunderbar zu dem Schmuck, den ich bereits trage: mein anderer Silberring mit Peridot und der Armreif mit den Glitzersteinen … Als wäre ich schon immer auf der Suche nach diesem einen Ring gewesen. Ich muss ihn kaufen. So einen habe ich schon immer gesucht. Der Verkäufer steckt ihn mir an, ich könnte später nach dem Essen bezahlen. „You should not trust me!“ Ich vergewissere mich noch einmal und verlasse mit dem Ring an meinem Finger den Laden. Nicht um Abendessen zu gehen, hoch auf das Zimmer, Geld holen. Dieser Ring ist zu meiner natürlichen Hülle geworden und geht mit dem anderen Schmuck auf. Diwali, Vorabend zum Hauptfeiertag – wo ist das Feuerwerk?

[10.11.23 / 22:25] Den Tag unterwegs nach Agra, Rischikesch verlassen wir noch vor dem Sonnenaufgang am frühen Morgen, mit dem Bus zurück nach Haridwar. Auf der Hinfahrt war der Schnellzug noch sehr traditionell gehalten, die offenen Fenster mit den Stäben davor (nicht die Erste Klasse), das rudimentäre Steh- oder Hock-Klo (mein erstes Mal) und die nicht so kalte Klimaanlage … angenehmer hatte es nur der mutige Mann, der bei über hundert Kilometer die Stunde die Tür öffnet und sich an den Rand nach draußen stellt (ich sitze derweil daneben auf dem Notsitz und warte auf die freie Toilette).
Der Zug für die Rückfahrt Richtung Delhi dagegen, ist ein moderner Schnellzug, entworfen und hergestellt in Indien (ICE-Klasse). Eiskalt temperiert und mit bequemen Sitzen. Auch die Fenster sind noch nicht so sehr „verschleiert“. Ich schlafe fast die ganze Fahrt.
Vier Stunden später, eine Haltestelle vor Delhi, Ausstieg und Umstieg in den Bus. Vor uns liegt noch eine mehrstündige Fahrt auf der Autobahn – im besten 60-km/h-Moped-Tempo. Kurze Kaffeepause an der Raststätte, ich bin so übermüdet (brutal um fünf Uhr aufgestanden), ich trage noch meine übergroße Sonnenbrille. Für die Toilette auf der Raststätte möchte ich sie lieber nicht abnehmen.
Wie die Reise 2018, hat auch diese Raststätte einen kleinen Verkaufsraum mit Souvenirs. Auf dem Wunschzettel für die Reise nach Indien 2023 steht ein kleines Fußkettchen, passend zu meinem Münzgürtel, nichts Kostspieliges, nur einfaches, glänzendes Metall – „Ramsch“ aus Souvenirläden (der Verkäufer hatte etwas, aber ich musste zu schnell wieder weg und mit meiner Sonnenbrille konnte ich sowieso nichts genau erkennen).
Ankunft in Agra am späten Nachmittag. Ein Fünf-Sterne-Hotelkomplex. Gated Community? Die besseren Zimmer gibt es auf den anderen Etagen, für Touristen reicht das Budget-Zimmer. Das Hotel ist voller westlicher Reisegruppen (und es gibt natürlich auch Verkaufsläden).
Diesen Tag keine Fotos, die vielversprechende Dachterrasse mit Blick auf das Taj Mahal lohnt sich nicht – es ist bereits dunkel um 19 Uhr und das entfernte Grabmal ist nicht beleuchtet.
Nach dem Abendessen (Buffet – scharf für Europäer) zurück auf das Zimmer, draußen auf den Straßen knallt es überall – indische „Sprengkörper“ – eigentlich ist das Diwali-Fest erst in zwei oder drei Tagen, aber „geböllert“ wird hier auch schon vorher. Ich hänge die Sachen für den nächsten Tag über Nacht raus aus dem Koffer … wie die darin für eine zweiwöchige Rundreise „frisch“ bleiben könnten, habe ich in all den Jahren noch nicht herausfinden können.

[09.11.23 / 21:52] Den Morgen raus zu der Straße den Ganges entlang, der Bus schlängelt sich im raschen Tempo an den steilen Abhängen vorbei. Unterwegs zu dem kleinen Ashram mit den Höhlentempeln – archäologisch nachgewiesen, schon seit Jahrtausenden von Asketen bewohnt. Vashishta Gufa.
Das Ufer des Ganges in dieser scheinbaren Wildnis, der feine Quarzsand in dem trockenen Flussbett – meine Schnürschuhe und alles andere glänzt und flimmert. Der Fluss selbst mäandert an den blank geschliffenen Steinen entlang. Die zwei Höhlen daneben – die kleinere hat einen viel schöneren Ausblick und lädt zum Meditieren ein (auch die großen Steine am Ufer – wenn nicht gerade eine Touristengruppe vorbeikommt).
Zurück zum Hotel, den frühen Nachmittag nichts, erst den späten Nachmittag geht es mit der Gruppe wieder zurück zur Hängebrücke, rüber auf die andere Seite für die nächste Abendzeremonie in Rischikesch. Vorher Besichtigung eines weiteren Ashrams oder Hindu-Tempels. Die beiden jungen Mädchen in Schuluniform, die mir entgegenkommen … habe ich das richtig übersetzt? „Guck mal, eine Hijara!“ Ich fühle mich geehrt …
Es wird dunkel, die Sonne geht unter, die Gruppe nimmt an der Ufertreppe Platz. Dieser Ashram hat Geld: eine große Betoninsel, eine große Shiva-Statue, ein imposanter Pagodenbau, eine Live-Band – die Reden des Gurus werden live auf zwei große LCD-Wände übertragen. Internationale Gäste, die Touri-Gruppe fällt nicht wirklich auf.
Dachte ich erst, es gibt dezente Touri-Gruppen und weniger dezente Touri-Gruppen – stehe ich gegen Ende auch auf der Betonbrücke und mache ein oder zwei Fotos von der ganzen Szenerie. „Verbreitet die Botschaft in der ganzen Welt!“ Diese Prozession hat sich bestimmt schon seit den Sechzigern – seit der Hippie-Zeit nicht mehr verändert (zurück werde ich an einem Beatles-Memorial vorbeigehen). Etwas vom Swami bleibt hängen: „If you are in peace, you will bring peace. If you are in pieces, you will only bring pieces.“
In Gedanken zurück über die andere Brücke, zurück auf das andere Ufer, die Tuk-Tuks zum Hotel. Interessant zu sehen – das, was ich für eine Autobrücke hielt, ist nur eine dreispurige Brücke für Fußgänger (manchmal auch Kühe, jedenfalls die andere Hängebrücke) und zwei Fahrtrichtungen für Motorräder und Roller. Einmal mit der schweren Reiseenduro nach Rischikesch …

[08.11.23 / 22:25] „Ich geh' in 'nen Ashram nach Rishikesh!“ Nach dem letzten Morgen in Delhi im Smog, jetzt ein glasklares Foto vom Sonnenaufgang hinter der Bergkette in Rischikesch.
Frühstück entspannt um neun Uhr, dann mit der Reisegruppe zu Fuß runter zum Ganges, zu dem Ashram gegenüber der markanten Hängebrücke – eine Gesprächsrunde mit dem Vize des Klosters (ich hätte auch eine Frage gehabt, aber die verkneife ich mir: „Können Touristen hier auch mal einchecken, für ein paar Wochen?“, auch mit meiner Stimme möchte ich mich nicht verraten …).

Im Ashram meditierend, Rischikesch / November 2023 / Alter 41
Nach einer kurzen, für mich abgebrochenen Meditation, rüber über die große Hängebrücke zum anderen Ufer des Ganges. Ich kann kaum mit der Gruppe mithalten – zu viele Fotos!
Die andere Seite – der mächtige Ganges fließt nur so dahin, die Treppenstufen sind zu verlockend, um darin, im Wasser, nicht wenigstens den großen Zeh hineinzutauchen … ich tue es.
Weiter den Mittag, oder den frühen Nachmittag (ich habe kein Zeitgefühl mehr) in einen weiteren Hindu-Tempel am Ufer. Die vielen, fast schon kitschigen Portraits der Hauptgottheiten (von Westlern nicht ohne Bewunderung auch einfach nur „Papa Schlumpf“ genannt). Wo ist meine Figur? Bei mir zu Hause im Schrein (als Postkarte): Lord Shiva und Parvati in Eins vereint.
Wieder zurück über die Hängebrücke. Für einen kurzen Moment sehe ich niemanden von der Gruppe (ich habe mich zu weit zurückfallen lassen) und gehe auf einmal auf, unter den ganzen Einheimischen. Das größere Tuk-Tuk bringt die Gruppe den frühen Nachmittag zurück zum Hotel.
Etwas entspannen, dem Sonnenlicht entfliehen, ein Stück Karottenkuchen und eine Tasse Masala Chai im Pool-Café. Gegen 17 Uhr denselben Weg noch einmal zurück, zum Ufer des Ganges, zur Aarti-Lichterzeremonie (ich nenne sie so, wegen dem Feuer).
Es wird dunkel auf den Stufen des Ganges, Vorbereitungen, die Prozession, das Feuer und der Weihrauchnebel. Es wird kühl, ich habe meine Strickjacke mit dabei. Die kleine Gruppe Touristen am Rand stört nicht. Auch wenn meine Gedanken andere sind: „Welcher dieser über die Anlage laut gespielten Verehrungssongs hat die Beatles damals so sehr beeinflusst, dass sie ein ganzes Album danach komponiert haben?“ Zurück den Abend, weit nach Sonnenuntergang, mit den Tuk-Tuks zum Hotel.

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Kommentar:

[05.12.22 / 17:34] Daniele1992: Hallo Morgana

Mail ist heute rausgegangen

LG Daniele

[13.11.22 / 09:33] Daniele1992: Hallo Morgana

aktuell keine schöne Situation. Ich schreibe Dir noch eine Mail dazu.

LG Daniele

Morgana LaGoth: Einige Kommentare müssen auch nicht allzu öffentlich sein …

[13.05.22 / 09:15] Daniele1992: Hallo Morgana,

Tolle Reisebericht von Deiner neusten Reise nach Paris. Macht grosse Lust auch wieder dort hinzufahren um sich von der Stadt inspirieren zu lassen.

Tolle Neuigkeiten.NeuerJob. Klasse! Freue mich für Dich.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Danke. Endlich wieder verreisen … lange darauf gewartet. Lebendig bleiben, solange es noch geht.

[24.12.21 / 20:55] Daniele1992: Hallo Morgana,

Ich denke an Dich und wünsche Dir frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr 2022.

Liebe Grüße
Daniele

Morgana LaGoth: Vielen Dank, ich wünsche dir ebenfalls ein schönes, neues Jahr.

[25.09.21 / 14:59] Daniele1992: Hallo,

eine Chance etwas Neues zu machen. Neue Perspektiven. Urlaubsträume, die bald real werden können. Nicht so schlecht. Freue mich für Dich. LG Daniele.

Morgana LaGoth: Danke dir.

[11.11.20 / 09:12] Daniele1992: Hallo Morgana

Ich habe Dir eine Mail geschickt.

Lg
Daniele

Morgana LaGoth: Hey ... vom Lenkrad aus mit der Hand winken, von einem MX-5 zum anderen. *freu*

[30.07.20 / 22:03] Daniele1992: Guten Abend

das habe ich sehr gerne gemacht. Zum Einen interessiert mich das Thema und zum Anderen hast Du wirklich sehr lebendig und spannend geschrieben. Da wollte ich Alles lesen und wollte Dir schreiben, das mir Dein Blog besonders gut gefallen hat (Die eigentliche Arbeit hattest Du ja mit dem Verfassen des Blogs). Wenn Du magst können wir den Kontakt gerne per Mail halten. Viele Grüße Daniele

Morgana LaGoth: Mail-Adresse steht oben bei "kontakt" - bei weiteren Fragen, gerne.

[30.07.20 / 12:44] Daniele1992: Guten Morgen,
vielen Dank für Deinen tollen Blog. Ich habe ihn in den letzten Wochen komplett gelesen. Meistens konnte ich gar nicht aufhören zu lesen. Fast wie bei einem sehr spannenden Roman. Ich habe dabei Deine genauen Beobachtungen und Beschreibungen sehr genossen. Deine vielen Ausflüge in die Clubs und zu den Festivals oder Deine Streifzüge d durch die Geschäfte beschreibst Du immer aus Deiner Sicht sehr anschaulich und spannend. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, das alleine zu erleben, häufig auch mit einer gewissen Distanz. Ich kenne ich von mir sehr gut. Highlights sind Deine Reiseberichte. Deine Erlebnisse an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch das Du Deinen Weg zu Deinem waren Geschlecht mit uns Lesern teilst. Deinen Weg Deine Gefühle Deine zeitweisen Zweifel. Das ist sehr wertvoll auch für uns Andere, denn es ist authentisch und sehr selten. Du bist einem dadurch sehr vertraut geworden. Für mich ist eine gefühlte grosse Nähe dadurch entstanden. Umso mehr schmerzt es mich von Deinen Rückschlägen zu lesen. Von Deinem Kampf zu Deinem wahren Ich. Von Deinem Kampf umd Liebe, Zährlichkeit und Akzepzanz und Anerkenung. Von Deiem mitunter verzweifeltem Kampf nach Liebe und Anerkennung durch Deinen Exfreund. Leider vergeblich. Dein Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und Deine aktuell missliche Lage. Ich glaube dass Du nicht gescheitert bist. Du hast viel Mumm und Hardnäckigkeit bewiesen Deinen Gang zu Dir selbst zu gehen. Du hast auch einen guten Beruf der immer noch sehr gefragt ist. Vielleicht kann ja nach dieser Auszeit und etwas Abstand ein Neuanfang in einer anderen Firma, wo Du keine Vergangenheit als Mann hattest gelingen. Ich wünsche das Dir ein Neuanfang gelingt und drücke Dir ganz fest die Daumen. Daniele

Morgana LaGoth: Da liest sich tatsächlich jemand alles durch? Das ist mittlerweile schon ein kompletter Roman mit mehreren hundert Seiten! Danke dir, für deinen Kommentar (und die aufgebrachte Zeit).

[05.10.19 / 17:11] Drea Doria: Meine liebe Morgana,
bin 5 T post all-in-one-FzF-OP. Deine guten Wünsche haben geholfen. Der Koch ist immernoch noch super. Alle hier sind herzlich und nehmen sich Zeit.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Dann wünsch ich dir jetzt noch viel mehr Glück bei deiner Genesung!

[14.06.19 / 12:57] Drea Doria: Meine liebe Morgana,

vielen Dank für Deine offenen und kritischen Erlebnisberichte. Ich bin in 3 Monaten in Sanssouci zur FzF-OP. Ich denke auch, was kann schon schief gehen, status quo geht nicht und irgendwas besseres wird wohl resultieren. Wenn es Dich interessiert, halte ich Dich informiert. Drücke mir die Daumen.
Herzlich
Drea

Morgana LaGoth: Ich wünsche dir für deine Operation viel Glück. (Sollte der Koch nicht gewechselt haben, das Essen da in der Klinik ist richtig gut!)

[14.11.17 / 20:13] Morgana LaGoth: Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion: Die Seitenbetreiberin behält sich das Recht vor, jeden Kommentar, dessen Inhalt rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, ausländerfeindlich oder sonstwie gegen eine Minderheit beleidigend und diskriminierend ist, zu zensieren, zu kürzen, zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten. Werbung und Spam (sofern die Seitenbetreiberin dafür nicht empfänglich ist) wird nicht toleriert. Personenbezogene Daten (Anschrift, Telefonnummer) werden vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht.

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